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Empty-Nest-Syndrom: Wenn Kinder ausziehen und Leere hinterlassen

Veröffentlicht am:12.05.2021

5 Minuten Lesedauer

Aktualisiert am: 17.04.2025

Wenn das letzte Kind auszieht, überkommt viele Eltern plötzlich das sogenannte Empty-Nest-Syndrom – ein Gefühl der Einsamkeit und Trauer macht sich breit. Wie Eltern diese Herausforderung meistern und als Chance begreifen können.

Ein Paar in den mittleren Jahren umarmt sich. Der Mann ist nur von hinten zu sehen, die Frau schaut traurig und nachdenklich zur Seite.

© iStock / svetikd

Ist das Empty-Nest-Syndrom eine Diagnose?

Das Empty-Nest-Syndrom wurde in den 1970er Jahren von der Pharmaindustrie in den USA erfunden. Der englische Begriff „empty nest“ bedeutet „leeres Nest“ und bezeichnet die Phase, in der Kinder „flügge“ werden und aus dem Elternhaus ausziehen.

Damals hat man sich vor allem mit den negativen Auswirkungen des „Verlassenwerdens“ auf die Mütter befasst. Psychopharmaka und Antidepressiva sollten den noch relativ jungen Müttern, die meist keine Berufsausbildung hatten, aus ihrer Identitätskrise nach dem Auszug des letzten Kindes heraushelfen. Die Tabletten sollten Symptome wie Depressionen und Schlafstörungen bekämpfen.

Derart negative Konsequenzen des Auszugs der Kinder von zuhause lassen sich aber nicht nachweisen. Die Auswirkungen des Auszugs des letzten Kindes auf die Lebensqualität der Eltern sind individuell verschieden. Weil Eltern in der Regel nicht krank vor Kummer werden, ist das Empty-Nest-Syndrom keine eigene Diagnose. In medizinischer Fachsprache wird es als „Anpassungsproblem an die Übergangsphasen im Lebenszyklus“ beschrieben.

Man weiß inzwischen: Die Trauerphasen nach dem Auszug sind zeitlich begrenzt und sollten auf keinen Fall dramatisiert werden. Eine Trennung im eigentlichen Sinne findet ja auch nicht statt, es ist mehr ein Abschied von der Selbstverständlichkeit, gemeinsam Zeit zu verbringen. Dennoch ist der Auszug der Kinder ein großer struktureller Einschnitt in das Familienleben, der Eltern stark beschäftigen kann.

Anders als bei Vogeleltern, deren Nest hier als Metapher dient, ist für die Menscheneltern in dieser Zeit meist klar: Sie bauen im nächsten Jahr kein neues Nest und ziehen erneut Nachwuchs groß. Sie sind nun wieder auf ihre Zweierbeziehung „zurückgeworfen“ und müssen mit der Lücke oder der neuen Freiheit, die durch den Auszug der Kinder entstanden ist, umgehen lernen. Gleichzeitig bietet sich so eine große Chance, sich als Paar neu zu finden und gemeinsam neue Aktivitäten zu entdecken.

Beginnt das Empty-Nest-Syndrom immer mit dem Auszug?

Das Empty Nest-Syndrom muss nicht abrupt eintreten. Es kann sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, zum Beispiel, wenn Kinder ein Auslandsjahr machen oder während des Studiums nur noch am Wochenende oder in den Semesterferien nach Hause kommen. Eltern mit zwei oder mehreren Kindern haben die Situation bereits erlebt, ehe schließlich das letzte Kind auszieht. Deswegen verwenden Familienforscherinnen und -forscher auch die Begriffe „Pre-Empty-Nest“, „Partial-Empty-Nest“ und „Post-Empty-Nest“ – zu deutsch: „Vor dem leeren Nest“, das „teilweise leere Nest“ und „nach dem leeren Nest“.

Wenn in den Phasen vor dem „Post-Empty-Nest“, also bevor die Kinder ganz ausgezogen sind, schon eine Ablösung stattfindet, ist das hilfreich für die Eltern. Je öfter die räumliche Trennung geprobt wurde, desto leichter fällt schließlich der endgültige Auszug.

Wie wirkt sich das Empty-Nest-Syndrom auf Eltern aus?

Die Gefühlslage ist meist zwiespältig: Das Elternteil, das mehr mit der Kinderbetreuung befasst war, erlebt den Auszug der Kinder oft intensiver. Meist sind es gemischte Gefühle, die auftreten: Der Trennungsschmerz tut weh, die Entlastung bereitet aber auch Freude.

Wer beruflich eingespannt war, leidet kürzer: Das Elternteil, das in der aktiven Elternzeit berufstätig war und gleichzeitig hauptsächlich die Kinder betreut hat, kann meist besser mit dem Auszug der Kinder umgehen. Die Phase der Trauer ist dann meist kürzer und weniger ausgeprägt als bei Elternteilen, die sich hauptsächlich um die Kinder gekümmert haben, ohne daneben noch einen Beruf auszuüben. Diese können einen größeren Identitätsverlust erleben und an sich selbst und der Zukunft zweifeln.

Die verpasste Zeit wird eventuell bereut: Das Elternteil, das beruflich mehr eingespannt war und sich weniger um die Betreuung der Kinder kümmern konnte, leidet womöglich anders unter der Nestflucht der Kinder. Mit dem Auszug kann das Gefühl aufkommen, die Chance am Leben der Kinder mehr teilzuhaben, verpasst zu haben.

