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BVerfG 19.12.2024 - 1 BvR 1425/24
BVerfG 19.12.2024 - 1 BvR 1425/24 - Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde eines Rappers und Songwriters gegen die Auferlegung eines Ordnungsgeldes wegen Verletzung eines Unterlassungsgebots - Zur Reichweite des Doppelahnungsverbots aus Art 20 Abs 3 GG - hier insb keine hinreichende Darlegung einer Verletzung des Schuldgrundsatzes oder der Kunstfreiheit bei "Anstiftung" des Konzertpublikums, die vom Unterlassungsgebot betroffenen Zeilen eines "Diss-Tracks" anstelle des Beschwerdeführers zu singen
Normen
Art 5 Abs 3 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 890 Abs 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend OLG München, 17. April 2024, Az: 18 W 618/24 Pre e, Beschluss
vorgehend LG München I, 21. Februar 2024, Az: 25 O 16530/19, Beschluss
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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A.
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Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 21. Februar 2024, in dem gegen den Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld von 65.000 Euro verhängt wurde, und gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 17. April 2024, in dem die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Landgerichts zurückgewiesen wurde. Hintergrund der Verhängung des Ordnungsgelds ist eine Zuwiderhandlung des Beschwerdeführers gegen ein Unterlassungsgebot aus einer einstweiligen Verfügung, in der ihm untersagt wurde, drei bestimmte Liedzeilen eines Liedes mit circa 90 Zeilen zu verbreiten oder verbreiten zu lassen.
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I.
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Der Beschwerdeführer ist ein deutscher Rapper und Songwriter, der dafür bekannt ist, verbale Streitigkeiten ("Beef") mit anderen Rappern musikalisch auszutragen. Im Jahr 2019 veröffentlichte er den "Diss-Track" N. über den Rapper B. und dessen Ehefrau sowie deren Kinder.
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1. Daraufhin gab das Landgericht auf Antrag der Ehefrau und der vier Kinder des Rappers B. dem Beschwerdeführer mit dem nicht angegriffenen Urteil vom 11. Dezember 2019 im Wege der einstweiligen Verfügung auf, es zu unterlassen, drei näher bezeichnete Verse wörtlich oder sinngemäß zu verbreiten oder verbreiten zu lassen, wenn dies geschehe wie in dem "Diss-Track" N. des Beschwerdeführers. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot wurden dem Beschwerdeführer die gesetzlichen Ordnungsmittel angedroht.
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Aufgrund von Zuwiderhandlungen gegen das Urteil vom 11. Dezember 2019 erließ das Landgericht in der Folge am 20. Februar 2020, am 9. Oktober 2020 und am 18. August 2021 drei Ordnungsmittelbeschlüsse, die jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Verfassungsbeschwerde sind. Mit nicht angegriffenem Beschluss vom 15. Juni 2023 verhängte das Landgericht einen vierten Ordnungsmittelbeschluss, da der Beschwerdeführer am 17. November 2022 über seinen Instagram-Account die Story eines anderen Instagram-Nutzers gepostet hatte, wo der vom Unterlassungstenor umfasste Text eingeblendet war. Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers hiergegen wies das Oberlandesgericht mit nicht angegriffenem Beschluss vom 11. Oktober 2023 zurück.
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2. Auf seiner "F.-Tour 2023" spielte der Beschwerdeführer unter anderem den Titel N. Bei seinem Auftritt in S. am 2. Juni 2023 sang der Beschwerdeführer auch eine der untersagten Liedzeilen, sang dann aber nicht weiter, sondern hielt das Mikrofon in Richtung des Publikums, woraufhin dieses die darauffolgende, ebenfalls untersagte Liedzeile sang. Anschließend streckte der Beschwerdeführer seine Arme in die Höhe und wippte mit seinen Armen, woraufhin das Publikum die nächsten vier Zeilen des Musikstücks N. sang, von denen eine ebenfalls untersagt war. Anlässlich seines Auftritts in B. am 3. Juni 2023 sang der Beschwerdeführer abermals eine der untersagten Liedzeilen und hielt anschließend das Mikrofon in Richtung des Publikums, das daraufhin die darauffolgende untersagte Liedzeile sang. Im Anschluss daran "rappte" der Beschwerdeführer eine nicht untersagte Liedzeile und hielt danach das Mikrofon in die Richtung des Publikums und bewegte seine Arme rhythmisch vor und zurück, woraufhin die Zuschauer die dritte untersagte Liedzeile sangen. Am 4. Juni 2023 verbreitete der Beschwerdeführer einen 39-sekündigen Videomitschnitt seines Konzerts vom 3. Juni 2023 über seinen Twitter-Account. In diesem Video ist zu sehen, wie der Beschwerdeführer Teile des Titels N. und das Publikum zwei der von dem Unterlassungsgebot betroffenen Zeilen singt.
