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Gesundheitsmagazin

Gehirn & Nerven

Wie funktioniert das Gleichgewichtsorgan?

Veröffentlicht am:18.08.2023

6 Minuten Lesedauer

Durch das Zusammenspiel verschiedener körperlicher Systeme sind wir in der Lage, unsere Körperbewegung wahrzunehmen und das Gleichgewicht zu halten – selbst auf beweglichem Untergrund. Eine zentrale Rolle spielt das Gleichgewichtsorgan.

Eine Frau trainiert im Freien auf einer Mauer ihr Gleischgewicht.

© iStock / AscentXmedia

Diese Sinne, Organe und Körperteile sind am Gleichgewichtssinn beteiligt

Beim Balancieren auf Mauern oder Baumstämmen wird uns der Gleichgewichtssinn bewusst. Er ist aber auch für jede alltägliche Bewegung erforderlich. Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen läuft keine Bewegung ohne den Gleichgewichtssinn ab. Augen, Muskulatur, Haut, Gelenke, Sehnen, Ohren, Zentrales Nervensystem und Gehirn wirken alle daran mit, dass wir nicht aus dem Gleichgewicht geraten.

Bewegungen finden in den Dimensionen oben und unten, vorn und hinten, links oder rechts statt. Um die Bewegungsabläufe im Raum sicher koordinieren zu können, sind zahlreiche Informationen nötig, die uns drei verschiedene Körpersysteme liefern: das optische System, das propriozeptive System und das vestibuläre System mit den Gleichgewichtsorganen.

Das optische System ist das Sehen: Informationen über die Umgebung, in der wir uns bewegen, werden von den Augen aufgenommen und an das Gehirn weitergeleitet. Diese visuellen Informationen werden durch das propriozeptive System ergänzt. Propriozeption ist die Wahrnehmung des eigenen Körpers: seine Lage im Raum, die Stellungen von Kopf, Rumpf und Gliedmaßen sowie deren Veränderung durch Bewegung.

Die Körperwahrnehmungen wird in Oberflächen- und der Tiefensensibilität unterteilt. Mit Oberflächensensibilität sind Empfindungen gemeint, die über die Körperoberfläche wahrgenommen werden. Tiefensensibilität bezieht sich auf die Wahrnehmung von Reizen aus dem Körperinneren. Am propriozeptiven System sind Rezeptoren in Gelenken und Muskeln beteiligt sowie Drucksensoren in der Haut.

Die Zentrale des vestibulären Systems ist das Gleichgewichtsorgan (Vestibularorgan oder Vestibularapparat) im Innenohr. Hier werden Geschwindigkeit und Richtung von Bewegungen verarbeitet.

Aufbau und Funktion des Gleichgewichtsorgans

Das Gleichgewichtsorgan besteht aus zwei Teilen: Sowohl im rechten als auch im linken Innenohr liegen die sogenannten Bogengänge – Kanäle, die von Membranen umgeben und mit Lymphflüssigkeit (Endolymphe) gefüllt sind. Jeder der drei Bogengänge in jedem Innenohr hat eine Auswölbung (Ampulle). In ihr liegt die so genannte Sinnesleiste, auf der sich Sinneszellen befinden, von denen jede einzelne mit einem Nerv verbunden ist. Diese Zellen haben empfindliche Fortsätze (Zilien), mikroskopisch kleine Härchen, die in das Innere der Ampulle ragen. Die Bogengänge stehen jeweils senkrecht zueinander und entsprechen so den drei Dimensionen des Raumes. So werden alle möglichen Drehbewegungen des Kopfes wahrgenommen.

Zum Gleichgewichtsorgan gehören außerdem zwei sogenannte Vorhofsäckchen, die unter den Bogengängen liegen: das kleine Vorhofsäckchen (Sacculus) und das große Vorhofsäckchen (Utriculus). In ihnen befinden sich sogenannte Sinnesfelder, die ebenfalls mit Sinneshärchen ausgestattet sind.

