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BVerfG 22.01.2025 - 2 BvR 920/24
BVerfG 22.01.2025 - 2 BvR 920/24 - Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde bzgl Entscheidungen in einem Exequaturverfahren, mit denen die Vollstreckung einer in Ungarn verhängten Freiheitsstrafe für zulässig erklärt wurde - Rügen einer Verletzung des Schuldprinzips und der Garantie des gesetzlichen Richters nicht hinreichend substantiiert
Normen
Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 267 AEUV, EUGrdRCh, Art 9 Abs 1 Buchst g EURaBes 909/2008, §§ 84ff IRG, § 48 IRG, § 49 IRG, § 84a IRG, § 84 Abs 2 Nr 1 IRG, § 84b Abs 1 Nr 1 IRG, § 19 StGB, § 20 StGB, § 21 StGB
Vorinstanz
vorgehend OLG Nürnberg, 11. Juni 2024, Az: Ws 85/24, Beschluss
vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 19. Dezember 2023, Az: II StVK 1122/22, Beschluss
vorgehend BVerfG, 6. August 2024, Az: 2 BvR 920/24, Einstweilige Anordnung
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Gründe
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I.
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Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen des Landgerichts Nürnberg-Fürth und des Oberlandesgerichts Nürnberg im Rahmen eines Exequaturverfahrens, mit denen die Vollstreckung einer in Ungarn verhängten Freiheitsstrafe für zulässig erklärt wurde.
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Das ungarische Bezirksgericht in Sopron hatte den Beschwerdeführer am 23. November 2021 - B.270/2021/5 - wegen Menschenschmuggels nach § 353 Abs. 1, Abs. 2 Punkt b) des ungarischen Strafgesetzbuches zu drei Jahren Freiheitsstrafe, rechtskräftig seit dem 26. November 2021, verurteilt, auf die im Exequaturverfahren eine bereits in Ungarn vollzogene Untersuchungshaft von zwei Tagen angerechnet wurde.
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II.
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Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer rügt, dass im ungarischen Verfahren gegen das Schuldprinzip verstoßen worden sei, weil die Verurteilung ohne Nachweis der Schuldfähigkeit ergangen sei. Daneben habe das Oberlandesgericht Nürnberg das Verfahren aussetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union vorlegen müssen. Er sieht sich dadurch in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie in Art. 47, Art. 48 Abs. 1 und Abs. 2 GRCh und in Art. 25 GG, Art. 6 EMRK verletzt.
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III.
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Mit Beschluss vom 6. August 2024 wurde dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben und die Erklärung der Zulässigkeit der Vollstreckung des gegen den Beschwerdeführer ergangenen Urteils des Bezirksgerichts Sopron vom 23. November 2021 - B.270/2021/5 - durch Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. Dezember 2023 - II StVK 1122/22 - bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt.
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IV.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig ist. Sie genügt nicht den Substantiierungsanforderungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.
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1. Zu einer ordnungsgemäßen Begründung im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG gehört, dass der die Grundrechtsverletzung enthaltende Vorgang substantiiert und schlüssig vorgetragen wird (vgl. BVerfGE 99, 84 87>; 108, 370 386 f.>; 113, 29 44>; 130, 1 21>). Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Begründung. Es muss deutlich werden, inwieweit gerade durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 99, 84 87>; 108, 370 386 f.>; 130, 1 21>; 140, 229 232 Rn. 9>). Zur Begründung gehört demgemäß eine Auseinandersetzung mit den angegriffenen instanzgerichtlichen Entscheidungen auf der Ebene des Verfassungsrechts am Maßstab der als verletzt gerügten grundrechtlichen Positionen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Juli 2018 - 2 BvR 1207/18 -, Rn. 16). Werden mehrere gerichtliche Entscheidungen angegriffen, muss sich der Beschwerdeführer mit dem Inhalt jeder einzelnen Entscheidung auseinandersetzen. Genügt sein Vortrag hinsichtlich einzelner von mehreren angegriffenen Entscheidungen den Anforderungen an eine substantiierte Begründung nicht, so ist die Verfassungsbeschwerde insoweit unzulässig (vgl. BVerfGE 82, 43 49>; 96, 171 180>; 116, 24 35 f.>; 128, 90 99>; 151, 67 84 f. Rn. 49>; BVerfGK 1, 145 156>; 17, 319 326>).
