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BVerfG 24.01.2025 - 2 BvR 1103/24
BVerfG 24.01.2025 - 2 BvR 1103/24 - Stattgebender Kammerbeschluss: Zulässigerklärung der Auslieferung einer non-binären Person an Ungarn verletzt Verbot unmenschlicher bzw erniedrigender Behandlung gem Art 4 EUGrdRCh - Verletzung der Pflicht zur Aufklärung der Haftumstände im Zielstaat - Gegenstandswertfestsetzung
Normen
§ 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, Art 17 EGRaBes 584/2002, Art 4 EUGrdRCh, § 32 IRG, § 73 IRG, § 77 Abs 1 IRG, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG
Vorinstanz
vorgehend BVerfG, 28. Juni 2024, Az: 2 BvQ 49/24, Einstweilige Anordnung
vorgehend BVerfG, 28. Juni 2024, Az: 2 BvQ 49/24, Einstweilige Anordnung
vorgehend KG Berlin, 27. Juni 2024, Az: 4 OAus 2/24 - 151 AuslA 195/23, Beschluss
Tenor
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1. Der Beschluss des Kammergerichts vom 27. Juni 2024 - 4 OAus 2/24 - 151 AuslA 195/23 - verletzt die beschwerdeführende Person in ihrem Grundrecht aus Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, soweit ihre Überstellung an die ungarischen Justizbehörden für zulässig erklärt wurde.
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2. Das Land Berlin hat der beschwerdeführenden Person ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
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3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 15.000 (in Worten: fünfzehntausend) Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Entscheidung über die Zulässigkeit der Überstellung der beschwerdeführenden Person an die ungarischen Behörden auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls.
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I.
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1. Der beschwerdeführenden Person wird von den ungarischen Behörden zur Last gelegt, seit dem Jahr 2017 Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein, deren Ziel es gewesen sein soll, Sympathisanten der extremen Rechten in zahlenmäßiger Überlegenheit koordiniert und unter Einsatz vor allem von Teleskopschlagstöcken anzugreifen. In der Zeit vom 9. bis zum 11. Februar 2023 soll sie gemeinsam mit weiteren Personen Sympathisanten der rechtsextremen Szene oder von ihnen hierfür gehaltene Personen in Budapest angegriffen und verletzt haben.
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2. Die beschwerdeführende Person wurde am 11. Dezember 2023 aufgrund eines Europäischen Haftbefehls des Zentralen Bezirksgerichts Buda vom 8. November 2023 sowie eines in einem Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft Dresden ausgestellten Haftbefehls des Amtsgerichts Dresden vom selben Tag in Berlin festgenommen.
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3. Sie beantragte gegenüber dem Kammergericht mit Schriftsatz vom 16. Januar 2024 unter anderem, den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 5. Januar 2024 auf Anordnung der Auslieferungshaft abzulehnen.
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Die Auslieferung erscheine aufgrund der Haftbedingungen in Ungarn gemäß § 15 Abs. 2 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) von vornherein unzulässig. Ein im Jahr 2018 veröffentlichter Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter (Committee for the Prevention of Torture, CPT), ein Bericht des US-amerikanischen Außenministeriums aus dem Jahr 2021 und ein Bericht der Nichtregierungsorganisation Hungarian Helsinki Committee (im Folgenden: HHC) vom 18. Dezember 2023 wiesen auf unverhältnismäßige Reaktionen des Haftpersonals, darunter Fälle von übermäßiger Gewaltanwendung, auf unverhältnismäßige Reaktionen auf Disziplinarverstöße, auf Probleme hinsichtlich des Zugangs zu Beschwerdeverfahren, auf Isolationshaft sowie auf die unzureichende Behandlung von Menschen mit Behinderungen, auf Überbelegungen und schlechte hygienische Bedingungen hin. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und ungarische Gerichte hätten in zahlreichen Entscheidungen Verstöße gegen Grundrechte im Zusammenhang mit den ungarischen Haftbedingungen festgestellt. In dieses Bild fügten sich auch die Schilderungen einer Mitbeschuldigten im hiesigen Verfahren ein.
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Zudem sei zu berücksichtigen, dass sie bereits seit einigen Jahren den Namen Maja angenommen habe und sich selbst als non-binäre Person verstehe. Als vorläufigen Höhepunkt der gender- und transfeindlichen Politik der ungarischen Regierung habe das ungarische Parlament am 15. Juni 2021 ein Gesetz verabschiedet, welches Informationen über Homosexualität und Geschlechtsidentität verbiete. Die Europäische Kommission habe Ungarn wegen dieses Gesetzes Mitte 2022 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union verklagt. Der ungarische Staat sei weder willens noch in der Lage, Übergriffe von Mithäftlingen oder Justizpersonal zu verhindern oder zu unterbinden. Ankündigungen der ungarischen Regierung, die Haftkapazitäten zu erweitern, seien nicht umgesetzt worden. Öffentliche Daten der Generalstaatsanwaltschaft in Ungarn deuteten darauf hin, dass sowohl die Zahl der Personen in Untersuchungshaft als auch deren durchschnittliche Dauer zunehme. Das Oberlandesgericht Celle habe in einem anderen Verfahren (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 21. Juli 2021 - 2 AR [Ausl] 40/21 -, juris) zu Unrecht der Aussage des ungarischen Justizministeriums, wonach es in keiner Haftanstalt zu einer Überbelegung komme, vertraut, denn nur drei Jahre nach dieser Erklärung habe Ungarn 1.468 Gefangene wegen Überbelegung der Gefängnisse freilassen müssen. Die Feststellung des Europäischen Parlaments vom 15. September 2022, dass eine eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Grundrechte der Union durch Ungarn bestehe, die Annahme einer zweiten Entschließung am 1. Juni 2023 und die Anordnung des Einfrierens von EU-Mitteln wie auch die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn durch die Europäische Kommission zeigten, dass in Bezug auf das ungarische Rechtssystem Defizite bestünden, die einer Überstellung entgegenstünden.
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4. Mit Schreiben vom 1. März 2024 trug die beschwerdeführende Person ergänzend vor, die ihr mit Schreiben vom 29. Februar 2024 eröffnete Übernahme des Ermittlungsverfahrens der Generalstaatsanwaltschaft Dresden durch den Generalbundesanwalt stelle ein starkes Indiz dafür dar, dass es sich bei dem in Deutschland geführten Ermittlungsverfahren um ein Verfahren im Sinne des § 83b Abs. 1 Nr. 1 IRG handele und damit ein Bewilligungshindernis vorliege. Gegen eine Überstellung spreche zudem, dass es zum Beginn des Prozesses zu den auch hier gegenständlichen Tatvorwürfen gegen eine italienische Staatsbürgerin sowie zwei deutsche Staatsangehörige am 29. Januar 2024 in Budapest zu einer inszenierten öffentlichen Bloßstellung durch die ungarische Justiz gekommen und hierdurch die Unschuldsvermutung verletzt worden sei. Die beschwerdeführende Person verwies zur Bekräftigung ihrer bereits geäußerten Kritik an den Haftbedingungen in ungarischen Justizvollzugsanstalten auf Berichte von drei ehemaligen Häftlingen. Das HHC weise seit Jahren darauf hin, dass es in ungarischen Justizvollzugsanstalten ein chronisches Problem mit Bettwanzen gebe. Außerdem versuche die ungarische Politik, Einfluss auf das vorliegende Verfahren zu nehmen. So werde auf dem Internetauftritt des "Cabinet Office of the Prime Minister" nicht nur versucht, die Kritik an den Haftbedingungen zu relativieren, sondern auch, Nachweise für die Schuld der Angeklagten zu präsentieren.
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5. Mit Beschluss vom 1. März 2024 ordnete das Kammergericht die Auslieferungshaft gegen die beschwerdeführende Person an.
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a) Ihre Auslieferung erscheine nicht von vornherein unzulässig. Ungarn verfüge über der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen entsprechende Haftanstalten und sei bereit, auf Anfrage eine Unterbringung in diesen Anstalten zuzusichern. Entsprechende Erklärungen zur Gewährleistung menschenrechtskonformer Haftbedingungen sowohl während der Untersuchungshaft als auch während etwaiger, bis zur Rücküberstellung vollzogener Strafhaft einschließlich einer Beschreibung der Haftbedingungen in den voraussichtlichen Haftanstalten seien von den ungarischen Behörden noch einzuholen. Die durch die beschwerdeführende Person geschilderten Haftbedingungen in Ungarn allgemein sowie konkret einer bereits in Ungarn inhaftierten Person gäben zu einer anderen Beurteilung keine Veranlassung. Jene Person sei noch in Ungarn ergriffen und inhaftiert worden. Ihre Untersuchungshaft stehe damit nicht unter dem Schutz besonderer, von den ungarischen Justizbehörden gegenüber den deutschen Behörden abgegebener Zusicherungen.
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b) Auch die Selbstbezeichnung der beschwerdeführenden Person als non-binär hindere die Auslieferung nicht. Der Senat verkenne hierbei nicht, dass die Politik der aktuellen ungarischen Regierung als gender-, homo- und transfeindlich bezeichnet werden müsse und früher in Ungarn erreichte Maßnahmen zur Gleichbehandlung von Homosexuellen und Transpersonen in diskriminierender Weise wieder abgebaut würden. Die Politik der ungarischen Regierung folge damit dem Muster auch anderer populistischer Regime, durch die Stigmatisierung von Homosexuellen und Transpersonen ein innergesellschaftliches Feindbild zu schaffen und so die Geschlossenheit ihrer Anhänger zu stärken. Jedoch lägen dem Senat keine Erkenntnisse vor - und solche würden von der beschwerdeführenden Person auch nicht vorgetragen -, dass sich diese Politik in der konkreten Behandlung von sich als non-binär verstehenden Personen in ungarischen Justizvollzugsanstalten auswirke. Gleichwohl erachte es der Senat - auch zur Vermeidung von Verzögerungen durch eine sich später doch als erforderlich erweisende Nachfrage - für sachgerecht, die ungarischen Behörden im Zusammenhang mit der Einholung von Auskünften und Zusicherungen zu den Haftbedingungen auch um Auskunft zu ersuchen, ob es in der Vergangenheit Übergriffe von Gefängnispersonal oder Mitgefangenen auf sich als non-binär verstehende, homosexuelle und/oder transsexuelle Gefangene gegeben habe, wie gegebenenfalls auf solche Übergriffe reagiert worden sei und welche Maßnahmen zum Schutz von sich als non-binär verstehenden Personen, Homosexuellen und/oder Transsexuellen vor Übergriffen in den Haftanstalten, in denen die beschwerdeführende Person voraussichtlich untergebracht werden würde, vorgesehen seien.
