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Reportage: Ein Tag in der Notaufnahme

Veröffentlicht am:17.11.2020

6 Minuten Lesedauer

In den drei zentralen Notaufnahmen der Charité werden pro Jahr mehr als 150 000 Patienten versorgt, Tendenz steigend. So sieht ein Tag für den leitenden Oberarzt Dr. Bernd A. Leidel und sein Team am Campus Benjamin Franklin aus.

Ein Tag in der Notfallaufnahme.

© iStock / andresr

Ein Tag im Klinikum: Die Notfallaufnahme

Es ist 7.30 Uhr in Berlin-Steglitz. Der oft als gutbürgerlich beschriebene Stadtteil im Südwesten Berlins erscheint noch recht verschlafen und ruhig zwischen den Altbauten, bunten Geschäften und gediegenen Grünflächen. In der zentralen Notaufnahme der Charité am Campus Benjamin Franklin treffen langsam immer mehr Patienten ein.

Um diese Zeit beginnt der Dienst des leitenden Oberarztes Dr. Bernd A. Leidel mit der Visite.

  • Gab es Besonderheiten in der Nacht?
  • Welche Patienten wurden aufgenommen?
  • Wie ist der aktuelle Behandlungsstand?

Fragen, die den Notfallmediziner, der vor mehr als zehn Jahren aus München zur Charité kam, in diesen Morgenstunden als Erstes beschäftigen. Ein junger Mann mit Schädel-Hirn-Trauma und fortbestehenden Beschwerden oder eine 90-Jährige mit plötzlicher Wesensveränderung und anhaltender Atem- und Kreislaufstörung – das Team des Oberarztes in der Zehn-Betten-Aufnahmestation behandelt Fälle, die weiterhin beobachtet werden müssen.

Einige Notfallpatienten warten hier jedoch auch auf die Übernahme durch die jeweiligen Fachdisziplinen, weil dort in der Nacht keine Betten mehr zur Verfügung standen. Wenn auch in der Aufnahmestation kein Bett mehr frei ist, stauen sich die Patienten schon einmal auf den Fluren in der Notaufnahme.

„Das Chaos in der Notfallmedizin muss man schon mögen.“

Dr. Bernd A. Leidel
Leitender Oberarzt in der zentralen Notaufnahme, Campus Benjamin Franklin

7.47 Uhr: Ärztlicher Notdienst – Ein geordnetes Chaos

Während der laufenden Morgenvisite wird ein neuer Patient telefonisch angekündigt: „Männlich, 59 Jahre, erfolgreiche Wiederbelebung nach Kreislaufstillstand, beatmet, nicht kreislaufstabil, geplante Ankunft in zehn Minuten.“

Im Hintergrund hört man den endlosen, sich immer wiederholenden Ruf „Hallo! Ich will jetzt sofort nach Hause! “, von einer 89-jährigen dementen Patientin aus Untersuchungsraum 7. Sie wurde wegen einer Lungenentzündung aus ihrer Pflegeeinrichtung in die Notaufnahme gebracht. Jetzt möchte sie einfach wieder in ihr vertrautes Umfeld.

Dr. Leidel und sein Team müssen ihre Visite also unterbrechen und die aktuellen Aufgaben neu verteilen. Noch fünf Minuten bis zur Ankunft des angekündigten Patienten. Vorbesprechung, Vorbereitung, Verteilung der Aufgaben.

Notdienst: Wie ist das als Arzt?

Ein Tag in der Notfallaufnahme.

© iStock / shapecharge

„Das Chaos in der Notfallmedizin muss man schon mögen“, sagt Dr. Leidel. „Wir können nicht planen, wann welche Patienten mit welchen Erkrankungen oder Verletzungen, mit welcher Schwere, in welcher Anzahl und in welchem zeitlichen Abstand voneinander zu uns kommen, aber das macht die Notfallmedizin andererseits auch äußerst abwechslungsreich.“

An der Charité wird bei allen Notfallpatienten zu Beginn anhand des sogenannten Manchester-Triage-Systems die Dringlichkeit der Behandlung festgelegt, da die Teams wegen begrenzter Ressourcen nicht jeden Patienten sofort nach seinem Eintreffen behandeln können.