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Am 6. Juni 2023 - während das vierte Ordnungsmittelverfahren noch andauerte - beantragte die Prozessbevollmächtigte der Unterlassungsgläubiger die Festsetzung eines fünften Ordnungsmittels und begründete dies mit den beiden Auftritten des Beschwerdeführers in S. und B. sowie mit dem Posting auf seinem Twitter-Account.
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Das Landgericht hat daraufhin gegen den Beschwerdeführer mit angegriffenem Beschluss vom 21. Februar 2024 ein Ordnungsgeld in Höhe von 65.000,00 Euro und ersatzweise einen Tag Ordnungshaft für je 5.000,00 Euro verhängt. Der Beschwerdeführer habe mehrfach gegen das Unterlassungsgebot verstoßen, indem er das Publikum zum Singen der zu unterlassenden Textzeilen aufgefordert und einen Videomitschnitt des Konzerts über seinen Twitter-Account veröffentlicht habe. Er könne sich auch nicht darauf berufen, dass es sich um eine Handlung des Publikums handle, da er das Publikum durch entsprechende Armbewegungen und das Halten des Mikrofons in die Menge zum Singen der verbotenen Liedzeilen ermuntert habe. Dabei hätten andere Möglichkeiten bestanden, etwa durch das Rappen eines anderen Textes oder durch Einspielen eines Tones bei den entsprechenden Passagen.
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Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde eingelegt; diese hat das Oberlandesgericht mit dem ebenfalls angegriffenen Beschluss vom 17. April 2024 zurückgewiesen; die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen.
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Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist es unerheblich, dass der fünfte Ordnungsmittelantrag zu einem Zeitpunkt gestellt worden sei, als über den vierten Ordnungsmittelantrag noch nicht rechtskräftig entschieden worden war. Für mehrere zusammenhängende Zuwiderhandlungen könne zwar - wie sich aus der durch den Beschwerdeführer angeführten Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 6 W 98/18 -, Rn. 3) ergebe - ein Gesamtordnungsmittel verhängt werden. Daraus folge indes nicht, dass der Beschwerdeführer ein Recht darauf habe, dass in Fällen, in denen er weitere Zuwiderhandlungen gegen ein Unterlassungsgebot begehe, kein neues Ordnungsmittelverfahren betrieben und lediglich ein bereits laufendes Verfahren erweitert werde. Hier sei auch zu berücksichtigen, dass die betroffenen Zuwiderhandlungen nicht zusammenhingen. Indem der Beschwerdeführer eine verbotene Textzeile selbst gesungen und das Publikum aufgefordert habe, statt seiner selbst die in dem Lied nachfolgenden Zeilen zu singen, sowie durch die Veröffentlichung des Konzertmitschnittes auf Twitter habe der Beschwerdeführer jeweils gegen die Unterlassungspflicht verstoßen. Dem Beschwerdeführer sei im Unterlassungstitel ausdrücklich nicht nur untersagt worden, die verfahrensgegenständlichen Äußerungen zu verbreiten, sondern ebenso, diese verbreiten zu lassen. Für einen Verstoß genüge die Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht durch Dritte, wenn sie dem Schuldner zuzurechnen sei und ihn ein Verschulden treffe. Dabei könne ein Verschulden auch darin gesehen werden, dass im Hinblick auf Dritte zumutbare Einwirkungen unterblieben seien. Ein Schuldner hafte zudem für das Tun oder Unterlassen Dritter, soweit hierfür sein eigenes Verhalten ursächlich sei. Der Beschwerdeführer habe ausweislich des Konzertmitschnitts das Publikum mit eindeutigen Gesten ausdrücklich dazu angehalten, die verbotenen Textzeilen zu singen. Er habe deshalb nicht nur die ihm zur Unterbindung von Verstößen gegen das Unterlassungsgebot möglichen und zumutbaren Einwirkungen auf das Publikum unterlassen, sondern habe es aktiv und absichtlich angestiftet, die verbotenen Liedzeilen zu singen. Ihm werde daher kein Verhalten Dritter zugerechnet, sondern durch seine eigenen aktiven "Anstiftungshandlungen" habe er selbst kausal und schuldhaft einen Verstoß gegen die Unterlassungspflicht herbeigeführt.
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II.
