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Gesundheitsmagazin

AOK Baden-Württemberg

Professionelle Sterbebegleitung im Tageshospiz

Veröffentlicht am:11.11.2024

6 Minuten Lesedauer

Wo möchten Sie sterben? In einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Hospiz- und PalliativVerband e. V. antworteten 50 Prozent der Befragten: zu Hause. Allein die Vorstellung, in einem Krankenhaus oder einem Hospiz zu versterben, macht vielen Menschen Angst. Wer unheilbar erkrankt ist, muss sich ganz konkret mit dem Tod und dessen Umständen auseinandersetzen. Unterstützung erhalten diese Menschen von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sozialen Dienstes der AOK Baden-Württemberg.

Eine Frau, die ein Tuch um ihren Kopf trägt, hält die Hand einer anderen Frau und lächelt sie an.

© iStock / SDI Productions

Die Pflegeberaterin Vanessa Schölch etwa begleitet Betroffene und Angehörige in der Region Rhein-Neckar-Odenwald und klärt über die Möglichkeiten der Pflege- und Palliativversorgung auf. Im Rahmen ihrer Arbeit hat sie das Hospiz Agape in Wiesloch besucht, das neben einem stationären auch über einen teilstationären Bereich verfügt. Im Interview erzählt sie, warum das Haus kein Ort der Trauer sein muss, sondern ein Ort, an dem gelebt wird.

Frau Schölch, was ist Ihre Aufgabe als Pflegeberaterin des Sozialen Dienstes?

Vanessa Schölch arbeitet als Pflegeberaterin bei der AOK Rhein-Neckar-Odenwald in Wiesloch.
Vanessa Schölch arbeitet als Pflegeberaterin beim Sozialen Dienst der AOK in Wiesloch.

„Ich unterstütze in besonderen Lebenssituationen, zum Beispiel bei einer schweren Erkrankung oder in einer Pflegesituation, und übernehme eine Lotsenfunktion für unsere Versicherten und ihre Angehörigen. Ich kläre sie über ihre Rechte im Rahmen der Kranken- und Pflegeversicherung auf und berate sie unter anderem zur Pflege- oder Palliativversorgung. Darüber hinaus stellen wir eine psychosoziale Begleitung sicher. Es ist die Aufgabe des Sozialen Dienstes, den Betroffenen Möglichkeiten aufzuzeigen, um bedarfsgerecht und optimal versorgt zu sein. Der Soziale Dienst ist übrigens kostenlos für unsere Kundinnen und Kunden. Die Beratung erfolgt je nach Bedarf im Kundencenter, digital, telefonisch oder zu Hause.“

Was bedeutet Palliativversorgung überhaupt?

„Die Palliativversorgung zielt darauf ab, die Symptome und die Folgen einer lebensverkürzenden Erkrankung zu lindern. In diesen Fällen weiß man, dass es für die Patientin oder den Patienten keine Heilung gibt. Jedoch möchte man ihre Lebensqualität so gut wie möglich erhalten und ihre Bedürfnisse in den Vordergrund stellen. Es ist wichtig zu betonen: Palliativversorgung bedeutet nicht zwangsläufig, dass die erkrankte Person in wenigen Wochen sterben wird. Auch wenn ihre Erkrankung nicht heilbar ist, kann die Unterstützung ihnen helfen, besser mit ihrer Situation umzugehen.

Welche Fähigkeiten sind in der Pflege- und Palliativberatung besonders wichtig?

„Es erfordert vor allem Einfühlungsvermögen, um mit dem schwierigen Thema Tod angemessen umzugehen und gleichzeitig das Gegenüber nicht zu überfordern. Darüber hinaus ist Fachwissen wichtig, um die Betroffenen bestmöglich zu beraten. Leistungen der Palliativversorgung sind Bestandteil der Krankenversicherung. Sie können aber mit Leistungen der Pflegeversicherung kombiniert werden. Es ist zum Beispiel inzwischen möglich, dass Menschen in stationären Pflegeheimen zusätzlich palliativpflegerisch- und medizinisch versorgt werden. Für so einen Fall gibt es die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV), deren Teams sich auch um Heimbewohnerinnen und -bewohner kümmern.

