Eltern
Was tun gegen Schulangst?
Veröffentlicht am:25.08.2023
6 Minuten Lesedauer
Aktualisiert am: 25.04.2024
Wenn Kinder und Jugendliche sich weigern, zur Schule zu gehen, kann das viele Ursachen haben. Neben Entwicklungsstörungen oder sozialen Problemen können Ängste dahinterstecken. Doch was kann man gegen Schulangst tun?
Dr. Henrik Uebel-von Sandersleben ist leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Göttingen. Im Interview erklärt er, wo Eltern schnelle Hilfe bei Schulangst erhalten.
Gibt es einen Unterschied zwischen Schulschwänzen und Schulverweigerung?
In dem Zusammenhang ist zunächst der Oberbegriff Schulabsentismus wichtig. Er sagt aus, dass ein Kind oder Jugendlicher der Schule fern bleibt, was wiederum verschiedene Ursachen haben kann. Eine Störung des Sozialverhaltens kann beispielsweise dazu führen, dass Betroffene die Schule schwänzen. Sie bleiben dann gelegentlich oder regelmäßig dem Unterricht fern. Ängste empfinden Kinder und Jugendliche in Verbindung mit der Schule selbst dann nicht. Es gibt in dem Fall auch keine Anzeichen auf eine körperliche Erkrankung oder Lernstörungen.
Was jedoch auffällt, ist, dass die Lernmotivation häufig gering ist. Indem die Betroffenen der Schule im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Weg gehen, können sie ihre Freiheit ausbauen und Anstrengungen vermeiden. Bei der Schulverweigerung gehen Kinder und Jugendliche ebenfalls manchmal oder regelmäßig nicht zur Schule, der Grund dafür ist allerdings ein anderer. Ängste spielen bei diesen Schülern und Schülerinnen eine große Rolle. Sie bleiben also im Gegensatz zu einer Person, die bewusst die Schule schwänzt, nicht aus Unlust zu Hause oder woanders, sondern aufgrund einer Schulangst oder -phobie.
Was ist Schulangst und wie grenzt sie sich von einer Schulphobie ab?
Sowohl bei der Schulangst als auch bei der Schulphobie ist Angst der treibende Faktor. Eine Phobie steht normalerweise in Verbindung mit einer Angst vor Situationen oder Gegenständen. Das ist bei der Schulphobie anders. Hier fürchten sich Betroffene nicht vor der Schule selbst, vielmehr handelt es sich um eine besondere Form der Trennungsangst. Ein Kind bleibt dabei der Schule fern, weil es Probleme damit hat, sich von der Mutter, dem Vater oder einer anderen Bezugsperson zu trennen, vielleicht deshalb, weil es befürchtet, dass den Eltern in der Zeit etwas zustoßen könnte.
Bei der Schulangst stehen Ängste im Mittelpunkt, die sich auf den Schulweg oder schulische Situationen beziehen. Dazu zählen beispielsweise Prüfungsangst, Leistungsangst oder auch Angst vor Mobbing. Auch wenn sich der Unterschied zwischen Schulangst und Schulphobie in den angegebenen Gründen widerspiegelt, ist das Ergebnis stets gleich: Kinder oder Jugendliche zeigen ein Vermeidungsverhalten, sie bleiben der Schule also fern.
„Sowohl bei der Schulangst als auch bei der Schulphobie ist Angst der treibende Faktor.“
Dr. Uebel-von Sandersleben
Leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Göttingen.
Wie häufig tritt Schulangst bei Kindern und im Jugendalter auf?
Es ist schwierig, dazu verlässliche Zahlen zu finden. Nach einer Untersuchung mit Schülern und Schülerinnen sind Ängste in der Schule nicht selten – 44 Prozent der Teilnehmenden gab mittlere bis starke Leistungsangst an. Dabei stand die Angst vor Klassenarbeiten im Mittelpunkt. Da es sich aber um eine vergleichsweise kleine Stichprobe mit 185 Personen handelt, geben diese Zahlen nur einen groben Überblick. Eine Schulangst kann übrigens bei Schulpflichtigen in jedem Alter auftreten – das Thema ist in der Grundschule ebenso präsent wie auf der weiterführenden Schule.
Was deutet auf eine Schulangst hin?
Häufig geben Kinder oder Jugendliche schon am Abend vor dem nächsten Schultag an, dass sie Bauchschmerzen haben, oft leiden sie auch unter Schlaflosigkeit. Am Schulmorgen können Übelkeit oder Erbrechen ein Symptom der Schulangst sein. Körperliche Begleiterscheinungen treten außerdem in Form von Zittern, Schweißausbrüchen oder Kopfschmerzen auf. Während der Pubertät kann die Schulangst von weiteren Ängsten oder einer ausgeprägten inneren Unruhe begleitet sein. Betroffene berichten manchmal auch ganz konkret von ihren Befürchtungen. Insbesondere durch die körperlichen Symptome erhalten sie meist wiederholt eine Krankschreibung. Wenn feststeht, dass es keine organischen Ursachen für die Beschwerden gibt, ist es aber wichtig, auch nach möglichen psychischen Problemen zu forschen.
Passende Artikel zum Thema
Wie entsteht die Schulangst bei Kindern und Jugendlichen?
