Kinder
Jugendliche in der Adoleszenz richtig begleiten
Veröffentlicht am:21.06.2023
6 Minuten Lesedauer
Die Gefühle fahren Achterbahn, die eigene Sexualität erwacht und die elterlichen Normen stehen plötzlich auf dem Prüfstand: Die Adoleszenz ist oft eine Zeit mit Turbulenzen – aber auch mit spannenden Entwicklungen und großen Chancen.
Was ist die Adoleszenz?
Die Adoleszenz markiert per Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenenalter, ungefähr in der Altersspanne zwischen 10 und 19 Jahren, das kann jedoch variieren. Andere Fachleute gehen eher von dem Zeitraum zwischen 10 und 21 Jahren aus. In dieser besonderen Phase entwickelt sich nicht nur der Körper sprunghaft, sondern auch das Denken, Fühlen und die gesamte Persönlichkeit. Wie ein erwachsener Mensch mit Problemen umgeht, sich selbst in der Welt wahrnimmt, ob er gesunde oder schädliche Verhaltensmuster an den Tag legt – dafür hat die Adoleszenz eine enorme Bedeutung, weil in dieser Zeit im Gehirn ganz neue Strukturen entstehen. Allerdings kann es auf dieser Baustelle im Kopf phasenweise chaotisch aussehen. Eltern können ihre Kinder in der Adoleszenz unterstützen. Dafür ist es wichtig, eine Vorstellung davon zu haben, wie die Adoleszenz verläuft.
In welchen Phasen verläuft die Adoleszenz?
Der Zeitraum der Adoleszenz ist individuell unterschiedlich und unter anderem abhängig von Geschlecht, Persönlichkeit und sozialem Umfeld der Heranwachsenden. Unbestritten ist, dass in diesen Lebensjahren enorm viel passiert. Daher teilen Forschende die Adoleszenz zumeist in drei Phasen ein:
- Frühe Adoleszenz: etwa 11. bis 14. Lebensjahr
- Mittlere Adoleszenz: etwa 14. bis 18. Lebensjahr
- Späte Adoleszenz: etwa 18. bis 21. Lebensjahr
Für jede dieser Adoleszenzphasen gibt es typische Merkmale und Verhaltensmuster, die jedoch bei jedem und jeder Jugendlichen unterschiedlich ausgeprägt sind. So zeigen viele Heranwachsende in der frühen Adoleszenz ein Schwarz-Weiß-Denken – alles ist entweder fantastisch oder furchtbar – und legen vermehrt Wert auf ihre Privatsphäre. In der mittleren Adoleszenz verstärkt sich bei den meisten das Interesse für Sexualität und Paarbeziehungen, während sich die Konflikte mit den Eltern häufen. Schließlich glätten sich in der späten Adoleszenz die Wogen wieder, Beziehungen stabilisieren sich und die jungen Erwachsenen festigen sich langsam in ihren Werten und ihrem Selbstbild.
Das Ende der Adoleszenz ist schwierig zu bestimmen. Junge Menschen übernehmen – etwa durch längere Ausbildungszeiten – oft deutlich später als noch vor einigen Jahrzehnten typische „Erwachsenenrollen“, werden wirtschaftlich unabhängig oder gründen eine eigene Familie. Daher ist der Übergang von der späten Adoleszenz ins Erwachsenenalter eher fließend.
Was ist der Unterschied zwischen Pubertät und Adoleszenz?
Selbst pädagogische Fachkräfte verwenden die Begriffe Pubertät und Adoleszenz oft gleichbedeutend – streng genommen sind sie das aber nicht. Die Pubertät bezieht sich ausschließlich auf die biologische Entwicklung und ist dementsprechend ein Teilbereich der Adoleszenz, wobei die körperlichen Veränderungen die psychosoziale Entwicklung beeinflussen.
Durch die hormonelle Umstellung schießt das Kind in der Pubertät mit einem regelrechten Wachstumsschub in die Höhe. Die Anteile von Fett- und Muskelgewebe verschieben sich, das Herz-Kreislauf-System wird belastbarer, die Sexualorgane reifen heran und parallel bilden sich die sekundären Geschlechtsmerkmale aus. Dazu gehört eine vermehrte Körper- und Schambehaarung. Bei Mädchen beginnen die Brüste zu wachsen, Jungen kommen hörbar in den Stimmbruch. Das alles passiert meist in der frühen Adoleszenz, variiert aber individuell, was das Alter betrifft. Die Pubertät ist dann abgeschlossen, die Adoleszenz aber noch nicht. Im Durchschnitt setzt die körperliche und psychosoziale Entwicklung bei Mädchen etwas früher ein als bei Jungen.
Was passiert in der Adoleszenz?
Die in der Pubertät vorherrschenden Hormone sorgen nicht nur für sprießende Barthaare und weibliche Brüste, sondern beeinflussen unter anderem auch das Gehirn. Die verschiedenen Hirnareale entwickeln sich dabei nicht gleichmäßig. So entwickeln sich zum Beispiel die Areale des limbischen Systems (ein Gehirnbereich, in dem Emotionen verarbeitet werden) deutlich schneller als der sogenannte präfrontale Cortex (zuständig für geplante Handlungen und das Abwägen von Konsequenzen). Forschende vermuten, dass viele Jugendliche deshalb zu impulsivem Verhalten neigen und Risiken unterschätzen. Die Hormone sorgen zudem dafür, dass die Stimmung und das Energieniveau in der Adoleszenz binnen kürzester Zeit extrem schwanken können. Die Jugendlichen stehen vor der Aufgabe, mit den vielen körperlichen und mentalen Veränderungen umzugehen. Das ist ein Prozess, in dem es auch zu Gefühlsausbrüchen kommen kann. Dieses Phänomen tritt vor allem in der mittleren Phase der Adoleszenz auf.
