BVerfG 22.08.2011 - 1 BvR 1764/09 - Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung der Rechtsweggarantie (Art 19 Abs 4 S 1 GG) durch zu restriktive Handhabung der Regelungen über die Berufungszulassung im Verwaltungsprozeß - hier: Klagebefugnis eines Postkunden (Drittanfechtungsklage) in Bezug auf postregulierungsrechtliche, an Postdienstleister gerichtete Genehmigungsentscheidungen gem § 22 PostG (juris: PostG 1998) - Gegenstandswertfestsetzung auf 24.000 Euro
Normen
Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 1 Abs 2 PEntgV, § 21 Abs 1 Nr 2 PostG 1998, § 22 Abs 2 PostG 1998, § 22 Abs 3 PostG 1998, § 23 Abs 2 PostG 1998, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO
Vorinstanz
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 23. Juni 2009, Az: 13 A 798/09, Beschluss
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 19. März 2009, Az: 13 A 476/08, Beschluss
Tenor
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Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. März 2009 - 13 A 476/08, 13 A 477/08 und 13 A 478/08 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
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Damit wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Juni 2009 - 13 A 798/09, 13 A 799/09 und 13 A 800/09 - gegenstandslos.
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Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 24.000 € (in Worten: vierundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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1
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Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Nichtzulassung der Berufung in einer postregulierungsrechtlichen Streitigkeit.
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I.
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2
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Gemäß § 19 Satz 1 des Postgesetzes (PostG) bedürfen Entgelte, die ein Lizenznehmer auf einem Markt für lizenzpflichtige Postdienstleistungen
(vgl. § 5 Abs. 1, § 51 PostG) erhebt, der Genehmigung durch die Regulierungsbehörde, sofern der Lizenznehmer auf dem betreffenden
Markt marktbeherrschend ist. "Maßstäbe der Entgeltgenehmigung" enthält § 20 PostG.
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3
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Die "Arten und Verfahren der Entgeltgenehmigung" regelt § 21 PostG; nach dessen Absatz 1 genehmigt die Regulierungsbehörde
Entgelte (entweder) auf der Grundlage der auf die einzelne Dienstleistung entfallenden Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung
(Nr. 1) oder auf der Grundlage der von ihr vorgegebenen Maßgrößen für die durchschnittlichen Änderungsraten der Entgelte für
einen Korb zusammengefasster Dienstleistungen (Nr. 2, sog. Price-Cap-Regulierung).
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4
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Nach § 23 Abs. 1 PostG ist der Lizenznehmer verpflichtet, ausschließlich die von der Regulierungsbehörde genehmigten Entgelte
zu verlangen. Verträge über Dienstleistungen, die andere als die genehmigten Entgelte enthalten, sind mit der Maßgabe wirksam,
dass das genehmigte Entgelt an Stelle des vereinbarten Entgelts tritt. Fehlt es an einem genehmigten Entgelt, obwohl das Entgelt
nach § 19 PostG genehmigungsbedürftig ist, so sind die Verträge unwirksam (§ 23 Abs. 2 PostG).
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II.
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1. Am 26. Juli 2002 beschloss die (damalige) Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP), die der Price-Cap-Regulierung
(vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 2 PostG) unterliegenden Dienstleistungen der "Deutsche Post AG", der Beigeladenen des Ausgangsverfahrens
der vorliegenden Verfassungsbeschwerde, entsprechend § 1 Abs. 2 der Post-Entgeltregulierungsverordnung (PEntgV) in drei Körbe
zusammenzufassen. Die vom Beschwerdeführer, einem eingetragenen Verein, der nach seinen Angaben Kunde der Beigeladenen ist,
hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Köln ab. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung
gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil blieb erfolglos (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. November 2004 -
13 A 4245/03 -, juris).
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6
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2. Mit Beschluss vom 12. September 2002 (Amtsblatt der RegPT 2002, S. 1448) genehmigte die Regulierungsbehörde für Telekommunikation
und Post die von der Beigeladenen zur Genehmigung vorgelegten Entgelte für das Jahr 2003. Entsprechende Beschlüsse ergingen
am 24. September 2003 (Amtsblatt der RegTP 2003, S. 1193) für das Jahr 2004 und am 23. November 2004 (Amtsblatt der RegTP
2004, S. 1874) für das Jahr 2005.