So nimmt das Gleichgewichtsorgan Bewegungen und Geschwindigkeit wahr

Wenn sich der Kopf bewegt, vollzieht die Lymphflüssigkeit in den Bogengängen die Bewegung verlangsamt nach. Dadurch werden die Sinneshärchen in unterschiedliche Richtungen bewegt. Das löst einen für die jeweilige Bewegung spezifischen Reiz aus. Die Sinneszellen in den Bogengängen verarbeiten die Bewegungen des Kopfes, während die Sinneszellen in den Vorhofsäckchen für die lineare Beschleunigung und die Geschwindigkeitswahrnehmung zuständig sind.

Die beiden Vorhofsäckchen übernehmen unterschiedliche Aufgaben. Der Sacculus reagiert auf vertikale Beschleunigungen, zum Beispiel eine Fahrt mit dem Fahrstuhl. Der Utriculus spricht auf horizontale, also Vorwärts- und Rückwärts- oder Seitwärtsbeschleunigungen an. Die Härchen in den beiden Vorhofsäckchen ragen jeweils in eine gallertige Masse auf den Sinnesfeldern hinein, in der sich kleine Kristalle (Otolithen) befinden. Diese Masse gerät bei einer Änderung der Geschwindigkeit, mit der sich der Körper in eine Richtung bewegt (oder bewegt wird), selbst in Bewegung. Auch in diesem Fall werden die Härchen der Sinneszellen verbogen.

Das Gleichgewichtszentrum im Gehirn verarbeitet alle Informationen

Die Sinneszellen in den Bogengängen und Vorhofsäckchen wandeln den Reiz, der durch das Bewegen der Härchen bei einer Körperbewegung oder Beschleunigung entsteht, in elektrische Signale um. Diese elektrischen Signale enthalten Informationen über die Art der Beschleunigung oder der Bewegung. Sie werden durch Nervenfasern weitergeleitet. Die Fasern bündeln sich hinter dem Gleichgewichtsorgan zum Gleichgewichtsnerv. Über den Gleichgewichtsnerv und weitere Nervenfasern gelangen die Signale zum Gleichgewichtszentrum des Körpers im Hirnstamm und zum Kleinhirn.

Im Gehirn treffen nicht nur die Informationen aus dem vestibulären System, sondern auch Signale der Augen und die Informationen des propriozeptiven Systems ein, also von der Haut sowie aus den Muskeln, Gelenken und Sehnen. Die einzelnen Informationen der drei verschiedenen Systeme werden im Gleichgewichtszentrum miteinander verknüpft und ausgewertet.

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Zusammenspiel von Gleichgewichtssystemen, Gehirn und Muskulatur

Man kann sich die drei Systeme wie Abteilungen vorstellen, die beständig Informationen erfassen und an die Zentrale, das Gleichgewichtszentrum im Gehirn, schicken. Das Gleichgewichtszentrum berechnet anhand der eingehenden Informationen die Lage des Körpers und entwickelt notwendige „Handlungsanweisungen“. Das Gleichgewichtszentrum koordiniert die Muskeln reflektorisch, das heißt, wir steuern sie nicht willentlich wie beim Griff nach einem Gegenstand. Wenn sich der Körper in der Bewegung zu sehr zu einer Seite neigt, sorgen reflexhafte Korrekturbewegungen für die Aufrechterhaltung der Balance.

Bei plötzlichen oder extremen Änderungen der äußeren Umstände ist es schwieriger, das Gleichgewicht zu halten. Das weiß jeder, der schon einmal in einem abrupt bremsenden Bus gestanden oder auf einem Baumstamm balanciert hat. Wenn eine Karussellfahrt die Flüssigkeit im Gleichgewichtsorgan permanent in Bewegung versetzt hat, dreht es sich im Kopf noch lange nach dem Aussteigen weiter und es wird einem schwindlig, weil der Gleichgewichtssinn von den vielen Umdrehungen noch irritiert ist.