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Der Beschwerdeführer rügt einen Verstoß gegen das Doppelahndungsverbot aus Art. 20 Abs. 3 GG, eine Verletzung des Schuldgrundsatzes aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG unter Missachtung des Schuldgrundsatzes sowie eine Verletzung seiner Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG durch die angegriffenen Entscheidungen.
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Die angegriffenen Beschlüsse verletzten den Beschwerdeführer aufgrund eines Verstoßes gegen das Doppelahndungsverbot in seinem Recht aus Art. 20 Abs. 3 GG, weil das fünfte Ordnungsmittelverfahren eröffnet worden sei, obwohl das vierte Ordnungsmittelverfahren zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet worden sei. Zudem habe der Beschwerdeführer bei den Verstößen vom 2., 3. und 4. Juni 2023 nicht schuldhaft gehandelt, da die behaupteten Verstöße vor Erlass des Ordnungsmittelbeschlusses erfolgt seien.
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Des Weiteren verletzten die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG und missachteten den Schuldgrundsatz aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Die Gerichte setzten sich nicht damit auseinander, dass der Beschwerdeführer gerade nicht die verbotenen Textzeilen gesungen habe, sondern unterstellten ihm ein schwerwiegendes schuldhaftes Verhalten. Zudem habe der Beschwerdeführer nur die zulässigen Textzeilen gesungen; eine Aufforderung an das Publikum, die verbotenen Zeilen zu singen, sei demgegenüber nicht erkennbar.
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Schließlich verletzten die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seiner Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG, da diese dazu führten, dass er den Titel auch mit einem nicht verbotenen Text bereits dann nicht öffentlich aufführen könne, wenn das Publikum seinerseits die verbotenen Textzeilen unabhängig vom Verhalten des Beschwerdeführers singe. Das Verhalten des Publikums könne ihm nicht zugerechnet werden.
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B.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil keine Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG vorliegen. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt, weil die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 25 f.>). Sie ist unzulässig, da sie nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Darlegungsanforderungen genügt.
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I.
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Die Begründung der Verfassungsbeschwerde soll dem Bundesverfassungsgericht eine zuverlässige Grundlage für die weitere Behandlung des Verfahrens verschaffen (vgl. BVerfGE 15, 288 292>). Hiernach ist der Beschwerdeführer gehalten, den Sachverhalt, aus dem sich die Grundrechtsverletzung ergeben soll, substantiiert und schlüssig darzulegen. Es ist alles darzutun, was dem Gericht eine Entscheidung der verfassungsrechtlichen Fragen ermöglicht (vgl. BVerfGE 131, 66 82>). Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, aus Sachverhaltsfragmenten, in Bezug genommenen Dokumenten, angegriffenen Entscheidungen oder aus anderen Anlagen Relevantes für die verfassungsrechtliche Prüfung herauszusuchen (vgl. BVerfGE 80, 257 263>; 83, 216 228>; BVerfGK 19, 362 363>).
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Insoweit muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrunde liegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 140, 229 232 Rn. 9>; 157, 300 310 Rn. 25>). Bei einer Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung und deren konkreter Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das bezeichnete Grundrecht oder grundrechtsgleiche Recht durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 149, 346 359 Rn. 24>; 158, 210 230 f. Rn. 51>; stRspr). Werden fachgerichtliche Entscheidungen auf mehrere je selbständig tragende Gründe gestützt, bedarf es einer Auseinandersetzung mit jeder dieser Begründungen (vgl. BVerfGE 105, 252 264>).
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Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt werden (vgl. BVerfGE 163, 165 210 Rn. 75>; stRspr).
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II.
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Diesen Anforderungen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht.
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1. Soweit der Beschwerdeführer sich gegen den Beschluss des Landgerichts wendet, lässt die Begründung der Verfassungsbeschwerde ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis nicht erkennen. Auf seine sofortige Beschwerde hin hat das Oberlandesgericht vollumfänglich erneut über den Verfahrensgegenstand entschieden und die Zurückweisung des Beschlusses auf eine über die Argumentation des Landgerichts hinausgehende eigene Begründung gestützt. Der Beschluss des Landgerichts ist damit prozessual überholt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Juni 2023 - 1 BvR 929/23 -, Rn. 12). Ein ausnahmsweise dennoch fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis gegen die erstinstanzliche Entscheidung ist nicht dargelegt.
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2. Die Verfassungsbeschwerde zeigt auch eine mögliche Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten durch den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 17. April 2024 nicht auf.