Wie genau sind die Pflegeberatung und die professionelle Sterbebegleitung miteinander verknüpft?

„In der Pflegeberatung des Sozialen Dienstes informieren wir über alles, was den Versicherten im jeweiligen Pflegegrad zusteht, wie zum Beispiel die Versorgung durch einen Pflegedienst. Außerdem beraten wir pflegende Angehörige über Hilfen im Haushalt und Entlastungsmöglichkeiten: Wie können sie die Pflege zu Hause sicherstellen? Und welche Möglichkeiten gibt es, wenn das nicht geht? Hier kommen zum Beispiel die Tagespflege oder die vollstationäre Pflege infrage. 

Wenn eine lebensverkürzende Erkrankung vorliegt, kann man die verschiedenen Leistungen aus Pflege- und Palliativversorgung miteinander kombinieren. Unsere Aufgabe ist es dann, zu schauen, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt und wie man diese bedarfsgerecht verbinden kann.“

Über welchen Zeitraum begleiten Sie die Menschen?

„Es kommt immer darauf an, was die oder der Betroffene möchte. Uns ist es ein Anliegen, den Menschen zu zeigen, dass wir für sie da sind und sie so lange wie nötig – über Wochen oder auch Monate – begleiten. In der Regel ist es mit der reinen Vermittlung in eine Einrichtung nicht getan. Denn meist, gerade wenn jemand ins Tageshospiz geht, müssen zu einem früheren Zeitpunkt oder parallel weitere Dinge geklärt werden, zum Beispiel rechtliche Fragen oder Dinge, die die Krankenkasse betreffen.“

Sind Sie für Ihre Arbeit auch in Tageshospizen vor Ort?

„In der täglichen Arbeit nicht. Aber ich habe im Frühjahr das Tageshospiz Agape in Wiesloch kurz nach der Eröffnung gemeinsam mit meinem Team besucht. Und wir haben im stationären Bereich hospitiert. So konnten wir uns selbst ein Bild machen, was für unsere Beratungsgespräche enorm wertvoll ist. Denn viele können sich unter dem Begriff Tageshospiz kaum etwas vorstellen, auch weil das Konzept hierzulande noch recht neu ist.“

Wie kann man sich das Tageshospiz Wiesloch vorstellen?

„Es herrscht eine positive Atmosphäre. Die Räume sind hell, und das Personal ist mit viel Freude bei der Arbeit. Die Menschen werden hier mit ihren Bedürfnissen und Sorgen aufgefangen. Es ist ganz anders, als man es sich vorstellt. Es ist kein Ort, an den man Menschen zum Sterben schickt. Es ist ein Angebot, das den Besucherinnen und Besuchern hilft, ihre Tagesabläufe und ihre Lebensqualität zu erhalten. Bis zu acht Gäste können an einem oder an mehreren Tagen pro Woche am Morgen ins Tageshospiz gehen und am Nachmittag nach Hause zurückkehren.“

Das neue Tageshospiz ist ein Teil des Hospizes Agape in Wiesloch.

© Nussbaum Medien Archiv

Unter Denkmalschutz: Der ehemalige Bierkeller in Wiesloch beherbergt seit 2008 das Hospiz Agape.

Was sind die größten Herausforderungen für die Menschen vor Ort?