Die Schulangst ist multifaktoriell bedingt. Das bedeutet, dass es viele Faktoren gibt, die die Schulangst gewissermaßen füttern können. Ein Kind mit wenig Selbstbewusstsein kann anfälliger für Schulangst sein als eine Person mit viel Selbstbewusstsein. Das kann daran liegen, dass Menschen mit viel Selbstbewusstsein meist nicht so empfindlich auf äußeren Druck reagieren. Manchmal übernehmen Kinder und Jugendliche auch Ängste von ihren Eltern, die sorgenvoll auf ihre Schulzeit zurückblicken. Das bedeutet aber nicht, dass Eltern in irgendeiner Form Schuld an der Schulangst ihrer Kinder haben. Grundsätzlich hat die Ursachenforschung nicht das Ziel, Schuld zuzuweisen, sondern Lösungen zu finden, um den Leidensdruck zu lindern und den Schulbesuch wieder regelmäßig stattfinden zu lassen.
Passende Angebote der AOK
Familiencoach Kinderängste
Kinder stärken und gemeinsam Ängste bewältigen lernen – alle Infos, Hilfen und Anleitungen für Eltern und Angehörige finden Sie hier.
Was sollten Eltern bei einer Schulverweigerung besser nicht tun?
Wenn ein Schüler oder eine Schülerin eine Schulangst hat, darf die Person nicht das Gefühl haben, dass sie dafür bestraft wird. Betroffene auszuschimpfen, ihnen Strafen anzudrohen und dadurch Druck auszuüben, ist nicht der richtige Weg. Aber auch den Rückzug zu unterstützen, indem das Kind mit dem Wissen der Eltern zu Hause bleiben darf, ist nicht empfehlenswert. Kinder und Jugendliche verpassen dadurch Unterrichtsstoff, den sie später kaum mehr nachholen können. Deshalb ist es wichtig, nicht zu lange zu warten, sondern gemeinsam mit den richtigen Ansprechpartnern und Ansprechpartnerinnen, beispielsweise bei Erziehungsberatungsstellen, eine Strategie zu entwerfen. Was brauchst du, damit du wieder zur Schule gehst? Diese Frage und damit verknüpfte positive Anreize (Eltern begleiten ihr Kind beispielsweise mit dem Fahrrad zur Schule) können den Anstoß dazu geben, dass Kinder und Jugendliche den Weg zurück in den Schulalltag finden.
„Wenn ein Schüler oder eine Schülerin eine Schulangst hat, darf die Person nicht das Gefühl haben, dass sie dafür bestraft wird.“
Dr. Uebel-von Sandersleben
Leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Göttingen.
Was macht das Jugendamt bei Schulverweigerung?
Das Jugendamt hat eine Wächterfunktion und wird von der Schule informiert, wenn ein Schüler oder eine Schülerin über eine längere Zeit nicht zur Schule kommt. Vorher sucht die Schulleitung aber in der Regel das Gespräch mit den Eltern, um die Gründe für den Schulabsentismus herauszufinden. Das Jugendamt hat verschiedene Möglichkeiten – es kann den Nachwuchs zur Schule bringen, ein Bußgeld verhängen oder einen Jugendarrest anordnen. Hier ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche nicht sanktioniert werden, wenn sie ein psychisches Problem haben.
Wo finden Eltern Hilfe bei Schulverweigerung der Kinder?
Eltern haben die Möglichkeit, verschiedene Anlaufstellen aufzusuchen. Eine gute Empfehlung ist eine Elternberatungsstelle. Hier erforschen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gemeinsam mit den Eltern mögliche Gründe und entwickeln Lösungsansätze. Erziehungsberechtigte können sich außerdem direkt an eine Praxis für Kinder- und Jugendpsychologie wenden, oder einen Termin bei einem Kindertherapeuten oder einer Kindertherapeutin vereinbaren. Auch einige Kinder- und Jugendärzte sowie Kinder- und Jugendärztinnen befassen sich intensiv mit dem Thema und sind eine mögliche Anlaufstelle. Im klinischen Bereich gibt es auch Ambulanzen für Kinder und Jugendliche mit schulvermeidendem Verhalten – für den Besuch benötigen Eltern eine Überweisung.
Wie können Kinder und Jugendliche die Schulangst überwinden?
Die Behandlung einer Schulangst ist vielschichtig und setzt auf die Mitarbeit vieler Beteiligter. So kann es bei der Therapie einer Schulverweigerung sinnvoll sein, neben dem Kind und den Eltern auch die Schule und das Jugendamt mit einzubeziehen. Welche Unterstützung ein Schüler oder eine Schülerin benötigt, hängt natürlich auch von der zugrunde liegenden Ursache ab. Bei Ängsten ist eine Verhaltenstherapie das Mittel der Wahl. Hier lernen Kinder auf die für sie angsteinflößenden Situationen mit einer Strategie zu reagieren. Eltern werden meist während der Therapie mit ins Boot geholt – sie können abends mit dem Kind Situationen besprechen, die zur Angst geführt haben, und beispielsweise gemeinsam mit Therapeuten oder Therapeutinnen überlegen, wie eine Strategie aussehen könnte. Zeigen Kinder und Jugendliche ein Vermeidungsverhalten aufgrund anderer Problematiken wie Entwicklungsstörungen kann ein anderer Ansatz sinnvoll sein. Die genaue Ursachenforschung ist also sehr wichtig, auch um ein Kind nicht als Schulschwänzer abzustempeln, wenn eine psychische Störung vorliegt.