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    BVerfG 13.03.2025 - 2 BvE 3/25 - Einberufung des 20. Deutschen Bundestags nach erfolgter Wahl zum 21. Deutschen Bundestag begründet keine Verletzung von Rechten der Mitglieder des neuen Bundestags - Verwerfung (A-limine-Abweisung) einer Organklage als offensichtlich unbegründet

    Normen

    Artikel 39, Artikel 39, Artikel 39, Artikel 39, § 24 BVerfGG

    Tenor

    1. Der Antrag wird verworfen.

    2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird damit gegenstandslos.

    Gründe

    A.

    1

    Die Antragstellenden zu 1. und 2. sind nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis in den 21. Deutschen Bundestag gewählt. Die Antragstellende zu 3. hat sich als Vor-Fraktion für den 21. Deutschen Bundestag konstituiert. Sie wenden sich mit ihrer Organklage und ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Einberufung des 20. Deutschen Bundestages zu einer Sondersitzung am 18. März 2025, in der mögliche Grundgesetzänderungen beraten und beschlossen werden sollen.

    I.

    2

    Die Wahl zum 21. Deutschen Bundestag fand am 23. Februar 2025 statt. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis entfallen auf die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) 164 Sitze, auf die Alternative für Deutschland (AfD) 152 Sitze, auf die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) 120 Sitze, auf das Bündnis 90/Die Grünen 85 Sitze, auf die Partei Die Linke 64 Sitze, auf die Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU) 44 Sitze und auf den Südschleswigschen Wählerverband (SSW) 1 Sitz. Die Bekanntgabe des endgültigen amtlichen Endergebnisses soll am 14. März 2025 erfolgen. Die gewählten Abgeordneten haben in der auf die Wahl folgenden Woche fünf Vor-Fraktionen des künftigen Bundestages gebildet.

    3

    Am 4. März 2025 wurde bekannt, dass die Parteien CDU, CSU und SPD sich im Rahmen von Sondierungsgesprächen zur Bildung einer Regierungskoalition darauf geeinigt hätten, noch den 20. Deutschen Bundestag über eine Änderung der Finanzverfassung abstimmen zu lassen. Die geplanten Änderungen des Grundgesetzes sollen erstens eine begrenzte Bereichsausnahme für Verteidigungsausgaben vom grundsätzlichen Verbot der Neuverschuldung (Art. 109 Abs. 3 GG und Art. 115 Abs. 2 GG) vorsehen.Zweitens soll eine Strukturkomponente für die Länder in einem geänderten Art. 109 Abs. 3 GG und drittens eine Ermächtigung zur Errichtung eines Sondervermögens Infrastruktur in einem neu zu schaffenden Art. 143h GG eingeführt werden.

    4

    Am 6. März 2025 wurde Abgeordneten eine Formulierungshilfe für diese Grundgesetzänderungen mit Begründung im Gesamtumfang von 14 Seiten zugänglich gemacht. An demselben Tag beriet der Ältestenrat des 20. Deutschen Bundestages über das Verfahren und den Zeitplan für die beabsichtigten Änderungen des Grundgesetzes. Die Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion, welche zusammen 403 Mitglieder des 20. Deutschen Bundestages umfassen, beantragten die Einberufung von zwei Sondersitzungen am 13. und 18. März 2025. Die Bundestagspräsidentin teilte den Mitgliedern des 20. Deutschen Bundestages diese Einberufung unter Verweis auf das Verlangen der Fraktionen der SPD und der CDU/CSU mit Amtlicher Mitteilung von demselben Tag mit. Des Weiteren fand an diesem Tag unter Leitung der Bundestagspräsidentin die Sitzung des Vor-Ältestenrates des 21. Deutschen Bundestages zur Abstimmung der konstituierenden Sitzung statt, für die der Ältestenrat des 20. Deutschen Bundestages noch vor der Wahl als Termin den 25. März 2025 vorgesehen hatte. Nach intensiver und kontroverser Diskussion über die Frage des Vorziehens der Konstituierung wegen der geplanten Verfassungsänderungen durch den 20. Deutschen Bundestag hielt die Bundestagspräsidentin fest, dass im Vor-Ältestenrat kein Einvernehmen zwischen den Fraktionen bestehe und dass sie zur Sitzung am 25. März 2025 um 11 Uhr einladen werde. Hierzu sei sie - am Mehrheitsvotum von CDU/CSU und SPD orientiert - nach Art. 39 GG und § 1 Geschäftsordnung des Bundestages (GO-BT) verpflichtet.