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3. Der Beschwerdeführer erhob gegen diese Genehmigungsbeschlüsse jeweils Klage, die vom Verwaltungsgericht Köln mit in der
Begründung gleichen Urteilen vom 16. und 27. November 2007 abgewiesen wurde.
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8
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Die Klage sei zulässig. Insbesondere sei der Beschwerdeführer klagebefugt. Zwar sei er nicht Adressat der Entgeltgenehmigung.
Doch könne der angefochtene Beschluss in seine Rechte eingreifen. Denn der Beschwerdeführer könne sich auf einen möglichen
Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG berufen. Eine unmittelbare Auswirkung auch gegenüber Kunden der Beigeladenen wie dem Beschwerdeführer
sei bei dem angefochtenen Beschluss anzunehmen. Dies folge aus der Bestimmung des § 23 Abs. 2 PostG, wonach Verträge über
Postdienstleistungen, die andere als die genehmigten Entgelte enthielten, mit der Maßgabe wirksam würden, dass das genehmigte
Entgelt an die Stelle des vereinbarten Entgelts trete, und die Verträge unwirksam seien, wenn es an einem genehmigten Entgelt
fehle, obwohl dieses nach § 19 PostG genehmigungsbedürftig sei. Danach stehe den Vertragsparteien keinerlei Gestaltungsspielraum
zu. Allerdings habe das Bundesverwaltungsgericht bisher nicht entschieden, ob der einzelne Kunde bei unmittelbarer Wirkung
der Genehmigung stets die Klagebefugnis habe, um gegen für ihn relevante genehmigte Tarife zu klagen. Eine Klagebefugnis sei
aber jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Kunde - wie hier der Beschwerdeführer - geltend mache, dass es an einer der Verfassung
entsprechenden gesetzlichen Einschränkung der Privatautonomie fehle. Hinzu komme, dass eine Überprüfung der Entgelte durch
die Zivilgerichte ausgeschlossen sei.
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Die Klage sei jedoch nicht begründet. Der angefochtene Beschluss verletze den Beschwerdeführer nicht in seinen Rechten. Ob
er im Übrigen rechtmäßig sei, könne deshalb dahinstehen. Ein subjektives Recht des Beschwerdeführers ergebe sich nicht aus
den Vorschriften des PostG. Auch Art. 2 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Zwar könne ein Verwaltungsakt, der ein Privatrechtsverhältnis
unmittelbar gestalte, das von Art. 2 Abs. 1 GG umfasste Recht der Vertragsfreiheit verletzen. Dem Schutzbereich der Norm unterfalle
prinzipiell auch die Freiheit, den Inhalt von Vergütungsvereinbarungen bei der Inanspruchnahme von Leistungen mit der Gegenseite
auszuhandeln. Allerdings gewährleiste Art. 2 Abs. 1 GG die allgemeine Handlungsfreiheit nur in den Schranken der verfassungsmäßigen
Rechtsordnung. Zur verfassungsmäßigen Rechtsordnung in diesem Sinne gehörten alle formell und materiell im Einklang mit der
Verfassung stehenden Rechtsnormen. Für eine Berufung auf die grundgesetzlich gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit sei
daher kein Raum, soweit diese Freiheit durch ein ordnungsgemäß zustande gekommenes und inhaltlich verfassungsgemäßes Gesetz
eingeschränkt sei. Dies sei durch die Vorschriften über die Entgeltregulierung von marktbeherrschenden Unternehmen, insbesondere
die §§ 19 bis 23 PostG geschehen.
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4. Der Beschwerdeführer beantragte die Zulassung der Berufung gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts und machte dabei neben
dem Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auch
den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend. Es fehle eine höchstrichterliche
Klarstellung dahingehend, dass Postkunden ein subjektives Klagerecht auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Postentgeltgenehmigungen
gemäß §§ 19 ff. PostG zustehe, so dass eine Überprüfung aufgrund der Entgeltbestimmungen des Postgesetzes und der dazu ergangenen
Verordnung erfolge.
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5. In dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 19. März 2009 verband das Oberverwaltungsgericht für das
Land Nordrhein-Westfalen die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung und lehnte die Anträge auf Zulassung der Berufung ab.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Urteile des Verwaltungsgerichts ergäben sich nicht daraus, dass dieses zwar die
Klagebefugnis des Beschwerdeführers aus der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) in Verbindung mit einer fehlenden
Überprüfbarkeit behördlich genehmigter Entgelte durch die Zivilgerichte angenommen, eine tatsächliche Verletzung des Art.
