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Selbstvertrauen von Kindern stärken: „Eltern müssen die Persönlichkeit ihres Kindes akzeptieren“
Veröffentlicht am:22.12.2021
9 Minuten Lesedauer
Das kann ich nicht, das schaffe ich nicht, das traue ich mir nicht zu: Selbstzweifel beginnen bereits im Kindesalter. Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort verrät, welcher Faktor entscheidend für ein gesundes Selbstvertrauen ist.
Inhalte im Überblick
- Was macht ein selbstbewusstes Kind aus?
- Was können Eltern tun, um das Selbstvertrauen ihrer Kinder zu stärken?
- Wie gehe ich damit um, wenn mein Kind arrogante oder rebellische Phasen bekommt?
- Wie kann man das Selbstvertrauen eines Kindes schwächen?
- Welche externen Faktoren wirken auf das Selbstbewusstsein ein?
- Kann Sport einen guten Einfluss auf das Selbstvertrauen haben?
- Wie bereite ich mein Kind für große Ereignisse wie Kindergarten vor?
- Fehlt ängstlichen Kindern einfach Selbstvertrauen?
- Wie wichtig ist Selbstvertrauen?
Manche Kinder begegnen ihren Mitmenschen offen und vertrauensvoll, andere sind unsicher und fühlen sich in fremder Gesellschaft unwohl. Woher kommen diese Unterschiede? Liegt das bloß an einer unterschiedlichen Persönlichkeit?
Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort, ärztlicher Direktor der Marzipanfabrik, einer Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, sowie Supervisor der Praxis Paidion in Hamburg, weiß, dass das Selbstvertrauen dabei eine entscheidende Rollte spielt. Im Interview erzählt er, wie wichtig Selbstvertrauen für den Einstieg ins Leben ist, worauf ein gesundes Selbstvertrauen bei Kindern aufbaut und wie Eltern es stärken beziehungsweise schwächen können.
Was macht ein selbstbewusstes Kind aus?
Ein selbstbewusstes Kind wird Dinge für sich einfordern können und in einem guten Sinne neugierig sein, also explorativ. Es gibt Kinder, die mit schlechtem Selbstwertgefühl ausgestattet sind, und wenig explorieren, also beispielsweise ängstlich in der Ecke stehen. Während ein selbstbewusstes Kind – immer auch mit einem angemessenen Warming-up – auf jemanden zugeht, die Beziehung reguliert, die Nähe und Distanz reguliert, aber auch Fragen stellt und sich verteidigt. Es hat sozusagen gute Bewältigungsstrategien für den Alltag. Die Psychologie spricht von aktivem Coping.
Was hat mehr Einfluss auf das Selbstbewusstsein: Gene oder Erziehung?
Das lässt sich nicht so genau sagen. Eine grobe Faustregel ist etwa Hälfte-Hälfte.Aber das ist auch sehr unterschiedlich von Kind zu Kind. Denn natürlich bringen Kinder von Geburt an eine eigene Persönlichkeit mit. Das lässt sich schon bei Säuglingen feststellen, die sehr unterschiedlich schreien und unterschiedlich empfindlich sind. Es ist mir in diesem Zusammenhang auch immer wichtig, von Beziehung zu sprechen und nicht von Erziehung.Selbstvertrauen als eine wichtige Dimension unserer Seele entsteht dadurch, dass man sich ausreichend geliebt und ausreichend wichtig fühlt.
In welchem Alter haben Eltern den größten Einfluss auf das Selbstvertrauen?
Da gibt es keine Grenzen. Die erste Bindung entsteht mit der Geburt zwischen dem Säugling und der stillenden Mutter. Aber auch der Vater fängt ja früh an, das Kind zu versorgen, zum Beispiel beim Wickeln. Und ab da gilt es, eine Beziehung zu gestalten, in der das Kind sich ausreichend geliebt fühlt.