    5

    Mit Schreiben vom 7. März 2025 forderte die AfD-Fraktion des 20. Deutschen Bundestages die Bundestagspräsidentin unter Fristsetzung bis zum 10. März 2025 auf, die angesetzten Sondersitzungen abzusetzen. Mit Schreiben vom 8. März 2025 wandte sich die Abgeordnete des 20. Deutschen Bundestages Cotar ebenfalls an die Bundestagspräsidentin und bat diese, die Amtliche Mitteilung spätestens bis zum 10. März 2025 zurückzunehmen und den 20. Deutschen Bundestag erst nach Vorlage eines Antrages nach Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG und des Gesetzentwurfs zur Änderung des Grundgesetzes mit angemessenen Fristen zu laden.

    6

    Seit dem Nachmittag des 10. März 2025 liegt der mit der Formulierungshilfe weitgehend gleichlautende Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und CDU/CSU zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 109, 115 und 143h GG) als Bundestagsdrucksache vor (BTDrucks 20/15096). Außerdem legten die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP eigene Gesetzentwürfe zur Änderung der entsprechenden Verfassungsnormen vor (BTDrucks 20/15098 bzw. BTDrucks 20/15099). Da für eine Änderung des Grundgesetzes nach den Mehrheitsverhältnissen des 20. Deutschen Bundestages die Stimmen der SPD- und CDU/CSU-Fraktionen nicht ausreichen, befinden sich Vertreter dieser Parteien und diejenigen von Bündnis 90/Die Grünen seit dem Abend des 10. März 2025 in Gesprächen über ein einvernehmliches Änderungsvorhaben.

    II.

    7

    Die Antragstellenden tragen zur Zulässigkeit ihres Antrages vor, es stehe der Annahme ihrer Parteifähigkeit nicht entgegen, dass die Antragstellenden zu 1. und 2. als zukünftige Abgeordnete und die Antragstellende zu 3. als Vor-Fraktion ihren Status erst mit der Neukonstituierung des 21. Deutschen Bundestages erhielten.

    8

    Der Antrag sei begründet, weil die Einberufung des 20. Deutschen Bundestages am 18. März 2025 sie in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 79 Abs. 1 bis 3 GG sowie Art. 39 Abs. 1 GG verletze. Sie schließe die Konstituierung des 21. Deutschen Bundestages zum gleichen Zeitpunkt aus. Dieser sei jedoch ab der Bekanntgabe des endgültigen amtlichen Wahlergebnisses am 14. März 2025 und angesichts der bereits erfolgten Bildung der Fraktionen konstituierungsfähig. Infolgedessen werde die Einberufung des 20. Deutschen Bundestages am 18. März 2025 pflichtwidrig. Art. 39 Abs. 2 GG sehe zwar innerhalb von 30 Tagen keinen festen Übergangszeitraum zwischen Wahl und Konstituierung vor. Die Verfassungsbestimmung sei jedoch so zu verstehen, dass sich der neu gewählte Bundestag "so schnell wie möglich" konstituieren müsse.

    9

    Darüber hinaus werde die Antragstellende zu 3. unter Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ihrer Partizipationsmöglichkeiten beraubt, da sie im 20. Deutschen Bundestag keinen Fraktionsstatus habe. Auch seien Rechte des 21. Deutschen Bundestages selbst aus Art. 20 Abs. 2 Satz 1, Art. 38 Abs. 1, Art. 79 Abs. 1 sowie Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG auf Konstituierung, die die Antragstellende zu 3. in Prozessstandschaft geltend mache, verletzt.

    III.

    10

    Die Antragsgegner und die Bundesregierung haben Stellung genommen. Der Bundespräsident und der Bundesrat hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

    B.

