Baby & Kleinkind
Wenn das Kind nicht wächst – Gedeihstörungen bei Kindern
Veröffentlicht am:14.11.2024
6 Minuten Lesedauer
Wir haben in Deutschland ausreichend Lebensmittel. Wenn Kinder bei uns untergewichtig sind oder kaum wachsen, liegt das selten an Mangelernährung, sondern meist an zugrundeliegenden Erkrankungen. Welche sind das und worauf können Eltern achten?
Wann spricht man von einer Gedeihstörung?
Eine Gedeihstörung bedeutet, dass ein Kind sich körperlich nicht so gut entwickelt, wie es sollte. Allerdings ist eine Gedeihstörung selbst keine Krankheit. Mediziner und Medizinerinnen verwenden diesen Begriff, um den körperlichen Zustand mit den typischen Merkmalen bei einem Kind zu beschreiben, dessen körperlicher Entwicklungsfortschritt zu gering ist. Das kann bereits in der Gebärmutter, im Baby- oder Kleinkindalter, aber auch noch bei Jugendlichen der Fall sein. Diese Merkmale einer Gedeihstörung sind:
- zu geringes Körpergewicht
- zu geringe Zunahme an Gewicht oder sogar Gewichtsabnahme
- zu geringe Körpergröße
Um jeweils dieses „zu gering“ zu definieren, bedarf es eines Vergleichsmaßstabs. Fachleute sprechen dann von einer Gedeihstörung, wenn
- die 3. Perzentile für das Körpergewicht unterschritten ist
- das sogenannte Längensollgewicht oder der BMI jeweils unter der 3. Perzentile liegt (das heißt, das Körpergewicht ist im Verhältnis zur Körperlänge deutlich zu gering)
- die Gewichtszunahme und das Wachstum um zwei Perzentilen im Vergleich zur Voruntersuchung abgenommen haben
Perzentile – Was bedeutet das eigentlich?
Wörtlich bedeutet Perzentile „Hundertstelwert“. Perzentile dienen in der Medizin zum Beispiel als Maßstab, um die Entwicklung eines Kindes im Vergleich zu Gleichaltrigen einzuordnen. Bei den Vorsorgeuntersuchungen überprüft der Kinderarzt oder die -ärztin, ob die Messwerte eines Kindes zu Gewicht und Größe von denen anderer Kinder abweichen. Dazu trägt er oder sie die Werte im gelben Untersuchungsheft in ein Diagramm ein, in dem die so genannte Perzentilenkurve dargestellt ist. Anhand dieser Kurve lässt sich das Wachstum des Kindes mit dem von Gleichaltrigen vergleichen.
Im Diagramm stellt die 50. Perzentile den Mittelwert (Median) dar. Zum Beispiel gibt der Gewichtsmedian an, dass die eine Hälfte aller Kinder gleichen Alters und Geschlechts leichter und die andere Hälfte schwerer ist. Als normal gelten Gewichts- und Größenwerte oberhalb der 3. und unterhalb der 97 Perzentile. Liegt ein Wert unterhalb der 3. Perzentile, heißt dies: Nur 3 Prozent aller gleichaltrigen Mädchen oder Jungen sind kleiner oder leichter als das untersuchte Kind. In diesem Fall besteht der Verdacht auf Kleinwuchs oder Untergewicht.
Weitere Symptome einer Gedeihstörung und warum sie behandelt werden muss
Das verringerte Körpergewicht und die Körpergröße sind das Hauptmerkmal einer Gedeihstörung. Manchmal kann es bei einer Gedeih- und Wachstumsstörung zusätzliche Symptome geben, darunter:
- unterentwickelte Muskulatur
- wenig Unterhautfettgewebe
- trockene Haut
- spärlicher Haarwuchs
Eine Gedeihstörung beeinträchtigt nicht nur die körperliche Entwicklung, sondern auch die Ausbildung der Bewegungskoordination, die psychische Gesundheit und die soziale Reifung des Kindes. Darüber hinaus sind die späteren Intelligenz- und Wahrnehmungsleistungen, die Immunfunktionen und damit die Widerstandsfähigkeit gegen Infektionskrankheiten beeinträchtigt. Diese vielfältigen Einschränkungen der kindlichen Entwicklung erfordern ein frühzeitiges Eingreifen.
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Wie kommt es zu einer Gedeihstörung?
In vielen Entwicklungsländern stehen nicht immer genügend nährstoffreiche Lebensmittel zur Verfügung und in manchen Ländern des globalen Südens herrscht Hunger. Unterernährung ist weltweit gesehen die häufigste Ursache für Gedeihstörungen. In Industrieländern wie Deutschland ist hingegen die Versorgung mit Lebensmitteln gut. Entsprechend kommen bei uns Gedeih- und Wachstumsstörungen als Folge von Unterernährung kaum vor.
In Deutschland scheidet eine unzureichende Nahrungszufuhr als Ursache für Gedeihstörungen also weitgehend aus – außer in Fällen von Vernachlässigung des Kindes, sei es aus Überforderung, einer psychischen Erkrankung der Eltern oder aus Gleichgültigkeit. Das ist glücklicherweise selten. Es muss daher noch andere Auslöser dafür geben, dass ein Kind trotz einer ausreichenden Ernährung nicht genügend Nährstoffe für seine Entwicklung bezieht oder verwerten kann. Oft ist das eine noch nicht erkannte zugrundeliegende organische Erkrankung.
