Ratgeber für Eltern: Cannabis bei Kindern und Jugendlichen
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Die Cannabis-Checkliste: Woran erkenne ich, ob mein Kind Gras raucht?
Mit Cannabis ist neben Nikotin und Alkohol nun ein weiteres Rauschmittel legal in Deutschland verfügbar. Eine große Veränderung für Erwachsene, aber auch für Kinder und Jugendliche. Die Legalisierung gilt zwar nicht für sie, dennoch dürfte sich die Beschaffung des Rauschmittels auch für sie vereinfachen. Dabei ist ihre Hirnentwicklung noch nicht abgeschlossen – und kann durch den Konsum von Drogen deutlich gestört werden.
Diese Anzeichen helfen Eltern, Cannabiskonsum zu erkennen:
- körperliche Zeichen: Müdigkeit, häufige Übelkeit, Kreislaufstörungen, Appetitlosigkeit oder im Gegenteil: spontane Ess-Anfälle, fahle Gesichtsfarbe
- Veränderungen im Wesen: starke Stimmungsschwankungen, unangemessen aggressives, unruhiges, aber auch depressives und zurückgezogenes Verhalten
- neue Gewohnheiten: Vernachlässigung von Schule oder Arbeit, Hobbys und Körperpflege, dafür ein neuer Freundeskreis
- verändertes Verhalten: das Kind kann nur schlecht zuhören, wirkt unkonzentriert, ist vergesslich, wechselt unvermittelt Gesprächsthemen, hat Koordinationsschwierigkeiten, ist oft apathisch und gereizt
- finanzielle Probleme: das Taschengeld reicht nicht mehr aus, Jugendliche brauchen ständig Geld, ohne dass Gekauftes sichtbar wird
Wie wirkt Cannabis?
Im Gespräch mit Yulia Golub: Was Eltern über die Cannabislegalisierung wissen sollten
Was die teilweise Cannabislegalisierung für Kinder und Jugendliche bedeutet und wie Eltern mit dem Thema umgehen sollten, haben wir mit Prof. Dr. Yulia Golub, Direktorin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Klinikum Oldenburg, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg besprochen – das Interview zum Ausklappen:
Frau Dr. Golub, was sollten Eltern über die Cannabis-Legalisierung wissen?
Ich glaube, man kann damit beginnen, dass verantwortungsbewusste Eltern meiner Meinung nach besorgt sein sollten, bezüglich der Legalisierung von Cannabis. Wir haben zurzeit zwei legale Substanzen, die dem Jugendschutzgesetz unterliegen: Nikotin und Alkohol.
Bis heute hat das Jugendschutzgesetz noch keinen Jugendlichen, der rauchen oder Alkohol trinken wollte, effektiv vor dem Konsum dieser Substanzen schützen können. Jetzt kommt mit Cannabis eine dritte Substanz dazu, zu der wir weitaus weniger umfassende gesellschaftliche Erfahrungswerte und nur begrenzte Ressourcen zur Behandlung von Abhängigkeiten haben.
Zuallererst sollten Eltern also drei Punkte zum Thema Cannabis-Konsum klar sein:
- Cannabis ist schädlich für die Entwicklung des jugendlichen Gehirns.
- Auch wenn das Cannabisgesetz diverse Maßnahmen vorsieht, um Jugendliche vor dem Konsum zu schützen, ist fraglich, wie gut diese greifen werden.
- Der Vergleich mit anderen legalen Substanzen ist schwierig. So braucht etwa Tabakkonsum trotz seiner Schädlichkeit eine lange Zeit, bis er zu Krebs führt. Bei häufigem Konsum von Cannabisprodukten, insbesondere mit hohem THC-Gehalt, dauert es dagegen nur einige Wochen oder Monate, bis sich funktionale Veränderungen des Gehirns einstellen.
Woran kann ein Elternteil erkennen, dass der Nachwuchs Cannabis konsumiert?
