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Beziehung

Was bringt aktives Zuhören?

Veröffentlicht am:29.11.2022

6 Minuten Lesedauer

Bei der zwischenmenschlichen Kommunikation kommt es häufig unfreiwillig zu Missverständnissen: Menschen reden aneinander vorbei oder fühlen sich missverstanden. Mit dem aktiven Zuhören können Gesprächsteilnehmende das vermeiden.

Zwei Männer sitzen am Tisch, einer erzählt etwas, der andere hört aktiv zu.

© iStock / filadendron

Diplom-Psychologe Eberhard Stahl, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens „elbdialog“ und Berater am Schulz-von-Thun-Institut in Hamburg

© elbdialog

Eberhard Stahl ist Diplom-Psychologe, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens „elbdialog“ und Berater am Schulz-von-Thun-Institut in Hamburg. Im Interview erklärt er, wie aktives Zuhören die Kommunikation verbessert.

Definition: Was ist aktives Zuhören nach Rogers?

Beim aktiven Zuhören handelt es sich um eine Gesprächstechnik. Der Psychologe Carl Rogers und sein Kollege Richard Farson prägten den Begriff vom aktiven Zuhören bereits in den 50er Jahren. Wer aktiv zuhört, fasst das, was er oder sie von dem Gegenüber verstanden hat, noch einmal in eigene Worte. Das ist sinnvoll, denn in einem Gespräch kann es schnell zu Missverständnissen kommen. Auf der einen Seite gibt es einen Sender oder eine Senderin, das ist die Person, die etwas sagt. Der Empfänger oder die Empfängerin nimmt das Gesagte auf. Dabei ist aber nicht automatisch sicher, dass er oder sie den Gesprächsinhalt richtig einordnet. Mit dem aktiven Zuhören kann die zuhörende Person ihrem Gegenüber die Botschaft praktisch zur Freigabe vorlegen. Der Gesprächspartner oder die Gesprächspartnerin erhält somit die Gelegenheit, die Botschaft zu überprüfen und, falls nötig, richtigzustellen.

Wie unterscheidet sich das aktive Zuhören von anderen Arten des Zuhörens?

Beim passiven Zuhören hören Gesprächsteilnehmende einfach nur zu. Vielleicht signalisieren sie mit einem Nicken auch, dass sie die Botschaft verstanden haben. Was der Sender oder die Senderin aber nicht erfährt, ist, ob der Empfänger oder die Empfängerin tatsächlich das verstanden hat, was gemeint ist. Schließlich geht es nicht nur darum, Worte aufzunehmen, sondern sie auch richtig zu verarbeiten. „Ich finde es unglaublich, dass mein Kind eine Fünf in Mathe hat“ – dieser Satz kann sehr unterschiedlich gemeint sein. Vielleicht ärgert sich die Mutter in diesem Beispiel darüber, dass ihr Kind eine unzureichende Leistung erbracht hat. Womöglich macht sie aber auch die Lehrpersonen für die schlechte Note verantwortlich. Auch innere Haltungen bestimmen die Art, wie Menschen dem Gespräch folgen. Sie können „detektivisch“ zuhören, um herauszufinden, ob das Gegenüber einen Fehler gemacht hat. Das „prüfende“ Zuhören findet oft in Universitäten statt. Damit möchte die Professorin beispielsweise in einer mündlichen Prüfung herausfinden, ob der Student den Unterrichtsstoff richtig wiedergibt. Die innere Haltung beim aktiven Zuhören ist eine andere. Hierbei geht es darum, genau zu verstehen, was der oder die andere meint – alles andere ist zunächst nebensächlich.

Welches Ziel hat das aktive Zuhören?