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Geht die angegriffene Entscheidung ausdrücklich auf die verfassungsrechtlich relevanten Fragen ein, spricht dies dafür, dass die Bedeutung grundrechtlicher Gewährleistungen nicht verkannt wurde. Daher ist es nicht ausreichend, wenn der Beschwerdeführer den angegriffenen Entscheidungen nur seine eigene Sichtweise entgegenstellt, ohne deutlich zu machen, weshalb die angegriffene Entscheidung verfassungsrechtlich fehlerhaft sein soll (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Mai 2023 - 2 BvR 852/20 -, Rn. 9, 10).
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2. Diesen Anforderungen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht. Der Beschwerdeführer legt weder in Bezug auf die Unionsgrundrechte (a) noch mit Blick auf die grundgesetzlichen Gewährleistungen (b) die Möglichkeit einer Verletzung seiner geltend gemachten Rechte substantiiert dar. Vor diesem Hintergrund kann offengelassen werden, ob die fehlende Auseinandersetzung des Beschwerdeführers mit dem anzuwendenden Grundrechtsmaßstab, den den angegriffenen Entscheidungen zugrundeliegenden europäischen Rechtsakten und dem hieraus abzuleitenden Determinierungsgrad für sich schon zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde führt (c).
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a) Mit Blick auf das Unionsrecht beschränkt sich der Beschwerdeführer darauf, einzelne Artikel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Konvention für Menschenrechte zu benennen, ohne sich mit diesen auch nur ansatzweise inhaltlich zu befassen. Der Vortrag des Beschwerdeführers beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Missachtung der Bedeutung des Schuldgrundsatzes als Teil der Verfassungsidentität aus Art. 1 Abs. 1 GG durch das ungarische Bezirksgericht und durch die deutschen Gerichte, welchen er im Anschluss an das ungarische Urteil mangelnde Aufklärung vorwirft, geltend zu machen sowie eine Verletzung seines Anspruchs auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch die deutschen Gerichte zu rügen. Eine hinreichende Rüge der Verletzung einzelner Gewährleistungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union oder der Europäischen Konvention für Menschenrechte kann seinem Vortrag nicht entnommen werden.
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b) Auch die Rügen hinsichtlich der Verletzung grundrechtlicher Gewährleistungen verfehlen die Substantiierungsanforderungen sowohl mit Blick auf das in der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnde Schuldprinzip (aa) als auch mit Blick auf das Recht auf einen gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (bb). Entsprechendes gilt für die weiteren vom Beschwerdeführer benannten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte (cc).
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aa) Eine Verletzung der Menschenwürdegarantie in Art. 1 Abs. 1 GG ist nicht hinreichend dargetan. Auf die Vollstreckbarkeit des Urteils des Bezirksgerichts Sopron vom 23. November 2021 findet der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens Anwendung (1). Dieser steht grundsätzlich der Prüfung einer Verletzung grundrechtlicher Gewährleistungen entgegen. Tatsachen, die geeignet wären, den Geltungsanspruch dieses Grundsatzes vorliegend zu erschüttern, hat der Beschwerdeführer nicht in einer den Substantiierungsanforderungen genügenden Weise vorgetragen (2).
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(1) Im unionsrechtlichen Rechtshilfeverkehr gilt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Demgemäß ist davon auszugehen, dass in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes eingehalten wurden. Ausnahmen sind nur in besonders gelagerten Fällen gerechtfertigt (vgl. BVerfGE 60, 348 355 f.>; 63, 197 206>; 109, 13 33>; 109, 38 59>; 140, 317 349 Rn. 68>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Mai 2023 - 2 BvR 852/20 -, Rn. 15).
