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Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige: gemeinsam Kraft schöpfen
Veröffentlicht am:22.08.2023
3 Minuten Lesedauer
Bloggerin Kati Borngräber schreibt über ihre Herzensthemen: Geschichten über alte Menschen und die, die sie unterstützen.
Schleswig-Holstein – Mittwoch, 19.30 Uhr, in einem schlicht möblierten Besprechungsraum eines Gemeindehauses. Sechs Frauen und ein Mann im Alter von 60 bis 80 Jahren sitzen um einen Tisch, vor sich Tassen mit dampfendem Kräutertee. Es brennen Kerzen, die beige Leinentischdecke ist mit echtem Sand und einem Dutzend verschiedener Vogelfedern dekoriert.
Eine der Frauen hält ein Buch in der Hand und liest einen kurzen Text vor. Er handelt von Nebel, der den Ich-Erzähler einschränkt und klein macht, ihn aber gleichzeitig auch schützt und einlullt und ihm so erlaubt, Kraft zu schöpfen für die Zeit, in der es um ihn herum wieder aufklart.
Als sie geendet hat, blickt sie freundlich in die Runde und sagt: „Sicherlich fühlt ihr euch auch gerade von Nebel umgeben.“ Die Blicke der Anwesenden signalisieren Zustimmung. „Vielleicht möchte jemand anfangen und berichten, was ihn beschäftigt.“
„Die Menschen müssen sich willkommen fühlen“
Die Frau mit dem Buch heißt Evelyn, ist 71 und war früher Krankenschwester. Seit einigen Jahren leitet sie ehrenamtlich eine Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörigen. Einmal im Monat trifft sie sich mit ihren sechs Schützlingen, die alle einen Partner pflegen oder eine längere häusliche Pflegetätigkeit hinter sich haben.
Jedes Treffen bereitet Evelyn sorgfältig vor, sucht Bücher oder Segenssprüche aus und stellt eine dazu passende Dekoration zusammen. Vor allem der Gesprächsbeginn falle vielen Teilnehmern schwer, weshalb sie sich stets einen besonderen Einstieg überlege, um das Eis zu brechen. „Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie willkommen sind und mit ihren Sorgen irgendwohin können“, sagt Evelyn.
Wie es sich anfühlt, wenn einem das Leben übel mitspielt, weiß die Rentnerin aus eigener Erfahrung. Sie selbst war schwer krank und ist seit dem Tod ihres Mannes Witwe. Bei der Bewältigung dieser Schicksalsschläge hat ihr der Glaube an Gott sehr geholfen.
Reden hilft
Die Selbsthilfegruppe bietet den Teilnehmern einen geschützten Raum. „Hier reden wir ganz offen, ganz frei und ohne, dass etwas nach außen dringt“, so Evelyn. Das sei sehr wichtig, da die pflegenden Angehörigen auf diese Weise Gelegenheit hätten, auch das auszusprechen, was sie vor Familienmitgliedern oder Nachbarn nicht zu sagen wagen.
„Da fällt schon mal ein ,Ich kann nicht mehr’ oder auch ,Ich will nicht mehr’ – und das ist auch völlig in Ordnung“, betont die Leiterin der Selbsthilfegruppe. Schließlich müssten viele Teilnehmer damit zurechtkommen, dass ihre Partner sich infolge ihrer Erkrankung sehr verändern: Manche werden aggressiv, andere fordern sehr viel oder klammern sich an den pflegenden Angehörigen. Das belastet.
Teilnehmer der Selbsthilfegruppe tauschen sich aus
Ratschläge, wie man sich in solchen Situationen verhalten soll, gibt Evelyn jedoch ungern. Stattdessen versuchen sie und die anderen Teilnehmer, zuzuhören und neue Wege aufzuzeigen. Manchmal gibt es auch jemand anderen in der Selbsthilfegruppe, der etwas Ähnliches erlebt hat, und von seinen Erfahrungen berichtet.
„Zu wissen, dass man mit einem Problem nicht allein ist, wirkt oft schon lindernd“, sagt die ehemalige Krankenschwester. So haben die Selbsthilfegruppenteilnehmer etwa gemeinsam herausgefunden, dass es sinnvoll sein kann, zu Menschen mit Demenz ganz laut „Nein“ zu sagen, wenn sie sich herausfordernd verhalten.
Nach 90 Minuten enden die Treffen der Selbsthilfegruppe – für gewöhnlich mit einem weiteren kurzen Text, der an das eingangs Gesagte anknüpft. Soweit das Protokoll. Tatsächlich überzieht Evelyn aber meistens. „Oft bleiben wir noch ein bisschen sitzen und reden – dann merke ich, wie sich die Teilnehmer so richtig angenommen und geborgen fühlen.“
Selbsthilfe – ein starkes Netz
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