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Gesundheitsmagazin

AOK Bremen/Bremerhaven

Die Sucht der Anderen

Veröffentlicht am:09.08.2024

5 Minuten Lesedauer

Alkohol- oder Drogenabhängigkeit wirkt sich nicht nur auf die Betroffenen negativ aus – oft leiden auch die Familie und andere Menschen aus dem nahen Umfeld darunter. Die Bremerin Edith Hatesuer ist Suchtberaterin. Hier gibt sie Tipps, wie man Erkrankten helfen und sich selbst vor einer Co-Abhängigkeit schützen kann.

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Edith Hatesuer, Suchtberaterin in Bremen.
Edith Hatesuer, Suchtberaterin in Bremen.

© Jens Lehmkühler

Was kann ich tun, wenn ich den Verdacht habe, dass jemand aus meinem Umfeld eine Sucht entwickelt hat? 

Für einen Angehörigen kann es hilfreich sein, zunächst eine Suchtberatungsstelle aufzusuchen. Dort gibt es Informationen, ab wann von einer Sucht gesprochen wird, wie ihr Verlauf ist und welche Hilfsangebote es gibt. Manchmal ist es auch gut, mit Freunden zu sprechen, wie sie die Situation wahrnehmen. 

Anschließend sollte man das Gespräch mit der betroffenen Person suchen. Wichtig ist zu wissen, dass Angehörige keine Diagnose stellen müssen. Sie sind nicht in der Beweispflicht, dass eine Sucht vorhanden ist. Stattdessen können sie sagen, was ihnen aufgefallen ist, zum Beispiel, dass der oder die Betroffene in letzter Zeit verstärkt Alkohol oder andere Stoffe konsumiert hat und sie sich Sorgen machen. „Wie schätzt du das für dich selbst ein?“, wäre eine Frage, die man stellen könnte. 

Hintergehe ich die suchtkranke Person nicht, wenn man ohne ihr Wissen bei einer Beratungsstelle oder im Freundeskreis über sie spricht?

Auf keinen Fall. Angehörige sind ja erst einmal verunsichert. Es geht darum, Informationen einzuholen. Wenn man ein schlechtes Gewissen deswegen hat, ist man schon mitten im Suchtsystem. Sucht hat ja viel mit Tabuisierung zu tun. 

Wie gehe ich damit um, wenn die betroffene Person keine Krankheitseinsicht hat und das Problem verdrängt?

Wichtig ist, dass Angehörige ihren Suchtverdacht äußern. Dabei sollte man nicht den Anspruch haben, dass die betroffene Person sofort einsichtig ist und sich Hilfe sucht. Aber man kann ihr anbieten, sie zu unterstützen, zum Beispiel Kontaktdaten von Beratungsstellen zur Verfügung stellen. Auf keinen Fall aber sollte man einen Termin bei einer Beratungsstelle für sie vereinbaren: In 99 Prozent der Fälle kommt niemand. Es ist wichtig, dass die betroffene Person selbst die Initiative ergreift. Das ist der erste Schritt zur Krankheitseinsicht.

Und was kann ich tun, wenn sich auch nach mehreren Gesprächen nichts ändert?

In einer Partnerschaft kann die nichtsüchtige Person zum Beispiel sagen: „Solange du unter Alkoholeinfluss stehst, rede ich nicht mit dir.“ Wichtig ist zu verdeutlichen, dass man mit dem Konsum des Süchtigen ein Problem hat und sich davon abgrenzen will. So baut man einen konstruktiven Leidensdruck auf. 

Das gleiche gilt zum Beispiel bei Freundinnen und Freunden, die stets anrufen, wenn sie alkoholisiert sind. Dann kann die angerufene Person sagen: „Tut mir leid, ich rede gerne mit dir, wenn du nüchtern bist. Jetzt leg‘ ich auf.“ Die betroffenen Personen müssen merken, dass es Grenzen gibt. Setzt man keine Grenzen, baut sich eine Co-Abhängigkeit auf. 

Was bedeutet Co-Abhängigkeit? 

Wenn Angehörige sich mit dem Konsum ihrer Liebsten unwohl fühlen, dieses Gefühl aber verdrängen, und sich einreden, dass es ja nicht so schlimm ist, sind sie schon in der Co-Abhängigkeit verstrickt. Die eigenen Befindlichkeiten werden heruntergespielt und das Verhalten der konsumierenden Person relativiert. Dann heißt es: Naja, er oder sie geht ja noch regelmäßig arbeiten. Dabei wird häufig übersehen, dass die Person emotional aber nicht mehr so erreichbar ist wie ohne den Konsum. 

