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Gehirn & Nerven

Was ist eine Zerebralparese und wie erkennt man sie?

Veröffentlicht am:28.01.2025

7 Minuten Lesedauer

Zerebralparese bezeichnet eine Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit, die auf eine frühkindliche Schädigung des sich entwickelnden Gehirns zurückzuführen ist. Wie es dazu kommt und was zu beachten ist, lesen Sie hier.

Ein durch eine Zerebralparese beeinträchtigtes Mädchen sitzt auf dem Schoß seiner Mutter im Freien. Das Mädchen trägt einen kurzärmeligen Body und lächelt in die Kamera, während die Mutter, von der nur der Oberkörper abgebildet ist, das Kind umarmt.

© iStock / SbytovaMN

Frühkindliche Gehirnstörung mit Folgen für die Beweglichkeit

Eine Zerebralparese entsteht meist vor, während oder kurz nach der Geburt. Sie heißt deshalb auch infantile Zerebralparese (lateinisch infans bedeutet „Kind“). In Fachkreisen begegnet man häufig der Schreibweise „Cerebralparese“ sowie den Abkürzungen CP oder ICP.

Die wichtigsten Merkmale einer Zerebralparese

Parese ist der medizinische Begriff für eine teilweise Lähmung und zerebral bedeutet, dass die Ursache im Gehirn liegt. Bei der infantilen Zerebralparese handelt es sich um eine eingeschränkte Beweglichkeit oder Lähmung von Körperabschnitten, die ihre Ursache in einer frühkindlichen Hirnschädigung hat und die ein Leben lang bestehen bleibt. Das heißt auch: Eine Zerebralparese ist nicht heilbar. Die Behandlung einer Zerebralparese zielt darauf ab, die Beweglichkeit und Unabhängigkeit der Betroffenen zu erhalten und zu fördern. Andererseits ist eine Zerebralparese nicht progressiv (fortschreitend) – sie verschlechtert sich also nicht mit der Zeit.

Sehr unterschiedliche Krankheitsbilder

Der konkrete Auslöser sowie die Art und der Schweregrad der Symptome sind von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Eine Zerebralparese ist keine Krankheit an sich, sondern der Oberbegriff für eine Gruppe verschiedener Formen von Beeinträchtigungen der Beweglichkeit, der Bewegungssteuerung und der Koordination. Die Probleme von Menschen mit Zerebralparese reichen von Störungen zum Beispiel nur eines einzelnen Beines bis zur Unfähigkeit, sich selbständig fortzubewegen. Manche Betroffene haben zusätzlich Probleme mit der Sprache, der Sinneswahrnehmung oder dem Denkvermögen. Dies hängt davon ab, in welchem Bereich und wie stark das Gehirn geschädigt ist.

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Wie kommt es zu einer Zerebralparese?

Ausgangspunkt einer Zerebralparese ist immer eine Entwicklungsstörung oder Schädigung von Teilen des Gehirns, die an der Bewegungssteuerung beteiligt sind. Diese Hirnstörung selbst kann sehr unterschiedliche Ursachen haben, die sich aber nicht immer ermitteln lassen.

Entwicklungsstörungen im Mutterleib

Die meisten Betroffenen haben eine angeborene Zerebralparese, der folgende Ursachen zugrunde liegen können:

  • Verminderte Blut- oder Sauerstoffversorgung, die zu Löchern in der weißen Substanz des Gehirns führen kann, die für die Signalübertragung verantwortlich ist. Dies wird als periventrikuläre Leukomalazie (PVL) bezeichnet.
  • Infektion der Mutter während der Schwangerschaft, zum Beispiel mit dem Zytomegalievirus, Röteln, Windpocken oder Toxoplasmose
  • Mutationen in den Genen, die die Entwicklung des Gehirns steuern, können Hirnschäden bedingen (Dysgenesie – genetisch bedingte Fehlentwicklung). Babys können im Mutterleib einen Schlaganfall erleiden, zum Beispiel wenn sich in der Plazenta Blutgerinnsel bilden, die den Blutfluss zum Gehirn blockieren. Das kann mit einer Hirnblutung verbunden sein und die gesunde Entwicklung des Gehirns stören.
  • Verletzung des Kindes im Mutterleib

Ursachen während oder nach der Geburt

Seltener geht eine Zerebralparese auf eine Schädigung des Gehirns während oder nach der Geburt zurück, zum Beispiel durch:

  • Sauerstoffmangel, zu dem es bei einer schweren Geburt kommen kann
  • Infektion des Gehirns des Säuglings, beispielsweise durch Meningitis oder Enzephalitis
  • Kernikterus, bei dem sich Bilirubin (Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin) im Gehirn ablagert
  • schwere Kopfverletzung
  • Sauerstoffmangel durch beinahe Ersticken oder Ertrinken
  • nachgeburtlicher Schlaganfall

Was das Risiko für eine Zerebralparese erhöht

Einige Faktoren steigern das Risiko, dass ein Baby mit einer Zerebralparese geboren wird:

  • Frühgeburt (vor der 37. Schwangerschaftswoche), weil dann einige Blutgefäße noch sehr dünn sind und leicht bluten (Vor allem Babys, die mit 32 Wochen oder noch früher geboren werden, haben ein hohes Risiko.)
  • niedriges Geburtsgewicht
  • unterdurchschnittliche Geburtsgröße
  • Mehrlingsgeburt
  • wenn die Mutter während der Schwangerschaft geraucht, Alkohol getrunken oder Drogen eingenommen hat

Die Risikofaktoren werfen auch die Frage auf, ob man einer Zerebralparese vorbeugen kann. Bei einer genetisch bedingten Zerebralparese ist dies nicht möglich, aber einige der Risikofaktoren lassen sich durchaus vermeiden. Das gilt vor allem für Alkohol, Rauchen und Drogen. Aber auch beispielsweise Röteln können als Gefährdung ausgeschlossen werden, wenn die Mutter vor der Schwangerschaft dagegen geimpft wird.

Hier erhalten junge Eltern Hilfe bei Fragen rund um die Gesundheit ihres Babys

Symptome einer Zerebralparese: Worauf können Eltern achten?

Neugeborene und Säuglinge entwickeln ihre Beweglichkeit erst nach und nach. Daher ist die Diagnose einer infantilen Zerebralparese in den ersten Lebensmonaten mitunter schwierig. Erst wenn Kinder anfangen zu greifen, sich herumzudrehen, zu sitzen oder zu laufen, lassen sich Anzeichen auf eine Zerebralparese besser erkennen.

Mögliche Hinweise auf eine Zerebralparese bei Kindern

  • im Vergleich zu anderen Kindern verspätete oder ausbleibende Bewegungsentwicklung (zum Beispiel mit acht Monaten noch nicht sitzen oder mit 18 Monaten noch nicht laufen können)
  • Schwäche in einem oder beiden Armen oder Beinen
  • die Muskeln wirken abwechselnd zu steif oder zu schlaff
  • steife oder angespannte Muskeln und gesteigerte Reflexe
  • Zittern der Hände
  • zappelige, ruckartige oder unbeholfene Bewegungen
  • Schwierigkeiten mit präzisen Bewegungen und der Koordination, zum Beispiel beim Führen der Hand zum Mund
  • Zehenspitzengang, gebückter Gang oder Scherengang (kurze Schritte mit zur Körpermitte gezogenen und bei jedem Schritt gekreuzten Beinen)
  • Muskelkrämpfe

Unterschiedliche Formen der Zerebralparese

Nach den vorherrschenden Symptomen und den betroffenen Hirnarealen lassen sich vier Haupttypen der Zerebralparese unterscheiden:

  1. Spastische Zerebralparese: Die Muskeln sind steif, angespannt und verkrampfen sich (vor allem beim Versuch, sie schnell zu bewegen). Das erschwert die Bewegungen und schränkt die Beweglichkeit ein.
  2. Dyskinetische Zerebralparese: Die Muskeln wechseln zwischen Steifheit und Schlaffheit, was zu unkontrollierten Körperbewegungen oder Krämpfen führt.
  3. Ataktische Zerebralparese: Es bestehen Probleme mit dem Gleichgewicht und der Koordination; die Folge sind schwankende oder ungeschickte Bewegungen und manchmal Zittern.
  4. Gemischte Zerebralparese: Betroffene weisen Symptome von mehr als einer der anderen Arten auf.

Begleiterscheinungen einer Zerebralparese

Die eingeschränkte Bewegungsfähigkeit kann mit sehr vielen anderen Beeinträchtigungen, Behinderungen oder gesundheitlichen Problemen einhergehen. Mehr als 75 Prozent der betroffenen Kinder haben Sprachprobleme, zum Beispiel Schwierigkeiten bei der Wortbildung und Aussprache. Auch Lernschwierigkeiten sind häufig und 30 bis 50 Prozent der betroffenen Kinder entwickeln eine mehr oder weniger stark ausgeprägte geistige Behinderung. Darüber hinaus schielen betroffene Kinder häufiger, neigen zu Schwerhörigkeit, Schluckbeschwerden, Inkontinenz oder Epilepsie. Weiterhin wirkt sich die gestörte Mobilität auch auf den gesamten Bewegungsapparat aus, sodass Erkrankungen der Knochen, Gelenke und Muskeln bei Menschen mit Zerebralparese häufig sind.