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c) Ebenso wenig erwachse ein Auslieferungshindernis aus den von der beschwerdeführenden Person gerügten rechtsstaatlichen Mängeln des ungarischen Justizsystems. Ein generelles Auslieferungshindernis käme insoweit nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 25. Juli 2018 - C-216/18 PPU - nur in Betracht, wenn der Europäische Rat unter den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der in Art. 2 EUV genannten Grundsätze wie derjenigen, die der Rechtsstaatlichkeit inhärent seien, festgestellt hätte. Eine solche Feststellung sei bisher aber nicht getroffen worden. Solange ein solcher Beschluss des Europäischen Rates nicht vorliege, könne der Vollstreckungsmitgliedstaat einem Europäischen Haftbefehl eines Ausstellungsmitgliedstaats nur unter außergewöhnlichen Umständen keine Folge leisten. Dies könne dann der Fall sein, wenn es ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gebe, der Verfolgte werde nach seiner Übergabe einer echten Gefahr ausgesetzt sein, dass sein Grundrecht auf ein unabhängiges Gericht verletzt und damit der Wesensgehalt seines Grundrechts auf ein faires Verfahren (Art. 47 Abs. 2 GRCh) angetastet werde. Nach diesen Maßstäben sei vorliegend ein Auslieferungshindernis zu verneinen. Der beschwerdeführenden Person würden Delikte der allgemeinen Gewaltkriminalität zur Last gelegt. Es sei nichts vorgetragen oder ersichtlich, was Anlass zu der Besorgnis geben könne, dass es in diesem Verfahren zu staatlichen Eingriffen in die richterliche Unabhängigkeit und damit zu einer Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren kommen könne.
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6. Am 15. März 2024 teilte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin der beschwerdeführenden Person ihre Absicht mit, die Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung nach Ungarn unter der Bedingung zu bewilligen, dass sie im Fall ihrer Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe auf ihren Wunsch an die Bundesrepublik Deutschland zurücküberstellt werde, um diese Strafe in Deutschland zu verbüßen.
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7. Mit Schreiben vom 5. April 2024 nahm die beschwerdeführende Person hierzu Stellung und übermittelte in Ergänzung zu ihrer Kritik an den Haftbedingungen eine weitere eidesstattliche Stellungnahme einer ehemals in Ungarn inhaftierten Person.
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Vor dem Hintergrund der vorgelegten Unterlagen bedürfe es der Untersuchung der in einer spezifischen Vollzugsanstalt zur Verfügung stehenden Haftplätze, der Personalsituation unter den Bediensteten, des Umgangs mit Gewalt im ungarischen Vollzug, des Risikos, dass sie als Teil einer politischen Meinungsminderheit und genderqueere Person von dieser Gewalt betroffen sein werde, der Hygienebedingungen in ungarischen Justizvollzugsanstalten und der konkreten Haftraumgestaltung mit Blick auf die Bewegungsfreiheit. Mit Beschluss vom 28. März 2024 habe außerdem das Berufungsgericht in Mailand entschieden, dass ein Mitbeschuldigter wegen der realen Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung in Ungarn nicht in ein ungarisches Gefängnis überstellt werde. Die dem Berufungsgericht in Mailand vorliegenden Erkenntnisquellen seien im Wesentlichen identisch mit den Informationen, die auch im hiesigen Verfahren vorgelegt worden seien. Die Annahme des Kammergerichts, die breit dargestellten Haftbedingungen in Ungarn im Allgemeinen sowie bezüglich konkret benannter Personen im Besonderen seien nicht übertragbar, da die dortige Untersuchungshaft "nicht unter dem Schutz besonderer, von den ungarischen Justizbehörden gegenüber den deutschen abgegebenen Zusicherungen" gestanden habe, sei nicht haltbar. Es gebe in Ungarn keine Untersuchungshaftanstalten speziell für Personen, die auf der Grundlage besonderer Zusicherungen überstellt worden seien.
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8. Mit E-Mail vom 9. April 2024 übermittelte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin eine Anfrage an die ungarischen Justizbehörden. Sie bat um eine Zusicherung durch die den Europäischen Haftbefehl ausstellende Justizbehörde, dass die beschwerdeführende Person im Fall ihrer Auslieferung während der gesamten Dauer der Untersuchungshaft und der sich gegebenenfalls nach einer Verurteilung zu einer freiheitsentziehenden Maßnahme anschließenden Strafvollstreckung - bis zum Zeitpunkt einer Rücküberstellung - in einer Haftanstalt untergebracht werden würde, die der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen genüge. Außerdem bat sie um folgende Auskünfte:
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1. Hat es in den letzten Jahren in Ungarn gewalttätige oder sonstige Übergriffe von Gefängnispersonal oder von Mitgefangenen auf sich als non-binär verstehende, homosexuelle und/oder transsexuelle Gefangene gegeben?
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2. Sollten sich solche Vorfälle ereignet haben, wie haben die staatlichen Organe auf solche Übergriffe gegebenenfalls reagiert?
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3. Welche Maßnahmen zum Schutz von sich als non-binär verstehenden Personen, Homosexuellen und/oder Transsexuellen vor weiteren Übergriffen existieren in den Haftanstalten, in denen die oben genannte verfolgte Person voraussichtlich untergebracht werden wird?
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9. Mit Verbalnote vom 15. April 2024 garantierte das ungarische Justizministerium, dass die beschwerdeführende Person im Fall ihrer Verurteilung nach ihrem Ersuchen zur Verbüßung der Strafe in den Vollstreckungsmitgliedstaat rücküberstellt werden könne. Mit weiterer Verbalnote vom 29. April 2024 übermittelte es eine Garantieerklärung der Landeskommandantur des Justizvollzugs. Bei der Europäischen Menschenrechtskonvention, der UNO-Empfehlung über die Mindestgrundsätze für die menschenwürdige Behandlung von inhaftierten Personen sowie der Empfehlung des Europarates über Europäische Strafvollzugsgrundsätze handele es sich um Richtlinien, denen sich Ungarn als Mitgliedstaat der Europäischen Union angeschlossen habe und die in die Erfüllung der Aufgaben der ungarischen Justizorgane allmählich integriert worden seien. Art. XV der ungarischen Verfassung sehe vor, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien und Ungarn die Grundrechte jedem Menschen gewähre, ohne jegliche Ungleichbehandlung, insbesondere ohne Unterscheidung nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Behinderung, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Meinung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögenslage, Geburt oder sonstiger Lage. Die Organisation des Justizvollzugs führe kein Register über die Geschlechtsidentität der Gefangenen. Es seien keine gewaltsamen oder sonstigen Übergriffe bekannt, die mit der Geschlechtsidentität der betroffenen Person in Verbindung gebracht werden könnten. Die Organisation des Justizvollzugs betreibe auf der Grundlage des Gesetzes Nr. CCXL aus dem Jahr 2013 über die Vollstreckung von Strafen ein Risikoanalyse- und Risikomanagementsystem, um das Rückfall- und Haftrisiko des Verurteilten zu erfassen, zu bewerten und die Managementmöglichkeiten auszuwählen, die am besten darauf reagieren könnten. Ergebe die Risikoanalyse eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Verurteilte "in einen ausgelieferten Status in der Haftgemeinschaft gelangt" (gemeint ist wohl die Gefährdung einer Person durch andere Gefangene), lege die Justizvollzugsanstalt, in der die Strafe vollzogen werde, bei der Unterbringung, der Beförderung, der Beschäftigung und der Einbeziehung in andere Wiedereingliederungsprogramme verstärktes Gewicht auf die Verhinderung möglicher Gräueltaten. Der Ethikkodex für den Strafvollzug besage in Ziffer 4, dass sich die Mitglieder des Personals bei der Ausübung ihrer Tätigkeit jeglicher Diskriminierung zu enthalten und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern hätten, dass andere Personen Instrumente der Diskriminierung einsetzen könnten. Die Informationen über die Garantieübernahme würden in der Registrierungsakte jedes Gefangenen manuell oder elektronisch festgehalten. Es könne bei dem Übergabeverfahren nicht eindeutig prognostiziert werden, in welcher ungarischen Justizvollzugsanstalt die beschwerdeführende Person zuerst untergebracht werde. Es sei gesetzlich bestimmt, dass jedem Gefangenen sechs Kubikmeter Luftraum sowie bei Einzelunterbringung mindestens sechs Quadratmeter und bei Gemeinschaftsunterbringung mindestens vier Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung stünden. Den in Ungarn akkreditierten Konsularbeamten und Diplomaten des betreffenden Staates werde - aufgrund vorheriger Abstimmungen - die Möglichkeit gewährt, die betreffende Justizvollzugsanstalt zu betreten beziehungsweise die Haftbedingungen zu besichtigen; Konsulatsmitarbeiter des betreffenden Staates dürften "den Gefangenen" dort besuchen.
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10. Am 2. Mai 2024 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin, die Überstellung für zulässig zu erklären.
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11. Mit Schriftsatz vom 27. Mai 2024 beantragte die beschwerdeführende Person, die Unzulässigkeit der Auslieferung festzustellen.