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a) Dem Beschwerdeführer gelingt es nicht, die Möglichkeit einer Verletzung des Doppelahndungsverbots gemäß Art. 20 Abs. 3 GG substantiiert darzulegen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die mehrfache Ahndung desselben Vorgangs mit der gleichen oder einer weitgehend gleichartigen Maßnahme verboten (vgl. BVerfGE 28, 264 277>). Die wiederholte Festsetzung eines Ordnungsgeldes verstößt nur dann gegen die in dem Rechtsstaatsprinzip enthaltene Idee der Gerechtigkeit und ist als evident ungerecht anzusehen, wenn der Gegenstand einer späteren Festsetzung mit dem einer früheren in allen Einzelheiten identisch ist. Entscheidend für die Beurteilung, ob im Rahmen der Ordnungsgeldfestsetzung ein Verstoß gegen das Doppelahndungsverbot vorliegt, sind zudem Anlass, Ziel und Zweck der beanstandeten Maßnahme (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. August 1989 - 1 BvR 1194/88 -, Rn. 11 unter Verweis auf BVerfGE 28, 264 278>).
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Mit dieser Rechtsprechung hat sich der Beschwerdeführer nicht auseinandergesetzt. Er hat nicht dargelegt, inwiefern der fünfte Ordnungsmittelbeschluss gegen den Grundsatz des Doppelahndungsverbots verstößt. Der Beschluss bezieht sich auf die Auftritte in S. am 2. Juni 2023 und in B. am 3. Juni 2023 sowie auf das Verbreiten des Videomitschnitts über Twitter am 4. Juni 2023. Diese Handlungen stellen nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Wertung des Oberlandesgerichts einen neuen, von dem vierten Ordnungsmittelverfahren zu unterscheidenden Sachverhalt dar. Auch das Verbreiten des Videomitschnitts des Konzerts vom 3. Juni 2023 über den Twitter-Account des Beschwerdeführers ist inhaltlich nicht mit dem Teilen der Instagram-Story am 17. November 2022 identisch, da zwei verschiedene soziale Netzwerke genutzt wurden und der jeweilige Inhalt des Videos bzw. der Story unterschiedlich waren.
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Auch soweit der Beschwerdeführer eine Divergenz zwischen der angegriffenen Entscheidung des Oberlandesgerichts und der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 6 W 98/18 -, Rn. 3) sowie des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020, - I ZB 99/19 -, Rn. 21) geltend macht, legt er nicht hinreichend dar, inwiefern dies zu einer Verletzung des Doppelahndungsverbots führen könnte. Sowohl der Bundesgerichtshof als auch das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. nehmen in ihren Entscheidungen die Möglichkeit der Erweiterung eines laufenden Ordnungsmittelverfahrens an, ziehen aber nicht den Schluss, dass es stets zu einer Erweiterung anstelle der Einleitung eines neuen Verfahrens kommen müsse. Der Beschwerdeführer legt nicht substantiiert dar, dass und aus welchen Gründen dieser Schluss aus den genannten Entscheidungen dennoch zu ziehen sein sollte und inwiefern dies einen Verstoß gegen das Doppelahndungsverbot darstellen könnte.
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b) Der Beschwerdeführer hat auch die Möglichkeit eines Verstoßes der angegriffenen Entscheidung gegen den Schuldgrundsatz aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG nicht hinreichend dargelegt.
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§ 890 Abs. 1 ZPO dient der Ahndung begangenen Unrechts. Es gelten daher ungeachtet des zwangsvollstreckungsrechtlichen Einschlags strafrechtliche Grundsätze, insbesondere setzt § 890 Abs. 1 ZPO Schuld voraus (vgl. BVerfGE 20, 323 332>; 58, 159 161 ff.>; 84, 82 87>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. Dezember 2006 - 1 BvR 1200/04 -, Rn. 11). Der im Rechtsstaatsprinzip und in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG) verankerte Schuldgrundsatz hat dabei selbst Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 45, 187 259 f.>; 86, 288 313>; 95, 96 140>; 120, 224 253 f.>; 130, 1 26>; 133, 168 197 Rn. 53>) und setzt als Voraussetzung der Verhängung einer Strafe die individuelle Vorwerfbarkeit voraus (vgl. BVerfGE 20, 323 331>; 95, 96 140>; 133, 168 198 Rn. 54>).
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aa) Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, ein schuldhaftes Handeln sei bei den in der angegriffenen Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlungen gegen das Unterlassungsgebot fernliegend, da der Verstoß vor Erlass des vierten Ordnungsmittelbeschlusses erfolgt sei, ist bereits nicht erkennbar, inwiefern erst der Erlass des vierten Ordnungsmittelbeschlusses ein schuldhaftes Handeln hätte ermöglichen sollen.