„Die größte Herausforderung ist es, überhaupt dorthin zu gehen. Für viele ist ein solcher Ort mit vielen negativen Gedanken verbunden und die Überlegung, das Angebot zu nutzen, ganz weit weg. Das ist die erste Hürde. Die andere ist die Organisation. Um das Angebot eines Tageshospizes in Anspruch nehmen zu können, müssen die Betroffenen transportfähig sein, also zum Beispiel selbstständig mit dem Taxi an- und abreisen. Zudem kann es schwierig sein, mit dem Leid und den Problemen der anderen Gäste konfrontiert zu werden.“

Welche Vorteile bieten Tageshospize den Betroffenen?

„Betroffene haben die Möglichkeit, ihre häusliche Umgebung für eine bestimmte Zeit zu verlassen und im Tageshospiz am Gemeinschaftsleben teilzunehmen. Sie können sich mit anderen Betroffenen austauschen, gemeinsam Mahlzeiten einnehmen, Musik hören oder singen. Daneben werden ihnen therapeutische Maßnahmen angeboten, wie Kunsttherapie oder tiergestützte Therapie. Außerdem ist das Tageshospiz eine gute Alternative zum stationären Aufenthalt, bei dem Betroffene ihr eigenes Zuhause – und damit einen großen Teil ihrer Selbstbestimmung – vollständig aufgeben müssen. Viele unheilbar Erkrankte wünschen sich ja, in ihrer gewohnten Umgebung bleiben und dort versterben zu können. Ein Tageshospiz bietet ihnen genau diese Möglichkeit und zusätzlich eine optimale Versorgung.

Wie profitieren Angehörige von dem Angebot?

„Für die Angehörigen ist das meist eine große Entlastung. Sie können ein Stück Verantwortung abgeben – auch mal länger als für die Zeit, in der der ambulante Pflegedienst ins Haus käme. Sie wissen: Die oder der Angehörige ist im Tageshospiz gut aufgehoben. An diesen Tagen haben sie Zeit, sich um ihre eigenen Bedürfnisse zu kümmern und Dinge zu erledigen, die mit der Situation einhergehen. Darüber hinaus sind auch die Angehörigen im Tageshospiz herzlich willkommen. Sie erhalten dort eine psychosoziale Begleitung, sogar auch nach dem Tod der oder des Erkrankten. Außerdem können sie sich mit anderen Angehörigen oder dem Pflegepersonal unterhalten. Auch das hilft.“

Welche Kosten sind mit dem Besuch eines Tageshospizes verbunden und was übernimmt die AOK?

„Betroffene, die eine ärztliche Bescheinigung über die Hospizbedürftigkeit haben, können das Angebot kostenlos nutzen. Die AOK Baden-Württemberg übernimmt als gesetzliche Krankenkasse 95 Prozent der Kosten, einschließlich der Fahrtkosten zum Hospiz und zurück nach Hause. Die übrigen fünf Prozent werden durch Spenden eines Fördervereins generiert.“

Was möchten Sie persönlich den Menschen in Ihren Beratungsgesprächen vermitteln?

„Ich möchte Betroffene dazu ermutigen, den Austausch mit anderen zu suchen. Sterben und Tod sollten weniger als Tabuthema gelten, weder für unheilbar erkrankte Menschen noch für ihre Angehörigen. Ein Tageshospiz, wie das in Wiesloch, kann eine Bereicherung und eine Entlastung für alle Beteiligten sein. Deshalb ist das Angebot so wichtig.“

Orte zum Leben

Das Tageshospiz Agape in Wiesloch ist die zweite Einrichtung dieser Art in Baden-Württemberg. Seit März 2024 können bis zu acht Gäste an einem oder mehreren Tagen in der Woche von 8 bis 16 Uhr zu Besuch kommen. In der großen geräumigen Küche können sie gemeinsam kochen und anschließend im großen Gemeinschaftsraum im Wintergarten zusammen essen. Daneben gibt es zwei Rückzugsräume mit Liegesesseln und Betten. Bereits im September 2022 eröffnete das erste Tageshopiz in Baden-Württemberg: Das Haus Theodolinde befindet sich in Ilvesheim neben dem stationären Hospiz St. Vincent Süd.

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