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(2) Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens entbindet deutsche Behörden und Gerichte nicht von der Verpflichtung, die Einhaltung der Grundsätze des Art. 1 Abs. 1 GG sicherzustellen. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens kann daher nur so lange Geltung beanspruchen, wie er nicht durch entgegenstehende Tatsachen erschüttert wird (vgl. BVerfGE 109, 13 35 f.>; 109, 38 61>; 140, 317 349 Rn. 68>). Dies ist der Fall, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die unverzichtbaren Anforderungen an den Schutz der Menschenwürde nicht eingehalten wurden (vgl. BVerfGE 140, 317 351 Rn. 74>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Mai 2023 - 2 BvR 852/20 -, Rn. 16).
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Demgemäß hätte der Beschwerdeführer substantiiert darlegen müssen, dass die Zulässigkeitserklärung der Vollstreckung aus dem Urteil des Bezirksgerichts Sopron unter Verletzung unverzichtbarer Anforderungen an den Schutz der Menschenwürde ergangen ist. Eine derartige Unterschreitung des durch Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Mindeststandards durch die deutschen Instanzgerichte ergibt sich aus seinem Vortrag aber mit Blick auf die Beachtung des Schuldgrundsatzes nicht.
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(a) Der Beschwerdeführer setzt sich zwar unter Bezugnahme des im Beschluss zum Europäischen Haftbefehl dargestellten Maßstabs (vgl. BVerfGE 140, 317) und dem Verhältnis von §§ 84 ff. und § 49 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) mit der Frage auseinander, inwiefern das Schuldprinzip eine Überprüfung der im - ausländischen - Erkenntnisverfahren getroffenen Tatsachenfeststellungen und rechtlichen Bewertungen durch das tatfernere Vollstreckungsgericht gebietet oder auch nur erlaubt (so gefordert in BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Mai 2023 - 2 BvR 852/20 -, Rn. 24). Er setzt seine rechtliche Beurteilung allerdings lediglich an die Stelle derjenigen der Gerichte. Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen stimmen darin überein, dass §§ 84 ff. IRG gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 1 IRG für die Prüfung der Vollstreckung eines aus einem EU-Mitgliedstaat stammenden Urteils, das eine Freiheitstrafe verhängt, abschließend sind und § 49 IRG dementsprechend nicht anwendbar ist. Demnach soll denn auch nur die fehlende Schuldfähigkeit im Sinne des § 19 StGB ein Zulässigkeitshindernis gemäß § 84b Abs. 1 Nr. 1 IRG darstellen und die Schuldfähigkeit nach den §§ 20, 21 StGB nicht zu überprüfen sein. Diese Sichtweise ist nach Wortlaut, Telos und Systematik möglich, auch wenn sich dem Wortlaut von § 84b IRG nicht unmittelbar eine solche "Sperre" entnehmen lässt. Inwiefern die der Bewertung des Beschwerdeführers entgegenstehende fachgerichtliche Rechtsauffassung aus der Perspektive des in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Schuldprinzips verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, legt der Beschwerdeführer nicht hinreichend dar.