Sehr schwierig. Früher hätte man hier sagen können, dass vor allem auf herkömmliche Utensilien für den Cannabiskonsum, wie etwa Feuerzeuge, Zigarettenpapier und mit Cannabis gefüllte Tütchen und den charakteristischen Geruch zu achten ist. Heutzutage haben wir bei dem Thema allerdings neue Entwicklungen wie das Vapen einerseits und synthetische Cannabinoide andererseits. Dadurch wird es deutlich unwahrscheinlicher, dass der Cannabiskonsum von Jugendlichen anhand von klassischen Utensilien bei einer Taschenkontrolle oder beim Aufräumen im Kinderzimmer auffällt.
Viel eher können Eltern heute erkennen, dass die eigenen Kinder kiffen, indem sie auf deren Verhalten und mögliche Wesensveränderungen achten. Natürlich gibt es da das akute, gut zu erkennende Verhalten während eines Cannabis-Rausches, also das „Bekifftsein“. Da viele Jugendliche das Rauschmittel meist nicht im eigenen Elternhaus konsumieren, muss eher auf langfristige Veränderungen geachtet werden.
Als Elternteil liebt und kennt man sein Kind. Kommt es dann zu starken Veränderungen des Verhaltens, sollte man besonders aufmerksam sein. Ist ein Musterschüler plötzlich nicht mehr ehrgeizig oder fleißig? Kommen aus der Schule Abwesenheitsmeldungen? Sind die Noten plötzlich schlechter? Werden Hobbys und andere Interessen wie etwa ein Sportverein vernachlässigt? All das kann auf einen Verlust von Energie und Motivation durch Cannabiskonsum hindeuten.
Hat Cannabis schon großen Schaden angerichtet, können Jugendliche stark vergesslich und unaufmerksam werden und sich teilweise gravierend im Wesen verändern. Das kann auch kognitive Schäden oder sogar psychotische Entwicklungen umfassen. Die Betroffenen beginnen sich skurril und unlogisch zu verhalten, wirken ängstlich, paranoid und abwesend.
Häufig lässt sich Cannabiskonsum bei Jugendlichen auch an externen Faktoren feststellen. Beispielsweise brauchen Betroffene häufiger Geld, um das Rauschmittel zu bezahlen und verbringen verstärkt Zeit mit Freundesgruppen, in denen andere auch Cannabis konsumieren.
Hilft eine offene, ehrliche und aufmerksame Beziehung zwischen Eltern und Kind bei der Prävention von Cannabiskonsum?
Auf jeden Fall. Ehrlichkeit und Offenheit ermöglichen einem Elternteil am ehesten, Probleme wie etwa eine Abhängigkeit von Cannabis frühzeitig zu erkennen und zeitnah Hilfe zu leisten. Je besser die Beziehung ist und je offener man mit dem Nachwuchs reden kann, desto einfacher können Eltern Cannabiskonsum bei ihren Kindern verhindern und auch vielen anderen Problemen psychischer Art vorbeugen.
Gleichzeitig ist es wichtig, dass Eltern aktiv über Cannabis mit ihren Kindern sprechen. Dabei sollte das Rauschmittel auf keinen Fall schöngeredet oder verharmlost werden. Eins der größten Probleme, die der Suchtprävention bevorstehen, ist die Wahrnehmung von legalen Substanzen als ungefährlich oder weniger gefährlich als illegale Substanzen. Wenn Eltern diese Wahrnehmung unterstützen, kann das Jugendliche zu Risikoverhalten motivieren.
Im Gegenteil sollten Eltern mit ihren Kindern über die Gefahren von Cannabiskonsum für das Gehirn wie etwa lebenslange Psychosen und Lernstörungen sprechen. Auch der Fakt, dass in modernen Züchtungen und synthetischen Cannabinoiden deutlich mehr des psychoaktiven Wirkstoffs THC enthalten ist als in Cannabis von vor einigen Jahrzehnten, sollte erwähnt werden, denn durch diese Entwicklung haben wir heute kaum verlässliche Erfahrungswerte, welche schweren Folgen schon kleine Mengen Cannabis haben können.
Grundsätzlich sollten Eltern ihren Kindern gegenüber kommunizieren, dass Cannabis eine für Kinder und Jugendliche gefährliche Substanz ist, die sie nicht konsumieren dürfen. Wenn jemand in ihrem Umfeld oder sie selbst bereits Cannabis ausprobiert haben, sollte darauf bestanden werden, offen darüber zu reden und möglicherweise notwendige Konsequenzen zu ziehen.
