Beziehung
Bindungstypen: Wie die Bindungsstile unsere Beziehungen beeinflussen
Veröffentlicht am:16.04.2025
7 Minuten Lesedauer
Die Bindungstheorie unterscheidet vier Bindungstypen in der Eltern-Kind-Beziehung. Die Qualität, die die jeweilige Bindung hat, wirkt sich später auch auf unsere Partnerschaften aus. Was eine gute Bindung ausmacht und was Eltern und Paare von der Bindungstheorie lernen können.

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Der Mensch ist ein Beziehungswesen
Menschen sind soziale Wesen. Die meisten von uns treffen regelmäßig auf Mitmenschen und der normale Alltag funktioniert selten ohne den Austausch mit anderen. Über diese alltägliche Zwischenmenschlichkeit hinaus haben wir in der Regel das Bedürfnis nach stabilen Beziehungen und Bindungen zu anderen Menschen. Kurz gesagt: Die meisten Menschen wünschen sich Kontakte zu anderen Menschen im Alltag und liebevolle, verlässliche Beziehungen in einer Partnerschaft.
Jeder Mensch empfindet und lebt zwischenmenschliche Bindungen anders – sei es zu den Eltern oder Kindern, im Freundeskreis oder in einer Liebesbeziehung. Dieses unterschiedliche menschliche Bindungsverhalten und die individuelle Beziehungsfähigkeit sind seit den 1940er-Jahren Gegenstand der psychologischen Forschung. Im Zentrum dieser Forschung steht die Bindungstheorie.
Die Bindungstheorie einfach erklärt
Die Bindungstheorie besagt, dass Menschen ein angeborenes Bedürfnis haben, enge emotionale Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen. Kinder suchen die Nähe zu einer einfühlsamen und angemessen reagierenden Bezugsperson, um Schutz und Sicherheit zu finden. Dieses Schutzbedürfnis ist in Stress- und Angstsituationen besonders stark ausgeprägt. Die ersten Bezugspersonen sind in aller Regel die Eltern. Aus den Beziehungserfahrungen, die Kinder mit ihren ersten Bezugspersonen machen, entwickeln sie eine Art inneres Arbeitsmodell für spätere Beziehungen. Von den ersten Erfahrungen hängt also ab, wie sich Menschen später selbst in Beziehungen verhalten oder was sie von anderen in Beziehungen erwarten. Die Bindungstheorie geht zum Beispiel davon aus, dass Bindungsstörungen bei Erwachsenen häufig auf ein ungünstiges Bindungsverhalten der Eltern zurückzuführen sind.
Sicherheit, Unsicherheit und Angst in kindlichen Beziehungen
Diese drei Beispiele veranschaulichen den Zusammenhang zwischen den Beziehungserfahrungen der Kinder und ihrem Verhalten in späteren Beziehungen:
- Eine auf Sicherheit basierende Bindung zu den Eltern fördert das Vertrauen in andere Menschen, aber auch das eigene emotionale Gleichgewicht und damit die Fähigkeit, selbstständig zu handeln.
- Eine von Unsicherheit geprägte Bindung schränkt die Fähigkeit ein, Herausforderungen allein zu bewältigen, und erhöht das Bedürfnis nach Unterstützung. Dies fördert die spätere Neigung zu emotionaler Abhängigkeit.
- Eine von Angst geprägte Bindung kann später zu Problemen führen, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen oder anderen Menschen zu vertrauen. Das erhöht die Gefahr der Vereinsamung.
Lebenslanges emotionales Lernen
Der beschriebene Zusammenhang ist jedoch keineswegs ein Automatismus, nach dem Motto: Wer in der Kindheit dieses und jenes erlebt hat, wird sich später so und so verhalten. In der frühen Kindheit werden nur die Leitplanken in eine bestimmte Richtung gesetzt. Menschen machen ständig neue Beziehungserfahrungen, die sie immer wieder neu prägen und ihr Bindungsverhalten beeinflussen. Aktuelle Erfahrungen mit einem Beziehungspartner können das eigene Beziehungsverhalten unter Umständen stärker verändern als die frühkindliche Eltern-Kind-Beziehung. Wenn die Bindungstheorie ihren Fokus auf kindliche Bindungsmuster richtet, geht es also vor allem darum: Bestimmte frühkindliche Erfahrungen beeinflussen das spätere Verhalten mehr oder weniger stark – ohne es vorherzubestimmen.
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Die Bindungstheorie und der „Fremde-Situations-Test“
Die Bindungstheorie geht ursprünglich auf den englischen Kinderarzt, Psychiater und Psychoanalytiker John Bowlby zurück. Weiterentwickelt wurde sie durch die US-amerikanisch-kanadische Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth. In den 1970er Jahren hat Ainsworth die vier Bindungstypen von Kindern mit Hilfe eines Verhaltenstests entwickelt („Strange Situation Test“). Bei diesem Test beobachtete sie, wie sich Kinder verhalten, wenn sie kurzfristig von ihrer Mutter getrennt sind und wenn sie dann wieder zu ihnen zurückkehrt.