Die Gesprächstechnik verfolgt inhaltliche und beziehungstechnische Ziele. Aktives Zuhören kann die Beziehung zwischen Menschen stärken, denn es vermittelt dem oder der anderen Wertschätzung. Wenn ich aktiv zuhöre, zeige ich meinem Gegenüber, dass ich mir Mühe gebe und interessiert bin. Außerdem signalisiere ich einen Vertrauensvorschuss, denn ich stelle das Gesagte nicht infrage, sondern nehme es erst einmal so hin. Auch die inhaltlichen Ziele sind wichtig. Indem ich den Inhalt, der bei mir angekommen ist, spiegle und zusammenfasse, erhält der Sender oder die Senderin die Möglichkeit, etwas zu korrigieren. Das kann vor allem bei kritischen Informationen nötig sein: „Habe ich das richtig verstanden, dass die Dateien unwichtig sind und ich sie löschen kann?“ Ursprünglich kommt die Gesprächstechnik übrigens aus dem psychotherapeutischen Bereich. Hier hat sie auch das Ziel, zwischen den Zeilen zu lesen. Schließlich bringen Menschen Gefühle und Ansichten nicht immer direkt zum Ausdruck. Vermittelt eine Person in einem Gespräch, dass sie sich unwohl fühlt, kann der Psychotherapeut oder die Psychotherapeutin hier genauer nachhaken.

„Wenn ich aktiv zuhöre, zeige ich meinem Gegenüber, dass ich mir Mühe gebe und interessiert bin.“

Eberhard Stahl
Diplom-Psychologe, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens „elbdialog“ und Berater am Schulz-von-Thun-Institut in Hamburg

Wie sieht aktives Zuhören aus – zum Beispiel im Beruf?

Für das aktive Zuhören sind drei verschiedene Schritte nötig. Im ersten Schritt geht es darum, etwas aufzunehmen und zu verstehen. Der zweite Schritt dient der Positionierung – beim aktiven Zuhören positioniere ich mich wertschätzend. Im dritten Schritt formuliere ich das Verstandene so, dass es der ursprüngliche Sender oder die Senderin verstehen kann. Wie aktives Zuhören aussehen kann, wird mit einem Beispiel deutlich. Nehmen wir aktives Zuhören im Beruf – hier können wir uns in den Vorgesetzten oder die Vorgesetzte hineinversetzen. Ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin möchte über eine Gehaltserhöhung sprechen und weist darauf hin, dass die letzte bereits zehn Jahre zurückliegt. Als Vorgesetzte könnten wir dann fragen: „Verstehe ich das richtig, dass Sie bei uns angestellt sind und ein Gehalt bekommen, das Ihnen nach zehn Jahren erhöhungsbedürftig erscheint?“ Der oder die Arbeitnehmende stimmt zu. Nun haken wir weiter nach: „Sie fühlen sich in der letzten Zeit nicht mehr angemessen bezahlt und deshalb wäre es Ihnen wichtig, dass wir jetzt über eine Gehaltserhöhung sprechen?“ Auch das wird bejaht. Für den Einstieg in die Gehaltsverhandlung haben wir aktiv zugehört. Egal, ob im beruflichen oder privaten Alltag – es ist stets situationsabhängig, wie aktives Zuhören gestaltet wird. Wer inhaltlich aktiv zuhört, bringt wichtige Informationen auf den Punkt. Das empathische, aktive Zuhören sorgt dafür, dass sich Menschen im Gespräch mit ihren Emotionen verstanden fühlen. Wer den Fokus auf die unausgesprochen gemachten Vorannahmen legt, stellt sicher, dass beide über das gleiche sprechen: „Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie denken, dass ich der richtige Gesprächspartner für eine Gehaltsverhandlung bin?“

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hören einer Arbeitskollegin aktiv zu.

© iStock / SolStock

Aktives Zuhören vermittelt Wertschätzung und Verständnis für den Gesprächspartner oder die Gesprächspartnerin.

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Aktives Zuhören kann Wertschätzung vermitteln, wenn es richtig angewandt wird

Wie wirkt sich aktives Zuhören auf das Gegenüber aus?

