Gehirn & Nerven
Prosopagnosie: Was hilft bei Gesichtsblindheit?
Veröffentlicht am:29.11.2024
4 Minuten Lesedauer
Von Prosopagnosie spricht man, wenn Personen andere anhand ihrer Gesichter deutlich schlechter unterscheiden können als der Durchschnitt. Etwa zwei Prozent der Bevölkerung könnten betroffen sein. Welche Strategien können helfen, die Gesichtsblindheit zu kompensieren?
Prosopagnosie: Was versteht man unter Gesichtsblindheit?
Die meisten Menschen identifizieren andere anhand ihrer individuellen Gesichtszüge und ihrer sonstigen Merkmale. Jemand mit einer angeborenen oder erworbenen Gesichtsblindheit, einer sogenannten Prosopagnosie, hat jedoch große Schwierigkeiten, andere nur anhand der Gesichtszüge zu erkennen.
Es wird geschätzt, dass etwa zwei von 100 Menschen von Prosopagnosie betroffen sein könnten . Gesichter nicht gut erkennen zu können, kann für Betroffene den Alltag in mancher Hinsicht schwerer machen. Im privaten Miteinander kann es beispielsweise dazu führen, dass sich Betroffene bei größeren Menschenansammlungen oder auf Partys unwohl fühlen, weil sie Schwierigkeiten haben, Bekannte sofort oder aus der Ferne zu erkennen. Freunde und Freundinnen wundern oder ärgern sich vielleicht, wenn gesichtsblinde Menschen sie auf der Straße scheinbar ignorieren.
In bestimmten Jobs ist es ebenfalls wichtig, sich verschiedene Gesichter zu merken und diese schnell der jeweiligen Person zuordnen zu können. Auch hier können Menschen mit Prosopagnosie Einschränkungen erleben.
Hinzu kommt, dass viele Betroffene nicht wissen, dass bei ihnen eine Prosopagnosie vorliegen könnte. Sie verstehen selbst nicht, warum es ihnen so schwerfällt, sozial angemessen auf andere Menschen zu reagieren. Von ihrem Umfeld werden sie oft als arrogant oder merkwürdig wahrgenommen. Das kann das Selbstwertgefühl angreifen und in seltenen Fällen depressive Verstimmungen auslösen. Die Diagnose Gesichtsblindheit bringt oftmals eine Erleichterung für die Betroffenen, da sie nun eine Erklärung für ihre alltäglichen Schwierigkeiten beim Erkennen ihrer Mitmenschen haben und lernen können, mit dieser Einschränkung umzugehen.
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Was genau ist Gesichtsblindheit?
Prosopagnosie ist keine Krankheit, sondern eine Wahrnehmungsstörung, die in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen auftritt:
- Manche Betroffene erkennen Gesichter durchaus, haben damit aber Schwierigkeiten, wenn sie Bekannten in einem ungewohnten Kontext begegnen. Sie gehen beispielsweise an einer vertrauten Arbeitskollegin vorbei, wenn sie diese im Supermarkt treffen. Diese verhältnismäßig harmlose Form der Gesichtsblindheit lässt sich oftmals gut kompensieren.
- Andere Menschen mit Prosopagnosie nehmen die Unterschiede in Gesichtern schlecht wahr und verwechseln diese daher leicht. Sie sind aber durchaus in der Lage, beispielsweise das Alter und das Geschlecht ihres Gegenübers zu bestimmen.
- Eine dritte Gruppe sieht jedes Gesicht klar und mit allen unterschiedlichen Merkmalen vor sich – vergisst diesen Eindruck jedoch innerhalb weniger Minuten wieder. Diese Ausprägung führt ebenfalls dazu, dass ein Wiedererkennen nicht möglich ist.
- Bei besonders ausgeprägten Formen der Gesichtsblindheit können die Betroffenen die dreidimensionalen Strukturen eines Gesichtes gar nicht voneinander unterscheiden. Für sie wirken verschiedene Gesichter mehr oder weniger identisch.
Welche Ursachen stecken hinter Prosopagnosie?
Die Ursache der Gesichtsblindheit liegt im Gehirn, genauer gesagt in der Informationsverarbeitung. Gesichter sind in unserem Alltag und Miteinander sehr wichtig. Deshalb hat sich im menschlichen Gehirn eine bestimmte Region auf die Aufgabe der Gesichtserkennung spezialisiert – welche bei gesichtsblinden Menschen nicht richtig funktioniert. Forschende haben herausgefunden, dass das Gehirn bereits wenige Millisekunden, nachdem die Betroffenen ein Gesicht gesehen haben, anders reagiert als bei Menschen, die nicht gesichtsblind sind.
Weil es sich nicht um eine Krankheit handelt, ist Gesichtsblindheit auch nicht heilbar im medizinischen Sinne. Der Fehler im Verarbeitungsprozess bei der Gesichtserkennung verschwindet auch nicht mit der Zeit. Obwohl die Betroffenen lebenslang Kontakt zu anderen Menschen haben und das Gehirn die Gesichtserkennung dadurch perfekt einüben könnte, schafft dieses es nicht, das Defizit in der Gesichtserkennung auszugleichen. In den meisten Fällen ist die Gesichtsblindheit angeboren.
Erworbene Prosopagnosie
Es gibt auch seltene Fälle, bei denen Gesichtsblindheit in Folge eines Schlaganfalls oder einer Gehirnoperation auftritt. Dann sprechen Fachleute von einer erworbenen Prosopagnosie.
Was können Betroffene mit Gesichtsblindheit tun?
Prosopagnosie ist eine funktionelle Beeinträchtigung, ähnlich der Rot-Grün-Sehschwäche bei anderen Menschen. Da sich die Gesichtserkennung im Gehirn nicht verbessert, weichen gesichtsblinde Menschen intuitiv auf andere Strategien aus, um ihre Mitmenschen voneinander zu unterscheiden. So achten sie zum Beispiel verstärkt auf den Gang, die Gestik, die Stimme oder die Art, wie sich Menschen kleiden. Dies hilft ihnen in der Regel, besser mit der Gesichtsblindheit umzugehen.
Wenn Betroffene befürchten, dass Freunde, Freundinnen und Familie diese Eigenschaft schlecht aufnehmen, oder sie spüren, dass sich im Bekanntenkreis jemand vor den Kopf gestoßen fühlt, ist es hilfreich, die Gesichtsblindheit zu thematisieren und zu erklären: „Ihr seid mir nicht egal, ich habe Schwierigkeiten, Gesichter auf die Schnelle zuzuordnen.“ So verstehen andere das Problem und die Betroffenen selbst fühlen sich auch besser.
Im Berufsleben kann es ebenfalls sinnvoll sein, diese Schwäche anzusprechen und nach kreativen Lösungen zu suchen. Gesichtsblinde können beispielsweise darum bitten, dass bei größeren Besprechungen Namensschilder aufgestellt werden.
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