Selbsthilfegruppen für Eltern mit Empty-Nest-Syndrom

Wer das Gefühl hat, seine Trauer oder Einsamkeit nicht allein bewältigen zu können, kann sich in einer geeigneten Selbsthilfegruppe mit anderen Eltern austauschen. In vielen Städten und Gemeinden gibt es diese Gruppen, in denen Eltern zusammenkommen, die unter dem Auszug ihrer Kinder leiden. Mit einer Suchanfrage kann man online schnell überprüfen, ob es in der eigenen Region eine solche Selbsthilfegruppe gibt.

Wie lang dauert das Empty-Nest-Syndrom?

Das mit dem Empty-Nest-Syndrom einhergehende Gefühl der Leere und Traurigkeit ist zunächst kein Grund, sich Sorgen zu machen: Die Freude über die neu gewonnene Zeit überwiegt meist schon nach einigen Wochen oder wenigen Monaten. Fällt man jedoch in eine schwere Lebenskrise oder entwickelt eine Depression, ist professionelle Hilfe empfehlenswert.

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Was passiert mit Ehe oder Partnerschaft, wenn die Kinder fort sind?

An Statistiken lässt sich ablesen, dass Ehen nach dem Auszug der Kinder besonders häufig geschieden werden. Eine Studie der Universität Heidelberg zeigt: Es gibt einen „Empty Nest-Effekt“ auf das Trennungsrisiko der Eltern. Im Vergleich zu Paaren, deren Kinder noch nicht ausgezogen sind, ist dieses Risiko dauerhaft erhöht. Aber warum? Die Forscherinnen und Forscher vermuten, dass Kinder auf die Beziehungsstabilität der Eltern einen positiven Einfluss haben, der aber mit zunehmendem Alter der Kinder abnimmt. Durch den Auszug fallen schließlich gemeinsame Verpflichtungen und Aufgaben weg, die eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Eltern hergestellt hatten. Gab es schon vorher Schwierigkeiten, wurde die Trennung eventuell der Kinder zuliebe aufgeschoben. Außerdem kann etwas verloren gehen, das die Forscherinnen und Forscher „ehespezifisches Kapital“ nennen. Das Familienleben hatte eine Befriedigung mit sich gebracht.

Ein Mann und eine Frau im mittleren Alter tanzen fröhlich in ihrem Haus.

© iStock / wundervisuals

Ziehen die Kinder aus, ist das für Eltern zunächst oft nicht einfach. Überwinden sie das Empty-Nest-Syndrom, können sie sich wieder auf ihre eigenen Bedürfnisse konzentrieren und ihre zurückgewonnene Freiheit sogar genießen.

Das Empty-Nest-Syndrom überwinden und als Paar zueinander finden

Der Auszug der Kinder kann aber auch positiv für eine Paarbeziehung sein. Werden anfängliche Spannungen überwunden und ein neuer gemeinsamer Rhythmus gefunden, erwartet Eltern eine wunderbare Zeit. Endlich können sie sich mehr auf ihre eigenen Bedürfnisse konzentrieren und ihre Liebesbeziehung wieder mehr genießen.

Diese Tipps können Paaren helfen, ihre Beziehung neu zu definieren und im „Empty Nest“ wieder näher zueinander zu finden:

  • Sprechen Sie über den Auszug der Kinder. Für die Trauer, die Eltern nach der Nestflucht empfinden, sollten sie sich nicht schämen, sondern ihre Gefühle thematisieren. Jeder geht anders mit Verlust um. Kennen Sie die Perspektive Ihres Partners, können Sie ihn besser verstehen und mit ihm mitfühlen. Es kann auch helfen, mit anderen betroffenen Müttern und Vätern zu sprechen.
  • Das offene Gespräch müssen viele Partnerinnen und Partner erst wieder üben. Früher haben die Kinder permanent für Gesprächsstoff gesorgt und standen meist im Mittelpunkt. Nach ihrem Auszug kann deswegen ein Mangel an Kommunikation zwischen Eltern entstehen. Jahrelange Verpflichtungen, die anstrengende Pubertät der Kinder und beruflicher Stress haben Sie voneinander distanziert? Suchen Sie bewusst den Austausch und die Auseinandersetzung und nehmen Sie sich Zeit dafür. Wenn Sie sich einander wieder öffnen und sich gegenseitig zuhören, ist der wichtigste Schritt für einen neuen Anfang bereits getan.
  • Nutzen Sie den neuen Freiraum zusammen. Es ist die Gelegenheit, um gemeinsame Hobbys wiederzuentdecken, Interessen nachzugehen, die man wegen der Kinder lange vernachlässigt hat, spontane Ausflüge zu machen, ins Kino zu gehen oder eine längere Wanderung zu unternehmen. Tipp: Schaffen Sie neue Rituale, die Ihre Beziehung wiederbeleben und stärken. Treffen Sie sich zu einem Date: Spielen Sie vielleicht wieder zusammen Tennis oder kochen Sie gemeinsam ein besonderes Menü.
  • Realisieren Sie lang gehegte Wünsche. Gibt es etwas, wovon Sie beide schon seit langem träumen oder das Sie aufgegeben haben, weil die Kinder kamen? Verwirklichen Sie alte Pläne, unternehmen Sie zusammen eine lange Reise oder packen Sie gemeinsam ein handwerkliches Projekt an. 
  • Verbringen Sie auch Zeit allein. Nutzen Sie die neu gewonnenen Freiräume, um wieder in Ruhe und bewusst allein Ihren Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen. Wandeln Sie doch zum Beispiel ein Kinderzimmer in ein Atelier, ein Nähzimmer, einen Fitnessraum oder eine Werkstatt um.

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