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Gesundheitsmagazin

AOK Bremen/Bremerhaven

Mit Tischtennis gegen Parkinson

Veröffentlicht am:07.03.2025

5 Minuten Lesedauer

Wer die Diagnose Morbus Parkinson erhält, bekommt zwei Empfehlungen: Medikamente einzunehmen und sich regelmäßig zu bewegen. Ärzte schicken Betroffene dafür auch an die Tischtennisplatte.

Zwei Tischtennisspieler in einer Sporthalle beim Ball schlagen. Foto: Jens Lehmkühler

PingPongParkinson bei Werder Bremen

Klack, pock, klack, pock … Wie das Ticken einer Uhr klingt der Tischtennis-Rhythmus durch die alte Werder-Halle. Im vorderen Teil trainiert die Jugend des Vereins, da ist der Rhythmus schneller. Im hinteren Teil geht es gemächlicher zu. Hier spielen keine Profis, sondern Frauen und Männer mit körperlichen Einschränkungen – Wei Jiang, Ute Zimmermann, Ulrich Meine und Karl-Heinz Barg haben Parkinson. 

Der Mittwoch und der Freitag sind in den Terminkalendern der vier fest geblockt. An diesen Tagen ist ein Teil der Halle an der Hemelinger Straße für eine inklusive Gruppe reserviert. Trainer Rami Karnoub leitet Bewohnerinnen und Bewohner des Martinshofes und die Mitglieder von PingPongParkinson bei ihrem Spiel an. Die Bewegung mit dem klingenden Namen schwappte vor einigen Jahren aus den USA nach Deutschland und kam so auch nach Bremen. Seit vergangenem Jahr gibt es den Stützpunkt bei Werder Bremen.

Tischtennis ist Teil der Therapie

Gegründet wurde PingPongParkinson von Nenad Bach und Will Shortz – der eine Ingenieur und Musiker, der andere Redakteur und Tischtennisspieler. Als Bach an Parkinson erkrankte und mehr und mehr die Kontrolle über seine Finger verlor, musste er seine Gitarre zur Seite legen. Eher zum Zeitvertreib ging er mit seinem Kumpel Will zum Tischtennis und war verblüfft, wie gut es ihm tat. Das regelmäßige Training, so wird erzählt, führte dazu, dass Bach seine Finger wieder besser bewegen und irgendwann sogar wieder Gitarre spielen konnte.

Was für Bach die Gitarre, war für Ulrich Meine das Fahrrad. Er radelte gerne, doch das wurde vor ein paar Jahren immer anstrengender. Seinen Freunden fiel auf, dass seine Bewegungen langsamer wurden. Er selbst ärgerte sich darüber, dass seine Stimme so brüchig war, wenn er nach längerer Zeit der Ruhe ins Sprechen kam. „Ich habe das alles erst einmal auf das Alter geschoben“, erzählt der 74-Jährige. Vor gut einem Jahr wandte er sich dann doch an seinen Hausarzt. Die Diagnose ließ nicht lange auf sich warten und war eindeutig: Parkinson. „Im ersten Moment war ich geschockt“, erinnert sich der pensionierte Lehrer. Aber dann habe ihm der Arzt gesagt, dass die Krankheit gut behandelbar sei. „Das war für mich das Signal, nicht zu resignieren, sondern etwas zu tun.“ Auch der Tipp, Tischtennis zu spielen, kam von dem Mediziner.

Protein stört die Kommunikation zwischen Gehirn und Muskeln

Ziel jeglicher Therapie ist es, den Verlauf der Krankheit hinauszuzögern, die bis heute weder vollständig erforscht noch heilbar ist. Was man unter anderem weiß ist, dass ein kleines Protein nach und nach jene Zellen im Gehirn zerstört, die Dopamin produzieren. Dieses Hormon ist nötig, damit das Gehirn und die Muskeln miteinander kommunizieren können. Fehlt der Botenstoff, verlangsamen sich alle motorischen Abläufe. „Wenn Patienten die ersten motorischen Symptome registrieren, sind schon 70 Prozent der betroffenen Nervenzellen zerstört“, erklärt Dr. Jens Schröder, Leitender Oberarzt im Klinikum Bremen-Ost.

