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Gesundheitsmagazin

Kinder

Von den Eltern abnabeln – darum ist dieser Prozess für Eltern und Kinder wichtig

Veröffentlicht am:14.02.2022

4 Minuten Lesedauer

Stimmungsschwankungen, körperliche Veränderungen und das Austesten von Grenzen: Wenn Kinder in die Pubertät kommen, ändert sich vieles – für sie selbst, aber auch für die Eltern. Wie der Ablöseprozess möglichst harmonisch abläuft, verrät ein Experte.

Mehrere Jugendliche sitzen zusammen und lachen.

© iStock / Ridofranz

Prof. Dr. Stephan Bender, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Uniklinik Köln

© Uniklinik Köln / Michael Wodak

Prof. Dr. Stephan Bender ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kinder- und Jugendalters der Uniklinik Köln.

Er erklärt, worauf es bei der Abnabelung von den Eltern in der Pubertät ankommt.

Die Bedeutung der Abnabelung

Wann beginnt der typische Ablösungsprozess bei Jugendlichen?

Zunächst einmal fängt der Ablösungsprozess bereits nach der Geburt an. Wenn die Nabelschnur zertrennt wird, beginnt das Kind nach und nach eigenständig zu leben. Zum Beispiel versucht es alleine zu krabbeln, Dinge alleine zu schaffen und sich durch die ersten Schritte auch räumlich von den Eltern zu trennen. Später lernt es soziale Kommunikation mit Gleichaltrigen – Jahre später ist die logische Konsequenz daraus die Ablösung zur immer weitergehenden Unabhängigkeit in der Pubertät.

Jetzt sehen sich die Kinder nicht mehr als solche, sondern als Jugendliche an. Sie wollen ihre eigene Identität finden, selbstständig Entscheidungen treffen und beginnen, Dinge zu hinterfragen. Diese Phase beginnt heute meist zwischen dem zehnten und zwölften Lebensjahr.

Warum ist diese Ablösung von den Eltern so wichtig für Jugendliche?

Sich von den eigenen Eltern zu lösen ist ein wichtiger Schritt, um das eigene Leben Stück für Stück selbstständig zu gestalten. Wenn dabei sowohl die Eltern als auch die Kinder miteinander verständnisvoll und respektvoll umgehen, wird vieles einfacher und entspannter. Damit der Ablösungsprozess für beide Seiten fair und harmonisch abläuft, ist vor allem die Bindung zwischen Eltern und Kind entscheidend.

Ein Vater führt ein Vater-Sohn-Gespräch bei einem Spaziergang.

© iStock / mixetto

In einem offenen Gespräch können Eltern herausfinden, welche Bedürfnisse ihr Kind hat und ihm beratend zur Seite stehen.

Mögliche Probleme im Abnabelungsprozess

Inwiefern spielt die Bindung zwischen Eltern und Kind eine Rolle bei der Ablösung?

Eine gelungene Bindung zwischen Eltern und Kind ist die Basis für eine funktionierende Ablösung. Ist die Bindung in der Kindheit eng und das Verhältnis harmonisch, fällt das Ablösen meist leichter. War das Verhältnis allerdings schwierig und instabil, kann es dem Jugendlichen schwerer fallen, sich von den Eltern zu lösen. Wenn zum Beispiel immer das Bedürfnis da war, etwas von den Eltern zu wollen, beispielsweise Aufmerksamkeit oder Wertschätzung, dies aber nie erfüllt wurde, dann kann es später schwieriger werden, sich von den Eltern zu lösen. Ist das der Fall, sollten Eltern während der Pubertät des Kindes genau hinschauen.

Denn das Verhalten kann in zwei Richtungen ausschlagen: Klammern, soziale Phobien und auch Essstörungen können ein Indiz dafür sein, dass das Kind nicht bereit ist, sich von den Eltern zu lösen. Auf der anderen Seite kann es auch vorkommen, dass das Kind nichts mehr akzeptiert, Grenzen überschreitet und gegen Verabredungen rebelliert. Eine gute Bindung kann trotz Eigenständigkeit der Kinder zu einer Kommunikation auf Augenhöhe beitragen und dazu, dass Ratschläge und Ansagen der Eltern eher berücksichtigt oder respektiert werden. Das funktioniert nicht, wenn die Erziehung zuvor rein auf Druck oder Angst vor Konsequenzen basierte.

Müssen Eltern alles hinnehmen?

Definitiv nicht! Eltern haben Respekt verdient, besonders wenn sie ihrem Kind mehr Freiheiten und Rechte einräumen und ihm mehr Verantwortung für das eigene Handeln überlassen. Sie müssen aber nicht klaglos jede Stimmung und Reaktion ertragen, sondern können im Gegenzug für die Freiheit Respekt einfordern. Wenn bestimmte Regeln festgesetzt werden, die mehr Freiheit für das Kind bedeuten, können Eltern auch guten Gewissens erwarten, dass sich der oder die Jugendliche an diese Abmachungen hält. Nur so kann ein harmonisches Miteinander gestaltet werden. Gewisse altersangemessene Grenzen, die für die Sicherheit wichtig sind, dürfen und müssen Eltern auch während des Ablöseprozesses setzen.

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Was können Eltern tun, um den Ablöseprozess des Kindes zu unterstützen?

Das Wichtigste ist Verständnis und Akzeptanz. Eltern sollten genau hinschauen, was ihre Kinder in der Phase des Abnabelns brauchen und was sie sich wünschen. Gehen Sie den Bedürfnissen Ihres Kindes nach, zeigen Sie ihm, dass Sie stolz auf seine Eigenständigkeit sind und dass Sie seine Bedürfnisse und Sorgen ernst nehmen. Signalisieren Sie dem Kind: „Ich stehe hinter dir und bin auf deiner Ebene.“ Es ist zudem essenziell, dass Kinder das Gefühl bekommen, dass die eigenen Eltern nicht mehr nur der Chef in der Beziehung sind, sondern vielmehr als Berater zu Seite stehen. Es sollte also eine Art Rollenwechsel stattfinden.

Wenn Jugendliche merken, dass ihnen wenig zugetraut wird oder sie in ihrer Eigenständigkeit stark eingeschränkt werden, dann sind Trotz und Ablehnung häufig die Folge. Wer seinem Kind jedoch die eigene Meinung zugesteht, dem wird meist auch mehr Akzeptanz und Respekt entgegengebracht.

„Signalisieren Sie Ihrem Kind: Ich bin auf deiner Ebene, ich helfe dir und stehe hinter dir – das schafft Vertrauen.“

Prof. Dr. Stephan Bender
Direktor der Klinik – Kinder-Jugendpsychiatrie Uniklinik Köln

Und was können Jugendliche tun, um mehr Verantwortung und Vertrauen von den eigenen Eltern zu bekommen?

Eltern sind meist beruhigt, wenn die eigenen Kinder ihnen zeigen, dass sie sich zwar ausprobieren, dabei aber verantwortungsvoll handeln. Die eigenen Grenzen auszutesten ist in diesem Prozess normal. Solange die Eltern das Gefühl haben, es gibt einen geordneten Rahmen, fällt auch das Vertrauen leichter. Übernimmt der Jugendliche Verantwortung, können die Eltern entspannen und leichter loslassen. Ein guter Tipp ist, dem Kind Schritt für Schritt mehr Verantwortung zu überlassen und immer wieder zu schauen, ob es klappt. So entwickelt sich ein stabiler Ablöse-Prozess.

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