2 Abs. 1 GG aber nicht bejaht habe.
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Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sei ebenfalls nicht gegeben. Angesichts des dargelegten
Ausgangspunkts der fehlenden Verletzung des Beschwerdeführers in eigenen subjektiven Rechten werde eine über den Einzelfall
hinausgehende, verallgemeinerungsfähige und der Rechtsfortbildung und/oder -vereinheitlichung dienende Frage tatsächlicher
oder rechtlicher Art nicht aufgezeigt. Bei diesem Ansatz sei das Vorbringen des Beschwerdeführers, es sei höchstrichterlich
zu klären, dass Postkunden ein Klagerecht auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Entgeltgenehmigungen gemäß §§ 19 ff. PostG
zustehe, nicht relevant. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts beruhten auf einer individuellen Wertung der Entgeltgenehmigungen
in Bezug auf den Beschwerdeführer.
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6. Mit dem mit der Verfassungsbeschwerde weiterhin angegriffenen Beschluss vom 23. Juni 2009 wies das Oberverwaltungsgericht
die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers gegen den Beschluss vom 19. März 2009 zurück.
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III.
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1. Mit seiner am 22. Juli 2009 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Justizgewährungsanspruchs
aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Daneben macht er eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und des
Art. 103 Abs. 1 GG geltend.
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Das Oberverwaltungsgericht habe § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise falsch angewendet und
dadurch das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt. Für die Entscheidung sei eine klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfrage
entscheidungserheblich gewesen, die sich in einer Vielzahl weiterer Fälle stellen könne und deshalb das Interesse der Allgemeinheit
an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berühre.
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Das Oberverwaltungsgericht setze sich mit seinem Beschluss diametral in Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofs
vom 14. Juni 2007 (I ZR 125/04, NVwZ-RR 2008, S. 154). Nach dessen Auffassung führe die Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts
über die Entgeltfestsetzung dazu, dass eine zivilrechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entgeltfestsetzung nicht möglich
sei. Es sei, so der Bundesgerichtshof, mit Art. 19 Abs. 4 GG allerdings nicht zu vereinbaren, wenn dem Kunden bei staatlich
regulierten Entgelten sowohl eine verwaltungsrechtliche als auch eine zivilrechtliche Überprüfung ihrer materiellen Rechtmäßigkeit
versagt wäre.
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Im Ergebnis verweigere das Oberverwaltungsgericht die vom Bundesgerichtshof aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes hergeleitete
materielle Prüfung der Rechtmäßigkeit der Entgeltgenehmigung. Vom Bundesverwaltungsgericht sei die Frage bislang ersichtlich
nicht entschieden worden.
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2. Die Beigeladene des Ausgangsverfahrens meint, die Verfassungsbeschwerde müsse schon deshalb ohne Erfolg bleiben, weil der
Beschwerdeführer den Antrag auf Zulassung der Berufung nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend
begründet habe. In der Begründung des Berufungszulassungsantrags fänden sich weder Ausführungen dazu, ob und inwieweit sich
die Frage unmittelbar aus dem Gesetz beantworten lasse, noch werde die Frage der Klärungsbedürftigkeit erschöpfend begründet.
Das Oberverwaltungsgericht habe den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO im Übrigen in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgelegt.
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3. a) Dem Land Nordrhein-Westfalen und der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen
wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
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b) Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Stellungnahme des unter anderem für das Postrecht zuständigen 6.
Revisionssenats übermittelt, in der dieser Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Nichtzulassungsentscheidung
äußert. Die vom Oberverwaltungsgericht gebilligte Rechtsauffassung der Vorinstanz führe dazu, dass die privatrechtsgestaltende
Wirkung einer Entgeltgenehmigung für den Drittanfechtungskläger dann keine Rechtskreiserweiterung gegenüber eventuell ohnehin
bestehenden subjektiven Rechten aus einfachem Recht bewirke, wenn das Regulierungsregime für den Bereich des Postwesens und
der Telekommunikation eingreife. Dieser Rechtsstandpunkt sehe sich allerdings dem Einwand ausgesetzt, dass es (jedenfalls)
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbaren wäre, wenn dem Kunden bei staatlich
regulierten Entgelten nicht nur eine zivilrechtliche Kontrolle, sondern auch eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung ihrer
materiellen Rechtmäßigkeit versagt bliebe; dies lasse an der Richtigkeit der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts immerhin
zweifeln (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Davon abgesehen dürfte die in Rede stehende Begrenzung der subjektiven Rechte des Vertragspartners
des regulierten Unternehmens im Anwendungsbereich sowohl des § 23 Abs. 2 PostG als auch des § 37 Abs. 2 TKG weit über den
entschiedenen Fall hinaus Bedeutung erlangen, was eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nahegelegt hätte.
