Kinder
Fehler machen klug: Interview mit der Psychologin Prof. Dr. Eva Asselmann
Veröffentlicht am:09.08.2024
5 Minuten Lesedauer
Um sich gut zu entwickeln, müssen Kinder Fehler machen dürfen – und keine Angst vor ihnen haben. Was sie dafür brauchen? Eltern, die ihnen den nötigen Freiraum bieten. Wie das geht, erklärt die Psychologin Eva Asselmann im Interview.
„Misserfolge haben immer auch etwas Positives“
Die Psychologin Prof. Dr. Eva Asselmann ist Expertin für Persönlichkeitspsychologie und lehrt an der Health and Medical University Potsdam. Wir haben mit ihr über die Chancen des Scheiterns gesprochen und wie Eltern ihre Kinder dabei unterstützen können, aus Fehlern zu lernen.
Kinder stehen heute unter hohem Leistungsdruck, und das Phänomen der Schulangst ist weitverbreitet. Wie kommt das?
Professorin Eva Asselmann: Wir leben in einer schnelllebigen Gesellschaft, in der auch die Erwachsenen unter hohem Druck stehen. Viele haben das Gefühl, die Erwartungen, die privat und beruflich an sie gestellt werden, nicht erfüllen zu können. Diesen Stress geben sie ungewollt an ihre Kinder weiter, die dann auch in der Schule „lernen“: Fehler sind schlimm, dafür muss ich mich schämen. Das ist schade, denn Misserfolge haben immer auch etwas Positives.
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Wie kann ein Misserfolg gut sein?
Jedes Mal, wenn wir an etwas scheitern, lernen wir daraus. Nach dem Versuch-und-Irrtum-Prinzip erfahren wir, was nicht funktioniert – und auch, was vielleicht besser funktionieren könnte. Schauen wir uns Babys an: Beim Laufen lernen fallen sie Hunderte Male auf den Po. Würden sie den Frust empfinden, den Fehlversuche bei vielen Erwachsenen auslösen, würden wir heute vermutlich nicht aufrecht gehen. Es wäre schön, wenn wir Kindern diesen gesunden Umgang mit Niederlagen erhalten könnten.
Was passiert, wenn ein Kind seine Unbefangenheit gegenüber Fehlern verliert?
Wenn es das Gefühl hat, dass Misserfolge bedrohlich sind und dass man Anerkennung nur erhält, wenn man Dinge perfekt beherrscht, kann sich das negativ auf sein Selbstwertgefühl auswirken. Schlimmstenfalls trennen Kinder irgendwann nicht mehr zwischen sich selbst und dem, was sie tun. Ein Misserfolg wird dann gefühlt zum Komplettversagen. Um Fehler zu vermeiden, scheuen sie dann womöglich später vor Herausforderungen zurück und verpassen wichtige Chancen der Entwicklung. Denn am Ausprobieren und Kurskorrigieren wächst man.
Überfürsorgliche Eltern
Rund 20 Prozent der Kinder haben überfürsorgliche Eltern. Viele davon meiden später Situationen, in denen sie scheitern könnten.
Quelle: American Psychological Association, 2018
Wie können Eltern den Umgang ihrer Kinder mit Niederlagen positiv beeinflussen?
Wichtig ist, dass die Erwachsenen zunächst ihren eigenen Blick auf Fehler prüfen. Sie sollten sich fragen: Stelle ich mich neuen Herausforderungen im Leben und erkenne auch die Chancen, die das Scheitern birgt? Sind mir meine Stärken bewusst oder konzentriere ich mich nach einem Misserfolg vor allem auf meine Schwächen? Wer das gut für sich klären kann, vermittelt auch seinem Kind leichter, dass Dinge schiefgehen dürfen. Und dass das zum Leben dazugehört. Es ist keine Katastrophe, wenn das passiert.
Wie helfe ich meinem Kind durch Situationen des Scheiterns? Etwa, wenn es von einer Sportmannschaft abgelehnt wird, in die es aufgenommen werden wollte.
