Beziehung
Wenn der Partner krank wird: Liebe trotz Hindernissen
Veröffentlicht am:07.11.2022
6 Minuten Lesedauer
Wenn der Partner oder die Partnerin dauerhaft erkrankt, ist das eine Herausforderung, auch für die Beziehung. Lieb gewonnene Rituale wie das Spazierengehen sind manchmal nicht mehr möglich und auch die Form der Zuneigung ändert sich häufig.
Herr Meixner ist Vorstandsvorsitzender der Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker (MSK) e. V. und organisiert seit mehr als 15 Jahren die Pflege für seine Frau. Im Interview berichtet Herr Meixner davon, wie die Erkrankung ihre Beziehung anfangs belastet hat.
Wie kam es zu der Pflegebedürftigkeit Ihrer Frau?
Meine Frau Sandra erhielt vor etwa 25 Jahren die Diagnose Multiple Sklerose. Das ist eine chronisch-entzündliche, unheilbare Erkrankung des zentralen Nervensystems. Sandra war aber nicht von Anfang an pflegebedürftig. Es fing alles ganz harmlos mit kribbelnden Fingern an. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich über die folgenden Jahre jedoch immer mehr. Zunächst bereitete ihr das Gehen keine Probleme, später nahm sie einen Gehstock zur Hilfe, danach folgte der Rollator und nach einer weiteren Verschlechterung der Rollstuhl. Multiple Sklerose kann sich wie bei Sandra durch Schübe äußern – mit jedem Schub kann eine weitere dauerhafte Einschränkung hinzukommen. Das Problem ist, dass niemand vorhersehen kann, wie die Krankheit verläuft. Manche Menschen mit Multipler Sklerose haben vergleichsweise wenig Einschränkungen, andere sind auf intensive Pflege angewiesen. Letzteres trifft auch auf meine Frau zu, sie hat mittlerweile den höchsten Pflegegrad, den Pflegegrad 5. Sie benötigt praktisch bei allen Alltagstätigkeiten Unterstützung, beispielsweise bei der Ernährung oder der Körperpflege.
Wie sieht ein typischer Tag mit Ihrer pflegebedürftigen Partnerin aus?
Da meine Frau schwerstpflegebedürftig ist, benötige ich Unterstützung bei der Pflege. Der komplette Tag ist durchgeplant, damit Sandra rund um die Uhr versorgt ist. Ein ambulanter Pflegedienst kommt täglich vorbei und übernimmt pflegerische Tätigkeiten wie das Duschen oder medizinische pflegerische Tätigkeiten. Außerdem kümmern sich zwei ausländische Haushaltshilfen im Wechsel um meine Frau – alle paar Wochen kommt eine der beiden zurück und löst ihre Kollegin ab, die dann wiederum nach Hause zurückkehrt. Weil beide keine pflegerische Ausbildung besitzen, dürfen sie keine medizinisch-pflegerischen Aufgaben erledigen. Stattdessen helfen sie bei der Grundpflege, also beispielsweise bei der Essensaufnahme, oder sie spielen mit Sandra Gesellschaftsspiele. Natürlich gelten die Arbeitsschutzgesetze auch für die ausländischen Arbeitnehmerinnen, ihnen stehen Pausen und ein geregelter Feierabend zu. Deshalb engagiert sich noch eine weitere privat organisierte Betreuungskraft in unserem Haushalt – sie fährt Sandra bei gutem Wetter mit dem Rollstuhl spazieren oder macht mit Sandra andere Aktivitäten. Auch wenn wir relativ viel Personal haben, helfe ich bei der Pflege mit. Der Pflegedienst kann meine Frau beispielsweise nicht aus dem Bett heben, weil ihre Körperhaltung durch ihre Erkrankung sehr steif ist. Deshalb helfe ich unter anderem beim Aufstehen und beim Anziehen.
War für Sie direkt klar, dass Sie sich um die Pflege kümmern?
Ich bin in die Rolle der pflegenden Person eher hineingewachsen. Immer, wenn sich der Gesundheitszustand verschlechterte, engagierte ich mich ein Stück weit mehr – nach einem Schub half ich meiner Frau beispielsweise aufzustehen oder beim Trinken. Ich habe nicht beschlossen, eine Pflegeperson zu sein, es hat sich vielmehr so ergeben. Wenn die Einschränkungen zunehmen, kommt natürlich irgendwann das Thema Pflegeheim ins Gespräch. Für mich und meine Frau ist aber klar, dass das für uns keine Alternative ist. Wir wünschen uns eine Pflege, bei der sich ein oder mehrere Pflegepersonen intensiv um Sandra kümmern. Das klappt für uns am besten in den eigenen vier Wänden.
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Inwiefern belastet die Erkrankung die Beziehung?