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Es sei zu befürchten, dass sie im Fall ihrer Auslieferung nach Ungarn in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert werde, die den europäischen Mindeststandards nicht genüge. Ein sich insoweit aufdrängendes Auslieferungshindernis könne nur dadurch ausgeräumt werden, dass die ungarischen Justizbehörden eine einzelfallbezogene und völkerrechtlich verbindliche Zusicherung abgäben und die konkrete Haftanstalt bezeichneten. Eine allgemeine Zusicherung reiche nicht aus, weil hinsichtlich mehrerer Haftanstalten konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Haftbedingungen gegen Art. 4 GRCh verstießen. In der Verbalnote vom 29. April 2024 lasse das ungarische Justizministerium konkrete Zusicherungen, das heißt solche, die über die Schilderung der allgemeinen Rechtslage hinausgingen, vermissen. Soweit der Landeskommandantur des Justizvollzugs keine gewaltsamen oder sonstigen Übergriffe auf Personen mit non-binärer Identität bekannt seien, könne dies nur bedeuten, dass diesbezüglich kein funktionierendes Sanktionssystem bestehe. In der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 18. Januar 2024 (2024/2512<RSP>) zur Lage in Ungarn und Einfrierung von EU-Geldern heiße es diesbezüglich, dass sich die Lage verschiedener schutzbedürftiger Gruppen, insbesondere auch LGBTIQ+-Personen, in Ungarn verschlechtert habe. Bei der insofern im Rahmen von § 83b Abs. 1 Nr. 1 IRG vorzunehmenden Ermessensausübung müssten auch ihre besonders gewichtigen Rechtspositionen und ihr Interesse an einem Verfahren in Deutschland beachtet werden.
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12. Mit Schreiben vom 29. Mai 2024 übermittelte die beschwerdeführende Person eine Stellungnahme des HHC vom 27. Mai 2024 zu den im Rahmen des Überstellungsverfahrens abgegebenen Erklärungen der ungarischen Behörden. Das HHC vertiefte die bereits vorgetragene Kritik an den Haftbedingungen in ungarischen Justizvollzugsanstalten und erklärte zudem, dass die allgemeine Homophobie in Ungarn auch ihren Weg in die Justizvollzugsanstalten gefunden habe. Eine genaue Erhebung des Ausmaßes sei schwierig, da betroffene Gefangene regelmäßig schwiegen. Lesbische, schwule, bi- oder transsexuelle sowie queere Insassen in ungarischen Justizvollzugsanstalten seien der Gefahr der Diskriminierung ausgesetzt, die verbal oder in Form von körperlichen Belästigungen durch andere Insassen oder auch durch das Personal der Justizvollzugsanstalt zum Ausdruck kommen könne.
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13. Mit Schreiben vom 14. Juni 2024 bat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin nach einer entsprechenden Verfügung des Kammergerichts vom 10. Juni 2024, wonach es für die zu treffende Zulässigkeitsentscheidung maßgeblich auf die Haftbedingungen in der Untersuchungshaft - einschließlich der Umstände der Vorführung vor Gericht - ankomme und es den ungarischen Behörden auch möglich sein dürfte, die Haftanstalten konkret zu benennen, das ungarische Justizministerium um eine Klarstellung, ob die bisherigen Aussagen zu den Haftbedingungen in der Strafhaft auch die Haftbedingungen in der Untersuchungshaft umfassten. Zudem bat die Generalstaatsanwaltschaft um die Beantwortung der mit E-Mail vom 9. April 2024 gestellten Fragen zum Schutz von sich als non-binär verstehenden Gefangenen auch in Bezug auf die Untersuchungshaft.
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14. Mit Schreiben vom 17. Juni 2024 teilte das Justizministerium Ungarns mit, dass sich die bisher abgegebene Garantieerklärung auch auf die Haftbedingungen in der Untersuchungshaft beziehe.
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15. Die beschwerdeführende Person erklärte in einem Schriftsatz vom 20. Juni 2024, dass Zusicherungen, die über die Schilderung der allgemeinen Rechtslage hinausgingen, weiterhin nicht erfolgt seien. Eine konkrete Haftanstalt sei immer noch nicht benannt worden. Auch seien keine Auskünfte zu den konkreten Umständen einer Vorführung vor Gericht erteilt worden. Mit dem am 17. Februar 2024 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung der sächsischen Vollzugsgesetze sei in allen sächsischen Vollzugsgesetzen eine Regelung zum Umgang mit Gefangenen unterschiedlichen Geschlechts aufgenommen worden, damit insbesondere den Bedürfnissen transsexueller, intergeschlechtlicher und nicht-binärer Gefangener oder Gefangener mit diversem oder offenem Geschlechtseintrag Rechnung getragen werden könne. Eine vergleichbare Regelung bestehe in Ungarn nicht. Der Verbalnote des ungarischen Justizministeriums vom 29. April 2024 sei zu entnehmen, dass die Organisation des Justizvollzugs generell kein Register über die Geschlechtsidentität der Gefangenen führe. Demzufolge seien auch keine Maßnahmen zum Schutz entsprechender Personen vor Übergriffen möglich.
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16. Am selben Tag übermittelte die Oberstaatsanwaltschaft Hauptstadt Budapest, Abteilung Ermittlungsaufsicht, der Generalstaatsanwaltschaft eine Erklärung, die der beschwerdeführenden Person nicht sogleich übermittelt, sondern erst im Rahmen der Akteneinsicht nach dem 27. Juni 2024 zugänglich gemacht wurde.
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Der voraussichtliche Vollstreckungsort der Untersuchungshaft sei "die Justizvollzugsanstalt Hauptstadt in Budapest". Innerhalb der für die Rechtsaufsicht über den Strafvollzug zuständigen ungarischen Staatsanwaltschaft sei eine spezielle Einheit eingerichtet worden, die sich mit der außergerichtlichen Prüfung der von den Inhaftierten erhobenen Vorwürfen und der Ergreifung der erforderlichen Maßnahmen befasse. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben seien keine Fälle bekanntgeworden, in denen nicht-binäre, homosexuelle oder Transgender-Personen in der Haft misshandelt worden seien. Sollte dies der Fall sein, wären die zuständigen ungarischen Behörden verpflichtet, von Amts wegen zu handeln.
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17. Das Kammergericht erklärte die Auslieferung der beschwerdeführenden Person mit Beschluss vom 27. Juni 2024 für zulässig und ordnete die Fortdauer der Auslieferungshaft an.
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a) Der Auslieferung stehe nicht entgegen, dass die beschwerdeführende Person die deutsche Staatsangehörigkeit habe. Die Ankündigung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, die Auslieferung nur unter Rücküberstellungsvorbehalt zu bewilligen, sei zwischenzeitlich durch die ausdrückliche Garantieerklärung des ungarischen Justizministeriums vom 15. April 2024 ergänzt worden, wonach die beschwerdeführende Person im Fall einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel in dem gegen sie im Ausstellungsmitgliedstaat geführten Strafverfahren auf ein entsprechendes Ersuchen zur Verbüßung derselben in den Vollstreckungsmitgliedstaat rücküberstellt werden würde. Auch ergebe die in dem vorliegenden Mischfall nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IRG vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall, dass ihr schutzwürdiges Vertrauen in ihre Nichtauslieferung nicht überwiege.
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b) Ebenso wenig resultiere ein Auslieferungshindernis aus § 73 IRG wegen Verstoßes gegen den europäischen ordre public.
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aa) Die Haftbedingungen in Ungarn stünden der Auslieferung nicht entgegen. Zwar treffe es zu, dass die mit Verbalnote des ungarischen Justizministeriums vom 29. April 2024 übermittelte Garantieerklärung der Landeskommandantur des Justizvollzugs ohne Bezugnahme auf den konkreten Einzelfall ausschließlich die allgemeine Rechtslage und die - für alle dort untergebrachten Gefangenen geltenden - Haftbedingungen in den Justizvollzugsanstalten Ungarns beschreibe und nicht ausdrücklich menschenrechtskonforme Haftbedingungen für die beschwerdeführende Person völkerrechtlich verbindlich zusichere. Dies entspreche aber den Regelungen des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI und sei in keiner Weise zu beanstanden.
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Der Umstand, dass die ungarischen Behörden (zunächst) nicht mitgeteilt hätten, in welcher Haftanstalt die beschwerdeführende Person im Vollzug der Untersuchungshaft untergebracht sein werde, auch wenn es sich naheliegend - und insoweit bestätigt durch eine nachgelieferte Erklärung der Oberstaatsanwaltschaft Hauptstadt Budapest, Abteilung Ermittlungsaufsicht, vom 20. Juni 2024 - um eine solche in Budapest handeln dürfte, da dort die die Ermittlungen führende Staatsanwaltschaft ihren Sitz habe, stehe der Zulässigkeit der Auslieferung nicht entgegen. Die fehlende Benennung der konkreten Vollzugsanstalt sei unschädlich, da Ungarn über der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen entsprechende Haftanstalten verfüge. Es lägen keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Haftbedingungen in einer bestimmten Haftanstalt insgesamt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstießen beziehungsweise dass es in irgendeiner Anstalt keine Abteilung oder keinen Bereich gebe, in dem die beschriebenen Haftbedingungen gewährleistet werden könnten. Die von den ungarischen Behörden abgegebene Garantieerklärung könne nach zwischenzeitlich senatsbekannt durchgeführten bilateralen Konsultationen unter Beteiligung des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums der Justiz (wieder) für belastbar erachtet werden. Auch dem durch die beschwerdeführende Person vorgelegten aktuellen "Sachverständigengutachten über die Haftbedingungen in Ungarn" des HHC und den von ihr geschilderten Haftbedingungen in Ungarn allgemein und insbesondere in Haftanstalten in Budapest lasse sich Gegenteiliges nicht entnehmen. Zwar beklage das HHC, dass die Fähigkeit des ungarischen Strafvollzugssystems, den Insassen ausreichend persönlichen Freiraum zur Verfügung zu stellen, in den letzten Jahren wieder deutlich abgenommen habe. Dass es in irgendeiner Haftanstalt nicht möglich sei, einem Gefangenen, dem eine entsprechende Garantie erteilt worden sei, einen der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen genügenden Haftraum zur Verfügung zu stellen, lasse sich den Ausführungen aber nicht entnehmen. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass die in der Garantieerklärung mitgeteilten Haftbedingungen für die Unterbringung der beschwerdeführenden Person in jedem Verfahrensstadium verbindlich seien und ein diesbezüglicher Verstoß vor den Gerichten des Ausstellungsmitgliedstaats geltend gemacht werden könne.
