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Krebs

Experteninterview Hodenkrebs: Eine Zweitmeinung ist sinnvoll

Veröffentlicht am:26.05.2021

6 Minuten Lesedauer

Hodenkrebs ist eine vergleichbar seltene Krebserkrankung. Da die Krebsart aber vor allem bei jungen Männern auftritt, beschäftigt Betroffene nicht nur die Krankheit selbst, sondern auch das Thema Familienplanung. Dieses Experteninterview widmet sich sowohl den Risikofaktoren als auch der Therapie.

Ein junger Mann spricht mit seinem Arzt über Hodenkrebs.

© iStock / gorodenkoff

Prof. Dr. med. Sabine Kliesch ist Chefärztin in der Abteilung für Klinische und Operative Andrologie an dem Universitätsklinikum Münster. Sie gibt einen Überblick über das Krankheitsbild Hodenkrebs.

Was sind die ersten Anzeichen von Hodenkrebs und sollten Männer sich regelmäßig abtasten, wie es auch die Frauen zur Früherkennung von Brustkrebs tun?

Das erste Anzeichen für einen Hodentumor ist ein harter Knoten, der sich im Hoden tasten lässt, oder eine Verhärtung und Anschwellung des Hodens. Dies kann schmerzlos oder selten auch schmerzhaft sein. Die Veränderungen können vom Betroffenen selbst oder auch von seiner Partnerin oder seinem Partner getastet werden. Die Männer sollten nicht zögern, eine Urologin oder einen Urologen aufzusuchen, falls Veränderungen am Hoden bemerkt werden.

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Die regelmäßige Selbstuntersuchung ist eine Möglichkeit, Veränderungen oder Seitenunterschiede der Hoden zu ertasten. Eine regelmäßige Selbstuntersuchung der Hoden sollte insbesondere jungen Männern empfohlen werden, da sie zu einer frühzeitigen Diagnosestellung führen kann. Diese Empfehlung basiert auf einem Expertenkonsens, der in der aktuell gültigen Leitlinie zum Hodentumor formuliert ist.

„Die regelmäßige Selbstuntersuchung ist eine Möglichkeit, Veränderungen oder Seitenunterschiede der Hoden zu ertasten.“

Prof. Dr. med. Sabine Kliesch, Chefärztin in der Abteilung für Klinische und Operative Andrologie an dem Universitätsklinikum Münster

Prof. Dr. med. Sabine Kliesch
Chefärztin in der Abteilung für Klinische und Operative Andrologie an dem Universitätsklinikum Münster

© Universitätsklinikum Münster

Sollten Betroffene bei der Diagnose Hodenkrebs eine Zweitmeinung einholen?

Trotz der heutigen Standardisierung der Hodenkrebserkennung und -behandlung durch Leitlinien ist deren Umsetzung in die klinische Praxis noch unzureichend. Durch die Möglichkeit, einen erfahrenen Zweitmeinungsarzt des nationalen Zweitmeinungsprojektes „testikuläre Keimzelltumoren“ zu kontaktieren, sollen die richtige Diagnose und Therapieentscheidungen anhand der aktuellen Behandlungsempfehlungen verbessert werden.

Wie wird Hodenkrebs ertastet und wie würde eine Behandlung ablaufen? Die Antwort verrät Doc Felix im Video.

Wie wird Hodenkrebs therapiert?

Die Behandlung einer Hodenkrebserkrankung richtet sich nach der Tumorart, der Ausbreitung und der Risikogruppe des Tumors. Die drei Säulen der Behandlung stellen die Operation, die Chemotherapie und die Strahlentherapie dar, die je nach Tumortyp und Ausdehnung miteinander kombiniert werden. Wenn der Hodenkrebs lokal auf den Hoden begrenzt ist, dann ist die primäre Entfernung des Hodens und damit des Tumors bereits eine ausreichende Behandlung und es kann sich dann im günstigsten Fall eine Überwachung anschließen.

Was verstehen Mediziner unter der „Wait-and-see-Strategie“?

Die „Wait-and-see-Strategie“ stellt eine aktive Überwachung des Hodentumorpatienten dar, bei dem der Hodentumor nicht sichtbar gestreut hat und im sogenannten klinischen Stadium I vorliegt. Dieses Stadium wird bei über 70 von 100 Hodenkrebspatienten diagnostiziert. Aktives Überwachen (engl. active surveillance) bedeutet, dass bei dem Betroffenen nach der Hodenentfernung zunächst keine weitere Behandlung erfolgt. Der Patient wird erst behandelt, wenn die Erkrankung tatsächlich fortschreitet.

Wann empfiehlt sich eine Behandlung in einem Hodenkrebszentrum?