Wenn die Eltern mit einem etwas ausgedehnten Lächeln oder Lachen nahe genug an das Baby herantreten, sodass es sie gut sehen kann, dann antwortet es auch mit einem Lächeln. Das sind erste Liebesdialoge, in denen Wertschätzungen und Respekt entwickelt wird.
„Selbstvertrauen als eine wichtige Dimension unserer Seele entsteht dadurch, dass man sich ausreichend geliebt und ausreichend wichtig fühlt.“
Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort
Ärztlicher Direktor der Marzipanfabrik sowie Supervisor der Praxis Paidion in Hamburg
Was können Eltern tun, um das Selbstvertrauen ihrer Kinder zu stärken?
Das Wichtigste ist, dass Eltern sich fragen, welche Bedeutung ihr Kind für sie hat. Gibt es beispielsweise etwas an meinem Kind, das schwierig für mich ist. Es ist ja nicht automatisch so, dass man sie immer alle gleichermaßen nur toll findet. Gerade wenn Kinder älter werden, gibt es Dinge, die man nicht so gut findet. Damit müssen sich Eltern sehr intensiv auseinandersetzen. Es ist dann ihr Job, dies zu überwinden.
Wenig sinnvoll ist, wenn Eltern ihr Kind unangemessen viel loben. Egal was das Kind macht, die Eltern sind begeistert. Das Kind spürt natürlich, dass das Lob nicht auf festen Beinen steht, sondern eher ein bisschen hohl daherkommt. Genau deswegen sind solche Lippenbekenntnisse nicht hilfreich. Es ergibt immer nur Sinn, wenn die Eltern authentisch sind.
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Man muss nicht alles toll finden und darf auch Kritik üben?
Genau, im Grunde unterscheidet sich das nicht von der Liebesbeziehung eines erwachsenen Paares. Auch da ist es ja so, dass sie ihre Beziehung jeden Tag neu aushandeln. Es gibt einfach Dinge, die man am anderen nicht mag. Dann geht es darum, diese Dinge zu formulieren, also: „Bitte schraube immer die Zahnpastatube zu.“ Alternativ kann es zu der Einstellung kommen: „Ja gut, so bist du halt, ich akzeptiere das und lebe gerne damit.“
Ist es immer der Erwachsene, der sich in dieser Beziehung anpassen muss?
Nein, das ist immer etwas Gegenseitiges. Kinder dürfen und sollen sich auch anpassen. Elternschaft bedeutet ja zum Beispiel eine große Verzichtleistung. Sie können viele Dinge nicht mehr so machen wie ohne Kinder. Für diese Verzichtleistung gibt es im Regelfall als Gegenleistung die bedingungslose Kinderliebe, und das ist ja auch wirklich was ganz Einmaliges. Trotzdem darf man auch ansprechen, dass man nicht zufrieden ist und sich eine Veränderung wünscht.
Ich plädiere immer sehr dafür, sich nicht zu sehr mit Erziehungsfragen zu beschäftigen. Wenn die Beziehung stimmt, dann muss man nicht viel erziehen.
Wie gehe ich damit um, wenn mein Kind arrogante oder rebellische Phasen bekommt?
Die Einordnung und Relativierung von Verhaltensweisen des Kindes ist eine hohe Kunst. Nehmen wir das Beispiel Arroganz: Ich finde schon, dass Eltern das kritisieren sollten, aber die Kritik muss so eingebettet werden, dass sie nicht zu verletzend wird. Diesen schmalen Grat müssen Eltern erst erlernen. Hinzu kommt, dass Aufschneiderei oft ein kompensatorischer Versuch ist, etwas zu überspielen. Es ist dann kein Ausdruck eines guten Selbstwertgefühls, sondern eher andersrum.
