Gehirn & Nerven
Erste Anzeichen und typische Symptome einer Demenz
Veröffentlicht am:12.04.2022
5 Minuten Lesedauer
Gedächtnisschwäche oder Orientierungsprobleme im Alter: Wann sind das nur normale Begleiterscheinungen des Alterns und wann schon ernst zu nehmende Hinweise auf eine Demenz-Erkrankung? Über typische Anzeichen von Demenz informiert dieses Interview.
Demenz ist den meisten Menschen als eine häufige Erkrankung im Alter ein Begriff. Auskunft über die Unterscheidung zwischen normalen altersbedingten Änderungen und möglichen Hinweisen auf eine Demenzerkrankung geben Prof. Dr. Elke Kalbe, Leiterin der Abteilung Medizinische Psychologie an der Medizinischen Fakultät und Uniklinik Köln der Universität zu Köln, und Prof. Dr. Josef Kessler, emiritiert, ehemaliger Leiter der AG Neuropsychologie an der Uniklinik Köln. Zudem geben sie wertvolle Hinweise zur Vorbeugung und Therapie von Demenzerkrankungen. Josef Kessler ist außerdem Autor eines sehr erfolgreichen Anti-Demenz-Ratgebers.
Was versteht man unter einer Demenz?
Prof. Kessler: Eine Demenz ist eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, bei der es zu einem Abbau von geistigen Fähigkeiten sowie zu Verhaltensänderungen kommen kann. Das gilt für die Alzheimer Demenz, aber auch andere demenzielle Erkrankungen. Die Alzheimer-Demenz, welche die häufigste aller Demenzen darstellt, beginnt typischerweise mit Gedächtnisstörungen, weitere Symptome sind zum Beispiel Wortfindungsstörungen oder Störungen der Handlungsplanung. Manchmal sind die Betroffenen anfangs auch aggressiv, enthemmt oder die Sprache ändert sich. Die Symptome verschlechtern sich über die Zeit meist bis zu einem Dahindämmern ohne Bewusstsein im Endstadium.
Vor allem Gedächtnisstörungen sind also typische erste Anzeichen einer beginnenden Demenz?
Prof. Kalbe: Nicht alle Gedächtnisstörungen gehören oder führen zu einer Demenz. Und andere Demenzen wie zum Beispiel die vaskuläre Demenz, bei der das Gehirn aufgrund von Durchblutungsstörungen geschädigt ist, oder die Parkinson-Demenz können ein etwas anderes Symptombild beziehungsweise eine andere Reihenfolge haben, in der sich Symptome entwickeln. Dies hängt davon ab, wo und in welchem Stadium das Gehirn geschädigt ist oder Funktionen eingeschränkt sind. Manche Demenzen fangen auch mit Verhaltensstörungen an. Hier ist vor allem die sogenannte frontotemporale Demenz zu nennen. Üblicherweise wird eine Demenzausprägung in leicht, mittel und schwer eingestuft.
„Nicht alle Gedächtnisstörungen gehören oder führen zu einer Demenz.“
Prof. Dr. Elke Kalbe
Uniklinik Köln
Wann erkranken die meisten Menschen an Demenz?
Prof. Kessler: Die Häufigkeit einer Demenz erhöht sich mit dem Alter. Etwa 2,5 Prozent aller 60- bis 70-Jährigen, etwa 5 Prozent aller 70- bis 80-Jährigen und etwa 20 Prozent aller 80- bis 90-Jährigen erkranken an einer Demenz. Manchmal sind aber auch schon 50-Jährige oder jüngere Menschen betroffen.
Kann man von heute auf morgen dement werden?
Prof. Kalbe: Demenzen sind in der Regel langsam beginnende Abbauprozesse, die sich über Jahre hinziehen können. Bei einer abrupt einsetzenden geistigen Änderung muss eher an einen Schlaganfall, eine Entzündung, eine Psychose, an ein Delir – das ist eine akute Bewusstseinsstörung – oder an einen Drogenmissbrauch gedacht werden.
Was sind normale altersbedingte Änderungen?
Prof. Kalbe: Wir altern – und mit uns das Gehirn. Aufgrund dieser altersbedingten Struktur- und Funktionsänderungen ist es ist nun einmal so, dass unsere geistige Leistungsfähigkeit im Alter nachlässt, wodurch die Grenzziehung zwischen normalem Abbau im Alter und einer beginnenden Demenz anfangs schwierig sein kann. Zu den typischen „gesunden“ oder „normalen“ altersassoziierten Änderungen gehört eine Verschlechterung der Fähigkeit, sich Neues zu merken, also eine Gedächtnisänderung, die es uns zum Beispiel fast unmöglich macht, im Spiel „Memory“ gegen unsere Kinder oder Enkel zu gewinnen. Weiterhin lassen die geistige Flexibilität (beispielsweise schnell auf etwas Unvorhergesehenes zu reagieren) und auch die Geschwindigkeit, mit der Informationen verarbeitet werden, nach.