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Die Einhaltung der von Ungarn erteilten Garantien, über deren Abgabe jede Justizvollzugsanstalt, in der die beschwerdeführende Person nach ihrer Überstellung untergebracht werde, durch die entsprechende Eintragung in der Registrierungsakte informiert werde, könne (zusätzlich) auch vom Vollstreckungsmitgliedstaat kontrolliert werden. Insoweit garantierten die ungarischen Behörden, dass die in Ungarn akkreditierten deutschen Konsularbeamten und Diplomaten die Möglichkeit hätten, die Justizvollzugsanstalt, in welcher die beschwerdeführende Person nach ihrer Überstellung untergebracht sein werde, zu betreten und im Hinblick auf die Haftbedingungen zu besichtigen sowie die ausgelieferte Person dort zu besuchen. Die dadurch garantierte Kontrolle der Haftbedingungen spreche dafür, dass auch die Haftbedingungen im Übrigen, die in der Garantieerklärung nicht ausdrücklich beschrieben, in den Schilderungen der Gefangenen aber angesprochen seien, wie etwa die hygienischen Verhältnisse sowie die Qualität und Quantität des Essens, aber auch die Umstände der Vorführung der verfolgten Person vor das Gericht, dem europäischen ordre public entsprechend ausgestaltet würden, soweit die Zustände im Haftraum nicht vom Verhalten der Gefangenen abhingen. Sollte dies - entgegen den Erwartungen des Senats - nicht der Fall sein, stehe es der beschwerdeführenden Person offen, sich mit ihrer Beschwerde an die deutsche Botschaft oder direkt an die Generalstaatsanwaltschaft Berlin als Bewilligungsbehörde zu wenden, damit diese gegebenenfalls (neuerliche) bilaterale Beratungen anstoßen und Abhilfe schaffen könne.
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bb) Auch die Selbstbezeichnung der beschwerdeführenden Person als non-binär hindere die Auslieferung nicht. Soweit die Landeskommandantur des Justizvollzugs mit der am 29. April 2024 durch das ungarische Justizministerium übersandten Garantieerklärung mitgeteilt habe, ihr seien keine gewaltsamen oder sonstigen Übergriffe bekannt, die mit der Geschlechtsidentität der betroffenen Person in Verbindung gebracht werden könnten, stehe dies erkennbar im Zusammenhang mit dem Umstand, dass ein Register über die Geschlechtsidentität der Gefangenen nicht geführt werde. Es stehe auch im Einklang mit der in dem bereits erwähnten Sachverständigengutachten des HHC niedergelegten (wenig überraschenden) Erkenntnis, dass sich von derartigen Übergriffen von Gefängnispersonal oder Mitgefangenen betroffene, sich als non-binär verstehende, homo- oder transsexuelle Personen nur in den seltensten Fällen mit Beschwerden an die Behörden wendeten. Dass derartige Übergriffe tatsächlich vorkämen und (auch) auf die als gender-, homo- und transfeindliche Politik der aktuellen ungarischen Regierung und die entsprechende Rhetorik in den ungarischen Medien zurückzuführen sein dürften, werde durch die Erkenntnisse des HHC belegt und durch die genannte Erklärung nicht in Abrede gestellt. Dass die ungarischen Behörden danach keine Erkenntnisse dazu hätten, warum gewaltsame oder sonstige Übergriffe auf inhaftierte Personen in ungarischen Gefängnissen erfolgten, ob diese in der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität der betroffenen Personen begründet oder durch die politische oder sonstige Meinung des Opfers, seine nationale oder soziale Herkunft oder sonstige Lage oder durch eine Äußerung im Einzelfall oder Differenzen persönlicher Art ausgelöst worden seien, bedeute jedoch nicht, dass auf die bekannt gewordenen Übergriffe staatlicherseits nicht reagiert worden wäre oder dass keinerlei Maßnahmen zum Schutz vor derartigen Übergriffen in den Haftanstalten Ungarns bestünden. Vielmehr habe die Garantieerklärung diesbezüglich mitgeteilt, dass in allen Haftanstalten Ungarns eine Risikoanalyse hinsichtlich jeglicher Gefährdungslagen (aus Gründen der sexuellen Orientierung, der geschlechtlichen Identität, der politischen Meinung der inhaftierten Person, ihrer Herkunft oder aus sonstigen Gründen) erfolge und im Rahmen eines Risikomanagementsystems die Maßnahmen ausgewählt würden, mit denen am besten auf ein erkanntes Risiko reagiert werden könne. Im Fall der beschwerdeführenden Person werde sich die Garantieübernahme aus ihrer Registrierungsakte ergeben und zu einer besonders sorgfältigen Risikoanalyse veranlassen, in deren Rahmen auch dem Umstand Rechnung getragen werde, dass sie sich als non-binär verstehe. Das Gefängnispersonal sei nach dem Ethikkodex für den Strafvollzug verpflichtet, sich bei der Ausübung seiner Tätigkeit jeglicher Diskriminierung zu enthalten und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern, dass Mitgefangene eine inhaftierte Person diskriminierten oder unterdrückten. Die Einhaltung (auch) dieser staatlichen Vorgaben in Bezug auf die beschwerdeführende Person sei mit der genannten Erklärung der ungarischen Behörden garantiert und könne ebenfalls durch den Vollstreckungsmitgliedstaat kontrolliert werden; Verstöße des Gefängnispersonals hiergegen könne sie vor den Gerichten des Ausstellungsmitgliedstaats geltend machen.
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18. Am selben Tag bewilligte die Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung und übersandte die angegriffene Entscheidung gegen 13:50 Uhr an den Generalbundesanwalt und die sächsische Polizei. Der Bundesgerichtshof entschied auf Antrag des Generalbundesanwalts, die Ausantwortung der sich seinerzeit aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 21. März 2024 (1 BGs 58/24) in Untersuchungshaft befindenden beschwerdeführenden Person an Beamte des Landeskriminalamts Sachsen zum Zwecke der Auslieferung nach Ungarn zur Durchführung des dortigen Strafverfahrens zu genehmigen. Den Verfahrensbevollmächtigten der beschwerdeführenden Person wurde dieser Beschluss um 15:02 Uhr übermittelt. Einer ihrer Bevollmächtigten kontaktierte daraufhin telefonisch die Generalstaatsanwaltschaft Berlin und erkundigte sich, ob es zutreffend sei, dass das Kammergericht die Überstellung für zulässig erklärt habe. Die Generalstaatsanwaltschaft teilte mit, die Versendung des (Zulässigkeits-)Beschlusses des Kammergerichts vorzubereiten. Dieser Beschluss ging dem Bevollmächtigten am selben Tag um 17:16 Uhr zu.
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In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 2024 informierte die beschwerdeführende Person gegen 2:47 Uhr einen ihrer Bevollmächtigten telefonisch darüber, dass sie durch Beamte des Landeskriminalamts Berlin aus der Justizvollzugsanstalt abgeholt werde, da die Überstellung am heutigen Tage stattfinden solle. Sie wurde sodann am 28. Juni 2024 um 6:50 Uhr zwecks Durchlieferung nach Ungarn von den deutschen an die österreichischen Behörden übergeben. Auf ihren gegen 7:38 Uhr eingegangenen Antrag erließ das Bundesverfassungsgericht um 10:50 Uhr eine einstweilige Anordnung und untersagte die Übergabe der beschwerdeführenden Person an die ungarischen Behörden bis zur Entscheidung über die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Wochen. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin wurde zudem angewiesen, durch geeignete Maßnahmen eine Übergabe der beschwerdeführenden Person an die ungarischen Behörden zu verhindern und ihre Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juni 2024 - 2 BvQ 49/24 -). Da das Bundesverfassungsgericht durch die Generalstaatsanwaltschaft Berlin erst um 11:47 Uhr über die bereits um 10:00 Uhr erfolgte Übergabe der beschwerdeführenden Person von den österreichischen an die ungarischen Behörden informiert wurde, konnte dieser Umstand bei der Beschlussfassung keine Berücksichtigung finden.
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19. Mit Schreiben vom 23. Juli 2024 beantragte die beschwerdeführende Person gegenüber dem Kammergericht, erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden. Zugleich erhob sie eine Anhörungsrüge.
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a) Ihre Bevollmächtigten legten eidesstattliche Erklärungen ihres Vaters und ihrer Halbschwester vor, in denen ihre Haftbedingungen geschildert werden.
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Sie werde in ihrer Zelle durchgehend videoüberwacht und habe nur einen einstündigen Aufenthalt außerhalb der Zelle allein im Hof. Zudem werde sie mehrfach am ganzen Körper abgetastet, dreimal täglich werde ihr Haftraum durchsucht, wobei mitunter wahllos Gegenstände auf den Boden geworfen würden. Ihr Haftraum sei von Ungeziefer befallen, sie habe an ihren Armen Rötungen beziehungsweise rote Stiche. Es handele sich entweder um Skabies (Krätze) oder um einen Bettwanzenbefall. Eine Kommunikation mit dem Arzt, der ihr ohne Aufklärung Tabletten verschrieben habe, sei wegen der Sprachbarriere nicht möglich. Die hygienischen Bedingungen sowie die Verpflegung seien schlecht. Ihr Vater habe in einem Gespräch am 17. Juli 2024 mit dem Leiter des Rechts- und Konsularreferats der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Budapest erfahren, dass die deutsche Botschaft von dem Beschluss des Kammergerichts keine Kenntnis habe und die Haftbedingungen durch Gerichte und Rechtsanwälte aufgeklärt werden müssten.
