Eltern
Wie zeigt sich Hochsensibilität bei Kindern und wie begleitet man sie?
Veröffentlicht am:25.05.2023
5 Minuten Lesedauer
Aktualisiert am: 19.12.2023
Hochsensible Kinder haben mehr Botenstoffe zur Informationsübertragung als Altersgenossen. Sie reagieren auf kleinste Reize, nehmen ihre Umwelt intensiver wahr und brauchen länger zum Verarbeiten. Viel Einfühlungsvermögen schützt vor Überforderung.
Ist mein Kind hochsensibel, hochsensitiv oder (bloß) überempfindlich?
Den Begriff der Hochsensibilität hat die US-amerikanische Psychologin Elaine Aron seit den 1990er-Jahren mit ihren Büchern „Sind Sie hochsensibel?“ und „Das hochsensible Kind“ geprägt. Seitdem taucht das Thema zunehmend häufiger in Berichten, Diskussionen und unzähligen weiteren Büchern in der Öffentlichkeit auf. Doch es gibt noch einen Grund für eine gesteigerte Wahrnehmung: Mit der Reizüberflutung unserer Zeit kommen hochsensible Erwachsene und Kinder einfach schlechter klar. Sie fallen deshalb mehr auf. Tatsächlich haben nach Expertenmeinungen schon immer 15 bis 20 Prozent der Menschen typische Merkmale einer hochsensiblen Persönlichkeit gezeigt. Damit ist vor allem die Fähigkeit gemeint, Sinnesreize besonders stark wahrzunehmen. Hochsensibilität ist also bekannt, nur der Begriff ist neu.
Einige Psychologen und Psychologinnen sprechen statt von hochsensiblen lieber von hochsensitiven Persönlichkeiten. Der Begriff ist zwar nicht so verbreitet, klingt aber deutlich positiver. Denn für viele Menschen ist hochsensibel gleich überempfindlich. Und überempfindliche Menschen gelten als eher schwierig. Also was bedeutet es genau, wenn ein Kind hochsensibel ist? Zuerst einmal sieht, hört, riecht und fühlt es viel mehr, stärker und intensiver als seine nicht hochsensiblen Altersgenossen. Das Kind ist beispielsweise sehr schnell genervt von lärmenden Klassenkameraden. Oder es reagiert mit ständigem Kratzen, weil das Etikett im Pulli stört. Manche Hochsensible können auch den Geruch von Reinigungsmitteln nicht ertragen oder ekeln sich vor bestimmten Lebensmitteln.
Passende Artikel zum Thema
Hochsensible Kinder: Vielfühler ohne Abwehrfilter
Das Nervensystem von Hochsensiblen reagiert sehr empfindlich und nimmt selbst kleinste Reize und Informationen auf. Das kommt daher, dass hochsensible Menschen über deutlich mehr Neurotransmitter verfügen als andere. Neurotransmitter sind Botenstoffe im Gehirn, die die Erregung beziehungsweise Informationen von Nervenzellen an andere Zellen übermitteln. Das Nervensystem der meisten Menschen besitzt einen Filter, der wichtige von unwichtigen Informationen trennt. Bei Hochsensiblen scheint es diesen Filter so nicht zu geben. Deshalb sind sie wahre Vielfühler. Kein Wunder also, dass gerade ein Kinderhirn da schneller überfordert ist. So kann aus einem an sich sanftmütigen Wesen plötzlich ein kleiner Wüterich werden. Ebenso typisch wie aggressives Verhalten sind inneres Abschalten und Zurückziehen. Manche Kinder wirken auch schüchtern und introvertiert. Das Spielen mit anderen strengt sie oft so an, dass sie sich lieber allein beschäftigen. Für das Umfeld ist eine plötzliche und heftige Reaktion genauso schwer zu verstehen wie ein Rückzug.
Andererseits besitzen hochsensible Kinder aber auch Fähigkeiten, um die andere sie beneiden. Viele von ihnen sind besonders empathisch und durch ihre mitfühlende Art als Vertraute oder Freunde sehr geschätzt. Kreativ, fantasie- und ideenreich sowie aufmerksam – auch das sind Eigenschaften, die wir bei vielen hochsensiblen Kindern finden. Sie sind sehr tiefgründig und denken viel über die Welt nach. Mit ihren Gedankengängen und bohrenden Fragen überraschen sie deshalb oft Familie und Umfeld.
