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Intersexualität: Was ist das?

Veröffentlicht am:05.07.2024

5 Minuten Lesedauer

Intersexuelle Menschen besitzen von Geburt an biologisch männliche und weibliche Geschlechtsmerkmale. Was bedeutet das genau? Die wichtigsten Antworten rund um Intersexualität finden Sie hier.

Nahaufnahme einer Person mit langen rotlackierten Fingernägeln und einem orangefarbenen T-Shirt, die einen kleinen weißen Zettel in die Kamera hält. Darauf ist mit schwarzem Stift ein Kreis gezeichnet, von dem alle Geschlechtssymbole abgehen. In der Mitte des Kreises steht das mathematische Zeichen für „ist gleich“.

© iStock / LaylaBird

Was ist Intersexualität?

Nach der Geburt wird bei den Menschen normalerweise ein biologisch männliches oder weibliches Geschlecht festgestellt. Dafür sind einerseits die Genitalien relevant: Vulva und Vagina bei den Frauen, Penis bei den Männern. Darüber hinaus gibt es mindestens drei weitere Faktoren, die für die Geschlechtsbestimmung wichtig sind. Dazu zählen die Chromosomen, bei denen die Kombinationen XX als weiblich und XY als männlich gelten; die Hormone, unterteilt in weibliches Östrogen und Progesteron sowie männliches Testosteron und als drittes die Keimdrüsen – das sind bei den Frauen die Eierstöcke und die Hoden bei den Männern.

Bei intersexuellen Menschen ist von Geburt an diese Aufteilung nicht eindeutig, sie weisen sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale auf. Demzufolge lassen sich intersexuelle Menschen nach den genannten Kriterien nicht eindeutig einem der beiden binären Geschlechter (Mann oder Frau) zuordnen. Über die verschiedenen Formen der Intersexualität erfahren Sie hier mehr.

Auf den ersten Blick sichtbar ist Intersexualität aber keineswegs. Es gibt intersexuelle Personen, die geschlechtertypisch wie Männer oder Frauen aussehen und sich auch dementsprechend geben und kleiden. Dann gibt es aber auch Menschen, genau wie bei biologisch eindeutigen Männern und Frauen, die sich mit ihrem Auftreten und ihrem Kleidungsstil von den typischen Rollenbildern unterscheiden und als „androgyn“ oder nichtbinär wahrgenommen werden.

Der Begriff Intersexualität wurde 1915 vom Genetiker Richard Goldschmidt geprägt. Er setzt sich zusammen aus den lateinischen Begriffen „inter“ („zwischen") und „Sexus“ („Geschlecht“). Intersexualität beschreibt jedoch keine sexuelle Vorliebe oder Orientierung, sondern lediglich das (nicht eindeutige) biologische Geschlecht des Körpers.

Was bedeutet der Begriff inter*

Der Begriff inter* ist aus der Menschenrechtsbewegung entstanden. Er ist – im Gegensatz zum medizinischen Begriff „intersexuell“ – ein von intersexuellen Menschen selbstgewählter, emanzipatorischer Überbegriff für alle Formen der Intersexualität. Das Sternchen in „inter*“ soll dieser Vielfalt Ausdruck verleihen. Inter* steht damit als Sammelbegriff für beispielsweise Intersexuelle, Hermaphroditen, Zwitter oder Intergender.

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Ist intersexuell das gleiche wie transgeschlechtlich?

Transgeschlechtliche Menschen identifizieren sich nicht mit dem biologischen Geschlecht, welches bei der Geburt aufgrund ihrer äußeren Geschlechtsmerkmale und ihres Erscheinungsbildes bei ihnen festgestellt wurde. Viele von ihnen haben das Gefühl, im falschen Körper zu stecken, obwohl ihr Geschlecht biologisch betrachtet eindeutig definiert ist. Andere Betroffene fühlen sich weder als Mann noch als Frau. Sie überschreiten häufig Geschlechtsgrenzen, indem sie etwa Kleidung tragen, die gesellschaftlich mit dem anderen der beiden Geschlechter in Verbindung gebracht wird oder entziehen sich durch ein betont individuelles Rollenverhalten der binären Wahrnehmung.

Intersexuelle Menschen haben hingegen von Geburt an körperliche Geschlechtsmerkmale, die sich nicht biologisch eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen lassen; unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität.

Eine androgyn wirkende junge Person mit langen blonden Haaren  und geschminktem Gesicht hält eine Pride-Fahne über ihren Kopf und lässt die im Wind flattern.