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b) Das Kammergericht habe in seiner Verfügung vom 10. Juni 2024 ausgeführt, dass es für die zu treffende Zulässigkeitsentscheidung maßgeblich auf die Haftbedingungen in der Untersuchungshaft ankomme. In seinem Beschluss über die Zulässigkeit der Auslieferung habe es darauf abgestellt, dass weder die nachgelieferte Erklärung der Oberstaatsanwaltschaft Budapest vom 20. Juni 2024 mit der Mitteilung einer voraussichtlichen Haftanstalt noch die Notwendigkeit der Mitteilung einer konkreten Haftanstalt für diese Entscheidung tragend sei. Hierbei habe es sich um eine gegen Art. 103 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßende Überraschungsentscheidung gehandelt. Ihr Recht auf rechtliches Gehör sei zudem dadurch verletzt worden, dass sie über die Mitteilung der Oberstaatsanwaltschaft Budapest vom 20. Juni 2024, die vom Kammergericht angeführten "zwischenzeitlich senatsbekannt durchgeführten bilateralen Konsultationen unter Beteiligung des Auswärtigen Amtes und des Bundesjustizministeriums" sowie das Schreiben des Bundesamts für Justiz vom 23. April 2018, welches das Kammergericht als Beleg dafür herangezogen habe, dass Ungarn über der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen entsprechende Haftanstalten verfüge, nicht informiert worden sei.
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20. Mit Beschluss vom 9. August 2024 verwarf das Kammergericht den Antrag auf erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung und die Anhörungsrüge als unzulässig.
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Einer erneuten Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung stehe entgegen, dass das Auslieferungsverfahren abgeschlossen sei. Die grundsätzlich statthafte Anhörungsrüge sei gleichfalls unzulässig, da mit der vollzogenen Auslieferung prozessuale Überholung eingetreten sei und der Nachteil daher nicht mehr beseitigt werden könne. Im Übrigen sei sie unzulässig, da sie keinen entscheidungserheblichen Gehörsmangel aufzeige. Die Benennung der konkreten Untersuchungshaftanstalt sei im Vorfeld nicht als für die Entscheidung über die Zulässigkeit notwendig eingestuft worden. Die beschwerdeführende Person hätte der mit Schreiben vom 18. Juni 2024 erfolgten Übersendung der Auskunft des ungarischen Justizministeriums vom 17. Juni 2024 zur Stellungnahme unter kurzer Fristsetzung entnehmen können, dass der Senat die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erklärungen der ungarischen Behörden für ausreichend erachtet habe. Das im Beschluss vom 27. Juni 2024 zitierte Schreiben des Bundesamts für Justiz vom 23. April 2018 sei bereits im Auslieferungshaftbefehl vom 1. März 2024 angeführt worden. Die beschwerdeführende Person habe sich nicht um eine Einsichtnahme in dieses Schreiben bemüht. Die von dem Senat in der von ihr in Bezug genommenen Passage des Beschlusses vom 27. Juni 2024 angesprochenen bilateralen Konsultationen, die im Nachgang zur Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 16. März 2020 - 1 Ausl. A 78/19 - auf diplomatischer Ebene geführt worden seien, hätten zu einem grundsätzlich besseren gegenseitigen Verständnis geführt und in die im Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 21. Juli 2021 - 2 AR (AuslR) 40/21 - mitgeteilten Erklärungen des ungarischen Justizministeriums gemündet. Das Oberlandesgericht Celle habe diese für geeignet gehalten, die Zweifel an der Verlässlichkeit von Erklärungen der ungarischen Behörden betreffend die Haftbedingungen, die zu der bereits genannten Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen geführt hätten, auszuräumen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle sei bereits im Auslieferungshaftbefehl vom 1. März 2024 herangezogen worden. Zudem sei das Resultat der Gespräche auf diplomatischer Ebene, das zu der im Beschluss vom 27. Juni 2024 niedergelegten Einschätzung der Verlässlichkeit der von den ungarischen Behörden im hiesigen Verfahren abgegebenen Garantieerklärung geführt habe, bereits mit der Veröffentlichung der Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle allgemeinkundig.
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Die Generalstaatsanwaltschaft werde gleichwohl gebeten, den Schriftsatz der beschwerdeführenden Person vom 23. Juli 2024 dem Auswärtigen Amt zu übermitteln mit der Bitte, das dortige Vorbringen zu den Haftverhältnissen auf geeignete Weise zu überprüfen, erforderlichenfalls auf die Einhaltung der Garantien zu dringen und hierüber zu berichten, da dies für künftige, Ungarn betreffende Auslieferungsverfahren von Bedeutung sein könne.
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II.
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1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die beschwerdeführende Person eine Verletzung ihrer Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, Art. 16 Abs. 2, Art. 19 Abs. 4, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG sowie Art. 4 GRCh.
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a) Hinsichtlich des Sachverhalts führt sie aus, dass ihr Prozessbevollmächtigter in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 2024 telefonisch einem sie begleitenden Beamten gegenüber angekündigt habe, die Entscheidung des Kammergerichts verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen. Um 3:12 Uhr habe er einen Rückruf durch "eine Beamtin eines Landeskriminalamtes" erhalten, die mitgeteilt habe, dass Rücksprache mit der Generalstaatsanwaltschaft Berlin gehalten worden sei und man von dort die Auskunft erhalten habe, eine Verfassungsbeschwerde habe keine aufschiebende Wirkung. Ihm sei ferner mitgeteilt worden, dass er zu den Geschäftszeiten der Generalstaatsanwaltschaft Berlin mit dem zuständigen Sachbearbeiter sprechen könne.
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b) Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig, insbesondere sei das Rechtsschutzbedürfnis durch die am 28. Juni 2024 erfolgte Auslieferung nicht entfallen. Die Auslieferung stelle für sie eine tiefgreifende Maßnahme dar, die in ihrer Beeinträchtigung weiterhin fortwirke, denn ihre Inhaftierung in einem ungarischen Gefängnis sei unmittelbare Folge der angegriffenen Entscheidung. Hinzu komme, dass sich der angegriffene Hoheitsakt durch das den grundrechtlichen Schutz verkürzende Agieren der Generalstaatsanwaltschaft kurzfristig und willkürlich erledigt habe. Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen sehe keinen prozessualen Rechtsschutz gegen die Bewilligungsentscheidung vor. Es bleibe mithin ausschließlich die Möglichkeit einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Eine rechts- und verfassungswidrige staatliche Anordnung begründe ein Rehabilitationsinteresse. Es könne überdies nicht ausgeschlossen werden, dass eine rechtswidrige Zulässigkeitserklärung und eine damit verbundene rechtswidrige Auslieferungshaft im Fall einer etwaigen durch ein ungarisches Gericht vorzunehmenden Strafzumessung zu ihren Gunsten zu berücksichtigen wäre. Ihr Rechtsschutzbedürfnis folge auch daraus, dass ihr im Erfolgsfall ein Folgenbeseitigungsanspruch zustehen könne.
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c) Der angefochtene Beschluss verletze sie in den zuvor genannten Grundrechten.
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aa) Das Kammergericht habe den Sachverhalt hinsichtlich der Gefahr, dass sie in Ungarn menschenunwürdige und erniedrigende Haftbedingungen erleide, nicht ansatzweise genügend aufgeklärt. Die in den pauschalen Erklärungen des ungarischen Justizministeriums erfolgte Wiedergabe der Rechtslage auf Basis eines Gesetzes aus dem Jahr 2013 lasse keinen Schluss auf die faktischen Haftbedingungen zu. Es gehe auch nicht darum, ob die ungarischen Justizvollzugsanstalten theoretisch in der Lage seien, mit Art. 4 GRCh vereinbare Haftbedingungen zu gewährleisten, sondern darum, die drohende Gefahr einer erniedrigenden und unmenschlichen Haft im konkreten Fall auszuschließen. Diese Gefahr könne weder durch die Möglichkeit, im ersuchenden Staat den Rechtsweg zu beschreiten, noch durch den Zugang von Konsulatsmitarbeitern zu den Vollzugsanstalten ausgeschlossen werden. Das Kammergericht verhalte sich zudem widersprüchlich, wenn es einerseits in dem Haftanordnungsbeschluss vom 1. März 2024 die Schilderungen der Haftbedingungen durch ehemalige Inhaftierte für irrelevant gehalten habe, weil jene Personen nicht unter dem Schutz besonderer Zusicherungen gestanden hätten, andererseits aber die pauschalen Erklärungen der ungarischen Behörden, die keinerlei konkrete Zusicherungen enthielten, für ausreichend angesehen habe. Das Kammergericht hätte weitere Aufklärung betreiben müssen hinsichtlich der konkreten Größe der Hafträume, der hygienischen Bedingungen, der Möglichkeiten der Kommunikation und des Treffens mit Familienangehörigen, der ausreichenden Versorgung mit Nahrungsmitteln, des Raums für ein freies Bewegen, der Gefahr von physischer und psychischer Gewaltanwendung seitens des Anstaltspersonals, des Zugangs zu Beschwerdemöglichkeiten, der Meldung von Gewalthandlungen gegenüber Gefangenen sowie der zureichenden (Frisch-)Luft- und Lichtzufuhr. Die Gefahr aus dem Aufklärungsdefizit des Kammergerichts hinsichtlich der Umstände, zu denen Ungarn sich gerade nicht konkret geäußert habe, habe sich für sie nach ihrer Überstellung an Ungarn im Übrigen teilweise bereits verwirklicht.
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Das Kammergericht hätte überdies prüfen müssen, ob ihr als non-binäre Person eine besondere Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh im Rahmen der Untersuchungshaft drohe. Dass die ungarischen Behörden kein Register über die Geschlechtsidentität führten, zeige, dass ein etwaig gesteigerter Schutzbedarf für von der Heteronorm abweichende Personen nicht als notwendig erachtet werde, obwohl ein solches Bedürfnis beziehungsweise ein solcher Bedarf in gesteigertem Maß existiere. Die vom Kammergericht verwendete Formulierung, wonach eine Risikoanalyse hinsichtlich "jeglicher Gefährdungslagen" unter Einschluss der Gründe "der sexuellen Orientierung, der geschlechtlichen Identität, der politischen Meinung der inhaftierten Person, ihrer Herkunft oder aus sonstigen Gründen" in "allen Haftanstalten Ungarns" erfolge, stelle offenkundig eine erweiternde Auslegung der Erklärungen Ungarns dar, die der Wortlaut derselben jedoch nicht zulasse. Den Angaben und Zusicherungen könne auch nicht - wie vom Kammergericht vertreten - entnommen werden, dass sich die Garantieübernahme in ihrem Fall aus ihrer Registrierungsakte ergebe und die ungarischen Behörden zu einer besonders sorgfältigen Risikoanalyse veranlassen werde.
