Krebs
Diagnose Krebs: Warum das Arzt-Patienten-Gespräch so wichtig ist
Veröffentlicht am:05.05.2021
5 Minuten Lesedauer
Krebserkrankungen sind immer häufiger gut behandelbar. Nur wissen viele das nicht. Warum Optimismus, Offenheit und ein empathischer Onkologe jetzt den Unterschied machen, darüber spricht Prof. Dr. Dirk Jäger in einem exklusiven Interview.
Krebserkrankungen sind immer häufiger gut behandelbar
Es gibt Krebsmediziner, die teilen ihre Patienten in zwei Gruppen ein: in heilbar und in nicht heilbar Erkrankte. Dazwischen scheint es für sie nichts zu geben. Professor Dirk Jäger hält diese Etikettierung für einen Fehler. „Die Patienten, die in die Kategorie ‚nicht heilbar‘ fallen, bekommen damit einen besonders negativen Stempel aufgedrückt“, sagt der Spezialist für Tumorerkrankungen.
„Und das hat bei Krebs eine ganz andere Wirkung auf die Betroffenen als bei anderen unheilbaren Erkrankungen. Dabei ist Diabetes auch nicht heilbar. Und ein Herzinfarkt ebenso wenig. Trotzdem sind diese Krankheiten aber gut behandelbar.“ Und das ist bei Krebs mittlerweile auch immer häufiger der Fall.
Herr Professor Jäger, wie wichtig ist ein optimistischer Onkologe für die Patienten?
Im Einzelfall weiß man nie, wie sich ein Krebs entwickelt. Deshalb hilft es auch überhaupt nicht, sich die Statistiken anzuschauen. Wenn das mittlere Überleben mit einer bestimmten Krebserkrankung bei elf Monaten liegt, gibt es trotzdem Patienten, die noch viele Jahre gut mit ihrer Erkrankung leben – anderen bleiben leider nur wenige Monate.
Deshalb sage ich meinen Patienten lieber: „Ja, Sie haben eine schwerwiegende Erkrankung, aber wir versuchen, alles zu tun, um die Prognose so günstig wie möglich und Sie möglichst lange am Leben zu halten.“ Mit dieser Aussage können alle Beteiligten sehr viel besser umgehen.
Wie wichtig ist für den Onkologen denn ein optimistischer Patient?
Ich bin überzeugt, dass jeder Patient ein Ziel braucht. Immerhin nimmt er viel auf sich: Er ist oft eingeschränkt durch die Erkrankung und unterzieht sich dann noch Therapien mit teilweise heftigen Nebenwirkungen.
Insofern sollte der Patient schon motiviert mitmachen und für sich ein positives Ziel haben. Dann lassen sich erfahrungsgemäß auch die Krankheit und möglicherweise unangenehme Therapiefolgen viel besser wegstecken.
Überträgt sich denn der Optimismus des Arztes auf den Patienten?
Da gibt es sicher eine Wechselwirkung. Wichtig ist für mich aber auch der ehrliche Umgang miteinander. Es gibt Patienten, die immer versichern, dass es ihnen gut ginge – und dann erfährt man von Angehörigen, dass sie sich scheußlich fühlen. Diese Patienten schweigen zum Beispiel aus Angst, dass man ihre Therapie abbrechen oder sie aufgeben könnte.
Mir ist es lieber, meine Patienten stellen mir alle Fragen, die sie bewegen, damit wir beide offen und ehrlich über Ängste, Sorgen und die ständige Ungewissheit reden können. Natürlich lässt sich vieles trotzdem nicht lösen. Aber es ist wichtig, dass sich jeder Patient in allen Aspekten wahrgenommen fühlt. Deshalb versuche ich, mir die nötige Zeit dafür zu nehmen – auch wenn das natürlich nicht immer möglich ist.
„Mir ist es wichtig, mit meinen Patienten offen über ihre Ängste zu sprechen.“
Prof. Dr. Dirk Jäger
Direktor der Medizinischen Onkologie am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) und Geschäftsführender Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
Wie schwierig ist es als Arzt, immer die Wahrheit zu sagen?
Natürlich ist es nicht immer einfach, ehrlich zu sein. Vor allem ist es nicht immer leicht, herauszufinden: Was genau möchte der Patient denn wirklich wissen? Womit kann er umgehen? Es gibt zum Beispiel Patienten, die können mit negativen Nachrichten sehr schlecht umgehen. Die haben fast ein Vermeidungsverhalten und nehmen die Informationen dann gar nicht wahr. Da hilft es dann nicht, zu insistieren und zu sagen: „Hören Sie zu: Sie werden in diesem Jahr voraussichtlich sterben.“
Stattdessen frage ich eher: „Wie sehen denn Sie Ihre Situation?“ Das hilft, die Abwehrhaltung etwas aufzuhebeln, um dann auch auf die spezifischen Bedürfnisse des Patienten genau eingehen zu können.
In dieser Grenzsituation denken die meisten wahrscheinlich ans Sterben.
Krebs hat ein ganz schlechtes Image. Dabei gibt es viele gutartige Erkrankungen, die vielleicht sogar eine schlechtere Prognose haben. Ich versuche, Krebserkrankungen zu versachlichen. Viele sind ja sogar heilbar – übrigens im Gegensatz zu vielen vermeintlich gutartigen Erkrankungen.
