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Post-Intensive-Care-Syndrom: Unikliniken in Baden-Württemberg erforschen Versorgungskonzept für kritisch kranke Kinder

Veröffentlicht am:01.10.2024

3 Minuten Lesedauer

Bei Menschen mit dem Post-Intensive-Care-Syndrom (PICS) treten während oder nach einer intensivmedizinischen Behandlung neue Beschwerden auf. Auch Kinder sind häufig betroffen. Am Universitätsklinikum Tübingen wurde deswegen ein Projekt ins Leben gerufen: NoPICS-Kids soll das Auftreten von Folgebeschwerden verringern und so die Lebensqualität der Kinder und ihrer Familien verbessern. Die AOK Baden-Württemberg ist mit an Bord.

Ein Kind liegt schlafend in einem Krankenhausbett.

© iStock / monkeybusinessimages

Was ist das PICS?

Das Post-Intensive-Care-Syndrom (PICS) entsteht während oder nach einer intensivmedizinischen Behandlung mit Sedierung (Ruhigstellung), künstlicher Beatmung und langem Liegen. Betroffene haben Schwierigkeiten, sich von der intensiven medizinischen Behandlung und den lebensbedrohlichen Situationen, die sie erlebt haben, zu erholen. Dies äußert sich durch körperliche, psychische oder kognitive Beeinträchtigungen. Typische Symptome von PICS sind:

  • Konzentrations- und Gedächtnisprobleme
  • Angstzustände, Depressionen oder posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS)
  • Muskelschwäche und Erschöpfung
  • eine verminderte Mobilität und motorische Probleme

PICS tritt oft erst nach der Entlassung aus dem Krankenhaus auf und kann Wochen, Monate oder sogar Jahre anhalten. Ob es zu dem Syndrom kommt, hängt nicht unbedingt von der Dauer des Aufenthalts auf der Intensivstation ab. PICS kann auch entstehen, wenn eine Patientin oder ein Patient dort nur kurz behandelt werden muss. Das Risiko steigt jedoch, je länger der Intensivaufenthalt dauert.

Wer ist betroffen?

Alle Menschen, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen, können PICS entwickeln. In Deutschland sind das etwa zwei Millionen Menschen pro Jahr. Unter den Intensivpatienten sind auch rund 38.000 Kinder. Bis zu 60 Prozent dieser Kinder weisen während und nach der Behandlung Anzeichen des Post-Intensive-Care-Syndroms auf. Dies zeigt eine Studie des Universitätsklinikums Tübingen. Besonders betroffen sind Kinder, die über längere Zeiträume intubiert und beatmet wurden. Sie durchleben drastische Erfahrungen, wie etwa die Angst vor dem Ersticken, im Nachhinein immer und immer wieder. Dies kann durch Gerüche, Geräusche oder Bilder ausgelöst werden.

Können auch Angehörige betroffen sein?

Ja, auch die Eltern oder Geschwister betroffener Kinder können das Post-Intensive-Care-Syndrom entwickeln. Die Familie erlebt die Zeit auf der Intensivstation oft als traumatisch. Eltern, die während der Behandlung ihres Kindes unter extremem Stress standen, haben ein erhöhtes Risiko für langfristige emotionale und psychologische Beeinträchtigungen wie Angststörungen oder Depressionen. Das entsprechende Störungsbild wird als PICS-F bezeichnet.

Wie lässt sich PICS vermeiden?

Genau das erforscht derzeit das Universitätsklinikum Tübingen gemeinsam mit der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und den Universitätskliniken Heidelberg und Mannheim im Projekt NoPICS-Kids. Die AOK Baden-Württemberg unterstützt das Projekt als beteiligte Krankenkasse. Ziel ist es, die Behandlung von Kindern auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse mit einem interdisziplinären Team und unter Einbeziehung der Eltern zu verbessern. 

Eine Person hält die Hand eines Kindes, das in einem Krankenhausbett liegt.

© iStock / Sasiistock

Vertrautheit hilft: Im Rahmen von NoPICS-Kids werden die Eltern der betroffenen Kinder eng eingebunden.

Der Startschuss für das Projekt fiel im Oktober 2023. Über einen Zeitraum von mehreren Jahren sollen insgesamt 1.650 schwerkranke Kinder auf sechs Post-Intensivstationen an den vier Uni-Standorten in Baden-Württemberg mit dem sogenannten ABCDEF-Bundle behandelt werden. Die Buchstaben ABCDEF leiten sich aus den englischen Bezeichnungen für eine Reihe standardisierter Behandlungsmethoden ab. Diese umfassen Schmerzmanagement und -medikation, spontane Aufwach- und Atemversuche, die richtige Auswahl ruhigstellender Medikamente, die Behandlung von Verwirrtheitszuständen, eine frühzeitige Mobilisation und die Einbeziehung der Familienangehörigen, zum Beispiel in Visiten. Das Projekt endet am 31. März 2027.

Um zu untersuchen, ob das Behandlungskonzept erfolgreich ist, wurden zwei Vergleichsgruppen gebildet: Eine Gruppe wird nach dem neuen Konzept und die andere nach dem aktuell üblichen Standard versorgt. Verglichen werden Faktoren wie die Aufenthaltsdauer und die Beatmungszeit, aber auch langfristige Veränderungen wie die Entwicklung psychischer Erkrankungen bei Kindern und Eltern.

NoPICS-Kids ist ein Innovationsfonds-Projekt. Das bedeutet, dass es mit Mitteln des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss gefördert wird, die von den gesetzlichen Krankenversicherungen stammen. Die AOK Baden-Württemberg begleitet das Projekt während der Umsetzung und auch bei der Bewertung der gesammelten Erkenntnisse. Das gemeinsame Ziel der AOK und des Universitätsklinikums Tübingen: eine neue, bessere Versorgungsform für kritisch kranke Kinder zu finden, um das Auftreten von PICS zu verhindern und somit die Lebensqualität und die ihrer Familien langfristig zu verbessern.

Was hilft gegen PICS?

Ein strukturiertes Nachsorgeprogramm ist entscheidend, um die langfristigen Auswirkungen von PICS bei Kindern zu mindern. Dazu gehören eine frühzeitige Mobilisierung, psychologische Unterstützung und die Einbeziehung der Familie. Physio- und Ergotherapie während und nach dem Aufenthalt auf der Intensivstation können helfen, körperliche Folgebeschwerden zu minimieren. Außerdem ist die psychologische Betreuung der Eltern wichtig. Denn Eltern können durch ihr Mitwirken und ihr Verhalten die Genesung ihres Kindes wesentlich beeinflussen.

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