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bb) Auch soweit der Beschwerdeführer vorträgt, das Oberlandesgericht hätte sich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass er gerade nicht die verbotenen Zeilen gesungen habe, ist die Möglichkeit einer Verletzung des Schuldgrundsatzes nicht hinreichend dargelegt. Denn eine solche Auseinandersetzung hat das Oberlandesgericht vorgenommen, indem es berücksichtigt hat, dass der Beschwerdeführer das Publikum durch bestimmte Gesten zum Singen aufgefordert und anschließend einen Videomitschnitt des Konzerts auf Twitter verbreitet hat. Im Übrigen ist im fachgerichtlichen Verfahren unstreitig geblieben, dass der Beschwerdeführer am 2. und 3. Juni 2023 auch selbst eine der verbotenen Liedzeilen gesungen hat.
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cc) Auch die Rüge des Beschwerdeführers, es fehle an einem schuldhaften Verhalten, da keine Aufforderung an das Publikum erkennbar sei, die verbotenen Textzeilen zu singen, ist nicht ausreichend substantiiert.
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Der Beschwerdeführer hätte sich damit auseinandersetzen müssen, weshalb sein Verhalten nicht als Aufforderung an das Publikum zu verstehen war. Insbesondere hätte der Beschwerdeführer darlegen müssen, weshalb das Halten des Mikrofons in Richtung des Publikums, nachdem er eine der verbotenen Zeilen gesungen hat, nicht als Aufforderung an das Publikum auszulegen sei, die darauffolgende verbotene Liedzeile zu singen. Der Beschwerdeführer hätte ferner darlegen müssen, inwiefern ihm der Gesang des Publikums nicht zuzurechnen sei, wenn er während des Gesangs das Mikrofon in die Menge hält und dabei mit den Armen im Takt wippt und nicht versucht, auf das Publikum einzuwirken und den Gesang der verbotenen Liedzeilen zu unterbinden.
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dd) Auch hat der Beschwerdeführer nicht ausgeführt, inwiefern es nicht schuldhaft sein könnte, ein Video zu verbreiten, in dem er selbst eine verbotene Zeile und das Publikum die weiteren verbotenen Zeilen singt. Der Beschwerdeführer ist der Begründung des Oberlandesgerichts, nach der dem Beschwerdeführer bereits in dem ersten gegen ihn verhängten Ordnungsmittelbeschluss deutlich gemacht wurde, dass auch die Aufnahme von Beiträgen in eine Instagram-Story als Veröffentlichung und Verstoß gegen die Unterlassungsverfügung zu werten ist, nicht entgegengetreten. Eine Verbreitung eines Videos auf Twitter ist mit einer Veröffentlichung in einer Instagram-Story vergleichbar. Insofern hat der Beschwerdeführer nicht dargelegt, inwiefern er nicht wissen konnte, dass er beim Verbreiten eines Videomitschnitts auf Twitter ebenfalls gegen die Unterlassungsverfügung verstoßen würde.
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c) Da der Beschwerdeführer die mögliche Verletzung des Schuldgrundsatzes nicht hinreichend substantiiert hat, scheitert seine Rüge der Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG durch die Missachtung des Schuldgrundsatzes aus den gleichen Gründen.
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d) Schließlich gelingt dem Beschwerdeführer keine substantiierte Rüge einer möglichen Verletzung in seinem Recht auf Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG.
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Sein Vortrag, der angegriffene Beschluss führe dazu, dass er das Musikstück N. auch mit einem nicht verbotenen Liedtext bereits dann nicht öffentlich aufführen könne, wenn das Publikum seinerseits die verbotenen Zeilen unabhängig von seinem Verhalten und in einer ihm nicht zurechenbaren Weise singe, ist nicht ausreichend substantiiert. Aus dem Vortrag des Beschwerdeführers wird nicht ersichtlich, aus welchem Grund die angegriffene Entscheidung ein vollständiges Verbot des Aufführens des Musikstücks N. unabhängig vom Verhalten des Beschwerdeführers nach sich zieht. Der Beschwerdeführer setzt sich nicht damit auseinander, dass das Oberlandesgericht auf die Aufforderung des Publikums zum Singen abstellte. Er übersieht, dass im vorliegenden Fall das Ordnungsgeld nicht unabhängig von seinem Verhalten verhängt wurde, sondern weil der Beschwerdeführer nach Auffassung des Oberlandesgerichts "Anstiftungshandlungen" begangen hatte und ihm daher das Verhalten des Publikums zuzurechnen war. Auch hat sich der Beschwerdeführer nicht damit auseinandergesetzt, dass er bei seinen Auftritten selbst eine verbotene Liedzeile gesungen hatte.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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