Zum Hauptinhalt springen
AOK WortmarkeAOK Lebensbaum
Gesundheitsmagazin

Immunsystem

Long Covid – was ist das genau?

Veröffentlicht am:08.04.2022

7 Minuten Lesedauer

Atemnot, Wortfindungsstörungen oder Erschöpfung – manche Menschen kämpfen noch Monate nach ihrer Corona-Erkrankung mit körperlichen und psychischen Beschwerden. Fachleute nennen das Long COVID. Mehr zum aktuellen Stand der Wissenschaft.

Eine Frau mit Long COVID leidet unter Schlafstörungen und sitzt im Bett.

© iStock / demaerre

Prof. Dr. med. Uta Merle leitet die Long-COVID-Spezialambulanz am Universitätsklinikum Heidelberg. Sie verrät im Interview, was Long COVID ist, welche Beschwerden die Betroffenen haben und wie sie behandelt werden.

Die Forschung rund um Long-COVID ist noch nicht abgeschlossen

Wichtiger Hinweis: Das Interview wurde bereits im Februar 2022 geführt, daher sind die neuesten Forschungsergebnisse und der aktuelle Stand rund um Long-COVID nicht berücksichtigt. Aktualisierte und tiefergehende Informationen erhalten Sie mit dem Long-COVID-Coach der AOK. Dieser informiert über die Erkrankung, Behandlungsmöglichkeiten und Übungen zur Linderung von Beschwerden. Alle Inhalte werden laufend auf den neuesten Stand der Forschung gebracht.

Zum Long-COVID-Coach der AOK

Was ist Long COVID?

Nach der offiziellen Leitlinien-Definition ist Long COVID ein Krankheitsbild, bei dem die Coronasymptome länger als vier Wochen anhalten, also über die akute Phase der Erkrankung hinaus bestehen bleiben. Davon grenzen Fachleute noch ein weiteres Phänomen ab: Post COVID, auch Post-COVID-Syndrom genannt, wenn Patientinnen und Patienten mindestens zwölf Wochen nach der Erkrankung auch weiterhin über Symptome berichten. Sowohl bei Long COVID als auch bei Post COVID beobachten wir, dass Erkrankte die Symptome über eine lange Zeit verspüren.

Diese Symptome können entweder im Rahmen der akuten COVID-Erkrankung auftreten und dann fortbestehen oder erst in den ersten drei Monaten nach der akuten COVID-19-Erkrankungsphase im Verlauf neu auftreten. Wichtig ist, dass Medizinerinnen und Mediziner die Betroffenen mit den Symptomen ernst nehmen, unabhängig davon, ob die akute COVID-Erkrankung mehr als vier Wochen oder mehr als zwölf Wochen her ist. Oft bessern sich die Beschwerden in den Wochen nach der akuten Erkrankung im Verlauf, sodass es auch durchaus angebracht sein kann, erstmal den Verlauf zu beobachten. Hier ist die betreuende Hausarztpraxis der beste Ansprechpartner.

Welche Long-COVID-Symptome sind bisher bekannt?

Mittlerweile sind Medizinerinnen und Medizinern sehr viele Long-COVID-Symptome bekannt. Das zeigt, wie vielfältig und auch unterschiedlich die Symptomatik bei Long COVID sein kann. Unter der Vielzahl von Beschwerden gibt es einige, die häufig auftreten. Dazu zählen:

  • ein Gefühl von Luftnot
  • ausgeprägte Müdigkeit (Fatigue)
  • Konzentrationsstörungen oder kognitive Störungen wie Vergesslichkeit oder Wortfindungsstörungen
  • Brustschmerzen oder ein Druck beziehungsweise Brennen hinter dem Brustbein
  • Gliederschmerzen
  • Haarausfall
  • Schlafstörungen

Passende Artikel zum Thema

Wie belastend ist das Long-COVID-Syndrom für Betroffene?

Patientinnen und Patienten empfinden die Symptomatik bei Long COVID oft als sehr belastend. Mir begegnen in unserer Long-COVID-Spezialambulanz Menschen, die vor der Erkrankung mitten im Leben standen – sie waren leistungsstark und hatten keine gesundheitlichen Probleme. Plötzlich sind es genau diese Personen, die sagen: Ich kann nicht mehr so wie vorher, nach vier Stunden Arbeit bin ich völlig erschöpft. Die Erkrankten leiden aber nicht nur an den Symptomen selbst, sondern auch darunter, wie sie von manchen Menschen wahrgenommen werden.