Die Schwere der Erkrankungen und Verletzungen, mit denen sich täglich Patienten vorstellen, ist dabei sehr unterschiedlich: „Es gibt einerseits Patienten, die sich mit möglicherweise lebensbedrohlichen Erkrankungen nicht trauen, den Notruf 112 zu wählen, oder direkt zu uns zu kommen, weil sie niemandem zur Last fallen wollen", berichtet Dr. Leidel.

„Andere holen den Rettungsdienst oder kommen zu uns, weil sie nicht wissen, wohin sie sich sonst wenden sollen. Manche wollen sich auch nur mal eben durchchecken lassen, auch wenn sie keine starken Beschwerden haben.“

12.39 Uhr im Krankenhaus: Immer neue Herausforderungen

Vor der Anmeldung der Notaufnahme plötzlich hektisches Gerangel. Die Blicke aller übrigen Patienten richten sich auf eine Gruppe aufgebrachter Wartender im überfüllten Gang. Angehörige einer Patientin beschweren sich lautstark über die lange Wartezeit, bedrängen die Mitarbeiter nicht nur mit Worten, sondern auch körperlich – leider kein Einzelfall in der Berliner Notaufnahme, sagt Dr. Leidel.

„Solche Attacken auf das Personal von Notaufnahmen haben in den letzten Jahren auf der ganzen Welt deutlich zugenommen. Viele Patienten und Angehörige ärgern sich oftmals über lange Wartezeiten.“ Die Mitarbeitenden in der Notaufnahme können zwar Sicherheitspersonal anrufen, doch reicht dies nicht immer aus.

Regelmäßig muss auch die Polizei einschreiten, weil sich Patienten und Angehörige im Ausnahmezustand befinden. Selten wegen psychiatrischer Erkrankungen, meistens im Zusammenhang mit aggressivem Verhalten nach Alkohol- oder Drogenkonsum.

14.49 Uhr: Es geht um Leben und Tod

Früher Nachmittag – der Andrang neuer Patienten hat wie üblich seit Mittag seinen Höchstwert erreicht und wird bis in den späten Abend hinein anhalten. Darunter ein Mann Ende 40 mit Krebs im Endstadium, der lebensverlängernde Maßnahmen ablehnt.

Die Situation spitzt sich zu, denn sein Zustand wird immer schlechter, seine Gesichtsfarbe zunehmend fahler, die Atmung schwerer, der Puls schneller und flacher – er kann kaum noch sprechen.

„Auch dies erleben wir oft. Der Zustand eines neu eingetroffenen Patienten, mit dem Sie vielleicht gerade noch gesprochen haben, verschlechtert sich innerhalb kürzester Zeit bis hin zum Kreislaufstillstand. Dann geht es um Leben und Tod“, erklärt Dr. Leidel, der auch als Notarzt im Auto und Hubschrauber unterwegs ist. Auch das Begleiten Sterbender zählt neben dem Leben retten zu den Kernkompetenzen in der Notfallmedizin.

„Nichts ist erfreulicher, als wenn sie einem Patienten helfen können, dem es dann wieder besser geht.“

Dr. Bernd A. Leidel
Leitender Oberarzt in der zentralen Notaufnahme, Campus Benjamin Franklin

Abends: Die Patientin strahlt wieder –ein schöner Ausgleich

Lange nach Ende der regulären Dienstzeit. In einem Rollstuhl wird eine 15-Jährige weinend und mit schmerzverzerrtem Gesicht in einen der hellen Behandlungsräume geschoben. Der Geruch von Desinfektionsmitteln hängt wie immer in der Luft. Diagnose: eine ausgerenkte Kniescheibe, erlitten beim Hockeyspielen.

Eine Verletzung, die das Team um Dr. Leidel immer wieder sieht. Nur Prellungen, Zerrungen, Wunden und Knochenbrüche sind häufiger. Aber nach einem sehr starken Schmerzmittel kann die Kniescheibe problemlos eingerenkt werden, die Patientin strahlt wieder und bedankt sich mehrfach.

„Es gibt so viele positive Momente in der Notfallmedizin – nichts ist erfreulicher, als wenn sie einem Patienten helfen können, dem es dann wieder besser geht“, sagt er. Neben diesen regelmäßigen positiven Erfahrungen übt er als Ausgleich zum oftmals stressigen und belastenden Berufsalltag gerne sportliche Aktivitäten in der Natur aus. Leider gibt es in Berlin aber keine Berge…


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