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Muskeltraining gegen Rückenschmerzen

Veröffentlicht am:06.11.2024

5 Minuten Lesedauer

„Wir sind eine Gesellschaft der Faultiere“, sagt Helge Riepenhof. „Wir sitzen zu viel und bewegen uns zu einseitig.“ Kein Wunder also, dass viele Menschen über Rückenprobleme klagen. Im Interview erzählt der Orthopäde, Sportmediziner und Arzt aus der NDR-Sendung „Die Bewegungs-Docs“, wie man den Rücken gezielt stärken und Schmerzen vorbeugen kann.

© Pavel Danilyuk/Pexels

Zur Person

Dr. med. Helge Riepenhof ist Facharzt für Rehabilitationsmedizin, Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Sportmediziner und Chefarzt im BG Klinikum Hamburg. Er ist einer der Ärzte, die in der NDR-Sendung „Die Bewegungs-Docs“ Menschen dabei helfen, ihre Gesundheitsprobleme anzugehen. 

Warum nimmt die Zahl der Menschen mit Rücken-beschwerden hierzulande zu?

Helge Riepenhof: Es sind viele Faktoren, die einander beeinflussen. Wir ernähren uns zum Beispiel zu kalorienreich, das heißt wir führen uns zu hohe Energiemengen zu, die wir nicht verbrennen, weil wir uns nicht genug bewegen. Und dann nehmen wir weiter an Gewicht zu und alles wird noch schwieriger und anstrengender. Gewicht und Inaktivität bedingen sich dann wechselseitig und aus dieser Spirale kommt man schwer heraus. Wir haben heute Nahrung im Überfluss, und viele sitzen den Großteil des Tages am Schreibtisch. Dafür ist der Mensch eigentlich nicht gemacht – und schon gar nicht der Rücken.

Und was genau passiert mit dem Rücken, wenn man sich zu wenig bewegt?

Eigentlich kann man Rückenprobleme fast immer auf die Muskulatur zurückführen, die einfach verschwindet. Natürlich gibt es auch mal einen Bandscheibenvorfall trotz vernünftiger Muskulatur, das sind aber eher die Ausnahmen. 

Die Brustwirbelsäule macht ja selten Probleme. Meist sind es die Lendenwirbelsäule und die Halswirbelsäule, durch die nach vorn gebeugte Haltung. Das Entscheidende ist die Muskulatur, die unseren Rumpf stabilisiert, also die Muskulatur rund um die Wirbelsäule. Dazu gehört auch die Bauchmuskulatur. Letztere ist entscheidend, um der Rückenmuskulatur entgegenzuwirken. Wenn die Bauchmuskulatur zu schwach ist, verliere ich ebenfalls an Stabilität in der Wirbelsäule. Das führt zu Fehlbelastungen und daraus resultieren Schmerzen. 

Sitzen wir auch zu viel?

Ja, auf jeden Fall. Sitzen hat noch weitere Nachteile, als dass man sich nicht viel dabei bewegt: Wenn ich sitze, mache ich alles vor dem Körper, das heißt meine Rückenmuskulatur ist überhaupt nicht gefordert. Und das zweite ist, ich verkürze im Prinzip, weil ich nicht ausreichend lange gerade und aufrecht sitze. Wenn ich am vorderen Körper überall verkürzte Muskeln habe und diese auch noch fest werden, nimmt der Rückenschmerz weiter zu, denn die Fehlbelastung bleibt praktisch permanent bestehen. Das Ergebnis: Man hat Schmerzen und kann zusätzlich den Rücken gar nicht mehr in die Position bringen, die zu Schmerzfreiheit führen würde.  Der eigene Rücken kann den Rumpf im Prinzip gar nicht mehr halten.

Und warum verkürzen die vorderen Muskeln im Sitzen?