Die Behandlung in einem Zentrum mit hoher Expertise in der Behandlung von Hodentumorerkrankungen empfiehlt sich insbesondere, wenn ein fortgeschrittener Hodenkrebs besteht und eine operative Entfernung der Lymphknotenstationen (mit oder ohne zusätzliche Chemotherapie) erforderlich ist, eine eher seltene Tumorkonstellation mit zum Beispiel Hirnmetastasen vorliegt oder die Hodenkrebserkrankung nach einer abgeschlossenen Behandlung nach einer kurzen oder längeren Zeitspanne (Früh- oder Spätrezidive) wieder auftritt. Auch in diesen Fällen können die an das Zweitmeinungsportal angeschlossenen Zentren kontaktiert und um eine erste Einschätzung gebeten werden.

„Hodenkrebs gehört zu den Tumorerkrankungen mit den höchsten Überlebenswahrscheinlichkeiten.“

Prof. Dr. med. Sabine Kliesch
Chefärztin in der Abteilung für Klinische und Operative Andrologie an dem Universitätsklinikum Münster

Hodenkrebs ist ein eher seltener Krebs und gilt als relativ gut behandelbar. War dies schon immer so?

Der Hodenkrebs ist mit rund 2.500 Neuerkrankungen im Jahr in Deutschland selten und betrifft einen von 10.000 Männern. Er ist erst seit Einführung von Cisplatin, einem Chemotherapeutikum, sehr gut therapierbar, da die allermeisten Metastasten von Hodenkrebszellen auf die Therapie mit Cisplatin sehr gut ansprechen. Hodenkrebs gehört zu den Tumorerkrankungen mit den höchsten Überlebenswahrscheinlichkeiten. Insgesamt überleben 96 von 100 Betroffenen.

Je nach Art und Stadium des Tumors variiert die Überlebenswahrscheinlichkeit, wobei fünf Jahre nach der Diagnose im frühen Stadium (Stadium I) 99 von 100 Patienten und im metastasierten Hodentumorstadium zwischen 86 bis 95 Patienten aus der guten Prognosegruppe und 48 bis 64 Patienten aus der ungünstigen Prognosegruppe leben.

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Was muss man beachten, wenn man noch später im Leben Kinder haben möchte?

Heutzutage ist die Erhaltung der Fruchtbarkeit durch Einfrieren von Samenzellen (Kryokonservierung von Spermien) im Falle einer Tumorerkrankung, also auch im Fall einer Hodenkrebserkrankung, empfohlen und in Leitlinien entsprechend gefordert. Noch vor der Behandlung des Hodentumors sollen die behandelnden Ärzte die Betroffenen über die Erhaltung der Fruchtbarkeit informieren und bei noch nicht abgeschlossener Familienplanung auch eine Beratung bei einem Andrologen (Arzt für Männerheilkunde) oder in einem Kinderwunschzentrum vereinbaren.

Die Gewinnung der Samenprobe für die Kryokonservierung erfolgt durch den Patienten selbst, und die eingefrorenen Samenzellen können zu einem späteren Zeitpunkt (Monate oder Jahre) aufgetaut und für eine Kinderwunschbehandlung verwendet werden.

Da der Hodentumor die Samenzellproduktion im Hoden beeinträchtigen kann, kann bei jedem sechsten Hodenkrebspatienten eine sogenannte Azoospermie, das Fehlen von Samenzellen in der Samenprobe, vorliegen. In diesen Fällen besteht die Möglichkeit, möglichst zeitgleich zur operativen Hodenentfernung, eine operative Gewinnung von Samenzellen aus dem Hodengewebe (testikuläre Spermienextraktion, TESE) durchzuführen. Hierbei wird das Hodengewebe mit den Samenzellen eingefroren. Diese Methode wird von darauf spezialisierten urologisch-andrologischen Einrichtungen (häufig in Zusammenarbeit mit Kinderwunschzentren) angeboten, da hier besondere Voraussetzungen für die Entnahme und Aufarbeitung des Gewebes bestehen.

Seit Februar 2021 werden die Kosten für die Kryokonservierung von Samenzellen und Keimzellgewebe von den Krankenkassen übernommen.

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Was sind die Risikofaktoren für Hodenkrebs und kann man ihn verhindern?

Es gibt bestimmte Vorerkrankungen, die mit einem erhöhten Risiko für Hodenkrebs einhergehen und die man nicht selbst beeinflussen kann:

  • Vorerkrankung mit einem Hodentumor in einem der zwei Hoden: Rund fünf Prozent der Patienten mit einem einseitigen Hodentumor entwickeln einen Hodentumor im verbliebenen Hoden. 
  • Nach einem angeborenen Hodenhochstand (Leistenhoden) im Kindesalter ist das Erkrankungsrisiko für Hodenkrebs im Vergleich zu Männern ohne Hodenhochstand verdreifacht. Das Risiko bleibt auch nach der Korrektur des Leistenhodens erhöht.
  • Es besteht ein familiäres (genetisch bedingtes) Risiko, wenn Vater oder Bruder an Hodenkrebs erkrankt sind (zweifach erhöht beim Vater und bis zu vierfach erhöht beim Bruder). 
  • Eine männliche Fruchtbarkeitsstörung (Infertilität) ist mit einem erhöhten Risiko für Hodenkrebs vergesellschaftet und betrifft etwa einen von 200 Männern.

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