Tipp: Das Kind in alltägliche Problemlösungen miteinbeziehen. Das zeigt Wertschätzung und hilft, gemeinsam schwierige Situationen zu meistern – trotz Hochsensibilität.
Sie sind bei der AOK versichert und mit uns zufrieden?
Dann empfehlen Sie uns gerne weiter. Für jedes neue Mitglied, das Sie uns vermitteln, bedanken wir uns bei Ihnen mit einem Bonus.
Was können Eltern bei einer vorliegenden Hochsensibilität tun?
Wenn Kinder schnell überreizt sind und heftig reagieren, führt das auch in der Kita oder Schule nicht selten zu Problemen. Wie kann mit Erziehern und Erzieherinnen oder Lehrern und Lehrerinnen kommuniziert werden, ohne dass das betroffene Kind als „hochsensibel“ oder als „anders“ abgestempelt wird? Erziehungsexperten und -expertinnen raten, besser über die Bedürfnisse des Kindes zu sprechen. Also zum Beispiel, ob es sehr lärmempfindlich ist oder ein starkes Ruhebedürfnis hat. Das hilft Betreuern und Betreuerinnen, das Kind besser zu verstehen und einzuschätzen. Mindestens genauso wichtig ist es, einen positiven Blick auf das Kind zu behalten. Statt ständig über Probleme oder vermeintliche Schwächen zu sprechen, lieber seine Stärken loben. Damit wird dem Kind gezeigt, dass es wertgeschätzt und akzeptiert wird. Zwei wichtige Bausteine, die das Selbstbewusstsein stärken.
Das hilft hochsensiblen Kindern im Alltag
Das Leben mit hochsensiblen Kindern ist nicht immer leicht. Dennoch gehören sie nicht in Watte gepackt. Besser ist, gemeinsam mit ihnen Strategien zu entwickeln, die ihr Leben leichter machen. Rituale und Regeln im Alltag sind da eine wertvolle Stütze. Feste Strukturen geben den Kindern Sicherheit und helfen, eine für sie oft chaotische Welt zu ordnen. Dazu gehört zum Beispiel, den Tag mit dem immer gleichen Abendritual enden zu lassen. Außerdem brauchen Hochsensible genug Zeit und Raum für Ruhepausen. Der Kita- oder Schulalltag ist für sie anstrengend genug. Nicht jeder Nachmittag muss noch mit Freizeitaktivitäten vollgepackt sein. Dennoch gibt es nicht das Patentrezept dafür, was ein hochsensibles Kind braucht oder wovor es geschützt werden muss. Hier können Eltern ruhig auf das Bauchgefühl vertrauen: Denn sie finden mit der Zeit heraus, was ihrem Kind guttut. Egal, ob es hochsensibel ist oder nicht.
Hilfe für Eltern hochsensibler Kinder
Für viele ratsuchende Eltern ist der Kinderarzt oder die Kinderärztin oder der Kinderpsychologe oder Kinderpsychologin erste Anlaufstelle. Obwohl Hochsensibilität wissenschaftlich erforscht wird, gibt es Ärzte und Ärztinnen oder Erziehungsberater und -beraterinnen, die sich im Thema nicht auskennen oder es nicht ernst nehmen. Andere sind wenig erfahren im Umgang mit den Besonderheiten hochsensibler Kinder. Bis heute gibt es kein anerkanntes Diagnoseverfahren für Hochsensibilität. Deshalb suchen viele Kinderärzte und Kinderärztinnen bei Kindern mit hoher Reizempfindlichkeit zuerst nach psychischen oder körperlichen Ursachen. Hochsensibilität ist aber weder eine Krankheit noch eine psychische Störung, sondern nur die Folge eines sehr reizempfindlichen Nervensystems. Ein Austausch mit anderen betroffenen Eltern kann daher ebenfalls sehr hilfreich sein. Der Kinderarzt oder die Kinderärztin, aber auch die Jugend- und Familienberatung der jeweiligen Stadt können hier weiterhelfen.