Es geht darum, feinfühlig zu sein. Ich sage Eltern oft, sie sind Experten für ihr Kind. Sagen Sie doch mal aus Ihrer Expertise heraus, was mit Ihrem Kind los ist. Die Mehrheit kann das sehr gut analysieren. Eltern haben oft von Geburt an eine Hypothese dazu entwickelt, was in ihrem Kind vorgeht. In der Pubertät wird das schwieriger, aber auch da ist das in groben Zügen möglich.
Wie wichtig ist es für das Selbstvertrauen, Grenzen auszutesten und Fehler zu machen?
Da gibt es keine goldene Regel, weil jedes Kind anders ist. Die meisten solcher Sätze sind eher Ausdruck eines grundsätzlichen Misstrauens, zum Beispiel:
- Kinder wollen Grenzen austesten. Das wollen sie aber gar nicht. Das passiert nur, wenn irgendetwas nicht stimmt oder wenn das Kind psychisch auffällig ist. Normalerweise wollen Kinder ihren Eltern gefallen und wollen auch, dass das umgekehrt so ist. Dass also die Eltern das Kind besonders mögen. Kinder wollen es uns immer rechtmachen.
- Es gibt auch so einen Satz wie: Kinder wollen negative Aufmerksamkeit haben. Auch das stimmt einfach nicht. Kein Kind möchte negative Aufmerksamkeit. Wir haben in unserer Klinik ständig mit selbstverletzenden Kindern zu tun, die machen das nicht, damit wir hingucken, sondern die haben eine innere Not, die es zu registrieren gilt.
- Oder: Gibt man einem Kind den kleinen Finger, nimmt es die ganze Hand. Dabei hören Kinder auf zu essen, wenn sie satt sind, dasselbe gilt im übertragenen Sinne für die Beziehung, Kinder sagen auch: „Mama, jetzt küss mich mal bitte nicht, das ist mir zu viel.“
Deswegen sollte man Kindern gegenüber nicht misstrauisch sein. Das ist zwar nicht immer einfach, da es eher anti-intuitiv ist, aber wenn man Kindern respektvoll gegenübertritt, ist es viel wirksamer.
Wie kann man das Selbstvertrauen eines Kindes schwächen?
Neben zu viel Lob können auch zu viel Kritik und zu viel Misstrauen negative Auswirkungen haben. Auch wenn das aus Überfürsorglichkeit heraus entsteht. Es kann dazu führen, dass das Kind das Gefühl bekommt, dass seine Eltern ihm gar nichts zutrauen.
Das Wichtigste ist, aufmerksam zu sein und sehr genau zu registrieren, was für eine Persönlichkeit hat eigentlich mein Kind. An dieser Persönlichkeit entlang gilt es dann, eine gemeinsame Beziehung zu gestalten.
„Ich plädiere immer sehr dafür, sich nicht zu sehr mit Erziehungsfragen zu beschäftigen. Wenn die Beziehung stimmt, dann muss man nicht viel erziehen.“
Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort
Ärztlicher Direktor der Marzipanfabrik sowie Supervisor der Praxis Paidion in Hamburg
Welche externen Faktoren wirken auf das Selbstbewusstsein ein?
Die wichtigsten externen Faktoren sind die außerhäuslichen institutionellen Kontakte, die Kinder haben, zum Beispiel im Kindergarten und der Schule. Und da hängt es erheblich davon ab, in welchem sozialen Kontext erlebt das Kind diesen Rahmen. Welche Menschen sind da? Wie respektvoll sind die? Wie streng sind die? Vermutlich kann jeder aus seiner Schullaufbahn Lehrer benennen, die ein bisschen sadistisch unterwegs waren. Das sind dann natürlich Dinge, vor denen man sein Kind nicht wirklich bewahren kann. Man kann immer nur versuchen, besonders aufmerksam zu sein, um nichts zu übersehen. Idealerweise ist die Beziehung zum Kind so gut, dass es sich im Zweifelsfall anvertraut.
Kann Sport einen guten Einfluss auf das Selbstvertrauen haben?