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bb) Die gerügte Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG ergebe sich aus den Gründen, die sie bereits mit der Anhörungsrüge vorgetragen habe.
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2. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2024 teilte die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Berlin mit, von einer Stellungnahme abzusehen, soweit sich die beschwerdeführende Person mit ihrem Beschwerdevorbringen gegen die angegriffene Entscheidung wende. Überdies erklärte sie, während des Telefonats mit einem ihrer Bevollmächtigten am 27. Juni 2024 gegen 16:00 Uhr sei nicht über die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde oder eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gesprochen worden. Ab diesem Zeitpunkt habe die reale Möglichkeit bestanden, einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht zu stellen und die Generalstaatsanwaltschaft Berlin davon in Kenntnis zu setzen. Dies sei nicht geschehen. Es sei außerdem unzutreffend, dass es bei dem Gespräch zwischen der sächsischen Polizei und der Generalstaatsanwaltschaft um die Absicht der beschwerdeführenden Person gegangen sei, verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz zu suchen. Ob sich ihr Bevollmächtigter in dieser Weise gegenüber der sächsischen Polizei geäußert habe, könne nicht überprüft werden. Hätte er den Versuch unternommen, die Generalstaatsanwaltschaft direkt anzurufen, hätte er unmittelbar Kontakt erhalten. Das Handeln der Generalstaatsanwaltschaft Berlin bei der Durchführung der Auslieferung in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 2024 sei ausschließlich davon geleitet gewesen, Protest- und Störaktionen der Unterstützerszene der beschwerdeführenden Person zu vermeiden. Dahingehende Befürchtungen hätten sich später durch Demonstrationen vor der Justizvollzugsanstalt Dresden und Aufrufe im Internet, die Abfertigung eines Flugzeugs zu verhindern, bestätigt. Die Generalstaatsanwaltschaft habe nicht willkürlich, sondern mit tragfähiger Begründung gehandelt, und keinesfalls mit dem Ziel, den Grundrechtsschutz zu verkürzen.
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3. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.
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III.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, da dies zur Durchsetzung der Grundrechte der beschwerdeführenden Person angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Die überwiegend zulässige Verfassungsbeschwerde ist im tenorierten Umfang offensichtlich begründet (vgl. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
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1. a) Soweit die beschwerdeführende Person eine Verletzung von Art. 4 GRCh rügt, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.
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aa) Die beschwerdeführende Person hat ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis.
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(1) Bei Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens besteht das Rechtsschutzbedürfnis fort, wenn entweder die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung andernfalls unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend erscheint oder eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist oder die aufgehobene oder gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer noch weiterhin beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 33, 247 257 f.>; 69, 161 168>; 81, 138 140>; 139, 245 263 f. Rn. 53>; 146, 294 309 Rn. 24>). Zudem wird in Fällen besonders tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtsverstöße das Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses angenommen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher eine betroffene Person nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen konnte, da andernfalls ihr Grundrechtsschutz in unzumutbarer Weise verkürzt würde (vgl. BVerfGE 81, 138 140 f.>; 110, 77 85 f.>; 117, 244 268>; 146, 294 309 Rn. 24>).
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(2) Hieran gemessen ist das Rechtsschutzbedürfnis der beschwerdeführenden Person gegeben. Zwar gehen von der angegriffenen Entscheidung nach der erfolgten Überstellung keine Rechtswirkungen mehr aus. Allerdings stellt die für zulässig erklärte Überstellung nach Ungarn einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar, der weiterhin fortwirkt. Denn die beschwerdeführende Person befindet sich zurzeit in einer Justizvollzugsanstalt in Ungarn. Hinzu kommt, dass sich die angegriffene Entscheidung aufgrund der konkreten zeitlichen Abläufe des Überstellungsverfahrens in einer Zeitspanne erledigt hat, in welcher sie eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Kammergerichts nicht hätte erlangen können.
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bb) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen.
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(1) Der aus § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG abgeleitete Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde fordert, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 68, 384 388 f.>; 77, 381 401>; 81, 97 102>; 140, 229 232 f. Rn. 10>). Die mit dem Grundsatz der Subsidiarität bezweckte vorrangige Anrufung der Fachgerichte soll eine umfassende Vorprüfung des Beschwerdevorbringens gewährleisten (vgl. BVerfGE 4, 193 198>; 16, 124 127>; 51, 386 396>; 72, 39 43>). Dem Bundesverfassungsgericht soll vor seiner Entscheidung unter anderem ein - gegebenenfalls sogar in mehreren Instanzen - geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Gerichte vermittelt werden (vgl. BVerfGE 8, 222 227>; 9, 3 7>; 72, 39 43>; 140, 229 232 f. Rn. 10>).
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(2) Danach genügt die Verfassungsbeschwerde dem Grundsatz der Subsidiarität.
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(a) Im vorliegenden Fall kommt es nicht darauf an, ob aus dem Grundsatz der Subsidiarität ein Gebot folgt, die geplante Anrufung des Bundesverfassungsgerichts im Vorfeld anzukündigen, um auf einen Aufschub der Durchführung der Überstellung hinzuwirken und sich so auch fachgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten offenzuhalten, die nach der von dem Kammergericht vertretenen Ansicht nach einer abgeschlossenen Überstellung nicht mehr bestehen. Denn nach eigener Aussage kündigte die beschwerdeführende Person durch ihren Prozessbevollmächtigten in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 2024 telefonisch gegenüber einem der begleitenden Polizeibeamten in der Justizvollzugsanstalt Dresden an, verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz erlangen zu wollen, und wurde auf die Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit der Generalstaatsanwaltschaft zu deren Geschäftszeiten verwiesen. Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz hat diesen Vortrag nicht widerlegt, sondern lediglich erklärt, dass ihr eine entsprechende Ankündigung seitens der Polizei nicht weitergegeben worden sei. Die beschwerdeführende Person war im Übrigen nicht gehalten, bereits am Nachmittag des 27. Juni 2024 im Telefonat ihres Bevollmächtigten mit der Generalstaatsanwaltschaft die Einlegung verfassungsgerichtlicher Anträge anzukündigen, bevor sie die hier angegriffene Entscheidung überhaupt zur Kenntnis nehmen konnte.
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(b) Der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht der Vorrang fachgerichtlichen Rechtsschutzes entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die nachträgliche Überprüfung einer Abschiebehaft entschieden, dass eine gerichtliche Überprüfung aus Gründen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zunächst durch die zuständigen Fachgerichte zu erfolgen habe und ein Beschwerdeführer insoweit nicht allein auf die Möglichkeit verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes verwiesen werden dürfe, "sofern das Prozessrecht eine weitere fachgerichtliche Instanz eröffnet" (BVerfGE 104, 220 231, 236>). Im vorliegenden Fall sieht das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen allerdings keine weitere fachgerichtliche Instanz vor. Darüber hinaus bemühte sich die beschwerdeführende Person vor Erhebung ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die angegriffene Entscheidung um fachgerichtlichen Rechtsschutz, indem sie mit Schriftsatz vom 23. Juli 2024 letztlich vergeblich einen Antrag beim Kammergericht stellte, erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden, und eine Anhörungsrüge erhob.
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b) Hinsichtlich der weiteren als verletzt gerügten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Der angegriffene Beschluss verletzt die beschwerdeführende Person in ihrem Grundrecht aus Art. 4 GRCh.
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a) aa) Das Verfahren der Überstellung im Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses zum Europäischen Haftbefehl ist vollständig unionsrechtlich determiniert (vgl. BVerfGE 140, 317 343 Rn. 52>; 147, 364 382 Rn. 46>; 156, 182 197 Rn. 35> - Rumänien II), sodass der Beschwerdegegenstand grundsätzlich am Maßstab der Grundrechte der Europäischen Grundrechtecharta zu messen ist (vgl. BVerfGE 152, 216 233 ff. Rn. 42 ff.> - Recht auf Vergessen II; 156, 182 197 Rn. 36>; 158, 1 30 Rn. 56> - Ökotox-Daten).
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bb) Im europäischen Rechtshilfeverkehr gelten die Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung, wobei letzterer auf dem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten beruht.
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(1) Bei einem Überstellungsersuchen ist jedem ersuchenden Mitgliedstaat im Hinblick auf die Einhaltung des Unionsrechts (vgl. EuGH, Minister for Justice and Equality <Mängel des Justizsystems>, 25.07.2018, C-216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 36; Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, 25.07.2018, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 49; Dorobantu, 15.10.2019, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 46) einschließlich der Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes (vgl. BVerfGE 109, 13 35 f.>; 109, 38 61>; 140, 317 349 Rn. 68>) grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. Das mit einem Überstellungsersuchen befasste Gericht ist somit grundsätzlich verpflichtet, die Beachtung der Rechte der Charta durch den ersuchenden Mitgliedstaat zu unterstellen (vgl. EuGH, Minister for Justice and Equality <Mängel des Justizsystems>, 25.07.2018, C-216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 37; Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, 25.07.2018, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 50; Dorobantu, 15.10.2019, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 47). Allerdings sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unter "außergewöhnlichen Umständen" Beschränkungen der Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung zwischen den Mitgliedstaaten möglich. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Gefahr besteht, dass die Übergabe zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung der betreffenden Person im Sinne von Art. 4 GRCh führt (vgl. EuGH, Aranyosi und Căldăraru, 05.04.2016, C-404/15 und C-659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 84 und 104; Minister for Justice and Equality <Mängel des Justizsystems>, 25.07.2018, C-216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 44; Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, 25.07.2018, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 57; Dorobantu, 15.10.2019, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 50; BVerfGE 156, 182 200 f. Rn. 43 f.>).