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IV.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme ist zur Durchsetzung des Grundrechts
des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG angezeigt (vgl. § 93c Abs. 1 Satz 1, §
93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat, wie sich aus der nachfolgenden Begründung ergibt, die für
die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Berufungszulassung
im Verwaltungsprozess bereits hinlänglich geklärt. Die Verfassungsbeschwerde ist im Hinblick auf die Verletzung des Art. 19
Abs. 4 Satz 1 GG durch den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 19. März 2009 zulässig und offensichtlich begründet (vgl.
§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Mit der Aufhebung dieses Beschlusses wird der Beschluss vom 23. Juni 2009 gegenstandslos.
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1. Unzulässig ist allerdings die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, da sie nicht näher begründet worden
ist.
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2. Zulässig ist hingegen die jedenfalls der Sache nach geltend gemachte Rüge einer Verletzung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.
Insbesondere hat der Beschwerdeführer in Bezug auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124
Abs. 2 Nr. 3 VwGO), dessen willkürliche Anwendung er ausschließlich rügt, den Rechtsweg ordnungsgemäß erschöpft.
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Das Oberverwaltungsgericht beanstandet nicht, dass der Beschwerdeführer den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht
entsprechend § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt hätte. Dafür ist auch nichts erkennbar.
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Zwar beschränkt sich der Beschwerdeführer insoweit in der Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung auf die Forderung
nach einer "höchstrichterlichen Klarstellung dahingehend, dass Postkunden ein subjektives Klagerecht auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit
von Postentgeltgenehmigungen gemäß §§ 19 ff. PostG zusteht und dass eine Überprüfung aufgrund der Entgeltbestimmungen des
Postgesetzes und der dazu ergangenen Verordnung erfolgt". Doch dürfen diese Ausführungen nicht isoliert betrachtet werden.
Das verfassungsrechtliche Gebot, den Rechtsweg nicht in unzumutbarer Weise zu erschweren (ausführlich unten 3 b), zwingt die
Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe bei der Prüfung der Zulassungsgründe dazu, den Vortrag des jeweiligen
Antragstellers angemessen zu würdigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR
814/09 -, NJW 2009, S. 3642 3643>). Infolgedessen müssen auch die eingehenderen Ausführungen des Beschwerdeführers zum Zulassungsgrund
der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils in die Betrachtung mit einbezogen werden.
Bereits in diesen hatte der Beschwerdeführer - jedenfalls der Sache nach - darauf hingewiesen, dass das Bundesverwaltungsgericht
sich noch nicht mit der Frage, ob dem Postkunden ein Anspruch auf eine (verwaltungsgerichtliche) Prüfung der Rechtmäßigkeit
einer Entgeltgenehmigung nach § 22 Abs. 2, Abs. 3 PostG zusteht, beschäftigt hat. Schon hiermit hatte der Beschwerdeführer
eine konkrete, seiner Auffassung nach noch nicht geklärte Rechtsfrage aufgeworfen, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts
offensichtlich von Bedeutung war. Bei seinen Ausführungen zum Vorliegen des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
griff er dies offensichtlich lediglich noch einmal auf und verwies zudem in diesem Zusammenhang auf die Auffassung des Bundesgerichtshofs,
dass die Genehmigung der - hier in Rede stehenden - Postentgelte auch von Kunden angefochten werden können (vgl. BGH, Urteil
vom 14. Juni 2007 - I ZR 125/04 -, NVwZ-RR 2008, S. 154 156 [Rn. 27 ff.]>).