Zunächst begeben sich die Mutter, ihr einjähriges Kind und ein dem Kind unbekannter Versuchsleiter in ein Zimmer. Dann verlässt die Mutter den Raum für drei Minuten. Nach ihrer Rückkehr und einer gemeinsamen Zeit zu dritt mit dem Kind verlassen sowohl Mutter als auch Versuchsleiter den Raum, wiederum für drei Minuten. Anschließend kehrt die Mutter zu ihrem Kind zurück. Ziel des Fremde-Situations-Tests ist es, verschiedene Arten zu identifizieren, wie Kinder mit Trennungsstress umgehen.
Die 4 Bindungstypen
Über die unterschiedlichen kindlichen Verhaltensweisen beim Test hat Ainsworth einen sicheren Bindungstyp und drei unsichere Bindungstypen ermittelt. Diese vier Typen stellen jedoch nur eine grobe Orientierung dar. Das tatsächliche Bindungsverhalten von Kindern zeigt eine große Bandbreite. Die verschiedenen Typen können im Einzelfall unterschiedlich stark ausgeprägt und die Grenzen fließend sein. Dennoch spielen die Bindungstypen in der Bindungstheorie eine zentrale Rolle. Die vier Bindungstypen werden in der frühen Kindheit geprägt, bleiben aber oft bis ins Erwachsenenalter bestehen. Deshalb sind sie für die Bindungstheorie so wichtig.
Sichere Bindung Unsicher-ambivalente Bindung Unsicher vermeidende Bindung Desorganisierte Bindung
Frühkindliche Bindungsmuster und die Beziehungen von Erwachsenen
Wie beeinflussen die Bindungsstile der Eltern die spätere Beziehungsfähigkeit ihrer Kinder? Das Grundprinzip lässt sich anhand der vier Bindungstypen wie folgt zusammenfassen:
Reagieren Eltern durchgehend einfühlsam auf ihr Kind, wenn es ihre Nähe sucht, erfährt es eine sichere Bindung. Das Kind nimmt die Eltern als sicheren Hafen wahr, von dem aus es die Welt erkunden kann. Die Wahrscheinlichkeit, später selbst verlässliche Beziehungen zu führen, steigt. Zeigen sich die Eltern nur ab und zu einfühlsam und dauerhaft wenig sensibel oder machen sie dem Kind sogar Angst, erhöht sich das Risiko für das Kind, später selbst nur unsichere Bindungen entwickeln zu können.
Diese Auswirkungen frühkindlicher Bindungserfahrungen auf das spätere Bindungsverhalten sind durch Studien gut belegt. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf Zusammenhänge zwischen einer sicheren Bindung in der Kindheit und der psychischen Gesundheit im späteren Leben sowie umgekehrt zwischen einer unsicheren Bindung und späteren psychischen Beeinträchtigungen beziehungsweise Erkrankungen wie Depressionen.

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Was Eltern und Paare von der Bindungstheorie lernen können
Eine Theorie der zwischenmenschlichen Beziehungen wird erst durch ihren praktischen Bezug wertvoll. Aus der Bindungstheorie können Eltern praktische Tipps für den Alltag ableiten. So können Eltern ihre Kinder darin unterstützen, sich zu emotional stabilen und bindungsfähigen Erwachsenen zu entwickeln. Zum Beispiel, indem sie
- Kindern Sicherheit und Geborgenheit vermitteln,
- einfühlsam auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen,
- Verständnis für die Sorgen und Nöte der Kinder aufbringen,
- Verlässlichkeit vorleben und ein gleichbleibendes Verhaltensmuster zeigen.
Und welche Konsequenzen lassen sich aus der Bindungstheorie für den Alltag von Liebesbeziehungen ziehen? Hier ist das Konzept der Bindung ebenso relevant, denn auch in Liebesbeziehungen sind Verlässlichkeit und Einfühlungsvermögen wichtig. Auch hier gibt es sichere und unsichere Bindungen und Phänomene wie Verlust- oder Bindungsangst.
Glück und Stabilität in der Partnerschaft lassen sich am ehesten durch eine sichere Bindung erreichen. Umgekehrt führt eine unsichere Bindung eher zu Unzufriedenheit und Streit. Eine sichere Bindung ist nur durch offene Kommunikation und Vertrauen möglich. Daran können Paare arbeiten, zum Beispiel indem sie sich ehrlich austauschen und konstruktiv miteinander kommunizieren.
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