Mögliche Krankheiten, die eine Gedeihstörung bedingen können, sind:
- Malabsorption (mangelhafte Verwertung der Nahrung im Magen-Darm-Trakt)
- Kuhmilchallergie
- Mukoviszidose (cystische Fibrose), eine erbliche Stoffwechselerkrankung
- Zöliakie (Glutenunverträglichkeit)
- chronisch-entzündliche oder andere Erkrankungen des Verdauungstrakts (Speiseröhre, Magen, Darm)
- chronische Diarrhoe (Durchfall)
- Magersucht (bei älteren Kindern und Jugendlichen)
Außerdem können bestimmte Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Erkrankungen des Nervensystems oder der Nieren zu einem erhöhten Nährstoffbedarf führen, so dass eine normale Ernährung zu Gedeihstörungen führt.
Wenn bereits vor der Geburt eine Gedeihstörung besteht, ist eine häufige Ursache, dass die Mutter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken hat. Alkohol in der Schwangerschaft ist für das ungeborene Kind extrem gefährlich. Bei den regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen für Schwangere wird in regelmäßigen Abständen auch die Entwicklung des Kindes beurteilt und vorgeburtliche Gedeihstörungen können so erkannt werden.
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Wie eine Gedeih- und Wachstumsstörung diagnostiziert wird
Spätestens bei den U-Untersuchungen für Kinder und Jugendliche erkennen Kinderärzte und -ärztinnen Abweichungen der kindlichen Entwicklung von der Norm. Wenn Sie selbst Auffälligkeiten bei Ihrem Kind feststellen, sollten Sie auch unabhängig von diesen Untersuchungen Ihren Kinderarzt oder Ihre Kinderärztin aufsuchen.
Sind die in der Praxis gemessenen Werte auffällig, ist ein ausführliches ärztliches Gespräch, die Anamnese, wichtig. Diese dient dazu, einen Eindruck von der familiären Situation zu gewinnen und Informationen über die Ernährungsweise des Kindes oder Hinweise auf Symptome zugrundeliegender Erkrankungen zu erhalten. So kann zum Beispiel die Stuhlbeschaffenheit bereits Hinweise auf eine gestörte Verdauung oder eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung geben. Auch die körperliche Verfassung der Eltern und möglicher Geschwister muss bei der Beurteilung berücksichtigt werden. Es können sich so Hinweise auf Auffälligkeiten in der Familie ergeben, beispielsweise Kleinwuchs oder Entwicklungsverzögerungen auch bei Geschwistern.
Ergibt sich aus der Anamnese, dass wahrscheinlich eine behandlungsbedürftige Gedeihstörung vorliegt, geht es nun darum, die Ursache (also in der Regel die zugrundeliegende Erkrankung) herauszufinden. Neben einer gründlichen körperlichen Untersuchung werden jetzt meist Laboruntersuchungen des Blutes oder des Stuhls durchgeführt, um auf Krankheiten hinweisende Blutwerte oder Anzeichen für Entzündungen zu entdecken. Möglicherweise werden Sie und Ihr Kind an eine Fachpraxis im Bereich der Inneren Medizin überwiesen, zum Beispiel in die Gastroenterologie, die Fachrichtung für Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes.
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So wird eine Gedeihstörung behandelt
In den meisten Fällen, also wenn die Gedeihstörung das Symptom einer zugrundeliegenden Erkrankung ist, muss diese Krankheit behandelt und die Ernährung gegebenenfalls an die Krankheit angepasst werden – etwa bei Allergien oder einer Zöliakie.
Je nach Krankheit und Diagnose ist eine individuell angepasste Ernährungstherapie als Ergänzung zur Behandlung der Grunderkrankung angezeigt; zum Beispiel bei magersüchtigen Jugendlichen oder immer dann, wenn eine Krankheit nicht so erfolgreich behandelt werden kann, dass der Nährstoffmangel durch die Behandlung behoben wird. Eine Ernährungstherapie ist außerdem bei einer nichtorganischen Gedeihstörung notwendig, also zum Beispiel dann, wenn ein Kind tatsächlich von seinen Eltern unzureichend ernährt wurde.
Eine Ernährungstherapie kann zunächst in einer bloßen Erhöhung der Nahrungsaufnahme bestehen. Manchmal ist auch eine gezielte Anreicherung der Nahrung sinnvoll, mit dem Ziel, die Energiezufuhr durch mehr Kalorien zu erhöhen, zum Beispiel durch Zugabe von Kohlenhydraten und Fetten. Dabei ist auf eine im Verhältnis angepasste Versorgung mit Eiweiß oder Mikronährstoffen wie Vitaminen und Mineralstoffen zu achten. In manchen Fällen eignen sich spezielle Trinknahrungen. Bei Mangelernährung von Babys und Kleinkindern kommt unter Umständen auch eine Ernährung über Magensonden in Frage.