Ein Junge mit eingeschränkter Beinbeweglichkeit sitzt in einem speziellen physiotherapeutischen Stuhl. Neben ihm steht seine Physiotherapeutin, die mit ihrem rechten Arm an die Stuhllehne greift. Beide schauen sich an und lächeln.

© iStock / FatCamera

Einschränkungen der Beweglichkeit bestimmter Körperteile, zum Beispiel der Beine, können manchmal durch gezielte Physiotherapie gelindert werden.

Für welche Früherkennungsuntersuchungen die AOK die Kosten trägt

Wie eine Zerebralparese diagnostiziert wird

Bei den regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen, den sogenannten U-Untersuchungen, für Babys und Kleinkinder wird auch die motorische Entwicklung Ihres Kindes überprüft. Bei den meisten Kindern mit Zerebralparese wird die Störung innerhalb der ersten zwei Lebensjahre erkannt. Sind die Symptome eines Kindes jedoch nur leicht ausgeprägt, kann sich die Diagnose auch verzögern, meist gelingt es aber, vor dem vierten oder fünften Lebensjahr eine zuverlässige Diagnose zu stellen.

Wenn der Verdacht auf eine Zerebralparese besteht, untersucht der Kinderarzt oder die Kinderärztin die motorischen Fähigkeiten des Kindes mit einer Reihe von Bewegungstests und überwacht bei regelmäßigen Kontrollterminen Wachstum, Körperhaltung und Koordination der Bewegungen, die Muskelspannung oder das Hör- und Sehvermögen.

Weitere Untersuchungen dienen sowohl dazu, den Verdacht auf eine Zerebralparese zu bestätigen als auch andere Erkrankungen auszuschließen, die ähnliche Symptome hervorrufen können. Dies können Laboruntersuchungen des Blutes, Ultraschalluntersuchungen, eine Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT) des Gehirns oder ein Elektroenzephalogramm zur Beurteilung der Hirnaktivität sein.

Behandlungsmöglichkeiten bei Zerebralparese

So vielfältig die möglichen Symptome und Begleiterscheinungen der Zerebralparese sind, so vielfältig sind auch die Behandlungsansätze und Hilfsmittel. Deshalb sind in der Regel verschiedene Fachärzte und Fachärztinnen beteiligt, die sich den jeweiligen Problemen widmen und gemeinsam ein Team für ein ganzheitliches Behandlungskonzept bilden.

Grundpfeiler der Therapie

  • Physiotherapie zur Erhaltung der körperlichen Beweglichkeit und, wenn möglich, zur Verbesserung von Bewegungsproblemen
  • Logopädie zur Unterstützung bei Sprach- und Kommunikationsproblemen sowie bei Schluckbeschwerden
  • Ergotherapie, um die Bewältigung alltäglicher Aufgaben zu erleichtern
  • Medikamente, zum Beispiel gegen Muskelversteifung
  • in bestimmten Fällen eine Operation zur Behandlung von Bewegungs- oder Wachstumsproblemen; beispielsweise können Muskeln und Sehnen verlängert werden
  • orthopädische Hilfsmittel abhängig vom Grad der Beeinträchtigung: zum Beispiel Orthesen, Gehhilfen oder Rollstühle

Leben mit Zerebralparese

Die meisten Kinder mit Zerebralparese erreichen das Erwachsenenalter, viele werden mehrere Jahrzehnte alt. Dennoch schränkt die Störung ihre Aktivitäten und ihre Unabhängigkeit mehr oder weniger stark ein. Viele Kinder besuchen eine Regelschule, andere benötigen jedoch besondere Unterstützung. Die Erkrankung selbst schreitet zwar nicht weiter fort, gleichzeitig ergeben sich aber Folgen aus den Einschränkungen. Eine Zerebralparese belastet den Körper stark und kann im fortgeschrittenen Alter zu Gelenk- und Muskelschmerzen führen. Darüber hinaus sind die täglichen Anforderungen des Lebens mit einer Zerebralparese mitunter schwer zu bewältigen, was zu psychischen Problemen wie Depressionen führen kann.

Zweifellos stellt eine Zerebralparese Betroffene und Angehörige vor schwere Herausforderungen. Moderne Behandlungsmöglichkeiten und computergestützte Assistenzsysteme können die Lebensqualität und Selbstständigkeit von Menschen mit Zerebralparese aber zumindest deutlich verbessern.

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