Beziehung
Die Fähigkeit zur Empathie – Hilfreich oder auch mal hinderlich?
Veröffentlicht am:25.05.2021
6 Minuten Lesedauer
Aktualisiert am: 20.07.2023
Wer sich mit dem Begriff Empathie beschäftigt, stellt fest: Eine eindeutige Definition ist kaum zu finden. Menschen mit Empathiefähigkeit haben viele Vorteile – wer zu empathisch ist, kann aber auch darunter leiden.
Was ist Empathie?
Sich in andere Menschen hineinzuversetzen, sie gut einschätzen zu können, die Gefühlslage des Gegenübers zu erspüren, mit anderen Menschen mitfühlen, Mitgefühl zeigen: Das alles und noch vieles mehr steckt in dem Begriff Empathie – oder wird mit ihm assoziiert. Einige Experten und Expertinnen unterscheiden zwischen kognitiver, emotionaler und sozialer Empathie.
- Bei der kognitiven Empathie geht es darum, Gefühle und Gedanken einer anderen Person erfassen und nachvollziehen zu können. Empathen und Empathinnen sind also in der Lage, die Perspektive des anderen einzunehmen. Wenn empathische Menschen die emotionale Reaktion eines anderen Menschen einschätzen, beziehen sie dabei unbewusst verschiedene Faktoren mit ein: Welcher emotionale Zustand wird in welcher sozialen Situation erwartet? Welche subjektive Denkweise hat dieser Mensch? Und was führt zu dieser emotionalen Reaktion? Eine solche Einschätzung setzt auf Erfahrungen basierendes Wissen und die Fähigkeit zur (Selbst-) Reflektion voraus.
- Bei der emotionalen Empathie handelt es sich hingegen um die Fähigkeit, Gefühle eines anderen Menschen nachzufühlen, als wären es die eigenen Gefühle. Dafür muss es sich allerdings um Gefühle handeln, die man selbst bereits einmal erlebt hat, zum Beispiel die Freude über einen Erfolg, oder allgemein bekannte Erfahrungen wie Liebe, Schicksalsschläge oder Sehnsucht. Wenn sich ein empathischer Mensch dann in sein Gegenüber hineinversetzt, durchlebt er seine eigene Erinnerung dieses Gefühls.
- Soziale Empathie setzt sowohl kognitive als auch emotionale Empathie voraus und bezeichnet die Fähigkeit, sich in eine Gruppe von Menschen oder ein Gegenüber hineinzuversetzen und abschätzen zu können, welche Auswirkungen das eigene Handeln auf diese Gruppe oder das Gegenüber hat. Diese Fähigkeit bezieht sich besonders auf Menschen aus anderen sozioökonomischen Schichten der Gesellschaft und mit anderen ethnischen Hintergründen.
Die Fähigkeit zum Mitgefühl steht bei allen drei Formen der Empathie im Mittelpunkt. Forscher und Forscherinnen kommen zu dem Ergebnis, dass Empathie nicht nur subjektives Einfühlungsvermögen ist. Damit scheinen komplexe psychische Zusammenhänge einherzugehen, die durch Faktoren wie Erziehung und Entwicklung beeinflusst werden.
Wann ist Empathie im Alltag hilfreich?
In unserem Alltag begegnen wir regelmäßig Situationen, in denen Empathie wichtig ist. Das können Konfliktsituationen in Partnerschaften oder am Arbeitsplatz sein, auch das Verhandlungsgeschick wird von der Empathiefähigkeit beeinflusst.
Drei Beispiele für Empathie im Alltag sind:
- Im Job müssen Polizisten und Polizistinnen beispielsweise die Absichten eines Unbekannten oder einer Unbekannten voraussehen, sich also in ihn hineinversetzen, um im Notfall richtig zu handeln.
- In einer Beziehung hat der Partner oder die Partnerin eine schwierige Zeit im Job und ist sehr gestresst. Der oder die andere kann nun Anteil nehmen und ihm oder ihr Mitgefühl und Rücksicht entgegenbringen. Dann würde man ihn als empathisch bezeichnen. Das ist insofern wichtig für die Beziehung, als dass die Probleme und Ängste des Partners oder der Partnerin verstanden werden. Nur so kann man sie lösen und beseitigen. Empathie hilft außerdem dabei, die Meinungen und Sichtweisen des Partners oder der Partnerin anzuerkennen und sich bei Differenzen weniger angegriffen zu fühlen.
- In der Wirtschaft spielt empathisches Verhalten ebenfalls eine große Rolle: Ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin im Dienstleistungsbereich sollte sich idealerweise in die Wünsche des Kunden oder der Kundin einfühlen können. Nur mit dieser Empathiefähigkeit kann er oder sie adäquat auf Bedürfnisse eingehen und schließlich zur Zufriedenheit beitragen. Das Ziel dahinter ist in diesem Fall der finanzielle Zugewinn für das Unternehmen, in dem er oder sie beschäftigt ist.
Empathie meint also in vielen Fällen, dass jemand die Situation eines anderen oder einer anderen erkennt und Anteil an diesen Problemen nimmt. Empathie hat aber eben auch mit der Geschicklichkeit zu tun, eine Situation in den Griff zu bekommen und so einen guten Ausgang zu fördern.
