Kinder
Angst vor dem Sportunterricht? Lösungen für Eltern und Kinder
Veröffentlicht am:14.01.2025
5 Minuten Lesedauer
Sportunterricht soll Spaß und Freude an Bewegung wecken und Kinder an ein gesundes und aktives Leben heranführen. Manche freuen sich jedoch nicht darauf, andere leiden sogar darunter. Wie kann Sport in der Schule allen Kindern Spaß machen?
Sportunterricht: für die einen Lust, für die anderen Frust
Sportunterricht ist in Deutschland in jeder Schule und Klassenstufe Pflicht. Das heißt, alle Schüler und Schülerinnen müssen daran teilnehmen. Schulsport soll die Freude und den Spaß an der Bewegung wecken und die soziale und kognitive Entwicklung fördern. Doch er holt nicht alle Kinder ab – das Problem mit dem Schulsport beginnt für viele schon in der Grundschule.
Die einen lieben, die anderen hassen ihn. Während sich viele Kinder Woche für Woche auf den Sportunterricht freuen, denken andere mit Sorge an die Stunden in der Turnhalle, auf dem Sportplatz oder im Schwimmbecken. „Vier bis fünf Kinder gibt es in jeder Lerngruppe, für die der Sportunterricht nicht mit Lust, sondern mit Leid verbunden ist“, schätzt Dr. Ina Hunger, Professorin für Sportpädagogik und Sportdidaktik an der Universität Bremen. „Denn sie erleben dort regelmäßig Situationen der Angst, der Scham und der sozialen Ausgrenzung.“ Wie die konkret aussehen und welche Folgen sie für die Psyche haben können, erforscht die Wissenschaftlerin aktuell in verschiedenen Studien.
„Einige Kinder erleben im Sportunterricht regelmäßig Situationen der Angst, der Scham und der sozialen Ausgrenzung.“
Dr. Ina Hunger
Professorin für Sportpädagogik und Sportdidaktik an der Universität Bremen
Viele Erwachsene haben ein Schulsport-Trauma
Auch bei Erwachsenen weckt die Erinnerung an den Sportunterricht oft Unbehagen: Als die Onlineplattform „Krautreporter“ Anfang 2022 ihre Community um negative Erfahrungsberichte bat, meldeten sich mehr als 6.000 Menschen. Ihre Geschichten waren traurig bis schockierend und sie decken sich mit den Ergebnissen der Umfragen, die Ina Hunger mit ihrem Team an Schulen durchführt. Das Spektrum reicht von der Sorge (oder sogar konkreten Erfahrung), einen Ball ins Gesicht zu bekommen, vom Schwebebalken zu stürzen oder sich anderweitig zu verletzen. Viele berichteten auch von der Angst, von Mitschülerinnen und Mitschülern ausgelacht zu werden, weil man es zum Beispiel nicht schafft, über den Bock zu springen, bis hin zu Demütigungen durch das Lehrpersonal. „In keinem Schulfach ist der Körper so exponiert wie im Sport“, erläutert die Expertin. Trotzdem käme es auch heute noch vor, dass einzelne Lehrer oder Lehrerinnen an einem Kind demonstrieren, wie eine Übung nicht aussehen soll: „Da heißt es dann zum Beispiel: Achtet mal auf die fehlende Spannung am Gesäß – und die ganze Klasse guckt hin.“
Bundesjugendspiele ohne Leistungsdruck
Bundesjugendspiele haben eine lange Tradition im Sportunterricht. Seit 1979 müssen sie an allgemeinbildenden Schulen einmal im Jahr für Schüler und Schülerinnen bis zur Jahrgangsstufe 10 durchgeführt werden. Um sie kindgerechter zu gestalten und den Leistungsdruck zu nehmen, wurden sie für Grundschulkinder bis zur vierten Klasse geändert. Seit dem Schuljahr 2023/24 werden sie in der Sportart Leichtathletik nur noch als Wettkampf und nicht mehr als Wettbewerb durchgeführt. Das soll den Spaß und die Motivation am Sporttreiben erhöhen.