Wie kann ich mich vor einer Co-Abhängigkeit schützen?

Mit einer ehrlichen Selbstreflektion. Man sollte sich fragen: Halte ich schon mehr aus, als ich aushalten kann? Wie glücklich bin ich mit dem Konsum des Anderen? Was habe ich schon alles unternommen, um die Situation zu verbessern? Mit diesen Fragen, die meistens für die Angehörigen eher unangenehm sind, kann man sich vor Co-Abhängigkeit schützen.

Angehörige wollen ja meist helfen. Welche Grenzen hat die Fürsorge?

Wenn die suchtkranke Person in der Wohnung zum Beispiel Chaos hinterlassen oder sich übergeben hat, ist es nicht Aufgabe der Angehörigen, aufzuräumen oder sauberzumachen. Das sollte die Person machen, die die Situation verursacht hat. Hintergrund ist, dass sie mit dem Ausmaß des eigenen Konsums konfrontiert wird. Wenn man das als Angehöriger nicht aushält, sollte man die Wohnung verlassen und die Ansage machen, dass man die Räume bei Rückkehr wieder sauber vorfinden möchte. 

Ist das nicht sehr hart, so mit einem Menschen umzugehen, dem es ganz offensichtlich schlecht geht?

Das hat nichts mit Hartsein zu tun, das ist Klarheit. So werden Grenzen gesetzt: Du hast die Situation verursacht, also kannst du sie auch regeln. Das gleiche gilt natürlich für den Anruf beim Arbeitgeber wegen einer Krankmeldung, weil noch zu viel Restalkohol im Blut ist. Je mehr die betroffene Person mit den Auswirkungen des eigenen Konsums konfrontiert wird und Eigenverantwortung übernimmt, desto größer ist die Chance der Krankheitseinsicht.

Autorin: Janet Binder

Hier finden Angehörige Hilfsangebote:

  1. Bei der Interessenvertretung NACOA erhalten Kinder und Jugendlichen aus suchtbelasteten Familien ein kostenloses Angebot aus Mail-Beratungen, Einzel- und Gruppen-Chats sowie Telefonberatung, auch anonym. Auch Lehrkräfte, Kita-Mitarbeitende, Angehörige oder andere Personen aus dem Umfeld von Suchtkranken können sich an die Beratungsstelle werden. Edith Hatesuer, Ansprechpartnerin NACOA Bremen: 0421 - 9601991
  2. Ambulante Suchthilfe Bremen: Neben den Angeboten in den Drogenhilfezentren gibt es eine Angehörigengruppe, die sich montags von 17.00 bis 18.50 Uhr trifft. Vor der ersten Teilnahme wird um ein Vorgespräch gebeten. Kontakt: Drogenhilfezentrum Mitte, 0421 989790, E-Mail: info@ash-bremen.de
  3. Al-Anon Familiengruppen sind eine Selbsthilfegemeinschaft, die sich an Angehörige und Freunde von Alkoholikerinnen und Alkoholikern richtet. Der regelmäßige Besuch der Meetings soll die Selbstverantwortung der Angehörigen stärken. In Bremen, Bremerhaven und der Region existieren mehrere AI-Anon-Gruppen. Hier geht es zum Meeting-Finder.
  4. Anonyme Co-Abhängige (CoDA): „Co–Dependents Anonymous“ wurde Mitte der 1980er-Jahre in den USA gegründet. Die 12 Schritte und 12 Traditionen, nach denen in den Selbsthilfegruppen gearbeitet wird, wurden von den Anonymen Alkoholikern übernommen. Hier geht es zum Meeting-Finder. 
  5. Gemeinsam gegen die Sucht – Selbsthilfegruppen für Suchtkranke und Suchtgefährdete in Bremen (GGS): Die GGS besteht aus drei Selbsthilfegruppen im Bremer Stadtgebiet, in denen sich Suchtkranke, Suchtgefährdete und Angehörige von Suchtkranken treffenHier geht es zu den Meetings und zu Kontakten.
  6. Suchtberatungsstelle der AWO Bremerhaven
  7. Suchtberatung Caritas Bremen
  8. Release – Netzwerk psychosozialer Hilfen: Beratungsstellungen gibt es in Stuhr, Weyhe, Syke, Bassum und Bruchhausen-Vilsen. Kontakt: 0421 89 32 3, E-Mail: info@release-netz.de, www.release-netz.de
  9. Beratungsführer Sucht vom Gesundheitsamt: Hier sind alle Bremer Beratungsstellen und Kliniken aufgeführt, an die sich auch Angehörige wenden können.

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