Man sollte die Enttäuschung nicht kleinreden, insbesondere soziale Ablehnung kann eine sehr schmerzhafte Erfahrung sein. Aber dann kann man sagen, dass sich das Kind ja sehr angestrengt hat, um aufgenommen zu werden. Dass es darauf stolz sein kann und dass ihm die Fähigkeiten, die es dabei errungen hat, erhalten bleiben. Man kann dann auch gemeinsam überlegen, ob ein zweiter Versuch sinnvoll ist und welche Alternativen es gibt. In jedem Fall sollte man verdeutlichen, dass jeder Mensch früher oder später Niederlagen erlebt. Wenn Kinder lernen, trotz Rückschlägen zuversichtlich und gelassen zu bleiben, gehen sie in der Regel auch später gut mit Niederlagen um.
5 Tipps für den Umgang mit Niederlagen
- Verständnid
Sehen Sie Fehler Ihres Kindes als Teil seiner natürlichen Entwicklung. Es tut jetzt viele Dinge zum ersten Mal. - Offenheit
Versuchen Sie, das Kind nicht durchgängig zu bewerten – auch im Stillen nicht. - Empathie
Das Kind hat gepaukt und ist dennoch durchgefallen? Loben Sie den Einsatz – und erzählen Sie von Ihrer Fünf damals. - Hilfe
Prüfen Sie gemeinsam mit ihm: Wie läuft es beim nächsten Mal besser? - Reflexion
Wie steht es um Ihren Umgang mit eigenen Fehlern? Seien Sie freundlich und großzügig mit sich.
Quelle: Prof. Dr. Eva Asselmann
Worauf sollte man noch im Alltag achten, um Kinder zu bestärken?
Wir wissen aus Untersuchungen, dass Kinder, die über einen längeren Zeitraum hinweg Misserfolge erleben, später dazu neigen, mit weniger Mut und Selbstvertrauen an Aufgaben heranzugehen. Das ist ja auch verständlich. Deshalb sollte man in einer solchen Situation prüfen, ob die Aufgaben möglicherweise an die Fähigkeiten des Kindes angepasst werden müssen. Die zweite Erkenntnis ist für viele überraschend: Auch Kinder, die übermäßig viel gelobt werden, entwickeln mitunter später kein stabiles Selbstwertgefühl.
Wirkt Lob nicht immer ermutigend?
Viele Eltern überschütten ihr Kind geradezu mit gut gemeinter Anerkennung und kommentieren begeistert alles, was es tut. Für das Kind ist es dann schwer, ein gutes Gespür für seine wirklichen Stärken und Schwächen zu entwickeln und zu verstehen, warum es außerhalb der Familie weniger Enthusiasmus erfährt. Hilfreich ist auch, die Wertschätzung des Kindes nicht an Leistungen zu knüpfen und seine Bemühungen anzuerkennen, selbst wenn das Ergebnis nicht erfolgreich war. Also lieber „Du hast ja wirklich viel für die Mathe-Arbeit gelernt“ als „Du bist super in Mathe“.
Kann man als erwachsene Person noch lernen, gut mit Niederlagen umzugehen?
Auf jeden Fall, auch wenn man dafür ein wenig Geduld braucht. Man kann lernen, nach einem Misserfolg freundlich und großzügig zu sich zu sein. Man sollte sich vor Augen führen, dass es eine größere Leistung ist, nach einer Niederlage wieder aufzustehen, als nach einem Erfolg weiterzumachen. Vor einer wichtigen Entscheidung, deren Ausgang nicht sicher ist, kann man sich sagen: Ich kann stolz darauf sein, dass ich mir diesen Schritt zutraue. Und sich fragen: Was ist das Schlimmste, was passieren kann? In den meisten Fällen wird man dann feststellen: Ein Misserfolg wäre weit weniger dramatisch als gedacht.
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