© iStock / whitebalance.oatt

Welchem Geschlecht man sich auch zugehörig fühlt – jeder Mensch hat ein Recht auf Selbstbestimmung.

Welche Formen von Intersexualität gibt es?

Es gibt nicht die „eine“ Intersexualität. Sie wird in eine Vielzahl unterschiedlicher Ausprägungen, Syndrome und Anomalien unterteilt. Typische Beispiele sind Androgenresistenzen – hier führt eine genetische Mutation zu Resistenzen gegen das männliche Geschlechtshormon Testosteron. Bei der kompletten Form (CAIS = Complete Androgen Insensitivity Syndrome) haben Betroffene einen männlichen Chromosomensatz und innen liegende Hoden. Das äußere Geschlecht ist komplett weiblich. Wenn es keine entwickelte Gebärmutter gibt, fällt diese Form bei Mädchen meist erst durch das Ausbleiben der Regelblutung auf. Bei der partiellen Form (PAIS = Partial Androgen Insensitivity Syndrome) werden die sekundären Geschlechtsmerkmale während der Pubertät nicht vollständig ausgebildet. Ebenfalls zum Bereich der Intersexualität gehört das Turner-Syndrom, bei dem das zweite X-Chromosom fehlerhaft ist oder zumindest teilweise fehlt und dafür sorgt, dass die betroffenen Frauen etwas kleiner sind und ein junges Aussehen haben. Das Klinefelter-Syndrom tritt auf, wenn ein Junge mit zwei X-Chromosomen statt mit einem X- und einem Y-Chromosom geboren wird. Hier können sich Symptome wie vergrößerte Brüste während der Pubertät entwickeln. Insgesamt muss gesagt werden, dass die Gruppe der betroffenen Menschen vielfältig ist und häufig besondere medizinische Bedürfnisse hat, die eine hohe ärztliche Expertise erfordert. Selbsthilfegruppen können im Bereich Intersexualität auch aufgrund der persönlichen und fachlichen Erfahrungen der Mitglieder und der Gruppenleitung sehr hilfreich sein.

Ist Intersexualität eine Krankheit?

Bis heute wird in der Medizin teilweise noch von „disorders of sex development“ (DSD) gesprochen – also von Störungen der geschlechtlichen Entwicklung. Inzwischen zeichnet sich jedoch ein Wandel hin zu „difference of sex development“ (DSD) ab. Intersexualität ist keine Störung oder Krankheit. Sie ist eine Vielzahl von biologischen Geschlechtsausprägungen, die sich den biologisch binären Geschlechtern nicht eindeutig zuordnen lässt. Lange nahmen Ärztinnen und Ärzte operative, genitalverändernde Eingriffe vor, um die Personen einem dieser Geschlechter zuzuordnen, sie also entweder eindeutig als Frau oder eindeutig als Mann erkennbar zu machen. Diese Operationen an eigentlich gesunden Kindern konnten zu schweren traumatischen Erfahrungen führen, ohne dass ein Nutzen hinreichend wissenschaftlich begründet war. Um diese Fälle zu verhindern, trat im Mai 2021 das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung in Kraft. Geschlechtsangleichende Operationen dürfen nur noch in Ausnahmefällen durchgeführt werden, ehe das betroffene Kind selbst darüber entscheiden kann.

Wie verbreitet ist Intersexualität?

Die Schätzungen über die Anzahl intersexueller Personen in Deutschland schwanken und gehen von 8.000 bis 120.000 Personen aus. Die Zahlen basieren auf Hochrechnungen, da es keine zentrale Stelle gibt, die diese Daten erfasst. Oft wird die Intersexualität auch erst später entdeckt, zum Beispiel während der Pubertät, wenn bei einem Menschen, der äußerlich weibliche Geschlechtsorgane aufweist, die Periode ausbleibt. Ein weiterer Grund für die Schwankungen ist unter anderem die zugrunde gelegte Definition von Intersexualität: Die Bundesregierung etwa beschränkt sich auf Betroffene mit „schwerwiegenden Abweichungen der Geschlechtsentwicklungen“. Dementsprechend rechnet sie bei intergeschlechtlich Neugeborenen mit einer relativ niedrigen Häufigkeit von 1 zu 4.500. Intersexuellen-Verbände gehen hingegen von einer deutlich höheren Zahl aus. Auch die Vereinten Nationen geben an, dass bis zu 1,7 Prozent der Bevölkerung mit intergeschlechtlichen Merkmalen zur Welt kommt. In Deutschland werden pro Jahr etwa 770.000 Kinder geboren, wovon bei etwa 10 bis 15 juristisch ein diverses Geschlecht festgelegt wird.

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