    11

    Ob der Organklageantrag zulässig ist, kann offen bleiben. Er ist jedenfalls offensichtlich unbegründet. Durch die Einberufung des 20. Deutschen Bundestages zur Sitzung am 18. März 2025 werden die geltend gemachten Rechte der Antragstellenden und des 21. Deutschen Bundestages nicht verletzt.

    12

    Der neue Bundestag ist durch die Einberufung des alten Bundestages nicht an seiner Konstituierung gehindert. Umgekehrt beendet der Zusammentritt des neuen Bundestages gemäß Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG die Wahlperiode des alten Bundestages. Das Grundgesetz macht hierfür - abgesehen von der 30-Tage-Frist des Art. 39 Abs. 2 GG - keine Vorgaben. Allein der neue Bundestag entscheidet über seinen Zusammentritt (vgl. Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 1 GO-BT, I f) <Sep. 2010>) und damit das Erlöschen der Rechte und Pflichten des alten Bundestages.

    13

    Zwar entspricht es der parlamentarischen Übung und § 1 Abs. 1 GO-BT, dass die Präsidentin des alten Bundestages den neuen Bundestag einberuft. Insoweit stützt sie sich aber nicht auf das ihr vom alten Bundestag verliehene Amt. Ihr Handeln wird vielmehr als treuhänderische Ausübung des Selbstversammlungsrechts des neugewählten Bundestages angesehen (vgl. etwa Hölscheidt, in: Bonner Kommentar, Art. 39 Rn. 126 f. <Juli 2019>; Klein/Schwarz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 46 <August 2024>: "ohne Auftrag als dessen Geschäftsführer handelnd"). Diesem steht es frei, auch auf anderem Wege zusammenzutreten (vgl. Hölscheidt, in: Bonner Kommentar, Art. 39 Rn. 127 <Juli 2019>; Payandeh, in: Schliesky/Morlok/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, 2016, § 7 Rn. 9).

    14

    Nach Art. 39 Abs. 3 Satz 2 GG kann die Bundestagspräsidentin jedoch den alten Bundestag jederzeit einberufen. Dies gilt auch für eine Einberufung nach dem Wahltermin und innerhalb der 30-Tage-Frist des Art. 39 Abs. 2 GG (vgl. Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 39 Rn. 47; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 39 Rn. 18). Beantragt ein Drittel der Mitglieder des Bundestages die Einberufung, ist die Präsidentin nach Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG hierzu verpflichtet. Eine politische Bewertung des Einberufungsverlangens steht ihr dabei nicht zu (vgl. Brocker, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 39 Rn. 27 <Dez. 2024>). Ein Ermessen kommt lediglich hinsichtlich des konkreten Zeitpunkts der anzuberaumenden Sitzung in Betracht (vgl. Brocker, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 39 Rn. 27 m.w.N. <Dez. 2024>).

    15

    Inwieweit die Bundestagspräsidentin bei Einberufung des alten Bundestages verfassungsrechtlichen Pflichten gegenüber dem neuen Bundestag unterliegt (vgl. Michael, in: Schliesky/Morlok/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 17; ferner Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 1 GO-BT, I e) <Dez. 2014>), bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Selbst unter der Annahme, dass eine Pflicht bestehe, der Konstituierung des neuen Bundestages den Vorzug zu geben, hätte die Antragsgegnerin zu 1. diese nicht verletzt. Zwar steht ihr kein Wahlrecht zu, ob sie den alten oder den neuen Bundestag einberuft (vgl. Michael, in: Schliesky/Morlok/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 17; a.A. Dicke, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. 2, 2002, Art. 39 Rn. 44). Eine Pflicht zur Einberufung des neuen Bundestages vor Ablauf des 30. Tages nach der Wahl (Art. 39 Abs. 2 GG) setzte jedoch voraus, dass der neue Bundestag den Willen zum Zusammentritt gebildet und sich dafür auf einen Termin verständigt hat. Daran fehlt es hier.

    C.

    16

    Mit der Ablehnung des Antrags im Organstreitverfahren wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.


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