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Dass die Frage über den entschiedenen Fall hinaus Bedeutung hat, liegt auf der Hand. Sogar der Prozessbevollmächtigte der
Beigeladenen im Ausgangsverfahren hält es für wünschenswert, "dass die damit zusammenhängenden Rechtsfragen auch Gegenstand
höchstrichterlicher Rechtsprechung werden, um sie so einer endgültigen Klärung zuzuführen" (vgl. Gerstner/Lünenbürger, DVBl
2009, S. 1458 1465>). Angesichts dessen bedurfte es im vorliegenden Fall keines ausdrücklichen Hinweises auf die über den
Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Rechtssache.
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3. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 19. März 2009 verletzt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Das Oberverwaltungsgericht
hätte zur Klärung der Frage, ob ein Postkunde einen Anspruch auf eine (verwaltungsgerichtliche) Prüfung der Rechtmäßigkeit
einer Entgeltgenehmigung nach § 22 Abs. 2, Abs. 3 PostG hat, die Berufung zulassen müssen, da er das Vorliegen des Zulassungsgrundes
des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ohne Verfassungsverstoß nicht verneinen konnte.
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a) Die vom Beschwerdeführer insofern in erster Linie auf den allgemeinen Justizgewährungsanspruch gestützte Rüge bezieht sich
der Sache nach auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, der für den Bereich des Rechtsschutzes gegen Akte der öffentlichen Gewalt - wie
die im Ausgangsverfahren angefochtenen Entgeltgenehmigungen - speziellen Regelung (vgl. BVerfGE 107, 395 403>).
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b) Wenn prozessrechtliche Vorschriften Rechtsbehelfe vorsehen, verbietet die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes
durch Art. 19 Abs. 4 GG den Gerichten eine Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften, die die Beschreitung des Rechtswegs
in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren (vgl. BVerfGE 77, 275 284>; 78, 88
99>; 84, 366 369 f.>; 104, 220 232>). Das Gleiche gilt, wenn das Prozessrecht - wie hier die §§ 124, 124a VwGO - den Verfahrensbeteiligten
die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten. Deshalb dürfen insbesondere die Anforderungen an die
Darlegung der Zulassungsgründe nicht derart erschwert werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade
einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können (vgl. BVerfGK
5, 369 373>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, S. 1163 1164>)
und dadurch die Möglichkeit, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, für den Rechtsmittelführer leer läuft (vgl.
BVerfGK 5, 369 374>; 10, 208 213>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. Januar 2009 - 1 BvR 2524/06
-, NVwZ 2009, S. 515 516>). Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegungen der Zulassungsgründe gemäß
§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, sondern in entsprechender Weise ebenso für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe des
§ 124 Abs. 2 VwGO selbst (vgl. BVerfGK 10, 208 213>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. Januar 2009,
a.a.O.). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine den Zugang zur Berufung und damit in einem nächsten
Schritt auch zur Revision erschwerende Auslegung und Anwendung des § 124 Abs. 2 VwGO danach dann, wenn sie sachlich nicht
zu rechtfertigen, sich damit als objektiv willkürlich erweist und dadurch den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert
(vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, S. 3642).
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c) Das Oberverwaltungsgericht hat den Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2
Nr. 3 VwGO) in sachlich nicht vertretbarer Weise angewandt und dadurch das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt. Es hätte
der Rechtssache bei der gebotenen Berücksichtigung dieses Grundrechts grundsätzliche Bedeutung beimessen müssen.
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Eine Rechtssache hat dann grundsätzliche Bedeutung, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende
Rechtsfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder Fortbildung des Rechts geboten erscheint; der Begriff der
grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO entspricht danach weitgehend dem der grundsätzlichen Bedeutung
in § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (vgl. BVerfGK 10, 208 214>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September
2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, S. 3642 3643>).
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Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, ob ein Postkunde einen Anspruch auf eine (verwaltungsgerichtliche) Prüfung der
Rechtmäßigkeit einer Entgeltgenehmigung nach § 22 Abs. 2, Abs. 3 PostG hat, erfüllt diese Voraussetzungen. Das Bundesverwaltungsgericht
hat sich mit ihr noch nicht beschäftigt. Der Bundesgerichtshof hat sie - anders als das Verwaltungsgericht, jedoch ohne Bindung
für dieses - bejaht. Der Hinweis des Oberverwaltungsgerichts in seinem Beschluss über die Anhörungsrüge vom 23. Juni 2009,
das Urteil des Bundesgerichtshofs enthalte keine Ausführungen zu den Zulässigkeits- und Begründetheitserfordernissen verwaltungsgerichtlicher
Klagen, verkennt, dass sich angesichts des Standpunkts des Bundesgerichtshofs, der im Übrigen ersichtlich davon ausgeht, dass
der Postkunde nicht nur klagebefugt ist, sondern auch und vor allem einen Anspruch auf eine (verwaltungsgerichtliche) Überprüfung
der materiellen Rechtmäßigkeit hat (vgl. Urteil vom 14. Juni 2007 - I ZR 125/04 -, NVwZ-RR 2008, S. 154 156>), die Klärungsfähigkeit
dieser Rechtsfrage auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit verengt hat.
