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Glutenfreie Ernährung – sinnvoll und gesund?

Veröffentlicht am:04.01.2021

5 Minuten Lesedauer

Aktualisiert am: 08.04.2024

Wer unter Zöliakie leidet, muss sich glutenfrei ernähren und Alternativen zu den meisten Getreideprodukten finden. Aber ist eine glutenfreie Ernährung und der Verzicht auf Gluten auch für andere Menschen ratsam? Ein Experte klärt auf.

Junge Frau isst Obstsalat und damit garantiert glutenfrei.

© iStock / zoranm

Der Experte: Prof. Dr. Detlef Schuppan von der Universitätsklink Mainz und der Harvard Medical School in Boston hat die Forschung und klinische Entwicklung zum Verständnis und zur Therapie der Zöliakie und der Nicht-Zöliakie-Weizen-(Gluten-)Sensitivität entscheidend vorangetrieben. Er ist Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der deutschen Zöliakie-Gesellschaft und Autor des Buches „Tägliches Brot: Krank durch Weizen, Gluten und ATI“.

Was ist Gluten und worin ist es enthalten?

„Gluten ist ein Speicherprotein, das in Getreidesorten wie Weizen, Dinkel, Einkorn, Emmer, Roggen und Gerste vorkommt“, erklärt Prof. Dr. Detlef Schuppan. „Es wird auch Klebereiweiß genannt und sorgt zum Beispiel im Brot für die Luftigkeit und den Zusammenhalt. In einigen Fällen macht man sich diese Binde- und Klebeeigenschaften für Medikamente zu Nutze und setzt Gluten als Bindestoff ein. Auch wenn es nur in geringen Mengen enthalten ist, könnte es ein Risiko für Zöliakie-Patienten darstellen.“ Bei einer Zöliakie haben Betroffene eine Unverträglichkeit gegenüber Gluten – und das ein Leben lang. Menschen, die an dieser Krankheit leiden, haben keine Wahl: Sie müssen auf bestimmte glutenhaltige Getreidesorten verzichten. Darüber hinaus sind auch andere Produkte tabu, die Gluten enthalten können. Das Essen im Restaurant, oder bei Freundinnen und Freunden ist damit keine Selbstverständlichkeit. Das gilt auch für Menschen, bei denen keine Zöliakie, sondern nur eine Glutenunverträglichkeit, diagnostiziert wurde. Auch diesen Patienten und Patientinnen hilft der Verzicht, sich besser zu fühlen.

Zöliakie, Weizenallergie oder Weizensensitivität: Was ist der Unterschied?

Die Verdauung spielt nach dem Verzehr von glutenhaltigen Lebensmitteln verrückt – was steckt dahinter? Die Medizin unterscheidet drei Arten von Reaktionen auf Weizen:

  • Weizensensitivität: Betroffene haben keine Weizenallergie oder Zöliakie, bekommen aber trotzdem Verdauungsprobleme, wenn sie weizenhaltige Produkte zu sich nehmen. Die Beschwerden verringern sich, sobald weniger Weizen aufgenommen wird. Die Darmschleimhaut verändert sich bei einer Sensitivität nicht krankhaft.
  • Weizenallergie: Wenn Betroffene glutenhaltige Nahrungsmittel essen, zeigen sie allergische Reaktionen, zum Beispiel Juckreiz, Hautausschlag, Durchfall, Kopfschmerzen oder eine laufende Nase. Die Allergie kann auch gegenüber anderen Weizenbestandteilen bestehen. Von einer Weizenallergie sind überwiegend Säuglinge und Kleinkinder betroffen.
  • Zöliakie: Bei einer Zöliakie handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der die Darmschleimhaut in Mitleidenschaft gerät. Das Gluten löst eine Entzündungsreaktion im Darm aus; das fehlgeleitete Immunsystem verstärkt diese Reaktion. Wichtig ist, bei einer Zöliakie ausnahmslos glutenfrei zu essen.

Diese Lebensmittel enthalten Gluten oder sind bei der Verarbeitung möglicherweise in Kontakt mit dem Klebereiweiß gekommen:

  • Getreide: Weizen, auch Hart- und Weichweizengrieß, Dinkel, Emmer, Urkorn, Einkorn
  • Triticale (neue Getreideart aus Weizen und Roggen), Tritordeum (Getreidesorte aus Harzweißen und Wildgerste), Roggen, Gerste, Hafer (in Ausnahmefällen)
  • Gemüse: Paniert oder im Teigmantel
  • Müslimischungen
  • Panierter Käse
  • Fleisch: Paniertes oder bemehltes Fleisch, Grützwurst, Hackgerichte (Frikadellen, Hackbraten)
  • Fisch: Brathering, Fischfrikadellen, Rollmöpse, panierter Fisch, Fischklöße
  • Fleischersatz: Seitan, panierte Fleischersatzprodukte
  • Süßes: Waffeln, Schokolade, Eiscreme, Kekse
  • Getränke: Bier, Malzbier, Getreidekaffee, Weizentee

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Welche glutenfreie Getreide gibt es?