Das kommt darauf an. Kinder haben heute, spätestens ab der Mittelstufe, so einen vollen Plan wie Menschen, die 40 Stunden pro Woche oder mehr arbeiten. Neben der Schule haben sie mindestens eine Sportart und ein Musikinstrument. Das kann hilfreich sein, aber es kann auch kontraproduktiv sein. Manche Eltern denken sich, dass Sport wichtig ist und dazugehört, was im Prinzip ja nicht falsch ist. Aber wenn sie dabei übersehen, dass sie ein tollpatschiges Kind haben, was im Sport ständig scheitert und sich quält, dann ist der Effekt eher negativ.
Es gilt also zu beachten, welche Stärken und Schwächen hat mein Kind, wo kann ich es fördern und wie kann ich es davor bewahren, unnötige Misserfolge einzuheimsen.
Wie bereite ich mein Kind für große Ereignisse wie Kindergarten vor?
Das hängt mit der Persönlichkeit zusammen. In den meisten Kindergärten haben sich zum Glück Eingewöhnungsphasen etabliert, in denen die Eltern ihre Kinder in der Anfangszeit begleiten. Es gibt Kinder, die sich gut begleiten lassen und andere, die ängstlich sind. Wenn Eltern feststellen, dass es noch zu früh ist für ihr Kind, dürfen sich sie nicht scheuen zu warten, bis sie es in den Kindergarten geben – wenn das logistisch möglich ist, das sei dazugesagt.
Es gibt einfach Kinder, die eine ängstliche Persönlichkeit haben und mehr Zeit brauchen. Manche sind schneller in der sprachlichen, emotionalen und körperlichen Entwicklung. Kinder sind genauso unterschiedlich wie wir.
„Man kann Selbstvertrauen nicht künstlich erzeugen, sondern nur durch liebevolle Beziehung im Rahmen dessen, was eine kindliche Persönlichkeit zulässt.“
Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort
Ärztlicher Direktor der Marzipanfabrik sowie Supervisor der Praxis Paidion in Hamburg
Fehlt ängstlichen Kindern einfach Selbstvertrauen?
Nein, ängstliche Persönlichkeiten können ein gesundes Selbstvertrauen haben. Der richtige Umgang in so einer Situation ist es, die Angst beispielsweise vorm Kindergarten anzuerkennen. So entsteht für das Kind ein Freiraum, und nur dann kann es sagen: „Ich möchte das noch mal ausprobieren.“ Es kann natürlich vorkommen, dass Kinder vor lauter Angst Angstsymptome entwickeln und nicht so richtig in die Welt kommen. Für so eine Situation gibt es Kinderpsychiater, die helfen können und die man auch zurate ziehen sollte.
Wie wichtig ist Selbstvertrauen?
Zentral wichtig. Selbstvertrauen ist eine der Dimensionen in unserer Seele, mit der wir im Leben zurechtkommen. Ein beschädigtes Selbstvertrauen kann toxisch werden, weil diese Menschen dann nicht gut ins Leben kommen, weil sie sich dann nichts zutrauen und hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Aber man kann es nicht künstlich erzeugen, sondern nur durch liebevolle Beziehung im Rahmen dessen, was eine kindliche Persönlichkeit zulässt.
Anders ist das bei traumatisierten Kindern, die können das wieder erlernen. Das erfordert aber viel Geduld. Das gilt auch für Eltern, die bereits eine gute Beziehung zu ihrem Kind haben, aber deren Kind trotzdem kein gutes Selbstvertrauen hat. Man darf nicht enttäuscht sein, sondern muss dranbleiben und geduldig sein.
Ist irgendwann der Zug für eine gute Beziehung abgefahren?
Im Grunde ist es nie zu spät. Kinder sind unglaublich nachsichtig mit uns. Sie sind sehr fehlerfreundlich und immer die Ersten, die verzeihen.