Deshalb bin ich ja auch nicht nur der Überbringer von negativen Nachrichten, sondern auch von sehr positiven. Gerade in den vergangenen Jahren hat die Behandlung von Krebs extreme Fortschritte gemacht.
Woran liegt das?
Wir haben für einige Erkrankungen, bei denen wir jahrzehntelang nicht weitergekommen sind, nun neue Therapien, mit denen wir enorme Fortschritte für das Überleben der Patienten erreichen. Für einige Tumoren, zum Beispiel den schwarzen Hautkrebs beziehungsweise das maligne Melanom, sind sogenannte Checkpoint-Inhibitoren zugelassen worden.
Das sind Substanzen, die das Immunsystem aktivieren, um den Tumor zu bekämpfen. Daneben gibt es Medikamente, die bestimmte Veränderungen im Tumor blockieren, die zu ungebremstem Wachstum führen. Diese sogenannten Tyrosinkinase-Inhibitoren wirken aber nur, wenn der Tumor auch die entsprechende Genveränderung hat.
Mit diesen neuen Therapien konnte bereits viel erreicht werden. Früher hatten Patienten mit einer metastasierten Erkrankung eine statistische Prognose von unter einem Jahr. Heute überleben 30 bis 40 Prozent zehn Jahre und länger. Das ist ein erheblicher Unterschied. Inhibitoren werden unter anderem auch bei Lungen-, Harnblasen- und Nierenkrebs und bei bestimmten Lymphom-Erkrankungen eingesetzt. Außerdem arbeiten wir an weiteren neuen, individualisierten Krebstherapien.
„Gerade in den vergangenen Jahren hat die Behandlung von Krebs extreme Fortschritte gemacht.“
Prof. Dr. Dirk Jäger
Direktor der Medizinischen Onkologie am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) und Geschäftsführender Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
Bekommt dann jeder Krebspatient seine ganz eigene Therapie?
Wir tendierten in der Vergangenheit dazu, Tumorerkrankungen in Kategorien einzuteilen – in den Brustkrebs oder den Darmkrebs. Dabei verstehen wir immer mehr: Jede Tumor-Erkrankung ist anders. Ein Brustkrebs mit einer bestimmten Genveränderung spricht zum Beispiel auf eine bestimmte Therapie an, ohne diese Genveränderung aber nicht.
Für die Behandlung wird es zunehmend wichtiger, den Tumor zu verstehen und seine DNA zu kennen – das ist bei uns in Heidelberg ein wichtiges Forschungsfeld. Dann können wir Medikamente entwickeln, die speziell auf einen bestimmten Tumor zugeschnitten, eben hochindividualisiert, sind.
Das machen wir teilweise schon bei bestimmten Leukämie-Formen. Dabei werden patienteneigene Immunzellen genetisch so verändert, dass sie wie Antikörper Tumor-Zielstrukturen erkennen und auch abtöten können.
Wonach entscheiden Sie, welche Therapie ein Patient bekommt?
Ich entscheide gar nicht. Ich mache meinem Patienten Vorschläge und sage, was ich für sinnvoll halte – und lasse den Patienten dann selbst die Entscheidung über seine Behandlung treffen. Es ist wichtig, dass der Patient sich ernst genommen fühlt und dass er das Gefühl hat, zumindest ein Stück weit die Kontrolle über seine Erkrankung zu behalten.
Nicht nur, weil er dann auch besser mitarbeitet. Es gibt ihm auch mehr Selbstbewusstsein, wenn er eine Behandlung gut meistert. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Patient bestimmte Therapien für sich einfordern kann, wenn ich sie nicht für sinnvoll halte.
Ist eine Krebsdiagnose immer lebensverändernd?
Die Diagnose ist eine Katastrophe, vielleicht sogar die Lebenskatastrophe. Klar gibt es Krankheiten, die beispielsweise durch Operationen heilbar sind. Dennoch bleibt eigentlich immer eine gewisse Unsicherheit. Denn du bist nicht geheilt, sondern immer nur wahrscheinlich geheilt. Das führt dazu, dass viele Patienten ihre Prioritätenliste neu sortieren.
Hat Ihre Arbeit Sie verändert?
Durch das, was ich jeden Tag erlebe, weiß ich sehr genau, was mir wichtig ist im Leben. Ich versuche, auf meinen Körper zu hören, und treibe jeden Morgen um fünf Uhr Sport, weil ich verstanden habe, dass mir das guttut und ich meinen Job sonst in der Intensität nicht machen könnte.
Außerdem achte ich auf mein Essen. Trotzdem bin ich kein strenger Ernährungseiferer, sondern weiß: Manchmal tut einem eben auch mal Schokolade gut.
Hilfe und Unterstützung für Angehörige
Die AOK bietet einen Online-Coach für Angehörige von Menschen an, die an Krebs erkrankt sind. Das Programm wurde in Zusammenarbeit mit Experten des Universitätsklinikums Leipzig und des Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsforschungszentrums entwickelt. Der „Familiencoach Krebs“ hilft dabei, Familienmitglieder und Freunde zu unterstützen und sich selbst vor emotionaler, körperlicher oder sozialer Überlastung zu schützen. Zudem informiert das Online-Angebot über die Entstehung, Diagnose und Behandlung verschiedener Krebserkrankungen und beantwortet sozialrechtliche Fragen, die im Zusammenhang mit der Erkrankung eines nahestehenden Menschen entstehen können.