Der Wirkstoff Levodopa bringt Linderung. Er wird im Gehirn zu Dopamin umgebaut und kann den Hormonmangel und damit die Bewegungsstörungen bis zu einem gewissen Grad ausgleichen. Die tägliche Medikamenteneinnahme sei aber nur ein kleiner Teil der Parkinson-Therapie, sagt Schröder: „Mindestens ebenso wichtig ist es, den Körper gesund und in Bewegung zu halten. Jede Stimulation ist gut.“

Tremor, Steifheit und schlechter Schlaf können Symptome sein

Zwei Personen spielen Tischtennis in einer Halle. Foto: Jens Lehmkühler

Die Tischtennisspielerinnen und -spieler stemmen sich gegen die Einschränkungen der Krankheit, die viele Gesichter hat. Ute Zimmermann ist sie gar nicht anzusehen. Denn richtig zu Tage tritt die Krankheit bei ihr in der Nacht. Sie schläft schlecht, träumt wild. „Ich laufe im Schlaf herum, schlage um mich, ich schreie und trete.“ Bei Wei Jiang ist die linke Körperhälfte von Steifheit betroffen, und auch seine Feinmotorik ist eingeschränkt. Karl-Heinz Barg hat einen Tremor, seine linke Hand zittert unkontrolliert.

Und dann ist da noch Eberhard Dronia. Lange steht der 85-Jährige zu Trainingsbeginn am Rand der Halle. Er ist wie eingefroren, bis sein Körper irgendwann bereit ist: Den Schläger in der Hand geht er mit Minischritten Zentimeter um Zentimeter voran, bis er endlich an der Platte steht und den ersten Ball spielt. Nichts weist mehr auf das „Freezing“ hin, das ihn noch vor wenigen Minuten am Rand der Halle festhielt. Hin und her geht der Ball. Kann Eberhardt Dronia mal nicht parieren, bückt er sich, um den Ball aufzuheben. „Ich spiele auch Walking-Football“, verrät er später. „Wenn ich einen Ball habe, dann laufen meine Füße.“ 

Training mit umfassender Wirkung

PingPongParkinson geht davon aus, dass das Tischtennistraining die Motorik der Erkrankten verbessert. Die Organisation verweist auf kleine Studien aus China und Schweden, die den Nutzen des regelmäßigen Trainings belegen – sowohl für die Bewegungen, vor allem aber für die Psyche, denn häufig leiden die Betroffenen auch unter Depressionen. Das Spielen lenkt ab und muntert sie auf.

Auch Dr. Jens Schröder kennt die Tischtennis-Empfehlung für Menschen mit Parkinson. „Ich glaube jedem Patienten, der berichtet, dass eine langfristige Wirkung spürbar ist.“ Tischtennis biete alles, was in medizinischen Therapien angewandt werde: Das Klicken des Balls auf Schläger und Platte sorge für einen gleichmäßigen Rhythmus und jeder Schlag fördere die Feinmotorik, außerdem werde die Haltung gelockert. „Obendrein gehen die Menschen in den Austausch und haben Spaß.“

Kurzfristig zeigt das Training eine sichtbare Wirkung. Ute Zimmermann geht es an diesem Freitagabend gut, das zeigt ihr Gesicht, das verrät ihr lautes Lachen. Sie habe damals nach der Diagnose etwas tun und andere Betroffene treffen wollen. „Aber ich wollte keine passive Selbsthilfegruppe.“ PingPongParkinson ist aktiv, außerdem gesellig und sportlich. „Ich fühle mich nach dem Training einfach besser“, berichtet auch Wei Jiang, für den die Diagnose trotz der Schwere eine Erleichterung war. Es hätte auch etwas Schlimmeres sein können, denkt er.