Noch immer glauben leider viele, dass die Symptome von Long COVID eher eingebildet sind und Schlafstörungen nur Ausdruck von Pandemiesorgen sind oder Brustschmerzen auf psychische Vorerkrankungen hindeuten. Dabei ist es ganz wichtig, dass sich Betroffene mit ihren Beschwerden wahr- und ernstgenommen fühlen und wissen: Long COVID gibt es tatsächlich. Hierzu gehört aus medizinischer Sicht immer eine ganzheitliche Perspektive, die körperliche und psychische Aspekte berücksichtigt.

Wer hat ein erhöhtes Risiko, am Long-COVID-Syndrom zu erkranken?

Die Erfahrung zeigt uns, dass bestimmte Risikofaktoren durchaus die Entwicklung von Long COVID begünstigen. Ein Risikofaktor ist ein schwerer Krankheitsverlauf bei Betroffenen, die beispielsweise wegen einer Lungenentzündung, eine Behandlung im Krankenhaus erhalten. Außerdem scheinen Patientinnen und Patienten mit Vorerkrankungen eher betroffen zu sein. Allerdings können auch zuvor völlig gesunde Menschen oder Personen mit einem leichten Verlauf langfristig unter den Symptomen leiden – Long COVID kann grundsätzlich jeden treffen.

Was wissen Fachleute über die Entstehung von Long COVID?

Bei der Entstehung könnten verschiedene Mechanismen eine Rolle spielen. Zum einen diskutieren Fachleute, ob Entzündungsprozesse im Körper, die das Gehirn oder die Blutgefäße betreffen, zur Entstehung beitragen. In einer weiteren Theorie spielen Veränderungen und Störungen im Immunsystem eine Rolle – der Organismus könnte beispielsweise im Rahmen von Long COVID „autoimmun“ reagieren, also körpereigene Zellen angreifen. Auch Veränderungen in der Zusammensetzung der Darmbakterien und ein Verweilen der Coronaviren in körpereigenen Rückzugsräumen sind denkbar. Forschende diskutieren also viele mögliche Theorien, eine abschließende Antwort auf die Frage nach der Entstehung gibt es aber noch nicht.

Wie viele Menschen entwickeln Long COVID nach einer Infektion?

Dazu gibt es unterschiedliche Informationen: Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass fünf bis 20 Prozent der Patientinnen und Patienten nach einer Erkrankung Long COVID entwickeln.

Somit ist es wahrscheinlich, dass die Häufigkeit bei zehn Prozent liegt. Offenbar existiert ein Unterschied zwischen Geimpften und Ungeimpften – Menschen, die vollständig geimpft sind und sich dennoch mit SARS-CoV-2 infizieren, trifft Long COVID nach aktueller Datenlage wahrscheinlich nur etwa halb so oft wie Ungeimpfte. Neben der Vermeidung einer Infektion ist die Impfung somit die Erfolg versprechendste Maßnahme, um sich vor Long COVID zu schützen. Daten zur Omikron-Variante stehen aktuell noch aus.

„Neben der Vermeidung einer Infektion ist die Impfung somit die Erfolg versprechendste Maßnahme, um sich vor Long COVID zu schützen.“

Porträt von Prof. Dr. med. Uta Merle, Leiterin der Long-COVID-Spezialambulanz am Universitätsklinikum Heidelberg.

Prof. Dr. med. Uta Merle
Leiterin der Long-COVID-Spezialambulanz am Universitätsklinikum Heidelberg

© Universitätsklinikum Heidelberg

Wie diagnostizieren Medizinerinnen und Mediziner Long COVID?

Medizinerinnen und Mediziner haben derzeit nur die Möglichkeit, Long COVID anhand der Symptomatik zu diagnostizieren. Ein spezielles Testverfahren etwa mit Blut, gibt es nicht. Tatsächlich beobachten wir immer wieder, dass die Blutwerte der Betroffenen trotz zahlreicher Long-COVID-Symptome unauffällig sind. Gezielte Untersuchungen machen aber trotzdem in einigen Fällen Sinn – einerseits, um andere Erkrankungen auszuschließen und andererseits, um Beschwerden abzuklären. Beispielsweise decken neurologische Testungen Konzentrationsschwäche auf und lungenfachärztliche Untersuchungen klären die Ursache der wahrgenommenen Atemprobleme. Anders als viele Menschen denken, kann die Basisdiagnostik in der Hausarztpraxis durchgeführt werden, was auch in der S1-Leitlinie, die mit vielen Fachleuten erstellt wurde, aufgeführt wird.