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(b) Der Beschwerdeführer hat zudem zwar Unterlagen (ärztliche Gutachten, Korrespondenz zwischen der Staatsanwaltschaft und den ungarischen Behörden, ungarisches Anlassurteil) vorgelegt, aus denen sich Indizien für eine fehlende Prüfung der Schuldfähigkeit durch das ungarische Bezirksgericht ergeben sollen. Seinem Vortrag sind allerdings keine hinreichenden Anhaltspunkte zu entnehmen, welche für das ungarische Bezirksgericht zum Tatzeitpunkt beziehungsweise im Zeitpunkt der Verurteilung vorgelegen hätten, die auf eine tatsächliche Schuldunfähigkeit oder beschränkte Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers hätten schließen lassen können. Dass der Beschwerdeführer aufgrund einer in der Zwischenzeit gutachterlich diagnostizierten schweren depressiven Episode zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war, führt er nicht hinreichend begründet aus und ergibt sich auch nicht aus den vorgelegten Unterlagen. Weder mit Blick auf das Tatgeschehen, die Einlassungen des Beschwerdeführers im Erkenntnisverfahren, seinem beschriebenen Prozessverhalten oder mit Bezug auf die tatgerichtliche Beweiserhebung legt der Beschwerdeführer hinreichende Anhaltspunkte dar, dass er bereits zum Tatzeitpunkt erkrankt und schuldunfähig war. Auch in seiner nunmehr erhobenen Verfassungsbeschwerde findet sich keine eigene Darstellung zu seinem Zustand bei Tatbegehung.
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(c) Schwerpunkt des Monitums ist wohl nicht eine unzutreffende Feststellung der Schuldfähigkeit, sondern die Frage, ob sich das ungarische Gericht im Strafverfahren überhaupt mit der Schuldfähigkeit auseinandergesetzt hat und die deutschen Instanzgerichte dies hätten aufklären müssen. Der Beschwerdeführer trägt allerdings schon unzureichend vor, welchen Anforderungen die deutschen Gerichte über die gestellten Anfragen an die ungarische Justiz und die Prüfung deren Antworten hinaus hätten genügen müssen. Unklar bleibt weiter, woraus sich im konkreten Fall spezifische Anhaltspunkte für eine zum Tatzeitpunkt unerkannte Geisteserkrankung ergeben haben sollen und inwiefern die Fachgerichte durch ihr Unterlassen der weiteren Sachaufklärung spezifisches Verfassungsrecht verletzt haben. Die Notwendigkeit der vom Beschwerdeführer geforderten Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens durch die Fachgerichte überzeugt auch deshalb nicht, weil der Beschwerdeführer nicht darlegt, inwiefern durch eine nachträgliche Begutachtung eine zum Tatzeitpunkt bestehende Geisteserkrankung hätte validiert werden können.
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(d) Insgesamt fehlt es an der substantiierten Darlegung von Anhaltspunkten, die geeignet wären, den Geltungsanspruch des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens im vorliegenden Fall zu erschüttern. Es ist verfassungsrechtlich daher nicht zu beanstanden, dass in den angegriffenen Entscheidungen von der Vollstreckbarkeit des Urteils des Bezirksgerichts Sopron vom 23. November 2021 - B.270/2021/5 - ausgegangen wurde.
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bb) Auch der Vortrag des Beschwerdeführers zur Verletzung des Rechts auf einen gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch das Unterlassen einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ist nicht hinreichend substantiiert.
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(1) Ein Rechtssuchender kann seinem gesetzlichen Richter dadurch entzogen werden, dass ein Gericht die Einleitung eines Vorlageverfahrens nach Art. 267 AEUV unterlässt. Nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht stellt aber zugleich einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Das Bundesverfassungsgericht überprüft nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn das Fachgericht eine Vorlage trotz Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht) oder in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union abweicht (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft). Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs noch nicht oder nicht erschöpfend vor oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung nicht nur als entfernte Möglichkeit, so wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschreitet (Unvollständigkeit der Rechtsprechung; vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. November 2024 - 2 BvR 684/22 -, Rn. 69 ff. m.w.N.).