Wenn das typische Altersphänomene sind, wie erkenne ich dann eine Demenz?
Prof. Kessler: Da Demenzen sich ihrem Wesen nach fortlaufend verschlechtern, ist der beschleunigte und fortschreitende Abbau ein eindeutiges Zeichen der Erkrankung. In einigen Fällen bleiben Gedächtnisprobleme bestehen, sie verschlechtern sich aber nicht. Hierbei wird dann nicht von Demenz gesprochen.
Normale Alterserscheinungen und Anzeichen von Demenz
Normale Alterserscheinungen | Mögliche Anzeichen von Demenz |
---|---|
Gedächtnisprobleme | Kontinuierlich verschlechternde Gedächtnisstörung (zu Beginn v. a. sich schlechter Neues merken zu können) |
Gefestigte Denkmuster | Schwierigkeiten, alltägliche Handlungen zu planen; geistige Unflexibilität |
Langsamere Verarbeitung neuer Informationen | Räumliche und zeitliche Desorientierung |
Wortfindungsstörungen | |
Verhaltensstörungen | |
Aggressionen in Sprache und Verhalten | |
Beschleunigter und fortschreitender Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit |
Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen?
Prof. Kessler: Nicht bei den Anzeichen. Frauen erkranken aber häufiger an einer Demenz als Männer: etwa im Verhältnis von 2:1. Es gibt Hinweise, dass ein Östrogenmangel oder eine zu heftige Reaktion auf entzündliche Prozesse bei Frauen zu diesem Unterschied beitragen. Aber auch Bluthochdruck, Diabetes mellitus Typ II und Übergewicht scheinen das Demenzrisiko bei Frauen anders zu beeinflussen als bei Männern.
„Da Demenzen sich ihrem Wesen nach fortlaufend verschlechtern, ist der beschleunigte und fortschreitende Abbau ein eindeutiges Zeichen der Erkrankung.“
Prof. Dr. Josef Kessler
Uniklinik Köln
Warum sollte man ärztlichen Rat einholen?
Prof. Kessler: Die Einordnung der oben beschriebenen Symptome in eine Krankheit (und nicht etwa deren Abtun als Faulheit oder Gleichgültigkeit) ist sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Angehörigen hilfreich. Eine initiale, umfassende Diagnostik mit Laboruntersuchungen, Bildgebung und kognitiven Schnelltests kann helfen, die Symptome einer möglichen Demenzerkrankung zuzuordnen. Es geht darum, im Falle einer Diagnosestellung frühestmöglich eine Therapie zu beginnen. Und es kann auch wichtig sein, die Lebensplanung anders zu gestalten.
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Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Prof. Kalbe: Eine krankheitsmodifizierende Therapie für Demenz, also eine Therapie, die die Erkrankung im Gehirn ursächlich beeinflusst, gibt es noch nicht. Es gibt jedoch Medikamente, die den Verlauf verlangsamen und die Symptome etwas abschwächen können. Der geistige Abbau wird aber bleiben. Nicht heilen zu können, heißt aber nicht, nicht behandeln zu können! Die Hilfen und Therapiemöglichkeiten sind stadienabhängig. Neben der genannten medikamentösen Therapie ist anfänglich ein Hirnleistungstraining möglich, was den Betroffenen helfen und auch Spaß machen kann. Mit fortschreitender Erkrankung muss jedoch die Umgebung an die Möglichkeiten der Patienten angepasst werden. Prävention ist in gewissem Ausmaß auch möglich.
Man kann einer Demenz also vorbeugen?
Prof. Kalbe: Man vermutet, dass bis zu 40 Prozent aller Demenzerkrankungen verhindert werden können. Zur Vorbeugung empfiehlt sich: geistig aktiv sein, viel Bewegung, gesunde Ernährung, Übergewicht und Bluthochdruck vermeiden, Diabetes rechtzeitig behandeln lassen, Hörminderungen ausgleichen, sozial aktiv sein, Stress reduzieren und neugierig sein. Und – wann immer möglich – Belastung durch Luftverschmutzung vermeiden.
„Eine Demenz nicht heilen zu können, heißt aber nicht, nicht behandeln zu können!“
Prof. Dr. Elke Kalbe
Uniklinik Köln
Was bringt eine frühe Diagnose?
Prof. Kessler: Eine frühe Diagnose hat auf den Verlauf der Krankheit einen Einfluss, der allerdings begrenzt ist, da eine Therapie Symptome nur verzögern kann. Sie kann jedoch Fehlanpassungen verhindern, den Umgang miteinander erträglicher gestalten und veranlasst vielleicht dazu, Dinge zu unternehmen, die man schon immer machen wollte. All das verbessert substanziell die Lebensqualität und ist bei dem derzeitigen Mangel an hochwirksamen Medikamenten sicher das Beste, was man tun kann.
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