Beziehung
Ghosting: Wenn jemand plötzlich aus dem Leben verschwindet
Veröffentlicht am:12.08.2020
5 Minuten Lesedauer
Aktualisiert am: 18.10.2023
Ghosting gehört zu den häufigsten Dating-Phänomenen der heutigen Zeit. Was ist Ghosting? Welche Gründe kann der plötzliche Kontaktabbruch haben und wie geht man mit Ghosting um? Alle Antworten.
Was ist Ghosting?
20 Prozent der Deutschen haben schon einmal Ghosting erlebt. Das Wort stammt aus dem Englischen und bedeutet im Deutschen sinngemäß den wortlosen Kontaktabbruch von Beziehungen und Freundschaften. Wie ein Geist („Ghost“) verschwindet ein Mensch beim Ghosting aus dem Leben eines anderen. Nachrichten werden nicht mehr beantwortet, Anrufe blockiert und sämtliche Verbindungen gekappt. Kein Abschiedsgruß, keine erklärenden Worte, lediglich Fragen bleiben zurück. Viele Dates und sogar auch Beziehungen enden mit Ghosting. „Es wirkt so, als hätte man es mit einem Hologramm oder einem rahmenlosen Körper zu tun gehabt, einem Gespenst oder Geist“, beschreibt die Autorin Tina Soliman in ihrem Buch „Ghosting. Vom spurlosen Verschwinden des Menschen im digitalen Zeitalter“ den Zustand.
Seit 2015 ist der Begriff Ghosting ein feststehender Begriff. Die Autoren der „Collins“-Wörterbücher beschreiben das Phänomen als „das Beenden einer Beziehung durch den plötzlichen Kontaktabbruch“. Doch Ghosting gibt es nicht erst seit 2015. Auch die Generationen vor uns erlebten das wortlose Flüchten aus Beziehungen, sagt Diplom-Psychologin und Buchautorin Nele Sehrt: „Ghosting gab es auch schon vor der aktuellen Generation. Heute fällt es wahrscheinlich häufiger auf, da jeder gut zu erreichen ist und es bei rein digitalen Beziehungen sehr einfach ist. Man kann sehen, dass jemand online ist, sich aber nicht meldet. Das war zu den Zeiten, als man noch Briefe geschrieben oder auf einen Anruf gewartet hat, anders. Wir sind heutzutage, zumindest digital, mehr vernetzt.“
Ghosting: das Dating-Massenphänomen
Ghosting ist ein Dating-Phänomen, das immer häufiger vorkommt. Jemanden ohne ein Wort aus seinem Leben zu streichen, keine Nachrichten mehr zu beantworten und sich stumm zu stellen, wird in unserer digitalen Gesellschaft inzwischen täglich praktiziert.
- Laut einer Umfrage von Statista (Stand 2018) haben 19,7 Prozent der befragten Deutschen schon einmal Ghosting erlebt – Frauen ebenso wie Männer.
- Eine weitere Umfrage der Dating-Plattform ElitePartner zeigt: 36 Prozent der Frauen zwischen 29 und 36 Jahren haben schon einmal jemanden geghostet. 19 Prozent sind es bei den Männern.
Doch woher kommt dieser Trend? Warum ghosten wir? Welches psychologische Phänomen steckt dahinter und welche Tipps können uns Experten und Expertinnen geben?
Ghosting: Wer macht das?
Das Ghosting ist nicht spezifisch einem Geschlecht oder einer Altersgruppe zuzuschreiben, es steht aber eng im Zusammenhang mit der Reife- und Kommunikationsfähigkeit von Menschen, schreibt „Ghosting“-Autorin Tina Soliman. Es stimmt also nicht, dass hauptsächlich Männer Ghosting betreiben. Frauen und Männer versuchen gleichermaßen auf diese Weise, sich schnell und schmerzlos aus Beziehungen zurückzuziehen. Die Diplom-Psychologin Nele Sehrt beschreibt eine mögliche Ursache für das psychologische Phänomen: „Menschen, die ghosten, haben oft Schwierigkeiten, sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen und eigene Bedürfnisse mitzuteilen. Sie vermeiden Konfliktsituationen und Auseinandersetzungen. Möglicherweise hat man das schon während der Beziehung oder Freundschaft gemerkt.“
„Menschen, die ghosten, haben oft Schwierigkeiten, sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen und eigene Bedürfnisse mitzuteilen.“
Nele Sehrt
Diplompsychologin
Wann passiert Ghosting?
