Sektoren verbinden

Im Fokus: „Die elektronische Patientenakte wird die Behandlungsqualität optimieren“

Nie mehr Röntgenbilder zu Hause vergessen, alle Medikamente digital im Blick: Mit der elektronischen Patientenakte "AOK Mein Leben" beginnt 2021 eine neue Ära im Gesundheitswesen. Die AOK Nordost hat die Vernetzung zwischen den Sektoren erfolgreich getestet und damit entscheidend dazu beigetragen, diesen digitalen Durchbruch zu ermöglichen.

Herr Rydzewski, ab Januar 2021 können alle AOK-Kunden die elektronische Patientenakte "AOK Mein Leben" nutzen. Müssen Patienten ihre Entlassbriefe oder CDs mit Röntgenaufnahmen damit nie mehr von einem Arzt zum anderen schleppen?

Marek Rydzewski, Leiter Versorgungsmanagement AOK NordostJede Veränderung, auch im Gesundheitswesen, wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Aber die Grundlage ist gelegt. Und wenn alle Partner an einem Strang ziehen, dann wird es nicht nur unnötig, Unterlagen oder Dokumente von einem Arzt zum anderen zu schleppen. Sondern der Arzt wird sich auch besser auf das Gespräch mit ihnen vorbereiten und besser auf ihre Fragen eingehen können. Weil er ihre Unterlagen dank der elektronischen Patientenakte, kurz ePA, schon vorher einsehen konnte.

Nico Schwartze, Leiter Digitale Innovation und Change AOK Nordost: Konkret kann der Versicherte alle Befunde oder verordnete Medikamente von Ärzten und Krankenhäusern in seine persönliche ePA einstellen lassen. Die Leistungserbringer werden gesetzlich dazu verpflichtet, das zu unterstützen. Der Patient kann diese Daten dann mitnehmen und weitere Ärzte und Krankenhäuser darauf zugreifen lassen. Die Patienten können dabei selbst bestimmen, ob die Daten freigegeben werden sollen oder nicht – und sie können ihre Behandlungsdaten auch selbst einsehen und ergänzen. Wir als AOK stellen allen Versicherten ab Anfang nächsten Jahres dafür die nutzerfreundliche App "AOK Mein Leben" zur Verfügung. Wir selbst haben dabei übrigens keinen Zugriff auf diese Daten. Wer kein Smartphone oder iPad hat, kann die Behandlungsdaten beim Arzt über seine Versichertenkarte und einen PIN-Code freischalten.

Nur jeder dritte Patient, der ins Krankenhaus kommt, kann seine Medikation korrekt benennen. Die Folge können schwerwiegende Wechselwirkungen mit neu verordneten Medikamenten sein. Hilft die elektronische Patientenakte in solchen Fällen?

Rydzewski: Mit Sicherheit wird sich die Situation bei der Arzneimittelgabe dank "AOK Mein Leben" weiter verbessern, weil darin ein Medikamentendossier integriert ist. Das Thema Arzneimittelsicherheit wird extrem profitieren von der Digitalisierung, das sehen wir jetzt schon mit unserer Initiativen wie „electronic Life Saver“ (eLiSa). Dieses Programm ermöglicht es Ärzten, alle verschriebenen Medikamente von Patienten einzusehen, um so Wechselwirkungen vermeiden zu können. Dadurch können jährlich hunderte von Todesfällen verhindert werden. Unsere Erfahrungen aus dem Digitalen Gesundheitsnetzwerk (DiGeN) zeigen, dass das Vertrauen unserer Versicherten sowohl in die AOK Nordost als auch in die Ärzte groß genug ist, um mit Einwilligung einen solchen Austausch zuzulassen.

Sie sprechen das Digitale Gesundheitsnetzwerk an, ein Pilotprojekt, das die AOK Nordost bereits 2017 gestartet hat. Als erste Krankenkasse haben wir dabei gezeigt, dass die digitale Vernetzung von ambulanten Ärzten und Krankenhäusern funktioniert. Frank Michalak, bis Ende 2019 langjähriger Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost, hat dieses Thema bereits früh vorangetrieben.

Schwartze: JaFrank Michalak war es immer ein wichtiges Anliegen, die Versorgung qualitativ zu unterstützen und auch entsprechend zu modernisieren. Es ist eine Stärke der AOK, das wir regional vor Ort mit unseren Partnern gemeinsame Versorgungsstrukturen gestalten. Frank Michalak hat früher als alle anderen erkannt, dass es sehr sinnvoll ist, das, was wir gut können, auf ein neues technisches Niveau zu heben - indem wir niedergelassene Ärzte und Krankenhaus-Ärzte digital miteinander vernetzen.

In Mecklenburg-Vorpommern haben wir konkret zwei AMEOS-Kliniken und rund 45 niedergelassene Ärzte, die im HaffNet zusammengeschlossen sind, den digitalen Austausch von relevanten Behandlungsdaten ermöglicht. Wenn ein Hausarzt seinem Patienten eine stationäre OP ans Herz legte, konnte er dem Krankenhaus die Vorerkrankungen und aktuelle Medikation des Patienten bereits vorab digital zur Verfügung stellen. Die Klinikärzte konnten die OP dadurch besser vorbereiten. Die Patienten selbst hatten dabei stets die Kontrolle, welche Daten sie freigeben wollten.

