Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
BVerfG 27.11.2024 - 2 BvR 689/24
BVerfG 27.11.2024 - 2 BvR 689/24 - Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde bzgl Psychotherapie im Maßregelvollzug
Normen
Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 2 Abs 2 S 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 15 Abs 3 S 2 SichVVollzG BE
Vorinstanz
vorgehend KG Berlin, 9. April 2024, Az: 2 Ws 11/24 Vollz, Beschluss
vorgehend LG Berlin, 18. Dezember 2023, Az: 589 StVK 163/22 Vollz, Beschluss
Tenor
-
Die Verfassungsbeschwerde wird, ohne dass es einer Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf, nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
-
I.
- 1
-
Der sicherungsverwahrte Beschwerdeführer begehrt nach dem Wechsel vom Vollzug der Strafhaft in den der Sicherungsverwahrung die Weiterführung der Therapie bei seinem bisherigen externen Psychotherapeuten.
-
II.
- 2
-
Die Verfassungsbeschwerde genügt den Substantiierungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG nicht.
- 3
-
1. Der Beschwerdeführer zeigt weder eine Verletzung seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG noch des aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG hergeleiteten Resozialisierungsgebots substantiiert auf.
- 4
-
a) Spätestens zu Beginn des Vollzugs der Sicherungsverwahrung hat unverzüglich eine umfassende, modernen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechende Behandlungsuntersuchung stattzufinden. Dabei müssen die individuellen Faktoren, die für die Gefährlichkeit des Untergebrachten maßgeblich sind, eingehend analysiert werden. Auf dieser Grundlage ist ein Vollzugsplan zu erstellen, aus dem sich detailliert ergibt, ob und gegebenenfalls mit welchen Maßnahmen vorhandene Risikofaktoren minimiert oder durch Stärkung schützender Faktoren kompensiert werden können. Dies soll die Gefährlichkeit des Untergebrachten mindern, dadurch Fortschritte in Richtung einer Entlassung ermöglichen und dem Untergebrachten eine realistische Perspektive auf Wiedererlangung der Freiheit eröffnen. In Betracht zu ziehen sind etwa berufliche Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlungen sowie Maßnahmen zur Ordnung der finanziellen und familiären Verhältnisse und zur Vorbereitung eines geeigneten sozialen Empfangsraums. Der Vollzugsplan ist fortlaufend zu aktualisieren und der Entwicklung des Untergebrachten anzupassen (vgl. BVerfGE 128, 326 379>).
- 5
-
Die plangemäß gebotenen Maßnahmen sind zügig und konsequent umzusetzen. Hierzu bedarf es einer individuellen und intensiven Betreuung des Untergebrachten durch ein multidisziplinäres Team qualifizierter Fachkräfte (vgl. BVerfGE 128, 326 379 f.> m.w.N.). Insbesondere im therapeutischen Bereich müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Erweisen sich standardisierte Therapiemethoden als nicht erfolgversprechend, muss ein individuell zugeschnittenes Therapieangebot entwickelt werden. Dabei muss - insbesondere mit zunehmender Vollzugsdauer - sichergestellt sein, dass mögliche Therapien nicht nur deshalb unterbleiben, weil sie im Hinblick auf Aufwand und Kosten über das standardisierte Angebot der Anstalten hinausgehen (Individualisierungs- und Intensivierungsgebot). Die Bereitschaft des Untergebrachten zur Mitwirkung an seiner Behandlung ist durch gezielte Motivationsarbeit zu wecken und zu fördern (Motivierungsgebot) (vgl. BVerfGE 128, 326 380>).
- 6
-
b) Gemessen an diesen Maßstäben legt der Beschwerdeführer nicht schlüssig dar, dass das Freiheitsgrundrecht oder das Resozialisierungsgebot die Fortsetzung der Therapie bei seinem externen Psychotherapeuten gebietet und ihn die angegriffenen Entscheidungen daher in diesen Grundrechten verletzen.
- 7
-
aa) Das Landgericht ist zutreffend von § 15 des Gesetzes über den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Berlin (Berliner Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz - SVVollzG Bln) als maßgeblicher Rechtsgrundlage für die therapeutische Ausgestaltung des Vollzugs ausgegangen. Diese Norm setzt die aus der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung (BVerfGE 128, 326 ff.) folgenden Anforderungen an das Abstands- und das Individualisierungsgebot in Landesrecht um (vgl. Roffael, in: BeckOK Strafvollzugsrecht Berlin, § 15 SVVollzG Bln Vorbemerkung <Juni 2021>) und trägt so dem Freiheitsgrundrecht und dem Resozialisierungsgebot in verfassungsgemäßer Weise Rechnung. § 15 Abs. 3 Satz 2 SVVollzG Bln stellt das Einbeziehen externer Fachkräfte unter den Vorbehalt der Erforderlichkeit.
