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AOK Bremen/Bremerhaven

Lernen zu leben

Veröffentlicht am:11.10.2023

5 Minuten Lesedauer

Fünf Jugendliche auf den Spuren ihrer Erkrankung. Das ist die Geschichte des Roadmovies „Expedition Depression“, der im Sommer 2023 Premiere feierte. Der Film soll Mut machen und aufklären. Genau diese Mission verfolgt auch Madeline Albers – selbst Betroffene und heute Genesungsbegleiterin für psychisch Erkrankte.

© Jens Lehmkühler

„Ich konnte das überhaupt nicht definieren“

Dass irgendetwas mit ihr nicht stimmt, hat sie früh gespürt. „Ich war immer ein extrem sensibles Kind“, erinnert sich Madeline Albers. Wenn sie mal wieder weinte – und das passierte oft -, fragten die Eltern stets, was mit ihr sei. Die Antwort der jungen Madeline war immer gleich: Ich weiß nicht! „Ich konnte das auch überhaupt nicht definieren“, sagt sie rückblickend. Ein Mediziner verstand sie. Er bescheinigte ihr eine Dysthymie, das steht für eine dauerhaft gedrückte Stimmung. Aber diese Erklärung kam fast 20 Jahre später.

Es ging gar nichts mehr

Madeline Albers ging zur Schule, schrieb gute Noten und packte auch das Abi. Danach stand ihr der Weg ins Leben offen. „Aber dann kam die Uni“, sagt die Findorfferin. Sie studierte Germanistik und Kommunikations- und Medienwissenschaften. Es lag in ihrer Verantwortung, ob sie zu den Vorlesungen ging oder nicht. Wenn ihr danach war, blieb sie im Bett. Erst nur manchmal, dann immer häufiger. Sie war 24 Jahre, und es ging gar nichts mehr.

„Die beste Entscheidung meines Lebens“

Bis zu einem Tag im Januar 2015. „An diesem Morgen bin ich bin um 6.30 Uhr aufgestanden, habe mich wie automatisiert angezogen und bin zum Hausarzt gegangen.“ Warum, das weiß sie bis heute nicht. Die Ärztin überwies sie gleich in eine Tagesklinik. „Dorthin zu gehen, war die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt Madeline Albers. Denn in der Klinik fand sie Freunde fürs Leben. Menschen mit den gleichen Problemen, die sie auch ohne große Worte verstehen. Und hier erhielt ihre Krankheit einen Namen. Neben der Dysthymie diagnostizierten die Ärzte auch eine rezividierende Depression, später kam noch eine generalisierte Angststörung dazu.

Umgang mit Symptomen finden

Den elf Wochen in der Klinik folgten eine Reha, ein weiterer Klinikaufenthalt und viele Jahre tiefenpsychologisch fundierter Therapie. Für drei Jahre kam außerdem ein Mitarbeiter eines ambulanten psychiatrischen Pflegedienstes zu ihr nach Hause und half ihr, ihren Alltag zu strukturieren. Heute gehe es ihr gut, sagt sie. Sie sei nicht ohne Symptome: „Aber die müssen auch gar nicht beseitigt werden, ich muss nur mit ihnen umgehen können.“

Eigenes Leben macht Sinn

Wie gut es ihr geht, hat sie ausgerechnet in einem Moment erlebt, den die 31-Jährige selbst als den schlimmsten Tag ihres Lebens beschreibt. Im Juli starb ihre herzkranke Katze Glimmer. Seit Jahren hatte sie in unbändiger Angst vor diesem Tag gelebt. Und dann? Natürlich war Madeline Albers unendlich traurig. Aber sie hatte inzwischen ihre Selbstwirksamkeit entdeckt. Ihr eigenes Leben macht Sinn – trotz des Verlustes. 

Hilfe für sich selbst und das Umfeld

Ihr Weg hätte anders verlaufen können. Schon mit 16 Jahren hatte sie ihre Eltern gebeten, mit ihr zu einem Psychologen zu gehen. Dass diese damals nicht aktiv wurden, wirft sie ihnen nicht vor: „Sie waren einfach überfordert.“ Auch sie selbst brauchte dann noch einmal zehn Jahre, bis sie sich Hilfe holte. „Ich habe gedacht, die Zeit heile alle Wunden – das tut sie aber nicht.“ Heute rät sie allen, sich Hilfe zu suchen, wenn die psychische Belastung das Leben einschränke. Man helfe damit nicht nur sich selbst, sondern auch seinem Umfeld. Erst viel zu spät erkannt zu haben, dass ihre Mitbewohnerin Angst um sie entwickelt habe, tue ihr heute unendlich leid.

Heilung ist ausdauernder Trainingsmarathon

Madeline Albers möchte wieder der Autor ihres eigenen Lebens sein. Ihr Studium hat sie abgehakt. Das Schreiben, das sie so sehr liebt, bleibt Leidenschaft und Therapiemittel zugleich. Im April hat sie eine Ausbildung zur Genesungsbegleiterin abgeschlossen und arbeitet 30 Stunden pro Woche bei einem ambulanten psychiatrischen Dienst. Das sei das Richtige für sie, spürt sie. Jetzt hilft sie anderen Menschen, eine Alltagsstruktur aufzubauen. Sie zeigt ihnen, dass die Heilung kein einmaliger Sprung, sondern ein ausdauernder Trainingsmarathon ist, der durch Höhen und Tiefen führt. Und sie ist selbst das beste Beispiel dafür, dass es trotzdem weitergehen kann.

Es geht in kleinen Schritten voran

Es gibt immer noch Tage, an denen die Angst bleischwer auf ihrem Brustkorb liegt. Trotzdem lernt sie jeden Tag mehr, mit ihrer Depression zu leben. Sie weiß, warum es ihr manchmal schlechter geht, und sie hat das akzeptiert. Sie hat beschlossen, nicht darunter zu leiden und passiv zu bleiben, sondern aktiv zu werden. Es geht in kleinen Schritten voran und sie ist auf jeden einzelnen stolz.

Darüber reden oder schreiben

Andere über die Krankheit aufzuklären, ist ihr eine Herzensangelegenheit. Künftig möchte sie auch in Schulen gehen und das Thema Depression weiter enttabuisieren. Betroffenen rät sie, die Fahne der Hoffnung hochzuhalten. „Das Leben ist veränderbar und irgendwo gibt es immer Hilfe. Deshalb: Versucht euch, jemandem anzuvertrauen.“ Zu reden, sei wichtig, sagt Madeline Albers. Oder auch zu schreiben. Sie betreibt einen eigenen Blog. Er heißt learningtolive. Lerne zu Leben.

Text: Stefanie Waterkamp

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