„Zwar gelten Weizenprodukte als ballaststoffreich, und was Vollkorn betrifft, ist das sicherlich auch richtig, aber es gibt auch Getreidesorten, die kein Gluten enthalten, zum Beispiel Amaranth, Teff, Hirse, Reis oder Mais. Auch Hülsenfrüchte sind gute Ballaststofflieferanten“, sagt Prof. Dr. Schuppan.

Darüber hinaus sind diese Lebensmittel glutenfrei – sofern sie bei der Verarbeitung nicht verunreinigt worden sind:

Reiswaffeln und Karotten in einer Lunchbox - so geht glutenfrei.

© iStock / Irina Kozmova

Als Snack bieten sich bei einer glutenfreien Ernährung zum Beispiel glutenfreie Reiswaffeln und Gemüsesticks an.

Mittlerweile gibt es auch viele glutenfreie Produkte, die garantiert weniger als 20 mg Gluten pro Kilogramm enthalten und als absolut sicher für Menschen mit Zöliakie gelten. Hier kann es allerdings sein, dass die Konsumenten allergisch auf die Ersatzstoffe reagieren. Ein Problem kann es auch für Veganer und Veganerinnen oder Vegetarier und Vegetarierinnen mit chronischen Erkrankungen geben. Ich empfehle meinen Patientinnen und Patienten, die auf stärker verarbeitete Produkte zurückgreifen, darauf zu achten, dass möglichst wenig Zusatzstoffe enthalten sind.“

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Welche Vorteile kann eine glutenfreie Ernährung bieten?

Bei gesunden Menschen konnten laut Prof. Schuppan bisher keine Nachteile einer glutenhaltigen Ernährung nachgewiesen werden. „Tierversuche haben gezeigt, dass Mäuse, die mit ATI (Weizenproteine in glutenhaltigen Lebensmitteln) oder Weizen – in Mengen, die mit dem durchschnittlichen Konsum bei uns vergleichbar sind – vermehrt an Gewicht zunehmen, mit erhöhtem Bauch- und Leberfett, vermehrter Insulinresistenz (Typ 2 Diabetes), und eine Leberfibrose entwickeln“, erklärt der Arzt.

Ferner verstärken ATI entzündliche Erkrankungen des Darms und sogar des zentralen Nervensystems wie Alzheimer. Diese Ergebnisse werden durch erste klinische Studien an Patienten und Patientinnen mit definierten entzündlichen Grunderkrankungen bestätigt.“

Ein freiwilliger Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel bedeute laut Prof. Dr. Schuppan nicht automatisch, dass die Ernährung gesund ist: „Bei einer diagnostizierten Zöliakie ist der Verzicht wissenschaftlich begründet und unerlässlich! Bei einem medizinisch unbegründeten Glutenverzicht können aber potenzielle Nachteile und Risiken überwiegen.“

„Gluten ist kein Stoff, den der Körper braucht und der substituiert werden muss.“

Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan
Universitätsklinik Mainz und Harvard Medical School in Boston

Liefert eine glutenfreie Ernährung dem Körper alle wichtigen Nährstoffe?

Einige Menschen, die ihre Ernährungsweise auf eine glutenfreie Ernährung umstellen, erleben in der Anfangszeit eine Gewichtszunahme. Zum einen, weil sie vermehrt auf glutenfreie – aber zucker-, fett- und kalorienreiche – Fertigprodukte zurückgreifen. Zum anderen, weil sie mehr essen als vorher, da sättigende Ballaststoffe in diesen Gerichten oft fehlen. Hinzukommt: Oftmals haben Betroffene bereits vor der Ernährungsumstellung mit Mangelerscheinungen zu kämpfen. Diese können durch eine unausgewogene, glutenfreie Ernährung verstärkt werden.

Doch Prof. Schuppan macht deutlich: „Auf jeden Fall kann man auf Gluten verzichten und sich trotzdem sehr ausgewogen ernähren. Besonders, wenn man keine Zöliakie, sondern eine NCGS hat. Eine NCGS ist eine Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität, bei der Zöliakie-ähnliche Symptome auftreten, obwohl keine Zöliakie vorliegt. In beiden Fällen sind auch Haferflocken, eine wichtige Quelle an Faserstoffen und Vitaminen, meistens kein Problem. Bei Zöliakie müssen sie allerdings als glutenfrei zertifiziert sein.“

Alle unverarbeiteten Grundnahrungsmittel sind bei einer glutenfreien Ernährung erlaubt – und wichtig, um mit allen Nährstoffen versorgt zu werden. „Obst und Gemüse, Fisch, Fleisch, Milchprodukte – damit kann man sich leicht vollwertig ernähren. Gluten ist kein Stoff, den der Körper braucht und der substituiert werden muss. Wer aus gesundheitlichen Gründen auf bestimmte Lebensmittel verzichten muss, bekommt bei einer qualifizierten Ernährungsfachkraft individuelle und alltagstaugliche Hilfe“, sagt Prof. Schuppan.

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