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Empathie für sich selbst zu empfinden, hilft in schwierigen Situationen
In erster Linie ist Empathie mit anderen Menschen verbunden und mit dem Versuch, sich ihnen gegenüber möglichst empathisch zu verhalten. Doch genauso wichtig ist es, das Einfühlungsvermögen auch sich selbst gegenüber aufzubringen. Gerade in Situationen, die schief gelaufen sind, braucht jeder Zuspruch und Trost. Freundlich und nett zu sich selbst zu sein, statt sich ständig viel zu viel abzuverlangen und nach unrealistischer und ungesunder Perfektion zu streben, hängt mit einer gesunden Eigen-Empathie zusammen.
Um mit sich selbst empathisch zu sein, muss klar sein: Jeder Mensch macht Fehler. Aber an diesen kann er wachsen und sich weiterentwickeln. Empfinden wir Empathie mit uns selbst, können wir uns Hindernissen entgegenstellen und sie überwinden, denn wir wissen, dass wir uns in schwierigen Situationen selbst unterstützen.
Wenn es Ihrem besten Freund oder Ihrer besten Freundin nicht gut geht und er oder sie Unterstützung braucht, sind Sie wahrscheinlich darauf bedacht, besonders freundlich zu ihm oder ihr zu sein. Uns selbst gegenüber sind wir allerdings meist nicht sehr einfühlsam. Teilweise sogar empathielos: Wir kritisieren uns häufig, reden uns für unsere Fehler schlecht, anstatt diese als Anlass zu sehen, gerade jetzt freundlich und unterstützend zu uns selbst zu sein.
Erleben wir etwas Traumatisches, wie etwa einen Unfall, an dem wir keine Schuld tragen, steht meist im Vordergrund, wie sich Dinge wieder lösen und richten lassen. Wichtiger wäre es sich selbst wieder aufzubauen und sich Mut zuzusprechen.
Welche Nachteile kann zu viel Empathie haben?
Wer ein gutes Gespür für andere hat, sollte gleichzeitig gut auf sich selbst aufpassen. Denn eine große Empathiefähigkeit kann leicht dazu führen, dass man sich zu sehr in andere Menschen hineinversetzt und sich selbst dabei vernachlässigt.
Wichtig ist es, die eigenen Bedürfnisse nicht aus dem Blick zu verlieren und auf die eigene emotionale Balance zu achten. Im Berufsleben oder in einer Partnerschaft kann es passieren, dass man, vereinfacht gesagt, sein Kontingent an Mitgefühl bereits „aufbraucht“ und dann für Familie und Freunde keines mehr übrig ist. Viele Menschen fühlen sich dann ausgelaugt und verhalten sich Familienmitgliedern gegenüber gereizt.
Wer grundsätzlich zu viel Empathie anderen gegenüber entwickelt, vernachlässigt zudem oftmals seine eigenen Bedürfnisse. Das kann zu einer nachhaltigen Unzufriedenheit führen. Ein guter Zuhörer oder eine gute Zuhörerin zu sein, ist das eine, dabei auch auf das eigene Wohlbefinden zu achten und das richtige Maß an empathischem Verhalten zu finden, das andere. Empathen und Empathinnen sollten daher in der Lage sein, auch Grenzen zu ziehen.
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Wann ist weniger Empathie ratsam?
Es gibt Situationen, in denen Mitgefühl und Perspektivwechsel für eine gewisse Zeit in den Hintergrund rücken sollten. Ein gutes Beispiel sind herausfordernde Berufe wie der des Rettungssanitäters und der Rettungssanitäterin oder dem Notarzt und der Notärztin.
Natürlich ist es wichtig, dass sie ihren Patienten und Patientinnen zuhören, sie umsorgen und sich kümmern. Ein gewisses Maß an Empathie sollte vorhanden sein. Doch wenn es um lebensbedrohliche Situationen geht, etwa Opfer eines Verkehrsunfalls geborgen werden müssen, dann sollte das empathische Einfühlungsvermögen in den Hintergrund rücken, um schnelles Handeln möglich zu machen.
Kann man Empathie lernen?
Empathie ist eine Fähigkeit, die wir uns im Laufe der Evolution angeeignet haben. Wir können nicht von heute auf morgen lernen, empathisch zu sein. Stattdessen wird die Empathiefähigkeit eines Menschen durch soziale Kompetenzen und kommunikative Fähigkeiten von klein auf an geprägt.
Unser Mitgefühl wird von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst, wie etwa dem Umfeld, in dem wir als Kind aufwachsen, und wie wir in diesem Umfeld behandelt wurden. Sie ist außerdem abhängig davon, wie stark unsere Sensibilität ausgeprägt ist – was sich ebenfalls im Kindesalter entwickelt.
Aus diesem Grund haben wir wenig Einfluss darauf, wie empathisch wir tatsächlich sind. Wer jedoch merkt, dass er unter der Empathie für andere leidet, sollte darauf achten, sich selbst wieder mehr in den Fokus zu rücken. Stellen Sie auch Ihre eigenen Bedürfnisse wieder mehr in den Vordergrund und achten Sie darauf, dass Ihre Empathie für die Gefühle von anderen nicht der einzige Beweggrund für Ihre Entscheidungen ist.