Ebenso wechselhaft ist bei Jugendlichen häufig der Wunsch nach Nähe und Unterstützung seitens der Eltern. Diese Bindungen, die bislang im besten Fall für ein sichereres Gefühl gesorgt haben, werden nun häufig durch ein neues Bedürfnis überlagert: sich unabhängig zu fühlen und eigene Entscheidungen zu treffen. In dieser Phase orientieren sich viele Jugendliche vermehrt an Gleichaltrigen (sogenannten Peers). Ihr Selbstwertgefühl hängt nun zunehmend davon ab, wie viel Anerkennung sie von selbst ausgewählten Referenzgruppen (Peer Groups) erhalten. Das können Gleichaltrige in der Schule oder in einem Sportverein sein. Aber auch soziale Medien spielen heute in der Adoleszenz oft eine wichtige Rolle.
Tipp für Eltern: Informationen über eine altersgerechte Mediennutzung sowie Gefahren im Netz bietet die Initiative SCHAU HIN!
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Was ist eine Adoleszentenkrise?
Soziale Erfahrungen sind ein wichtiger Baustein in der Adoleszenz: Jugendliche lernen, sich in verschiedenen Gruppen und sozialen Kontexten zu verorten. Gleichzeitig entwickeln, verändern und festigen sich individuelle Interessen, aber auch Werte und Moralvorstellungen sowie die sexuelle Orientierung. Das alles macht die Adoleszenz zu einer wichtigen Phase der Persönlichkeitsentwicklung. Diesen Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter erleben einige – nicht alle – Jugendliche und ihre Eltern zeitweise als so schwierig, dass sich der Begriff der Adoleszentenkrise etabliert hat. Dabei handelt es sich nicht um ein bestimmtes Krankheitsbild, sondern um einen Sammelbegriff für verschiedene psychosoziale und sexuelle Entwicklungskrisen, die in der Regel vorübergehend sind. Sie sind nur selten Vorboten einer anhaltenden Persönlichkeitsstörung.
Dennoch kann die Adoleszenz auch eine kritische Phase für verschiedene psychische Probleme sein, wie Angsterkrankungen, depressive Episoden, Essstörungen, ein gestörtes Sozialverhalten, selbstverletzendes Verhalten oder Alkohol- und Drogenkonsum. Je nach Ausprägung kann dies dazu führen, dass der junge Mensch an Aufgaben wie Schulabschluss, Berufsausbildung oder weiteren Schritten in die Selbstständigkeit scheitert.
Jugendliche durch die Adoleszenz begleiten
Als Elternteil ist es entscheidend, in der Adoleszenz ein verlässlicher Ansprechpartner beziehungsweise eine verlässliche Ansprechpartnerin für das Kind zu bleiben. Auch wenn es sich manchmal nicht so anfühlt: Forschende sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beziehung zu Eltern und Geschwistern für Jugendliche wichtig bleibt. Zwar orientieren sie sich stärker an Gleichaltrigen, das ersetzt aber nicht die familiären Bindungen, sondern ergänzt sie. Wichtig ist, dass Sie für Ihr Kind einen sicheren und einfühlsamen Gesprächspartner oder eine Gesprächspartnerin darstellen. Es sollte sich sicher sein können, dass Sie es weder bewerten noch belächeln – insbesondere bei schambehafteten Themen.
Folgende Tipps helfen dabei, Ihr Kind in der Adoleszenz zu stärken und zu begleiten:
- Respektieren Sie sein Bedürfnis nach Privatsphäre. Klopfen Sie an, bevor Sie das Zimmer Ihres Kindes betreten, und durchsuchen Sie weder private Schubladen noch das Smartphone.
- Versuchen Sie, bei emotionalen Ausbrüchen ruhig zu bleiben. Atmen Sie tief durch und sprechen Sie über ernste Konfliktpunkte am besten dann, wenn weder Sie noch Ihr Kind mit dem Kopf in einer emotionalen Gewitterwolke stecken.
- Sagen und zeigen Sie Ihrem Kind, dass es stolz auf sich sein kann. Heben Sie seine Stärken hervor. Das stärkt das Selbstbewusstsein.
- Lassen Sie Ihrem Kind die Freiheit, sich über spezielle Kleidung, Haarfarben oder -schnitte auszudrücken.
- Zeigen Sie sich interessiert daran, was im Leben Ihres Kindes passiert und was es gerade bewegt – ohne zu sehr nachzubohren.
- Stichwort sexuelle Aufklärung: Sprechen Sie frühzeitig offen über körperliche Veränderungen und auch die Geschlechtsteile bei Jungen und Mädchen: Was passiert bei einer Erektion? Was bedeutet die Monatsblutung? Warum entwickeln Menschen sich so unterschiedlich?
- Auch Gespräche über geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung sind wichtig, besonders wenn sich andeutet, dass es Unsicherheiten beim Zugehörigkeitsgefühl zu einem Geschlecht gibt. Auch wenn ein Kind erkennt, dass es homosexuell, bisexuell oder asexuell, also sich nicht oder nur sehr wenig für Sex interessiert, ist.
Wenn Sie sich Sorgen um Ihr Kind in der Adoleszenz machen und vermuten, dass es in einer ernsten Krise steckt, lassen Sie sich helfen. Es gibt zahlreiche Beratungsangebote – telefonisch, online oder vor Ort. Eine Übersicht finden Sie zum Beispiel bei der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e.V. (DAJEB) oder bei Psychenet.