Der Muskel kann sich zusammenziehen, aber auch weit ausdehnen. Wenn ich nun den ganzen Tag über in einer Position bin, zum Beispiel beim Sitzen am Schreibtisch, ist der Muskel, der das Becken mit der Wirbelsäule verbindet, weder gedehnt noch in irgendeiner Form gefordert. Dann hypotrophiert  der Muskel und verliert nicht nur an Umfang, sondern auch an Länge. In den kurzen Phasen der aufrechten Haltung ist er dann schon maximal gedehnt und verändert die Druckverhältnisse auf zwei kleinen, aber sehr wichtigen Gelenken, den Iliosakralgelenken. Diese tun dann weh und es entsteht der typische Rückenschmerz direkt neben der Wirbelsäule rechts und links, nah am Becken.

Was bedeutet Hypotrophie genau?

Der Muskel wird immer kleiner und verkümmert. Das heißt, alleine den Muskel durch gerades Sitzen aufzudehnen, sich gerade zu machen, das hilft schon. Der Muskelschwund kann dabei erstaunliche Ausmaße annehmen. Muskulatur, die nicht oder nur wenig genutzt wird verkümmert einfach. Vielleicht mussten Sie mal einen Gips tragen. Patienten staunen immer, wie dünn der Arm oder das Bein nach schon wenigen Wochen der Ruhigstellung geworden ist.

Das heißt allerdings nicht, dass man den ganzen Tag über wie eingefroren in aufrechter Sitzhaltung verbringen sollte. Früher hat man immer gesagt, Kinder sollen gerade sitzen. Aber jeder sollte sich auch mal zurücklehnen und zwischen verschiedenen Positionen wechseln, denn ich will sowohl die gesamte Wirbelsäule und alle Bandscheiben belasten als auch alle Muskeln rund um die Wirbelsäule fördern und aktiv halten. Deshalb ist es gar nicht schlimm, mal zusammenzusacken, wenn ich mich auch wieder aufrichte und die Schultern nach hinten drücke. 

Wieviel sollte man sich denn pro Woche bewegen – gibt es da eine Faustregel?

Die Weltgesundheitsorganisation hat da klare Richtlinien, sie empfiehlt elf Minuten intensiver Tätigkeit pro Tag bei mindestens 80 Prozent der maximalen Herzfrequenz oder 22 Minuten weniger intensive Tätigkeit oder auch 75 Minuten hohe körperliche Belastung oder 150 Minuten moderate Belastung pro Woche. 

Und damit ist nicht unbedingt Sport gemeint. Wenn ich hinausgehe und den Garten umgrabe, weil Frühling ist, zählt das auch dazu. Wichtig ist, dass man hochgerechnet auf etwa zweieinhalb Stunden Aktivität pro Woche kommt. 

Und gibt es auch Empfehlungen zum Mischungsverhältnis zwischen Ausdauer, Krafttraining und Dehnen?

Meine Faustregel ist immer, wenn man es schafft, einmal pro Woche 40 Minuten am Stück Ausdauertraining zu machen, ist schon viel gewonnen. 40 Minuten deshalb, weil das für den Herzmuskel besonders gut ist. Das Herz mag es zum Beispiel gar nicht so gerne, wenn ich zwei Stunden aktiv bin. Also 40 Minuten Ausdauer pro Woche und dreimal pro Woche ein bisschen Krafttraining. Dabei ist Test gleich Training, also das, wo ich nicht so gut war, trainiere ich ein bisschen. Man sieht dabei unheimlich schnell die Erfolge. Übrigens: Wer ein wenig mehr schafft, nämlich sogar zweimal pro Woche 40 Minuten Ausdauerbelastung, der senkt sein Risiko für Herzerkrankungen um 25 Prozent.

Gibt es Sportarten, die besonders gut für den Rücken sind?