Die Gruppe soll wachsen

Noch ist die PingPongParkinson-Gruppe klein. Aber Sven Hinrichs, Regionalleiter des Verbandes für Bremen, setzt alle Hebel in Bewegung, um das Sportangebot bei medizinischem Fachpersonal und Kliniken bekannt zu machen. Zudem möchte er weitere Vereine für PingPongParkinson gewinnen, das mittlerweile sogar große Meisterschaften ausrichtet. 

Mit dabei ist dann auch häufig Lars Rokitta aus dem niedersächsischen Eystrup. Er hat sich schon vor Jahren PingPongParkinson verschrieben, startet bei Wettbewerben und hat im Jahr 2021 im Mixed sogar einen Weltmeistertitel geholt. „Er hat das Ganze irgendwie ins Rollen gebracht und ist oft auch zu unserem Training gekommen“, berichtet Ute Zimmermann. „Noch heute ist er unserer Gruppe sehr verbunden.“ Jetzt macht er die Bremer „heiß“, auch mal bei Wettbewerben anzutreten.

400.000 Parkinson-Erkrankte gibt es nach Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen deutschlandweit, allein bei der AOK Bremen/Bremerhaven sind annähernd 1000 versichert. „Da ist noch viel Potenzial“, ist Hinrichs überzeugt.

Ziel sind lange Ballwechsel

Im Training in der Werder-Halle geht es nicht darum, das Gegenüber von der Platte zu putzen. „Unser Ziel sind möglichst lange gleichmäßige Ballwechsel“, erzählt Rami Karnoub. Der 51-Jährige ist Trainer bei Werder. In seiner Jugend spielte er für die Jugendnationalmannschaft von Syrien, in Bremen einst in der Verbandsliga. Reihum kommen alle zu ihm an die Platte. Jeder spielt mal gegen jeden oder mit jeder – Ute mit Karl-Heinz, Wei mit Ulrich, Parkinsonpatienten mit Bewohnerinnen des Martinshofes.

Ein Jahr nach der Diagnose sagt Ulrich Meine, er habe zu seinem alten Leben zurückgefunden. Zu diesem gehört jetzt zwar, dass er etwas gebeugt geht und sich langsam bewegt, aber auch zu wandern und zu radeln. Das sei wieder möglich, berichte er. Meine mag diese Entwicklung nicht allein dem Tischtennistraining zuschreiben. Wie alle hier absolviert er ein straffes Programm mit Ergo-, Faszien- und Physiotherapien, eine logopädische Therapie hat er bereits erfolgreich abgeschlossen. „Das alles mache ich, weil es vernünftig ist“, sagt Ulrich Meine. „Aber das einzige, was mir davon auch Spaß macht, ist – Tischtennis.“

Hilfe in Bremen

  • In Bremen haben die Paracelsus-Klinik und die Klinik Bremen-Ost gemeinsam ein Parkinson-Netzwerk gegründet. Ziel ist es, durch eine bessere Vernetzung aller beteiligten Professionen die Versorgung von Parkinson-Betroffenen zu verbessern. 
  • In der Paracelsus-Klinik sind Betroffene und Angehörige jeden dritten Donnerstag eines Monats zwischen 15 und 17 Uhr zum Paracelsus Parkinson-Café eingeladen. Anmeldung per Mail an susanne.kutzborski@pkd.de
  • Gelegenheit zum Austausch bieten auch Selbsthilfegruppen in Bremen und Bremerhaven. Selbsthilfe-wegweiser.de und selbsthilfe-bremerhavener.de.
  • Vereine, die sich für PingPongParkinson interessieren, wenden sich an Sven Hinrichs unter sven-hinrichs@pingpongparkinson.de
  • Weitere Infos zu PingPongParkinson bei Werder Bremen

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