Anfangs hat die Krankheit die Beziehung stark belastet – jedes Mal, wenn Außenstehende eine neue Pflegetätigkeit übernehmen sollten, krachte es zwischen uns. Bei Multipler Sklerose sind die körperlichen Fähigkeiten nicht immer sofort dauerhaft weg – meine Frau konnte beispielsweise anfangs drei Tage laufen und dann drei Tage wieder nicht. Während ich dafür war, dass wir uns mit genügend Personal auf das schlechtmöglichste Szenario einstellen, vertrat meine Frau die Meinung, dass es noch so ginge. Wir hatten also völlig unterschiedliche Blickwinkel. Da ich die Pflege nicht mehr alleine stemmen konnte, einigten wir uns dann doch auf eine umfassende Unterstützung von außen. Auch heute ist es natürlich schwer – zum einen, weil meine Frau viele Einschränkungen hat und zum anderen, weil ich hautnah miterlebe, wie sich ihr Zustand verschlechtert.
„Anfangs hat die Krankheit die Beziehung stark belastet – jedes Mal, wenn Außenstehende eine neue Pflegetätigkeit übernehmen sollten, krachte es zwischen uns.“
Bernd Meixner
Vorstandsvorsitzender der Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker (MSK) e. V.
Gab es je eine Situation, in der Sie einfach das Handtuch werfen wollten?
Ich würde lügen, wenn ich jetzt Nein sage. Wir erleben Höhen und Tiefen, so wie andere Paare auch. Es gab Phasen, in denen war es richtig schwierig, da haben wir uns nur gezofft und dann gab es wieder solche, in denen alles harmonisch war. Eine Trennung von meiner kranken Partnerin kommt aber nicht infrage. Ich wusste schon bei unserer Heirat, dass Sandra Multiple Sklerose hat, und wir sind den Weg gemeinsam bis hierhin gegangen. Damals konnte natürlich niemand voraussagen, wie stark pflegebedürftig sie sein wird. Trotz der alltäglichen Herausforderungen fühle ich mich aber mit Sandra verbunden und liebe sie. Natürlich spielt auch ein wenig Pflichtbewusstsein mit hinein. Wenn ich meine Frau verlassen würde, müsste sie in ein Pflegeheim – das möchte ich nicht.
„Natürlich spielt auch ein wenig Pflichtbewusstsein mit hinein. Wenn ich meine Frau verlassen würde, müsste sie in ein Pflegeheim – das möchte ich nicht.“
Bernd Meixner
Vorstandsvorsitzender der Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker (MSK) e. V.
Wie gestalten Sie den Alltag, damit die Zuneigung nicht zu kurz kommt?
Wenn die Partnerin schwer krank ist, läuft der Alltag natürlich anders ab. Wir haben kein normales Liebensleben mehr, das geht wegen der Erkrankung auch gar nicht. Damit der Pflegealltag klappt, müssen wir funktionieren, auch wenn das wenig romantisch klingt. Das Leben mit einer chronisch kranken Partnerin bedeutet aber nicht, völlig auf Zuneigung zu verzichten. Wir haben es so organisiert, dass sich die Haushaltshilfe zurückzieht, wenn ich abends von der Arbeit komme. So kann ich mit meiner Frau Zeit alleine verbringen. Wir drücken unsere Zuneigung füreinander aus, indem wir Händchen halten, uns umarmen oder liebe Worte austauschen.
So hilft die AOK
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Der Familiencoach Pflege ist ein Online-Selbsthilfe-Programm, mit dem Angehörige die Herausforderungen im Pflegealltag besser bewältigen und sich vor Überlastung schützen können.
Haben Sie denn auch noch Zeit für sich und wie nutzen Sie diese am liebsten?
Ja, ich habe noch Zeit für mich und glaube, dass das auch wichtig ist. Ich brauche keine Partys, aber mein Hobby verfolge ich gerne. Seit meiner Kindheit spiele ich Tischtennis – ich trainiere ein- bis zweimal pro Woche und nehme am Wochenende an Verbandsspielen teil. Das hält mich körperlich fit und ich kann abschalten – nicht nur von der Pflege, sondern auch von meiner Berufstätigkeit, die ich in Vollzeit ausübe. Alles ist natürlich so organisiert, dass Sandra in meiner Abwesenheit betreut ist. Das klappt gut und meine Frau akzeptiert mein Hobby.
Was raten Sie Paaren, die von einer chronischen Erkrankung betroffen sind?
Im Rahmen meiner Vereinsarbeit bei der Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker (MSK) e. V. habe ich Kontakt zu vielen Menschen, die ebenfalls von einer chronischen Erkrankung betroffen sind. Ihnen rate ich, sich auf schlechte Zeiten einzustellen. Kommen diese nicht, ist es umso besser. Treten sie doch ein, sind Betroffene psychisch und organisatorisch vorbereitet. Außerdem empfehle ich allen Paaren, darauf zu achten, dass die Unzufriedenheit in der Beziehung nicht zu groß wird. Dafür finde ich es wichtig, dass pflegende Angehörige noch ein Leben neben der Pflege haben – sich zum Beispiel mit Freunden treffen oder ein Hobby ausüben können. Schließlich muss das Leben nicht nur für den Pflegebedürftigen lebenswert sein, sondern auch für die Pflegeperson. Mit ausreichend Freizeit sammeln pflegende Angehörige neue Energie und können so besser für den kranken Partner oder die kranke Partnerin da sein.
Unterstützung für die Pflege finden
Pflegeberatung der AOK
Die Pflegeberater und -beraterinnen der AOK helfen dabei, die benötigte Pflege zu organisieren.