In der Praxis entscheidet die Medizinerin oder der Mediziner, an welcher Stelle zusätzliche Untersuchungen oder Überweisungen zu weiteren Fachleuten (etwa im Bereich Lunge oder Kardiologie) ratsam sind. Nicht jede oder jeder Long-COVID-Betroffene muss eine große Zahl an Untersuchungen durchlaufen. Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang Hausärztin oder Hausarzt und ihr Wissen zu Long COVID. Das Syndrom zu kennen und auch die Diagnose zu haben, ist für den Patienten entscheidend. Auch wenn das zunächst irritierend klingt: Erkrankte fühlen sich erleichtert, wenn die Diagnose klar gestellt wird – so haben sie endlich eine Erklärung für ihre lang anhaltenden Symptome. Weiterhin ist es wichtig, dass die Koordination der Diagnostik und Therapie in der Hausarztpraxis stattfindet, damit die Patientinnen und Patienten mit ihren Long-COVID-Symptomen und deren Verlauf kontinuierlich begleitet werden.

Aufklärung ist im Zusammenhang mit COVID sehr wichtig.

Eine Frau mit Long COVID macht unter Anleitung Sport in einem Rehabilitationszentrum.

© iStock / peakSTOCK

Ist das Long oder Post COVID-Syndrom sehr ausgeprägt, sind ambulante oder stationäre Reha-Maßnahmen für die Betroffenen möglich.

Wie sieht derzeit die Post-COVID-Behandlung aus?

Noch gibt es keine gezielten Medikamente, die Long COVID oder Post COVID heilen. Stattdessen existiert eine Vielzahl an Therapieoptionen, die sich bei den andauernden Beschwerden anbieten und auch eine Wirkung zeigen können.

Fachleute können bei Long COVID Folgendes verordnen:

  • Physiotherapie, etwa bei Atembeschwerden, Abgeschlagenheit und Muskelschwäche
  • Ergotherapie, etwa bei Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
  • Atemtherapie, etwa bei Atembeschwerden

Viele Betroffene berichten davon, dass sie mit den verschiedenen Ansätzen ihre Beschwerden lindern und ihre Lebensqualität steigern konnten. Eine ganz wichtige Maßnahme erfolgt aber durch die Betroffenen selbst – die Berücksichtigung der eigenen und gegenüber „vor Corona“ oft neuen Belastungsgrenzen. Durch Long COVID verteilen sich die Kräfte häufig anders. Joggen war vielleicht früher ohne Probleme möglich, heute fällt ein Spaziergang schon schwer. Das Kennenlernen der neuen Grenzen und die Einhaltung ebendieser ist entscheidend, ansonsten können Symptome wie das Gefühl einer extremen Erschöpfung wiederkehren oder sich verstärken. Die Broschüre der Weltgesundheitsorganisation und die S1-Leitlinie für Betroffene helfen hier besonders gut weiter – sie liefern viele Übungen und Tipps für den Umgang mit Beschwerden.

„Das Kennenlernen der neuen Grenzen und die Einhaltung eben dieser ist entscheidend, ansonsten können Symptome wie das Gefühl einer extremen Erschöpfung wiederkehren.“

Prof. Dr. med. Uta Merle
Leiterin der Long-COVID-Spezialambulanz am Universitätsklinikum Heidelberg

Welche Hilfsangebote gibt es für Long COVID-Betroffene?

Long-COVID-Patientinnen und -Patienten können sich im ersten Schritt an ihre Hausärztin oder ihren Hausarzt wenden. Bei Bedarf arbeiten sie mit anderen Fachleuten zusammen und ermöglicht die Inanspruchnahme verschiedener Therapien. Sie können Betroffenen in besonders schwerwiegenden oder besonderen Fällen auch vorschlagen, sich zusätzlich in einer sogenannten Post COVID-Sprechstunde vorzustellen. Für Patientinnen und Patienten bleibt die Hausarztpraxis aber eine zentrale und wichtige Anlaufstelle. Ich empfehle außerdem die Kontaktaufnahme mit Selbsthilfegruppen, denn der Austausch hilft sehr – auch, um zu erkennen, dass sie nicht alleine mit ihrem Problem sind.

Menschen, die sich wegen der Erkrankung sehr belastet fühlen, können psychotherapeutische Angebote in Anspruch nehmen. In Gruppentherapien erlernen sie, Strategien im Umgang mit dem Krankheitsbild und ihre eigenen Grenzen auszuloten. Ist das Post COVID Syndrom sehr ausgeprägt, bieten sich auch ambulante oder stationäre Reha-Maßnahmen an – hier finden ebenfalls Physiotherapie, Ergotherapie, Atemtherapie und psychotherapeutische Gespräche statt. Weiterführende Informationen und Hilfsangebote finden Betroffene beim Long-COVID Netzwerk Rhein-Neckar.

Waren diese Informationen hilfreich für Sie?

Noch nicht das Richtige gefunden?