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(2) Die Frage, ob "außergewöhnliche Umstände" vorliegen, die eine Überstellung der betreffenden Person an den Ausstellungsmitgliedstaat verhindern, ist anhand einer Prüfung in zwei Schritten zu beantworten. Im ersten, die allgemeine Haftsituation betreffenden Schritt ist das mit einem Überstellungsersuchen befasste Gericht verpflichtet, sich auf objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben über die Haftbedingungen in den Haftanstalten des Ausstellungsmitgliedstaats zu stützen, um zu prüfen, ob konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine echte Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung von Häftlingen in diesem Mitgliedstaat besteht. Konkrete Anhaltspunkte für systemische oder allgemeine Mängel der Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat können sich unter anderem aus Entscheidungen internationaler Gerichte, von Gerichten des Ausstellungsmitgliedstaats oder anderer Mitgliedstaaten sowie aus Entscheidungen, Berichten und anderen Schriftstücken von Organen des Europarats oder aus dem System der Vereinten Nationen ergeben (vgl. EuGH, Aranyosi und Căldăraru, 05.04.2016, C-404/15 und C-659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 89; Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, 25.07.2018, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 60; Dorobantu, 15.10.2019, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 52; BVerfGE 156, 182 201 f. Rn. 45>).
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In einem zweiten, auf die Situation des Betroffenen bezogenen Prüfungsschritt ist das Gericht verpflichtet, genau zu prüfen, ob es unter den konkreten Umständen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die zu überstellende Person im Anschluss an ihre Übergabe an den Ausstellungsmitgliedstaat aufgrund der Bedingungen, unter denen sie inhaftiert sein wird, dort einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt sein wird (vgl. EuGH, Aranyosi und Căldăraru, 05.04.2016, C-404/15 und C-659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 92 und 94; Minister for Justice and Equality <Mängel des Justizsystems>, 25.07.2018, C-216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 44; Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, 25.07.2018, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 61; Dorobantu, 15.10.2019, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 55). Dies erfordert eine aktuelle und eingehende Prüfung der Situation, wie sie sich zum Entscheidungszeitpunkt darstellt (vgl. EuGH, Dorobantu, 15.10.2019, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 57 unter Bezugnahme auf EGMR, Romeo Castaño v. Belgium, 09.07.2019, 8351/17, § 86). Da das Verbot einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung absoluten Charakter hat, darf die vom Gericht vorzunehmende Prüfung der Haftbedingungen nicht auf offensichtliche Unzulänglichkeiten beschränkt werden, sondern muss auf einer Gesamtwürdigung der maßgeblichen materiellen Haftbedingungen beruhen (vgl. EuGH, Dorobantu, 15.10.2019, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 61 f.; BVerfGE 156, 182 202 Rn. 46>).
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(3) Mit dem zweistufigen Prüfprogramm sind Aufklärungspflichten des mit einem Überstellungsersuchen befassten Gerichts verbunden. Aus Art. 4 GRCh folgt die Pflicht, im Einzelfall zu prüfen und durch zusätzliche Informationen aufzuklären, ob das Grundrecht des zu Überstellenden aus Art. 4 GRCh gewahrt ist (vgl. BVerfGE 156, 182 205 ff. Rn. 52 ff.> m.w.N.). Zunächst muss sich das Gericht auf objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben über die Haftbedingungen in den Haftanstalten des Ausstellungsmitgliedstaats stützen, die das Vorliegen systemischer oder allgemeiner, bestimmte Personengruppen oder bestimmte Haftanstalten betreffende Mängel belegen können (EuGH, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, 25.07.2018, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 60; Dorobantu, 15.10.2019, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 52). Für die gründlich vorzunehmende Prüfung, ob es unter den konkreten Umständen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die zu überstellende Person im Anschluss an ihre Übergabe aufgrund der Haftbedingungen einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt sein wird, muss das Gericht innerhalb der nach Art. 17 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl zu beachtenden Fristen den Ausstellungsmitgliedstaat um die unverzügliche Übermittlung aller notwendigen zusätzlichen Informationen in Bezug auf die Bedingungen bitten, unter denen die betreffende Person in diesem Mitgliedstaat inhaftiert werden soll (vgl. EuGH, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, 25.07.2018, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 63; Dorobantu, 15.10.2019, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 57 unter Bezugnahme auf EGMR, Romeo Castaño v. Belgium, 09.07.2019, 8351/17, § 86, sowie Rn. 63 und 67).
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Diese einzuholenden zusätzlichen Informationen sind Voraussetzung dafür, dass die Prüfung einer bestehenden Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung einer Person auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruht (vgl. EGMR, Romeo Castaño v. Belgium, 09.07.2019, 8351/17, §§ 83 ff., §§ 89 ff.). Das mit einem Übermittlungsersuchen befasste Gericht muss deshalb die Entscheidung über die Zulässigkeit der Übergabe so lange aufschieben, bis es die zusätzlichen Informationen erhalten hat, die es ihm gestatten, das Vorliegen einer solchen Gefahr auszuschließen (vgl. EuGH, Aranyosi und Căldăraru, 05.04.2016, C-404/15 und C-659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 104). Kann das Vorliegen einer solchen Gefahr nicht innerhalb einer angemessenen Frist ausgeschlossen werden, muss das Gericht darüber entscheiden, ob das Übergabeverfahren zu beenden ist (vgl. EuGH, Aranyosi und Căldăraru, 05.04.2016, C-404/15 und C-659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 104).
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Hat der Ausstellungsmitgliedstaat eine Zusicherung abgegeben, dass die betroffene Person unabhängig von der Haftanstalt, in der sie im Ausstellungsmitgliedstaat inhaftiert wird, keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfahren werde, muss sich das mit einem Überstellungsersuchen befasste Gericht auf eine solche konkrete Zusicherung zumindest dann verlassen, wenn keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Haftbedingungen in einer bestimmten Haftanstalt gegen Art. 4 GRCh verstoßen (vgl. EuGH, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, 25.07.2018, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 112; Dorobantu, 15.10.2019, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 68; vgl. auch EGMR, Othman <Abu Qatada> v. the United Kingdom, 17.01.2012, 8139/09, §§ 187 ff.). Auch eine Zusicherung des Ausstellungsmitgliedstaats entbindet das Gericht aber nicht von der Pflicht, zunächst eine eigene Gefahrenprognose anzustellen, um so die Belastbarkeit einer Zusicherung einschätzen zu können (vgl. EGMR, Othman <Abu Qatada> v. the United Kingdom, 17.01.2012, 8139/09, §§ 187 ff.). Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände darf das Gericht auf der Grundlage konkreter Anhaltspunkte feststellen, dass für die betroffene Person trotz der Zusicherung eine echte Gefahr besteht, aufgrund der Bedingungen ihrer Inhaftierung im Ausstellungsmitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh unterworfen zu werden (vgl. EuGH, Dorobantu, 15.10.2019, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 69).
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b) Nach diesen Maßstäben hält die Zulässigkeitsentscheidung vom 27. Juni 2024 einer verfassungsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Das Kammergericht ist seiner aus Art. 4 GRCh fließenden Pflicht zur vollständigen Aufklärung des für die Überstellung erheblichen Sachverhalts nicht in jeder Hinsicht gerecht geworden. Zwar hat es sich vermittels der Einholung entsprechender Zusicherungen um eine Aufklärung der Haftbedingungen bemüht. Es hat sich allerdings mit den ihm zugegangenen, sehr allgemein gehaltenen Erklärungen der ungarischen Behörden zufriedengegeben, obwohl der ausführliche und substantiierte Vortrag der beschwerdeführenden Person und insbesondere die Verweise auf Berichte von NGOs und ehemals in ungarischen Justizvollzugsanstalten inhaftierten Personen eine weitere Aufklärung geboten erscheinen ließen.
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aa) Das Kammergericht hat bereits die Haftumstände, die die beschwerdeführende Person erwarteten, nicht hinreichend aufgeklärt.
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(1) Hinsichtlich der Haftbedingungen in ungarischen Justizvollzugsanstalten lagen dem Kammergericht aufgrund des ausführlichen Vortrags der beschwerdeführenden Person unter Verweis auf fachgerichtliche Rechtsprechung aus Deutschland und Italien, eidesstattliche Erklärungen ehemals in ungarischen Justizvollzugsanstalten inhaftierter Personen und Berichte des HHC hinreichende Anhaltspunkte für systemische oder allgemeine Mängel vor. So wies die beschwerdeführende Person etwa auf die steigende Überbelegung ungarischer Justizvollzugsanstalten, unzureichende hygienische Bedingungen, mangelnden Zugang zu warmem Wasser, chronische Probleme mit Bettwanzen, in Quantität und Qualität nicht hinreichende Ernährung, Extremtemperaturen im Winter und im Sommer, schlechte Belichtung und Belüftung der Hafträume sowie auf Gewalt gegen Häftlinge durch Mithäftlinge oder auch Personal der Justizvollzugsanstalten und Defizite hinsichtlich des Rechtswegs hin. Aus einer systematischen Überbelegung folgt zwar nicht automatisch, dass der unionsrechtliche Mindeststandard im Fall einer Überstellung als unterschritten anzusehen ist. Allerdings führt eine erhebliche Überbelegung erfahrungsgemäß nicht nur zu Platzproblemen, die wiederum geeignet sind, Überstellungshindernisse zu begründen, sondern auch zu Folgeproblemen (vgl. etwa mit Blick auf die medizinische Versorgung der Inhaftierten BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Dezember 2019 - 2 BvR 1258/19 u.a. -, Rn. 64).
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(2) Das vom Kammergericht angeführte Oberlandesgericht Celle entschied zwar, es bestünden keinerlei konkrete Anhaltspunkte mehr dafür, dass die Haftbedingungen in einer bestimmten Haftanstalt in Ungarn gegen Art. 4 GRCh verstießen, und es erscheine vielmehr gewährleistet, dass einem Verfolgten in jeder ungarischen Haftanstalt eine anteilige Haftraumgröße von mehr als 3 m² zur Verfügung gestellt werde (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 21. Juli 2021 - 2 AR <Ausl> 40/21 -, juris, Rn. 32). Es stellte darauf ab, dass die ungarische Regierung im Jahr 2020 unverzügliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Missbräuche der Entschädigungen für die Überbelegung der Justizvollzugsanstalten angeordnet habe, deren konsequente Umsetzung zu einer Verminderung der durchschnittlichen Auslastung der Justizvollzugsanstalten von 112 % auf 96 % geführt habe. Zudem habe sich dem CPT-Bericht vom 17. März 2020 über den Besuch ungarischer Haftanstalten in der Zeit vom 20. bis zum 29. November 2018 insgesamt betrachtet im Vergleich zu den Erkenntnissen des CPT über das Jahr 2013 eine deutliche Verbesserung der Bedingungen in den besuchten Haftanstalten entnehmen lassen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 21. Juli 2021 - 2 AR <Ausl> 40/21 -, juris, Rn. 28 f.). Auf diese Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle verwies die vom Kammergericht ebenfalls zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg, in welcher allerdings lediglich geprüft wurde, ob die Überstellung nach § 15 Abs. 2 IRG von vornherein unzulässig sei, und festgestellt wurde, dass die Einwendungen des dortigen Verfolgten keine andere Einschätzung geböten (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2023 - 2 OAus 18/23
-, juris, Rn. 10).