Auch dass wir trotz schneller Bewegungen scharf sehen können, hängt mit dem Gleichgewichtssinn zusammen. Bei einer Kopfdrehung wird vom Gleichgewichtszentrum ein Signal über den Augennerv an die Augenmuskeln gesandt und ein Gegensteuern der Augen ausgelöst. So bleibt der Fokus auch in der Bewegung konstant.

Störungen des Gleichgewichts

Beim Stolpern hilft ein intakter Gleichgewichtssinn, einen Sturz zu vermeiden. Wenn ein am Gleichgewicht beteiligtes System nicht mehr richtig funktioniert, steigt die Sturzgefahr. Alkohol und andere Drogen stören den Gleichgewichtssinn, ebenso widersprüchliche Informationen, die das Gehirn auf einem Schiff oder in einem Flugzeug erreichen. Zum Beispiel, wenn man bei Seegang an Bord eines Schiffes ein Buch liest. Das Gleichgewichtsorgan meldet, dass der Körper in Bewegung ist, während die Augen, die sich beim Wellengang synchron mit dem Buch bewegen, eine Ruhestellung an das Gehirn weitergeben. Dadurch kann es zu typischen Beschwerden kommen: Schwindel, Unwohlsein oder Übelkeit.

Da der Gleichgewichtssinn von verschiedenen Faktoren abhängt, sind mögliche Ursachen von Gleichgewichtsstörungen entsprechend vielfältig. Grundsätzlich wird zwischen Störungen, die mit dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr zu tun haben, und solchen, die das Ohr nicht betreffen, unterschieden.

Mögliche Ursachen von Gleichgewichtsstörungen, die das Gleichgewichtsorgan betreffen:

  • gutartiger Lagerungsschwindel: Dabei werden Kristalle aus den Vorhofsäckchen in die Bogengänge geschwemmt, wodurch es zu Fehlmeldungen kommt.
  • Entzündung des Innenohrs
  • Entzündung der Gleichgewichtsnerven
  • Knochenerkrankung in den Bogengängen
  • Morbus Menière, eine Erkrankung des Innenohrs, die mit anfallartigem Schwindel einhergeht

Mögliche Ursachen von Gleichgewichtstörungen, die nicht das Ohr betreffen:

Frau dreht sich in einem Karussell.

© iStock / Ogovorka

Eine Karussellfahrt versetzt die Flüssigkeit im Gleichgewichtsorgan permanent in Bewegung. Noch lange nach dem Aussteigen dreht es sich im Kopf und man fühlt sich schwindlig.

Lässt sich der Gleichgewichtssinn trainieren?

Mit zunehmendem Alter reagiert der Gleichgewichtsinn nicht mehr so schnell auf Bewegungen. Die Leistungsfähigkeit der Nerven lässt nach und die Durchblutung verschlechtert sich, wovon auch das Innenohr betroffen ist. Deshalb haben ältere Menschen ein höheres Sturzrisiko als jüngere und können beim Stolpern nicht mehr so schnell reagieren und den Sturz abfangen. Dadurch steigt auch das Verletzungsrisiko.

Es ist möglich und sinnvoll, den Gleichgewichtsinn zu trainieren. Das gilt nicht nur für ältere Menschen. Schon bei Kindern können Balanceübungen das Gleichgewicht unterstützen. Die Wirksamkeit von Gleichgewichtsübungen ist gut nachgewiesen.

Menschen mit Gleichgewichtstörungen können mit einigen Maßnahmen dafür sorgen, dass sie ihren Gleichgewichtssinn nicht unnötig gefährden:

  • ausreichend trinken
  • ausreichend und regelmäßig schlafen
  • ausgewogene Ernährung
  • regelmäßige Bewegung, aber keine Überanstrengung
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie arterielle Hypertonie oder Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus sollten gut eingestellt sein
  • Alkohol nur gelegentlich und nur in kleinen Mengen
  • Stress vermeiden

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