...der Deutschen können sich vorstellen, die elektronische Patientenakte zu nutzen.

(Quelle: Digital health, Bitkom research, Juli 2020)

...der Deutschen finden, dass wir mehr Tempo beim Ausbau digitaler Angebote in der Medizin brauchen.

(Quelle: Digital health, Bitkom research, Juli 2020)

...installierten sich im Juli 2020 die "Meine AOK"-App - mit der Versicherte rund um die Uhr Krankmeldungen, Mitgliedsbescheinigungen und andere Dokumente hochladen und sicher an uns schicken können.

Versprechen Sie sich von dieser Vernetzung auch eine Verbesserung der Behandlungsqualität?

Schwartze: Alleine die Tatsache, dass behandlungsrelevante Daten immer dort bereit stehen, wo diese gerade in der Versorgung benötigt werden, ist ein Vorteil für die Patienten. Die elektronische Gesundheitsakte wird die Behandlungsqualität damit optimieren. Das hat sich auch bei unserem Pilotprojekt in Berlin gezeigt. Dort waren unsere Partner vier Geburtsklinken der Vivantes- und Sana-Gruppe. Zusammen haben wir den Frauen, die dort ihr Kind bekommen wollten, ermöglicht, dem Krankenhaus vor der Geburt ihren Mutterpass digital zur Verfügung zu stellen. So waren alle für die Geburt wichtigen Daten schneller zur Hand. Die Klinikärzte konnten zudem alle während und nach der Geburt erfassten Befunde und Untersuchungsdaten ins Gesundheitsnetz hochladen.

Damit haben wir einerseits den Ärzten und Krankenhäusern Unterstützung auf dem Weg in die digitale Zukunft gegeben. Und anderseits gezeigt: Es funktioniert, wenn man im Kreis der Partner einig ist. Ich bin mir sicher, unser Positivbeispiel hat die Entwicklungen wesentlich mit beschleunigt. Sowohl bei anderen Krankenkassen als auch bei der Bundespolitik, die erkannt hat: Wir müssen hier aktiver werden. Das hat letztlich auch einen Anstoß zur Entwicklung der elektronischen Patientenakte gegeben.

Viele Versicherte fragen sich, ob Ihre Gesundheitsdaten in der ePA wirklich sicher sind. Wie stellen wir sicher, dass die Daten unangetastet bleiben?

Schwartze: Wir entwickeln "AOK Mein Leben" nach gesetzlichen Vorgaben, die von Sicherheits-Experten wie der gematik und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik stammen. Da es sich um Gesundheitsdaten handelt, gelten hier die höchsten Sicherheitsmaßstäbe, die auch für kritische Infrastruktur gelten. Und in einem Zulassungsverfahren müssen wir auch belegen, dass wir alle Kriterien erfüllen.

Rydzewski: Unsere Versicherten können sicher sein, dass die AOK Nordost vor der Einführung eines derartigen Produktes umfangreiche Tests mit internen und externen Spezialisten durchführt, sodass wir nach heutigem Stand bestens vorbereitet sind. Und auch, wenn sie "AOK Mein Leben" freischalten wollen, gelten hohe Sicherheitsmaßstäbe – sie müssen persönlich oder per Video-Ident-Verfahren nachweisen, dass sie es wirklich selbst sind.

Blicken wir in die Zukunft: Was soll "AOK Mein Leben" künftig noch alles können?

Schwartze: Versicherte der AOK werden über die Basis-Version der ePA hinaus einen Überblick über die verordneten Medikamente erhalten und dieses Medikationsdossier auch mit Angaben zu selbstgekauften Medikamenten ergänzen können. Auch im Notfalldatensatz können Versicherte mehr Angaben machen als gesetzlich vorgeschrieben ist. Künftig wird "AOK Mein Leben" auch noch mehr ermöglichen, zum Beispiel einen digitalen Mutterschaftspass oder einen digitalen Impfpass, damit Versicherte ihre relevanten Gesundheitsdaten nie mehr suchen müssen. Zudem arbeiten wir daran, zusätzliche Funktionen für unsere Versicherten zu integrieren.

Rydzewski: Das Beispiel anderer digitalen Anwendungen zeigt: Man setzt sich dann am Markt durch, wenn man ausreichend Nutzer hat. Dafür müssen wir einerseits unseren Versicherten den Nutzen von "AOK Mein Leben" aktiv näherbringen und anderseits in einen Dialog mit den Leistungserbringern eintreten. Wir wollen zum Beispiel über unsere Arztberater dafür sorgen, dass auf Seiten der Ärzte Vorbehalte abgebaut werden. Denn wenn der Arzt in seiner Praxis oder im Krankenhaus nicht für die ePA brennt, dann wird er sie auch seinen Patienten nicht anbieten. Meine Zielsetzung für die nächsten Monate ist deshalb vor allem, die ePA gut zum Laufen zu bringen und möglichst viele Versicherte und Leistungserbringer für die Nutzung zu gewinnen.

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