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Mit den im fachgerichtlichen Verfahren angeführten Unterlagen, insbesondere den eidesstattlichen Erklärungen ehemaliger Insassen ungarischer Justizvollzugsanstalten sowie den aktuellen Berichten des HHC, lagen allerdings den vom Kammergericht angeführten fachgerichtlichen Entscheidungen widersprechende Angaben teils jüngeren Datums vor. Das Kammergericht hat sich dennoch auf die ältere Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle gestützt, ohne sich hinreichend mit den Angaben jüngeren Datums auseinandergesetzt zu haben. Es hat sich im Rahmen seiner Aufklärungspflicht darauf beschränkt, anzumerken, dem Vortrag der beschwerdeführenden Person lasse sich nicht entnehmen, dass es nicht möglich wäre, einem Gefangenen, dem eine entsprechende Garantie erteilt worden sei, in irgendeiner ungarischen Haftanstalt einen den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention entsprechenden Haftraum zur Verfügung zu stellen.
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(3) Die abgegebenen Erklärungen der ungarischen Behörden sind nicht geeignet, das Risiko einer Art. 4 GRCh zuwiderlaufenden Behandlung ohne Weiteres auszuschließen. Die ungarischen Behörden verweisen allgemein auf die Rechtslage unter Bezugnahme auf ein Gesetz aus dem Jahr 2013, ohne sich zu den tatsächlichen Haftbedingungen zu verhalten oder eine auf die beschwerdeführende Person bezogene Zusicherung abzugeben. Wie diese zu Recht anführt, erscheint es widersprüchlich, wenn das Kammergericht einerseits die Relevanz der Aussagen von ehemals in ungarischen Justizvollzugsanstalten inhaftierten Personen mit der Begründung in Abrede stellt, dass in Bezug auf diese keine Zusicherungen abgegeben worden seien, andererseits aber allgemein gehaltene, nicht auf die beschwerdeführende Person konkret bezogene Aussagen der ungarischen Behörden zu den Haftbedingungen für ausreichend hält. Hinzu kommt, dass dem Kammergericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung aufgrund der Verbalnote der Oberstaatsanwaltschaft Budapest vom 20. Juni 2024 bekannt war, dass die ungarischen Behörden nunmehr eine konkrete Haftanstalt benannt hatten, in der die Untersuchungshaft vollzogen werden würde. Insofern hätte es sich aufgedrängt, die dortigen Haftbedingungen näher aufzuklären. Zudem entbinden Erklärungen des um die Überstellung ersuchenden Staates nicht von der Pflicht, zunächst eine eigene Gefahrenprognose angesichts der aktuellen Lage anzustellen, um die Situation einschätzen zu können und so die Voraussetzungen für eine Prüfung der Belastbarkeit einer abgegebenen Zusicherung zu schaffen. Eine diesbezügliche hinreichende Prüfung fehlt in der angegriffenen Entscheidung (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Dezember 2019 - 2 BvR 1258/19 u.a. -, Rn. 66).
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Auch die Zusicherung der ungarischen Behörden, dass deutsche Konsularbeamte und Diplomaten die Möglichkeit hätten, die Justizvollzugsanstalt, in der die beschwerdeführende Person untergebracht sein werde, zu betreten und im Hinblick auf die Haftbedingungen zu besichtigen sowie die Person dort zu besuchen, entbindet das Kammergericht nicht von der Vornahme einer eigenen Gefahrenprognose bezüglich der zu erwartenden Haftbedingungen. Wieso das Gericht darüber hinaus zu der Annahme gelangt ist, die von den ungarischen Behörden garantierte Kontrolle der Haftbedingungen durch deutsche Konsularbeamte spreche dafür, dass auch "die Haftbedingungen im Übrigen", wie etwa die hygienischen Verhältnisse sowie die Qualität und Quantität des Essens, aber auch die Umstände der Vorführung der beschwerdeführenden Person vor den Richter dem europäischen ordre public entsprechend ausgestaltet würden, erschließt sich überdies nicht.
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(4) Soweit das Kammergericht darauf hinweist, dass die beschwerdeführende Person einen Verstoß gegen die in der Garantieerklärung mitgeteilten Haftbedingungen vor den ungarischen Gerichten geltend machen könne, setzt es sich nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und derjenigen des Gerichtshofs der Europäischen Union auseinander, wonach die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes nicht ohne Weiteres dazu führt, dass eine Überstellung trotz bestehender Gefahr unmenschlicher Haftbedingungen zulässig wäre (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 2018 - 2 BvR 237/18 -, Rn. 29; EuGH, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, 25.07.2018, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 75).
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bb) Auf Grundlage der vorliegenden Auskünfte der ungarischen Behörden und vor dem Hintergrund des ausführlichen Vortrags der beschwerdeführenden Person konnte das Kammergericht auch nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass der Schutz der beschwerdeführenden Person, die sich als non-binär identifiziert, hinreichend gewährleistet werden wird.
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Die Annahme des Kammergerichts, wonach eine Risikoanalyse "hinsichtlich jeglicher Ge-fährdungslagen (aus Gründen der sexuellen Orientierung, der geschlechtlichen Identität, der politischen Meinung der inhaftierten Person, ihrer Herkunft oder aus sonstigen Gründen)" erfolgen würde, ergibt sich jedenfalls in dieser Spezifität nicht aus der Garantieerklärung der Landeskommandantur des Justizvollzugs. Dort heißt es lediglich, dass die Justizvollzugsanstalt bei der Unterbringung, der Beförderung, der Beschäftigung und der Einbeziehung in andere Wiedereingliederungsprogramme verstärktes Gewicht auf die Verhinderung möglicher Gräueltaten lege, wenn die Risikoanalyse eine hohe Wahrscheinlichkeit ergebe, dass der Verurteilte "in einen ausgelieferten Status in der Haftgemeinschaft gelangt". Das Kammergericht scheint das System zur Vermeidung von Risiken für Gefangene in ungarischen Justizvollzugsanstalten mit Blick auf die in der Garantieerklärung in Bezug genommenen Verbote allgemeiner und besonderer Diskriminierung in der ungarischen Verfassung sowie das im Ethikkodex für den Strafvollzug enthaltene Diskriminierungsverbot und das Gebot, Diskriminierung zu unterbinden, auch angesichts der besonderen Lage der beschwerdeführenden Person als ausreichend anzusehen. Dies ist bereits deshalb nicht überzeugend, weil das Gericht - insoweit deren Vortrag folgend - im Haftanordnungsbeschluss davon ausging, dass die Politik der aktuellen ungarischen Regierung als gender-, homo- und transfeindlich bezeichnet werden müsse und früher in Ungarn erreichte Maßnahmen zur Gleichbehandlung von Homosexuellen und Transpersonen in diskriminierender Weise wieder abgebaut würden. Zudem lag dem Kammergericht ein aktueller Bericht des HHC vom 27. Mai 2024 vor, demzufolge lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Insassen in ungarischen Justizvollzugsanstalten einer Diskriminierungsgefahr ausgesetzt seien, die sich verbal oder in Form von körperlichen Belästigungen durch andere Insassen oder durch Bedienstete der Justizvollzugsanstalt äußern könne.
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Soweit das Kammergericht der Ansicht ist, dass sich im Fall der beschwerdeführenden Person die Garantieübernahme aus ihrer Registrierungsakte in der Justizvollzugsanstalt ergebe und dies zu einer besonders sorgfältigen Risikoanalyse führen werde, in deren Rahmen auch dem Umstand Rechnung getragen werde, dass sie sich als non-binär verstehe, folgt aus der Garantieerklärung lediglich, dass "[d]ie Informationen über die Garantieübernahme […] in der Registrierungsakte jedes Gefangenen (manuell oder elektronisch) festgehalten" würden. Es ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen allerdings nicht, dass ihre geschlechtliche Identität registriert werden würde. Die ungarischen Behörden haben vielmehr erklärt, dass ein Register über die Geschlechtsidentität der Gefangenen nicht geführt werde. Wenn Angriffe aus Gründen der Geschlechtsidentität der Angegriffenen nicht als solche registriert werden beziehungsweise worden sind, erschließt sich nicht, wie gezielt gegen Diskriminierungen im Zusammenhang mit der Geschlechtsidentität vorgegangen werden kann. Die beschwerdeführende Person hat das Kammergericht hierauf in ihrem Schriftsatz vom 20. Juni 2024 ausdrücklich hingewiesen, ohne dass sich das Gericht hiermit näher auseinandergesetzt hätte. Indem es der Frage, wie diese gegen Diskriminierungen geschützt wird, nicht nachgegangen ist, hat das Kammergericht schließlich auch nicht aufgeklärt, ob und inwiefern Maßnahmen im Rahmen des Schutzkonzepts - wie beispielsweise eine lang andauernde Isolierung der beschwerdeführenden Person von Mitgefangenen - eine besondere Belastung für sie darstellen könnten und insofern das Einholen weiterer Informationen erfordert hätten.
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IV.
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Der Beschluss des Kammergerichts vom 27. Juni 2024 verletzt die beschwerdeführende Person in ihrem Grundrecht aus Art. 4 GRCh. Die Aufhebung des Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Ausgangsgericht kommen indes nicht mehr in Betracht, da die Überstellung bereits vollzogen worden ist.
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V.
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Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit stützt sich auf § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 366 ff.>).
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