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34
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In der zur Zeit der angegriffenen Entscheidungen vorhandenen Literatur wurde die Frage auch unterschiedlich beantwortet (vgl.
Lübbig, in: Beck'scher PostG-Kommentar, 2. Auflage 2004, § 22 Rn. 65 ff. einerseits, Gramlich, CR 2000, S. 816 823> andererseits;
siehe neuerdings auch Gerstner/Lünenbürger, DVBl 2009, S. 1458 ff.; Ruffert, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010,
§ 11 Rn. 74 mit Fn. 144; vgl. ferner Mayen, MMR 2000, S. 117 ff. zur telekommunikationsrechtlichen Entgeltregulierung).
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Die Zuerkennung der Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO durch die Verwaltungsgerichte ist für den Postkunden ohne
Wert, wenn im Rahmen der Begründetheit der Klage ausschließlich darauf abgestellt wird, dass selbst bei Rechtswidrigkeit des
angegriffenen Verwaltungsakts eine Verletzung in eigenen Rechten ausscheidet. Mit seinem Standpunkt stellt das Oberverwaltungsgericht
den Beschwerdeführer, was die obergerichtliche und in einem sich dann möglicherweise anschließenden Revisionsverfahren höchstrichterliche
Klärung der aufgeworfenen Frage betrifft, praktisch rechtsschutzlos, da der Bundesgerichtshof insofern die Verwaltungsgerichte
am Zuge sieht, bei diesen aber die Berufungszulassung verweigert wird.
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Die Begründung des Oberverwaltungsgerichts dafür, dass der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht vorliegen soll,
ist nicht vertretbar. Der Beschwerdeführer wollte offensichtlich geklärt wissen, ob ein Kunde der Beigeladenen einen Anspruch
auf eine inhaltliche Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Entgeltgenehmigung hat. Das Oberverwaltungsgericht geht hingegen von
der von ihm im Rahmen des Zulassungsgrunds des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO angenommenen "fehlenden Verletzung des Klägers in eigenen
subjektiven Rechten" sowie der "individuellen Wertung der Entgeltgenehmigungen in Bezug auf den Kläger" aus. Dass sich der
Beschwerdeführer von anderen Kunden der Beigeladenen unterscheiden soll, behauptet das Oberverwaltungsgericht indes nicht
und ist auch nicht ersichtlich. Auch die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts (sowie des Verwaltungsgerichts) zur (angeblich)
fehlenden Verletzung des Beschwerdeführers in seinen Rechten gehen nicht vom Einzelfall aus, sondern beanspruchen ersichtlich
Geltung für alle Postkunden und hätten deshalb einer grundsätzlichen Klärung bedurft.
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4. Da die Aufhebung des angegriffenen Beschlusses bereits auf der Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG wegen der Nichtzulassung
der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruht, bedarf es keiner Entscheidung, ob das Oberverwaltungsgericht mit der - vom
Beschwerdeführer ohnehin nicht ausdrücklich gerügten - Verneinung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen
Urteile (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ebenfalls die Garantie effektiven Rechtsschutzes verletzt hat.
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5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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Die Festsetzung des Gegenstandswerts erfolgt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365
366 ff.>). Der Wert von - hier wegen der drei Ausgangsverfahren dreimal - 8.000 € entspricht demjenigen, der in der Regel
festgesetzt wird, wenn einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben wird. Er erscheint auch hier angemessen. Weder die objektive
Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weisen hier Besonderheiten auf, die eine Abweichung
veranlassen würden. Eine Festsetzung, die am Streitwert des Ausgangsverfahrens orientiert ist, ist nicht angezeigt, denn mit
der stattgebenden Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ist keine Vorwegnahme der nach Zulassung der Berufung durch
das Oberverwaltungsgericht zu treffenden Entscheidung verbunden.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.