Im Grunde kann Ghosting zu jedem Zeitpunkt auftreten. Die Dating-Plattform ElitePartner fasst diese typischen Beispiele für Ghosting-Situationen zusammen:
- Vor dem ersten Date: Er oder sie verliert bereits vor dem ersten Treffen das Interesse und meldet sich nie wieder.
- Nach dem ersten Date: Das erste Date lief nicht so gut? Dann kann es passieren, dass er oder sie sich einfach nicht mehr meldet.
- Nach dem Sex: Es hat nicht gefunkt und soll beim One-Night-Stand bleiben? Nach dem ersten Sex kommt es sehr häufig zum Ghosting.
- In einer Beziehung: Ghosting trotz Liebe? Ist der letzte Streit eskaliert, kann es sein, dass sich einer oder eine von beiden nun zurückzieht und sich nie wieder meldet.
Welche Gründe gibt es für Ghosting?
Die Autorin Tina Soliman hat mit vielen Menschen gesprochen, die schon einmal jemanden geghostet haben, und fasst ihre Erkenntnisse so zusammen: „Angst vor Nähe, vor potenzieller Abwertung und Widerspruch, der als Bedrohung empfunden wird, Angst vor der falschen Entscheidung oder vor dem Verlust der Eigenständigkeit, enthält im Kern fast jede Geschichte, die mir erzählt wurde.“ Und weiter: „Fast alle berichten von der Angst, sich festzulegen, sich falsch zu entscheiden.“ Die Gründe fürs Ghosting gehen also tief in die Beziehungspsychologie. Dahinter stecken meist Ängste, Unsicherheit, Bindungsangst und fehlendes Vertrauen.
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Wie kann man Ghosting verarbeiten?
Ich wurde geghostet – wie kann ich damit umgehen? Betroffene sind manchmal sehr gekränkt. Sie werden beim Ghosting mit vielen offenen Fragen zurückgelassen, auf die sie vermutlich niemals eine Antwort bekommen werden. Ziemlich schwer kann es fallen, einfach einen Schlussstrich zu ziehen. Die Diplom-Psychologin Nele Sehrt rät Betroffenen von Ghosting: „Ich kann Kontakt aufnehmen und äußern, dass ich Interesse habe, die Situation zu klären. Es kann ja auch sein, dass der andere sich verletzt fühlt und ich etwas übersehe. Wenn dieser Versuch auch nicht erwidert wird, ist Loslassen oft die bessere Option. Die Hintergründe verstehen wird man nicht – egal, wie lange man darüber nachdenkt.“ Auch die Einsicht spielt hier eine große Rolle: „Wenn mein Gegenüber konfliktscheu ist und Konfrontationen aus dem Weg geht, dann kann ich mich fragen: Möchte ich einen Menschen mit diesen Eigenschaften als Partner oder Freund haben? Oder ist es mir wichtiger, dass ich mich darauf verlassen kann, dass mein Gegenüber Probleme anspricht? Dann kann ich ihn oder sie leichter auch selbst verabschieden.“ Die Dating-Experten und -Expertinnen von ElitePartner beschreiben die folgenden vier Strategien, um Ghosting zu verarbeiten:
- Nicht zu emotional werden und keine Vorwürfe machen. Auch wenn es wehtut: Bei frischen Beziehungen gibt es keinerlei Verpflichtungen und Versprechen.
- Nach Vorteilen der vorzeitigen Trennung suchen und sich bewusst machen, dass ein Fortführen der Beziehung vermutlich nicht möglich gewesen wäre.
- Nicht bei sich selbst die Schuld suchen. Der Ghoster oder die Ghosterin ist vielleicht nicht reif und erwachsen genug, um die Situation besser zu bewältigen.
- Die Beziehung auch für sich beenden. Einen Schlussstrich ziehen und nach jemandem suchen, der oder die besser zu den eigenen Wünschen und Vorstellungen passt.
„Ich kann Kontakt aufnehmen und äußern, dass ich Interesse habe, die Situation zu klären.“
Nele Sehrt
Diplompsychologin