Baby & Kleinkind
Fetales Alkoholsyndrom: Schon ein paar Gläschen sind zu viel
Veröffentlicht am:12.07.2022
5 Minuten Lesedauer
Frauen, die schwanger sind oder es werden wollen, sollten auf Alkohol komplett verzichten, denn: Die Leber des ungeborenen Kindes kann das Zellgift noch nicht abbauen. Die Folgen sind mitunter schwerwiegend.
So häufig liegt das fetale Alkoholsyndrom vor
Schwangere Frauen sollten keinen Alkohol trinken, denn dieser gelangt mit dem Blut der Mutter ungehindert in den Blutkreislauf des ungeborenen Kindes. Dort richtet er weitaus größere Schäden an als bei einem erwachsenen Menschen. Trotz aller Warnungen nehmen laut Umfragen rund 20 Prozent aller Frauen in Deutschland auch während ihrer Schwangerschaft hin und wieder Alkohol zu sich. Bei acht Prozent gilt der Konsum sogar für die Frauen selbst als riskant. Das heißt, sie trinken entweder fast täglich Alkohol oder gelegentlich größere Mengen.
Für die ungeborenen Kinder kann der Alkoholkonsum der Mütter fatale Folgen haben: Jährlich kommen hierzulande rund 10.000 Babys mit Beeinträchtigungen zur Welt. Diese Auffälligkeiten werden unter dem Begriff Fetale Alkoholspektrumstörung, kurz FASD (abgeleitet von der englischen Bezeichnung Fetal Alcohol Spectrum Disorders), zusammengefasst. Verbunden sind diese oftmals mit lebenslangen körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, die unter anderem zu Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten führen können, etwa Ruhelosigkeit, Reizbarkeit und erhöhte Aggressivität. Für viele Betroffene ist es selbst später, wenn sie erwachsen sind, schwer bis unmöglich, den Alltag zu bewältigen und für sich selbst zu sorgen. Das gilt vor allem für die rund 3.000 Kinder, die jedes Jahr mit der schwersten Form der FASD, dem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS), geboren werden.
FASD: Welche Schweregrade gibt es?
Alkohol ist ein Zellgift, das bei Erwachsenen in der Leber relativ rasch wieder abgebaut wird. Die Leber des ungeborenen Kindes ist dazu aber noch nicht in der Lage. Dadurch beeinflusst der Alkohol die Entwicklung aller Organe, insbesondere die des Gehirns. Infolgedessen kann es zu Störungen des zentralen Nervensystems, zu Wachstumsstörungen und Fehlbildungen kommen.
Je nach Schweregrad der FASD wird in der Medizin zwischen vier Formen unterschieden, die durch unterschiedliche Symptome gekennzeichnet sind:
- FAS (Fetales Alkoholsyndrom): Diese schwerste Form des FASD, die mitunter auch Alkoholembryopathie genannt wird, ist mit Störungen des zentralen Nervensystems, Wachstumsstörungen und Fehlbildungen verbunden.
- pFAS (partielles Fetales Alkoholsyndrom): Hier kommt es zu weniger sichtbaren und nicht in allen Bereichen auftretenden Anzeichen eines FAS. Typischerweise liegen keine Fehlbildungen vor.
- ARND (Alcohol Related Neurodevelopmental Disorder, auf Deutsch: Alkoholbedingte neurologische Entwicklungsstörung): Diese Form macht sich durch Störungen des zentralen Nervensystems ohne körperliche Anzeichen bemerkbar.
- ARBD (Alcohol Related Birth Defects, auf Deutsch: Alkoholbedingte Geburtsdefekte): Hierbei liegen Fehlbildungen an Organen und/oder den Knochen vor, das Gehirn ist jedoch normal entwickelt.
Für eine ärztliche Diagnose der ARND und ARBD muss bestätigt sein, dass die Mutter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken hat. Ein FAS oder pFAS können auch dann diagnostiziert werden, wenn über die Trinkgewohnheiten der Mutter nichts bekannt ist.