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(2) Das Vorbringen des Beschwerdeführers lässt einen relevanten Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter nach diesen Maßstäben nicht als möglich erscheinen. Der Beschwerdeführer moniert zwar, dass die Fachgerichte nach Maßgabe der verfassungsgerichtlichen Maßstäbe ihre Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV wegen Unvollständigkeit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Verhältnismäßigkeit der Regelungen der §§ 48, 49 IRG und §§ 84a, 84b IRG unhaltbar gehandhabt hätten. Eine entscheidungserhebliche Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG legt er jedoch nicht anhand der angegriffenen Entscheidung schlüssig dar. Darüber hinaus setzt er sich auch nicht mit der Konzeption und den materiellen Vorgaben des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union (ABl L 327 vom 5. Dezember 2008, S. 27 - im Folgenden Rahmenbeschluss "Freiheitsstrafen") auseinander. Der Rahmenbeschluss "Freiheitsstrafen" sieht unter Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe g) ein Vollstreckungshindernis bei Sanktionen gegen eine Person nur dann vor, wenn sie nach dem Recht des Vollstreckungsstaats aufgrund ihres Alters für die dem Urteil zugrundeliegenden Handlungen strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Inwieweit die Umsetzung des Rahmenbeschlusses in §§ 84a, 84 b IRG unverhältnismäßig sein soll, führt der Beschwerdeführer nicht näher aus. Die Frage, ob bei konkreten Anhaltspunkten über den begrenzten Prüfungsrahmen des § 84b IRG hinaus § 49 IRG - etwa als Auffangtatbestand - anwendbar sein kann oder muss, setzt er argumentativ weder mit einer etwaigen Vorlagepflicht noch mit seinem gerügten Recht auf einen gesetzlichen Richter in Beziehung.
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cc) Zu den vom Beschwerdeführer darüber hinaus benannten Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten (Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 103 Abs. 1 GG) fehlt es schon an einer hinreichenden Darlegung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäbe. Er setzt sie auch nicht in Beziehung zu den angegriffenen Entscheidungen.
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c) Der Beschwerdeführer hat eine Reihe von europäischen und nationalen Grundrechtsgehalten gerügt, sich allerdings nicht weiter mit der Frage auseinandergesetzt, welcher Grundrechtsmaßstab bei Exequaturentscheidungen deutscher Gerichte, die aufgrund strafrechtlicher Verurteilungen im unionalen Ausland ergehen, anzuwenden ist.
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Den angegriffenen Exequaturentscheidungen liegen gemäß § 84 IRG europäische Rechtsakte insbesondere in Gestalt des Rahmenbeschlusses "Freiheitsstrafen" zugrunde. In solchen Fällen kommt sowohl der Grundrechtsmaßstab des Grundgesetzes als auch der der Europäischen Grundrechtecharta in Betracht, um die fachgerichtliche Rechtsanwendung zu überprüfen. Beruhen die angegriffenen Entscheidungen auf einer unionsrechtlich volldeterminierten Regelung, erfolgt die Überprüfung nicht anhand deutscher Grundrechte, sondern anhand der Unionsgrundrechte (vgl. BVerfGE 152, 216 233 ff. Rn. 42 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 u.a. -, Rn. 36). Handelt es sich hingegen um eine europarechtlich nicht vollständig determinierte Materie, prüft das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich auch dann am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, wenn der Anwendungsbereich des Unionsrechts betroffen ist (vgl. BVerfGE 152, 152 169 Rn. 42>).
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Ob Exequaturentscheidungen deutscher Gerichte auf teil- oder volldeterminierter unionaler Rechtsgrundlage beruhen, ist bislang in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht entschieden (zuletzt offengelassen von BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Mai 2023 - 2 BvR 852/20 -, Rn. 8). Einer abschließenden Beurteilung bedarf es auch im vorliegenden Fall nicht. Denn die Verfassungsbeschwerde ist - wie gesehen - nicht in einer den Substantiierungsanforderungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise begründet. Offenbleiben kann deswegen auch, ob die fehlende Auseinandersetzung des Beschwerdeführers mit den den angegriffenen Entscheidungen zugrundeliegenden europäischen Rechtsakten und dem hieraus abzuleitenden Determinierungsgrad für sich schon zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde wegen unzureichender Substantiierung führt.
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3. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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