- 8
-
Dass das Landgericht zum Ergebnis gelangt ist, das (interne) Behandlungsangebot erfülle die gesetzlichen Anforderungen des § 15 SVVollzG Bln, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es hat ausgeführt, für den Beschwerdeführer sei ein Behandlungskonzept erstellt worden, dessen Umsetzung aber derzeit an seiner Verweigerungshaltung scheitere. Ob die für ihn vorgesehenen Behandlungen ausreichend seien, könne erst geprüft werden, wenn er sich diesen ernsthaft öffne. Diese Argumentation ist verfassungsrechtlich tragfähig. Dies ändert sich im Kern auch nicht, wenn man - wie das Kammergericht unter Verweis auf obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. u.a. OLG Koblenz, Beschluss vom 10. Juli 2018 - 2 Ws 326/18 Vollz -, juris) - den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung als maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt ansieht. Zu jenem Zeitpunkt befand sich der Beschwerdeführer erst knapp einen Monat in der Sicherungsverwahrung, so dass damals die mangelnde Erfolgsaussicht der internen Angebote und damit die Erforderlichkeit einer externen Therapie ebenfalls nicht festgestellt werden konnte.
- 9
-
Deshalb begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Kammergericht den Beschluss des Landgerichts im Ergebnis unbeanstandet gelassen hat. Zutreffend verweist es dabei auf seine eigene Rechtsprechung, wonach bei einem inhaltlich ausreichenden Therapieangebot grundsätzlich kein Anspruch auf alleinige Beauftragung eines externen Therapeuten bestehe (vgl. KG, Beschluss vom 2. Februar 2018 - 2 Ws 193/17 -, juris, Rn. 25), und folgert daraus, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung werfe keine zur Fortbildung des Rechts im Sinne des § 116 Abs. 1 Alt. 1 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf. Verfassungsrechtlich tragfähig ist weiter, dass das Kammergericht die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nicht unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 116 Abs. 1 Alt. 2 StVollzG bejaht hat, weil es plausibel dargelegt hat, dass weder die Vollzugsbehörde Gründe unzulässig nachgeschoben noch das Landgericht unzulässige eigene Erwägungen angestellt habe, und der Inhalt des Vollzugs- und Eingliederungsplans zu Recht vom Landgericht nicht berücksichtigt worden sei, weil dieser nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung datiere.
- 10
-
bb) Die Argumente des Beschwerdeführers sind demgegenüber nicht geeignet, eine Verletzung seines Freiheitsgrundrechts oder des Resozialisierungsgebots aufzuzeigen.
- 11
-
(1) Er interpretiert die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung einseitig und damit unzutreffend. Seinen Anspruch auf Fortführung der externen Therapie entnimmt er letztlich dem Satz, es müssten insbesondere im therapeutischen Bereich alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden (vgl. BVerfGE 128, 326 379>). Daraus folgert er offenbar, einen Anspruch auf jede Maßnahme zu haben, die er sich wünscht und für sachgerecht erachtet. Dabei blendet er jedoch zum einen aus, dass keine Pflicht zum Anbieten ungeeigneter Maßnahmen besteht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. April 2024 - 2 BvR 1468/23 -, Rn. 27) und die Vollzugsbehörde im Rahmen ihres Einschätzungsspielraums zum Ergebnis gelangt ist, die Fortführung der externen Therapie neben der gemäß § 12 Abs. 4 SVVollzG Bln vorgeschriebenen Wohngruppenbetreuung sei kontraindiziert.
- 12
-
Zum anderen lässt er unberücksichtigt, dass ein individuell zugeschnittenes Therapieangebot nur entwickelt werden muss, wenn sich standardisierte Therapiemethoden als nicht erfolgversprechend erweisen (vgl. BVerfGE 128, 326 380>). Weiter reicht das Individualisierungsgebot nicht. Dieses Stufenkonzept hat der Landesgesetzgeber in § 15 Abs. 2 Satz 2 SVVollzG Bln umgesetzt. Zum Zeitpunkt der ablehnenden Behördenentscheidung (und auch danach) ließ sich eine Erfolglosigkeit der internen Therapie nicht feststellen. Dem grundsätzlichen Vorrang der Standardtherapiemethoden kann der Beschwerdeführer, der sich bisher sämtlichen Standardtherapien verweigert, nicht erfolgreich entgegenhalten, dass diese gescheitert seien, um so seine persönlich gewünschte Therapie herbeizuführen. Insofern ist die Überlegung des Landgerichts, dass eine Erforderlichkeit für alternative externe Therapieangebote erst dann besteht, wenn die internen Therapieangebote tatsächlich ernsthaft in Anspruch genommen wurden, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn erst dann kann eine etwaige Ungeeignetheit der Standardtherapien für den Beschwerdeführer festgestellt werden, woraus unter Umständen die Notwendigkeit speziellerer externer Therapieangebote folgt.
- 13
-
(2) Soweit der Beschwerdeführer anführt, aus § 15 SVVollzG Bln ergebe sich keine Beschränkung auf interne Behandlungskräfte, so lässt er außer Acht, dass aus § 15 Abs. 3 Satz 2 SVVollzG Bln, wonach externe Fachkräfte einzubeziehen sind, soweit es erforderlich ist, im Umkehrschluss folgt, dass das therapeutische Angebot grundsätzlich von internen Fachkräften abgedeckt wird und externe Kräfte nur im Ausnahmefall einzusetzen sind.
- 14
-
2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
- 15
-
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Kontakt zur AOK
Persönlicher Ansprechpartner
E-Mail-Service