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Besonderes Symptom: Fetales Alkoholsyndrom zeigt sich im Gesicht
Neben den genannten Symptomen weisen vor allem kleine Kinder mit einem FAS fast immer einige charakteristische Veränderungen im Gesicht auf: Ihre Lidspalte kann verkürzt und die Oberlippe nur schmal ausgebildet sein. Die vertikale Furche zwischen Nase und Oberlippe, das Philtrum, zeigt sich möglicherweise nur schwach oder gar nicht ausgeprägt.
Darüber hinaus haben die betroffenen Kinder einige andere körperliche Auffälligkeiten: Bereits bei ihrer Geburt sind sie meist kleiner und leichter als andere Babys. Das ändert sich auch in den folgenden Jahren kaum.
Auch das Gehirn ist oft kleiner als bei anderen Kindern. Zudem ist der Austausch von Informationen zwischen den einzelnen Hirnarealen vielfach gestört. Dies kann sich unter anderem durch Schwierigkeiten beim Spracherwerb sowie beim Lesen und Rechnen äußern oder auch durch eine beeinträchtigte Feinmotorik oder Wahrnehmungsstörungen.
Wann ist Alkohol in der Schwangerschaft am schädlichsten?
Das Risiko für die Entwicklung einer FASD steigt mit der Höhe und der Regelmäßigkeit des mütterlichen Alkoholkonsums. Andere Faktoren vergrößern die Gefahr zusätzlich. Zu ihnen zählen beispielsweise ein höheres Alter der Mutter, ein schlechter Ernährungszustand, vermehrter Stress und die gleichzeitige Einnahme von Amphetaminen oder anderen Drogen.
Am schädlichsten ist der Alkohol für das Ungeborene, wenn er in den ersten zwei Dritteln der Schwangerschaft getrunken wird – also in der Phase, in der alle Organe des kindlichen Körpers angelegt werden. Insbesondere in den ersten sechs Wochen ihrer Schwangerschaft wissen viele Frauen allerdings noch gar nicht, dass in ihrem Bauch ein Kind heranwächst, weswegen sie womöglich aus Versehen Alkohol während der Schwangerschaft trinken. Deswegen raten Mediziner und Medizinerinnen inzwischen allen fruchtbaren Frauen, die nicht verhüten, auf Alkohol vollständig zu verzichten.
Die Menge macht’s?
Eine unbedenkliche Menge Alkohol gibt es für das Ungeborene nicht. Schon ein Glas Wein oder Bier kann dem sich entwickelnden Kind schaden. Und bereits ein einmaliges Rauschtrinken mit mindestens fünf alkoholischen Getränken während der Schwangerschaft kann eine FASD zur Folge haben. Am geringsten ist das Risiko, wenn die Mutter nur im letzten Schwangerschaftsdrittel gelegentlich kleine Mengen Alkohol trinkt. Ganz ausschließen lässt es sich aber auch dann nicht.
Eine frühzeitige Förderung erleichtert den betroffenen Kindern das Leben
Bis heute erhalten Schätzungen zufolge 90 bis 95 Prozent der an FASD erkrankten Kinder keine oder eine falsche Diagnose – die Symptome ähneln zum Beispiel denen einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Das liegt unter anderem daran, dass die meisten Mütter ihren Alkoholkonsum während der Schwangerschaft entweder aus Angst vor Stigmatisierung verschweigen oder erst gar nicht danach gefragt werden.
Für die betroffenen Kinder ist das fatal. Zwar sind die Schäden des Gehirns, die durch mütterlichen Alkoholkonsum verursacht werden, irreparabel. Umso wichtiger sind daher aber gezielte und frühzeitige Fördermaßnahmen, um die Auswirkungen dieser Schäden zu minimieren. Die Entwicklung von Kindern mit FASD stellt sich zu einem unbestimmten Zeitpunkt ein, weshalb eine möglichst intensive Förderung bis zu diesem Punkt hilfreich ist. Eine erste Anlaufstelle ist die kinderärztliche Praxis. Für werdende Mütter, denen es schwerfällt, auf Alkohol zu verzichten, gibt es ebenfalls Hilfsangebote.