Interessanterweise irritiert aktives Zuhören viele Menschen zunächst. In einem Gespräch spielen sich Gesprächspartner und/oder Gesprächspartnerinnen in der Regel den Ball wie beim Tischtennis zu. Beim aktiven Zuhören schreitet das Gespräch aber nicht wie gewohnt direkt voran. Stattdessen drehen die Teilnehmenden sozusagen eine Extrarunde, um beispielsweise den Inhalt absegnen zu lassen. Ob es gelingt, dem Gegenüber Interesse und Wertschätzung zu vermitteln, hängt davon ab, wie gut jemand das aktive Zuhören beherrscht. Manche Menschen können das Gesagte gut aufnehmen und verstehen, tun sich aber schwer damit, die richtigen Worte zu finden, um den Inhalt wiederzugeben. Das kann auf Personen zutreffen, die sprachliche Barrieren haben oder denen eine gefühlvolle Ausdrucksweise nicht gelingt.

„Ob es gelingt, dem Gegenüber Interesse und Wertschätzung zu vermitteln, hängt davon ab, wie gut jemand das aktive Zuhören beherrscht.“

Eberhard Stahl
Diplom-Psychologe, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens „elbdialog“ und Berater am Schulz-von-Thun-Institut in Hamburg

Welche Techniken gibt es beim aktiven Zuhören?

Es gibt verschiedene Hilfsmittel, die das aktive Zuhören ermöglichen. Zum Beispiel das Paraphrasieren. Dabei geben Empfangende die Gesprächsinhalte mit eigenen Worten wieder. Dadurch können Sendende erkennen, ob der Empfänger oder die Empfängerin das Gesagte verstanden hat. Mit einem weiteren Hilfsmittel, dem Verbalisieren, wird all das, was zwar nicht gesagt aber gemeint wurde, in Worte gepackt. „Habe ich Sie richtig verstanden, dass wir Strom sparen müssen wegen der hohen Energiekosten?“ In diesem Beispiel wurde zwar vorab das Stromsparen im Gespräch erwähnt, aber nicht die hohen Energiekosten.

Wann bietet sich aktives Zuhören an und wer kann es erlernen?

In welchen Situationen bietet sich das aktive Zuhören an?

Das aktive Zuhören bietet sich zunächst für alle Situationen an, in denen es erwünscht ist. Teilt eine Freundin der zukünftigen Braut beispielsweise mit, dass sie nicht zur Hochzeit erscheinen kann, weil sie arbeiten muss, ist aktives Zuhören unangebracht. Schließlich könnten Fragen wie: „Habe ich das richtig verstanden, dass du nicht zu meiner Hochzeit kommst, weil du arbeiten musst?“ aus dem Ruder laufen. Außerdem muss das aktive Zuhören nützlich sein. Nützlich ist es immer dann, wenn jemand sichergehen muss, dass er oder sie etwas richtig verstanden hat. Nicht zuletzt kann sich die Gesprächstechnik anbieten, wenn das Verständnis für Sendende wichtig ist, zum Beispiel, weil sie sich emotionalen Beistand erhoffen.

Kann man aktives Zuhören mit Übungen erlernen?

Ja, das aktive Zuhören nach Rogers ist erlernbar. Verschiedene Ausbildungsinstitute bieten dafür ihre Unterstützung an. Interessierte können die Techniken des aktiven Zuhörens unter anderem mit Übungen erlernen. Für den therapeutischen Einsatz wählen Psychologen und Psychologinnen eine entsprechende Zusatzausbildung. Eine Gesprächsführungsausbildung ist für Personen sinnvoll, die die Gesprächstechnik nicht therapeutisch einsetzen möchten. Zudem stellen Volkshochschulen zu dem Thema interessante Kurse zur Verfügung. Wer möchte, kann auch ein Buch über aktives Zuhören lesen, um die Wahrnehmung dafür zu schärfen. Praktischerweise können Interessierte die Gesprächstechnik jederzeit erproben, und zwar mit Menschen in ihrem Umfeld.

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