Wie wirkt es sich dabei auf Kinder und Jugendliche aus, wenn die Eltern selbst Cannabis konsumieren?
Wie auch bei Nikotin und Alkohol besteht hier natürlich eine Vorbildwirkung. Das hat denselben Effekt wie vor den eigenen Kindern zu rauchen: Die Hemmschwelle sinkt und der Konsum beim Nachwuchs wird wahrscheinlicher. Erwiesenermaßen haben die Kinder nikotin- oder alkoholabhängiger Menschen ein vielfach höheres Risiko, selbst Abhängigkeiten von diesen Substanzen zu entwickeln, und genauso haben chronisch kiffende Eltern mit viel höherer Wahrscheinlichkeit chronisch kiffende Kinder.
Grundsätzlich rate ich Eltern also davon ab, Cannabis zu konsumieren. Wenn es aber doch sein muss, dann sollte streng darauf geachtet werden, dass die Kinder weder den eigentlichen Konsum, noch seine Auswirkungen mitbekommen. Denn neben der problematischen Vorbildwirkung, kann es im Cannabisrausch, wie auch bei vielen anderen Suchtmitteln, zu schwer vorhersehbaren Gefahrensituationen kommen. Cannabis beeinträchtigt sowohl die Reaktionszeit und das Zeitempfinden, als auch die Fähigkeit, Risiken einzuschätzen. Dazu kommt, dass zu den Auswirkungen von modernen Cannabisprodukten deutlich weniger gesellschaftliche Erfahrungswerte bestehen, als beispielswiese zu den Auswirkungen von Alkohol. Wie genau der Rausch verläuft, ist daher kaum abzusehen. Ein Elternteil im Cannabisrausch ist schlicht und einfach nicht in der Lage, ausreichend auf seine Kinder aufzupassen.
Darüber hinaus kann es durch das Vorhandensein von Cannabisprodukten im eigenen Zuhause zu gefährlichen und teils lebensbedrohlichen Situationen für Kinder kommen, wie Vorfälle aus Kanada und dem US-Bundesstaat Colorado zeigen. Dass ein kleines Kind große Mengen Alkohol konsumiert, ist durch den für Kinder unangenehmen Geschmack unwahrscheinlich. Moderne Cannabisprodukte wie THC-haltige Kekse oder Brownies schmecken dem Kind hingegen gut. So kann es dazu kommen, dass versehentlich große Mengen THC konsumiert werden, mit gesundheitsgefährdenden Folgen.
Sollte der Konsum von Cannabis vor dem Hintergrund dieser Risiken also genauer reguliert werden, um den Einfluss auf den Nachwuchs zu minimieren?
In der Theorie wären gesetzliche Regelungen hier eine tolle Sache. Nehmen wir den Vergleich mit verschreibungspflichtigen Medikamenten: Wer diese zuhause aufbewahrt, der ist dazu angehalten, das in einem eigens dafür verwendeten, abschließbaren Schrank oder Behälter zu tun. Um Kinder und Jugendliche vor den Gefahren bewussten und unbewussten Cannabiskonsums zu schützen, sollte genauso auch mit Cannabisprodukten in den eigenen vier Wänden umgegangen werden: Sie dürfen nicht offen zugänglich sein.
In der Praxis stellt sich allerdings die Frage: Wer würde sicherstellen, dass diese Regelungen beachtet werden? Regelmäßige Kontrollen der Aufbewahrung von Cannabisprodukten in Privathaushalten würden zuständige Behörden wie das Jugendamt überlasten. Der Staat kann letztendlich nicht alles kontrollieren.
Angenommen ein Elternteil erkennt, dass das eigene Kind Cannabis konsumiert: Was ist dann zu tun? Wo finden Eltern Hilfe?
Zuerst sollte ein offenes Gespräch mit dem Nachwuchs gesucht werden, um zu verstehen, wie oft und wie viel Cannabis bereits konsumiert wurde, und um klare Regeln festzulegen. Gerade auf Jugendliche wirken Rauschmittel extrem anziehend, weshalb ein sogenannter „Probierkonsum“ normal und kaum vermeidbar ist. Doch es besteht natürlich ein großer Unterschied zwischen ein- oder zweimaligem Probierkonsum und einem Jugendlichen, der regelmäßig kifft. Diese Gefahrenstufen müssen zuerst identifiziert werden.
