Gehirn & Nerven
Phantomschmerz: Chaos im Kopf
Veröffentlicht am:31.08.2021
3 Minuten Lesedauer
Schmerzen in einem Körperteil, das nicht mehr vorhanden ist – wie kann das sein? Was lange Zeit als eingebildetes Symptom galt, ist heute medizinisch anerkannt: Phantomschmerzen sind keine Einbildung, sondern das Resultat einer Umstrukturierung im Gehirn. In welchen Fällen es zu Phantomschmerzen kommen kann und wie die Schmerzen gelindert werden können, erfahren Sie hier.
Phantomschmerz ist eine häufige Folge von Amputation oder Zahnentnahme
In Folge eines Unfalls oder einer Vorerkrankung kann es im schlimmsten Fall zu einer Amputation kommen. In rund 50 bis 80 Prozent der Amputationen treten Schmerzen im nicht mehr vorhandenen Körperteil oder Gliedmaße auf, diese nennt man Phantomschmerzen. Meist handelt es sich bei den amputierten Körperteilen um Arme oder Beine. Aber auch nach der Entfernung von Gewebe oder Körperteilen (zum Beispiel eine Brustentfernung in Folge einer Krebserkrankung oder nach einer Zahnentfernung) kann es zu Phantomschmerzen kommen.
Phantomschmerzen unterscheiden sich grundlegend von Stumpfschmerzen, die ebenfalls nach einer Amputation auftreten können.
Schmerz | Definition |
---|---|
Stumpfschmerzen | Schmerzen am Stumpf des amputierten Körperteils haben ihre Ursache direkt am Ort der Amputation. Dieser Schmerz gehört direkt nach der Operation zum normalen Heilungsprozesse und wird mit Schmerzmedikamenten behandelt. Im Verlauf können erneut Schmerzen am Stumpf des amputierten Körperteiles auftreten, die weiter abgeklärt und behandelt werden müssen. Diese entstehen durch Blutergüsse, kleine Wunden oder auch Infektionen, die sich über die Haut in tiefere Gewebeschichten ausbreiten können. Insbesondere sollte auf einen guten Sitz der Prothesen geachtet werden. |
Phantomschmerzen | Die Schmerzempfindung in einer nicht vorhandenen Gliedmaße (z. B. Bein) oder in einem entfernten Körperteil/-gewebe (z. B. Zahn, Brust) entsteht im zentralen Nervensystem. |
Die Ursache von Phantomschmerzen ist noch nicht abschließend geklärt. Aktuell gehen Wissenschaftler davon aus, dass eine Art Umstrukturierung im Gehirn stattfindet. Diese Umstrukturierung findet in dem Gehirnbereich statt, der für die Sinneswahrnehmung zuständig ist, und führt zur einer veränderten Reizverarbeitung.
Sinnesreize wie das Berühren eines Fußes werden von unseren Nervenzellen an das Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet. Nach einer Amputation können „fehlgeleitete“ Reize vom Gehirn so verstanden werden, als ob sie vom amputierten Glied stammen. Der Behandlungsansatz ist nun, diese veränderte Reizverarbeitung im Gehirn rückgängig zu machen beziehungsweise zu unterdrücken.
Wie fühlen sich Phantomschmerzen an?
Phantomschmerzen können sehr unterschiedlichen empfunden und als brennend, stechend, schneidend oder krampfartig beschrieben werden. Bislang gibt es noch keine eindeutige Erklärung für die Ursache von Phantomschmerzen. Auch das Ausmaß des Phantomschmerzes, ob dauerhaft oder anfallsartig, ist bei jedem Betroffenen unterschiedlich. Nicht nur die Amputation, sondern auch Faktoren wie emotionale Belastung und Stress, haben Auswirkungen auf die Intensität des Phantomschmerzes.
Behandlungsmöglichkeiten bei Phantomschmerzen
Zunächst ist es wichtig, die Symptome mit einem Spezialisten abzuklären. Hilfreich ist es, sich die Intensität, Dauer und die Häufigkeit der Schmerzen in einem Schmerz-Tagebuch aufzuschreiben. Das schafft einen Überblick für Sie und den behandelnden Arzt. Die Therapie steht auf mehreren Säulen und muss individuell angepasst werden.
- Eine wichtige Säule ist die medikamentöse Therapie. Hier werden Medikamente eingesetzt, die auch bei der Behandlung von anderen neuropathischen Schmerzen zum Einsatz kommen. Dazu gehören Medikamente wie Antidepressiva, Opioide und antiepileptische Medikamente.
- Eine Prothese kann durch die Muskeln des Stumpfs gesteuert werden. Durch die Bewegungen wird dem Gehirn signalisiert, dass das amputierte Körperteil noch vorhanden und intakt sei. Ein regelmäßiges und frühes Training kann einen positiven Effekt auf die Sinneswahrnehmung im Gehirn haben und die Phantomschmerzen können sich sogar zurückbilden.
- Vorstellungstraining: Betroffenen wird geraten, das amputierte Körperteil durch die eigene Vorstellungskraft zu visualisieren.
- Wahrnehmungstraining: Bei dieser Behandlung wird der Stumpf stimuliert. Der Schmerz wird positiv beeinflusst und der Umorientierungsprozess im Gehirn wird aktiviert.
- Spiegeltraining: Betroffene stellen sich vor den Spiegel und bewegen die noch vorhandene Gliedmaße. Durch die Bewegung wird auch das amputierte Körperteil im Gehirn wahrgenommen und der Phantomschmerz gelindert.
Grundsätzlich verstärken eine emotionale Belastung und Stress das Schmerzerleben. Generell gilt: Für den Heilungsprozess ist es sehr wichtig, eine positive Einstellung zu der Lebensveränderung zu entwickeln. Nur wer die neue Situation annimmt, hat die beste Voraussetzung für eine Linderung des Phantomschmerzes.