Je nachdem, wie schlecht es einem geht. Man muss gar nicht gleich an Sportarten denken. Zum Beispiel so ein ganz einfaches Bauchmuskeltraining, das kann jeder zuhause machen. Einfach auf den Fußboden legen und los geht es. Und ich kann schon mit diesen ganz einfachen Planks, also sich auf den Unterarmen abstützen und den Rumpf heben, viel bewirken. Und dann sind Sportarten wie Schwimmen geeignet, weil sie die Gelenke wenig belasten. Ausdauersport ist ebenfalls gut für den Rücken, wenn ich die Bewegungsqualität aufrechterhalte.

Was meinen Sie mit Bewegungsqualität?

Schlechte Bewegungsqualität bedeutet, dass ich mich fehlbelaste. Eine Sache, die man zum Beispiel bei vielen Läufern sieht ist, dass sie mit den Kniegelenken beim Laufen nach Innen wegknicken. Medizinisch nennt man das Valguskollaps. Das ist nicht nur schlecht für die Kniegelenke sondern auch für den Rücken, da diese Fehlbelastung den Körper mittelfristig überfordert. 

Viele Patienten kommen zu mir und sagen, ich war ein Sportmuffel und habe wenig gemacht, aber jetzt gehe ich wieder joggen. Doch ich sage immer, man joggt nicht, um fit zu werden, sondern man muss fit sein, um joggen zu können. Denn wichtig ist, dass ich – egal was ich mache – meine Rumpfposition halten kann und keine schlechte Bewegungsqualität entwickle. Manche fangen an zu humpeln, zu hinken und dann kommen Überlastungsschäden. Daher geht es vielmehr darum, so ein bisschen in sich reinzuhören und sich zu fragen, bin ich technisch eigentlich noch sauber, und durchaus mal den Sportpartner zu fragen, ob das alles noch vernünftig aussieht. Gleiches gilt für Krafttraining, das kann man auch vor einem Spiegel machen und merkt dann schon ganz von alleine, was nicht richtig aussieht und vielleicht sogar wehtut. 

Wenn man akute Rückenschmerzen hat, sollte man sich dann erst einmal schonen?

Ja, ein akuter Rückenschmerz braucht fast immer erst einmal Ruhe. Allerdings muss man trotzdem versuchen, die Muskulatur zu aktivieren, damit man da rauskommt. Das können ganz einfache Übungen sein: Sich auf den Rücken legen und die Beine anheben. Und dann halte ich die Beine und versuche, tief in den Bauch zu atmen. In den Schmerz hineinzuarbeiten, hat beim Rücken wenig Sinn. 

Was hat Sie dazu bewogen, als Bewegungs-Doc im Fernsehen in Erscheinung zu treten?

Als Orthopäde und Unfallchirurg habe ich früher viele Patienten operiert und die Patienten danach höchstens für ein paar Tage betreut, bis sie die Klinik verlassen haben und in eine Reha gegangen sind. Aber das Ergebnis der Reha habe ich eigentlich nie gesehen. Aufgrund der tollen Effekte, die man auch ohne Operationen erreichen kann, bin ich zu den Bewegungs-Docs gekommen, hier konnte ich die Menschen länger begleiten, im Prinzip so wie in der Sportmedizin. Man betreut die Sportler, bis sie wieder auf dem Platz stehen. 

Die Patienten und Patientinnen in der Sendung bekommen viel Aufmerksamkeit, für eine habe ich zum Beispiel ein Zwölfwochenprogramm ausgearbeitet, um ihre Muskulatur wieder ins Gleichgewicht zu bringen. In den Arztpraxen ist das so natürlich nicht leistbar. Ich glaube aber, es ist auch nicht richtig, wenn Menschen versuchen, die Verantwortung komplett an ihre Ärzte abzugeben. Wozu die Ärztinnen und Ärzte da sind: eine Diagnose finden, mich auf den richtigen Weg bringen und korrigierend eingreifen, wenn es nicht läuft, zum Beispiel mit Hilfe von Physiotherapie. Die Tür wird einem aufgemacht, aber hindurchgehen muss man selber.

Interview: Astrid Funck

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