Wurde Cannabis bisher „nur“ probiert oder sporadisch konsumiert, sollte im Gespräch mit dem Jugendlichen klar gemacht werden, dass es sich dabei um eine schädliche und potenziell abhängig machende Substanz handelt. Dabei können auch die möglichen Folgen im Detail erklärt werden. Außerdem muss dem Jugendlichen deutlich gesagt werden, dass er noch minderjährig ist und die Substanz daher auch gesetzlich nicht konsumieren darf. Danach müssen als erzieherische Maßnahme Grenzen gesetzt werden, wie etwa: „Wenn auf dieser Party voraussichtlich gekifft wird, darfst du dort nicht hingehen.“ Besteht eine positive und offene Beziehung zwischen Eltern und Kind, werden diese Regeln befolgt.
Konsumiert der Nachwuchs bereits regelmäßig Cannabis, besteht der Verdacht auf eine chronische Suchterkrankung. In diesem Fall muss gemeinsam mit dem Jugendlichen und anhand der üblichen Kriterien für Suchterkrankungen eingeschätzt werden, wo er zum aktuellen Zeitpunkt steht:
- Hat sich bereits eine erhöhte Toleranz für Cannabis eingestellt? Raucht der Jugendliche jetzt mehr als noch zu Beginn, um den gewünschten Effekt zu erzielen?
- Besteht ein starker Wunsch Cannabis zu konsumieren? Wird abseits des aktiven Konsums häufig an Cannabis gedacht?
- Treten bereits Entzugserscheinungen auf, wenn kein Cannabis konsumiert wird? Kann der Jugendliche ohne Cannabis nicht mehr einschlafen oder fühlt sich gereizt?
- Werden andere Aktivitäten vernachlässigt?
Je nach den Antworten auf diese Fragen empfehle ich, professionelle Hilfe zu suchen. Besonders niedrigschwellig finden Eltern in dieser Situation Hilfe bei lokalen Drogenberatungsstellen. Hier gibt es häufig sogar die Möglichkeit, ohne vorher ausgemachten Termin beraten zu werden. Auch an Suchtambulanzen in kinder- und jugendpsychiatrischen Krankenhäusern kann man sich wenden, wenn beim eigenen Kind ein schädlicher Gebrauch von Cannabis festgestellt wurde.
Wie steht es in Deutschland aktuell um die Prävention von Cannabiskonsum bei Kindern und Jugendlichen?
Um ganz ehrlich zu sein, bin ich mir nicht sicher, wie aussichtsreich Prävention in der aktuellen politischen Lage überhaupt ist. Es gibt zahlreiche Präventionsangebote: So gehen Drogenberatungsstellen beispielsweise deutschlandweit zu Schulen, leiten Workshops zum Thema und beraten Jugendliche.
Aber wie viel bringt das im Vergleich dazu, dass viele Menschen die Teillegalisierung mit der Botschaft verbinden werden, dass Cannabis nun doch als harmloses Genussmittel einzustufen ist, zur Legalisierung als Werbung für Cannabiskonsum? Im Hinblick auf die große, gesamtgesellschaftliche Prävention von Cannabisabhängigkeiten wird hier gerade viel zunichte gemacht.
Wirkung und Folgen von THC bei Jugendlichen
Weitere Infos auf Social Media
Während Eltern, die Hilfe und Rat suchen, gerne ausführliche Texte lesen, geht es Kindern und Jugendlichen oft anders. Deshalb finden Sie kurze, knackige Info-Posts auch auf den Social-Media-Kanälen der AOK – zum Beispiel auf YouTube mit unserem Experten Doc Felix oder im Info-Post der AOK PLUS auf Instagram.
Konkrete Unterstützung finden Sie außerdem bei der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, bei der Sie jederzeit nach Suchtberatungsstellen in Ihrer Nähe suchen und Hilfe finden können.
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Interview mit Prof. Dr. Yulia Golub, Direktorin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Klinikum Oldenburg, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
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