Schulsport soll ein aktives und gesundes Leben fördern
Sport hat viele positive Einflüsse auf das Leben von Kindern. Schulsport hat deshalb wichtige Aufgaben. Er soll das Miteinander stärken sowie Fairness, Toleranz, Teamgeist, Mitverantwortung und Kinder an ein aktives Leben heranführen. Gleichzeitig soll er ihnen die Vielfalt unserer Sport- und Bewegungskultur zeigen. Häufig ist jedoch genau das Gegenteil der Fall.
Demütigend kann für Kinder schon die Wahl von Teams sein. Ein Junge und ein Mädchen nach dem anderen wird gewählt, bis nur noch diejenigen auf der Bank sitzen, die als unsportlich gelten oder unbeliebt sind. „Diese öffentliche Selektion ist ein Unding“, empört sich Ina Hunger. „Leider wird sie an manchen Schulen noch immer praktiziert.“ Und das, obwohl es viele andere Möglichkeiten gibt, Gruppen zusammenzustellen – vom Abzählen über die Einteilung nach Sockenfarben bis zum Ziehen von Karten.
Psychosoziale Beschwerden sind eine mögliche Folge von solchen negativen Erfahrungen. So nistet sich die Überzeugung, nicht sportlich zu sein, im Hirn der Betroffenen ein und wird Teil ihres Selbstbildes. Und die erlittenen Demütigungen? „Sie können eine quälende Langzeitwirkung entwickeln“, sagt die Sportwissenschaftlerin. Darauf deuten zumindest erste Ergebnisse ihrer Studien hin. So berichten Befragte, dass sie einen langanhaltenden Hass auf den eigenen Körper entwickelten; andere ertragen den Geruch von Sporthallen nicht mehr.
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Wie moderner Sportunterricht aussehen kann
Der Schulsport muss sich verändern. Konzepte für einen modernen Sportunterricht gibt es längst, sie werden nur noch nicht konsequent umgesetzt. Was zeichnet sie aus? „Guter Sportunterricht berücksichtigt die Heterogenität der Gruppe“, erläutert Ina Hunger und zählt auf: „Kinder in einer Klasse sind heutzutage sehr verschieden. Sie sind nicht nur unterschiedlich groß oder schwer. Sie kommen auch mit ganz unterschiedlichen Vorerfahrungen in den Unterricht. Manche sind in einem Sport schon fast Profis, andere nehmen zum ersten Mal einen Ball in die Hand.“ All das muss eine Sportlehrerin oder ein Sportlehrer im Blick haben und entsprechend differenzieren. Auch sei es wichtig, dass Bewegungsangebote auf dem Stundenplan stehen, die für alle neu sind.
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Viele Kinder haben Ängste. Diese gehören zur normalen Entwicklung dazu. Werden die Ängste jedoch zu stark, belasten sie das Kind und die Familie. Der Familiencoach Kinderängste unterstützt Sie und Ihr Kind dabei, typische Angstsituationen zu meistern.
Auch Fairness und Empathie im Sportunterricht bewerten
Generell sollten die Lehrkräfte im Sportunterricht nicht nur auf die Ergebnisse schauen, sondern auch in die Bewertung mit aufnehmen, wie sich der oder die Einzelne bemüht und individuell verbessert hat. Auch Fairness, Empathie und theoretische Kenntnisse sollten mit einfließen. Gelingt dies, ist das Ziel erreicht: Alle Kinder fühlen sich im Sportunterricht wohl und entdecken ihre Freude an der Bewegung.
Was können Eltern tun?
Auch den Eltern kommt eine besondere Rolle zu: „Sie sollten ihre Kinder gezielt nach dem Sportunterricht fragen, zuhören und bei Bedarf vermitteln, dass man nicht alles hinnehmen muss“, rät Ina Hunger. „Leidet das Kind, macht es Sinn, die Lehrkraft anzusprechen.“ Und noch etwas können Eltern tun: regelmäßig gemeinsam mit dem Nachwuchs rennen, Fahrrad fahren oder Ball spielen – und ihnen so zeigen, wie viel Spaß körperliche Aktivität macht.