Krebs
Neuroendokrine Tumoren – eine seltene und besondere Form von Krebs
Veröffentlicht am:11.02.2025
6 Minuten Lesedauer
Neuroendokrine Tumoren entstehen aus hormonbildenden Zellen und verursachen sehr unterschiedliche Beschwerden. Welche möglichen Symptome, Behandlungsoptionen und Heilungschancen es bei dieser Tumorart gibt, erfahren Sie hier.
![Eine Ärztin zeigt einem älteren männlichen Patienten im Behandlungszimmer medizinische Befunde und bespricht diese mit ihm.](https://www.aok.de/pk/magazin/cms/fileadmin/_processed_/e/d/csm_neuroendrokine-tumore_184f13984f.jpg.webp)
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Was sind neuroendokrine Tumoren?
Neuroendokrine Tumoren (NET) sind seltene Tumoren, die in bestimmten spezialisierten Körperzellen, den sogenannten neuroendokrinen Zellen, entstehen. Neuroendokrine Zellen dienen der Produktion und Ausschüttung verschiedener Hormone und sind damit wichtig für die Steuerung unzähliger Körperfunktionen. Sie finden sich an vielen Stellen im menschlichen Körper. Überall dort, wo neuroendokrine Zellen vorkommen, können sich auch neuroendokrine Tumoren entwickeln – also theoretisch fast überall im Körper. In bestimmten Organen treten sie jedoch gehäuft auf:
- im Verdauungstrakt (Magen, Dünndarm, Dickdarm)
- in der Lunge
- in der Bauchspeicheldrüse
Neuroendokrine Tumoren sind selten: Ungefähr 2 bis 4 von 100.000 Menschen in Deutschland erkranken an neuroendokrinen Tumoren, typischerweise im Alter von über 50 Jahren. Außerdem wachsen die meisten neuroendokrinen Tumoren langsamer als andere Tumorarten. Wie ein neuroendokriner Tumor entsteht oder welche Faktoren seine Entwicklung begünstigen, ist bislang ungeklärt. Wenn sich Tumoren schon in jungen Jahren bilden und mehrere Organe betreffen, wird eine genetische Veränderung als Ursache angenommen. In diesem Fall spricht man auch von einem multiplen endokrinen Neoplasie-Syndrom (MEN-Syndrom). Andere genetische Syndrome, die neuroendokrine Tumore begünstigen, sind die Neurofibromatose und das sogenannte Von-Hippel-Lindau-Syndrom.
Neuroendokrine Tumoren sind sehr unterschiedlich
Die Bezeichnung „neuroendokriner Tumor“ umfasst sehr unterschiedliche Krankheitsbilder. Man kann nicht von dem einen neuroendokrinen Tumor sprechen. Unterschiede hängen zum Beispiel vom Entstehungsort oder von der Wachstumsgeschwindigkeit ab. Dementsprechend gibt es in der Fachwelt verschiedene Fachausdrücke für die jeweiligen Erkrankungsformen.
Neoplasie, Tumor und Karzinom
Der Oberbegriff für alle Krankheitsbilder lautet neuroendokrine Neoplasie (NEN). Eine Neoplasie bezeichnet sowohl gutartige als auch bösartige Neubildungen von Körpergewebe, die durch eine Störung des Zellwachstums hervorgerufen werden. Abhängig von der Wachstumsgeschwindigkeit werden neuroendokrine Tumoren in drei Schweregrade eingeteilt. Ein Tumor des dritten Schweregrads heißt auch neuroendokrines Karzinom. Die Begriffe sind nicht immer klar voneinander abgegrenzt. Vor allem „neuroendokrine Neoplasie“ und „neuroendokriner Tumor“ werden manchmal synonym verwendet. Nicht alle neuroendokrinen Tumoren sind am Anfang bösartig, aber viele entwickeln sich im Laufe der Zeit zu einem neuroendokrinen Karzinom, also zu Krebs.
Weitere Unterschiede: Hormonausschüttung und Entstehungsort
Ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal neuroendokriner Tumoren ist die betroffene Körperregion. Tumoren im Magen-Darm-Trakt gehen zum Beispiel mit ganz anderen Beschwerden einher als eine Erkrankung der Lunge. Außerdem lassen sich funktionelle und nicht funktionelle neuroendokrine Tumoren unterscheiden. Funktionelle Tumoren schütten selbst große Mengen an Hormonen aus. Krankheitsbeschwerden bei einem neuroendokrinen Tumor sind dann auf diese vermehrte Hormonproduktion zurückzuführen.
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Welche Symptome gibt es bei einem neuroendokrinen Tumor?
Wegen der unterschiedlichen Tumorarten gibt es kein eindeutiges und einheitliches Krankheitsbild bei einem neuroendokrinen Tumor. Die möglichen Symptome sind abhängig vom Tumorstadium, denn ein neuroendokriner Tumor im Frühstadium ruft in der Regel keine Beschwerden hervor. Die Beschwerden unterscheiden sich auch nach dem Ort der Tumorbildung, nach der Wachstumsgeschwindigkeit und danach, ob die Tumoren selbst Hormone ausschütten oder nicht.
- Beispielsweise kann ein Tumor im Verdauungstrakt Durchfall, Verstopfung, Bauchschmerzen, Übelkeit oder Erbrechen verursachen. Befindet sich der Tumor im Blinddarm, kann er eine Blinddarmentzündung vortäuschen.
- Ein neuroendokriner Tumor in der Lunge führt gegebenenfalls zu Brustschmerzen, Atembeschwerden, Keuchen oder anhaltendem, manchmal blutigem Husten.
- Funktionelle Tumoren sorgen häufig dafür, dass ungewöhnlich große Mengen an Hormonen in den Blutkreislauf abgegeben werden. Die möglichen Symptome hängen dann vom jeweiligen Hormon ab. Eine Überproduktion von Insulin führt beispielsweise zu Unterzuckerung, eine übermäßige Ausschüttung des Hormons Serotonin treibt den Kreislauf an und kann anfallsartige Gesichtsrötungen (Flush), Herzrasen, Schweißausbrüche, Atemnot, krampfartige Bauchschmerzen oder Durchfall verursachen. Das nennt man auch Karzinoid-Syndrom.
- Grundsätzlich können Tumoren abhängig von ihrer Größe und Lage Druck auf benachbarte Organe und Gewebe ausüben und lokale Schmerzen hervorrufen. Gewichtsverlust und Abgeschlagenheit sind weitere mögliche Allgemeinsymptome.
![Eine ältere Patientin spricht mit einer medizinischen Fachkraft vor einem Magnetresonanztomographen. Das Bild wurde aus der Röhre des MRT-Gerätes aufgenommen, deren Umrisse deutlich erkennbar sind.](https://www.aok.de/pk/magazin/cms/fileadmin/_processed_/8/6/csm_neuroendrokiner-tumor-lebenserwartung_82edc4d6a9.jpg.webp)
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Diagnose: Wie wird ein neuroendokriner Tumor erkannt?
Die komplexen und uneinheitlichen Symptome erschweren die Diagnose eines neuroendokrinen Tumors. Hält ein Arzt oder eine Ärztin aufgrund bestimmter Beschwerden eine neuroendokrine Krebserkrankung für möglich, gibt es verschiedene Methoden, diese nachzuweisen. Meist wird ein neuroendokriner Tumor im Rahmen einer Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT) entdeckt, die wegen der anhaltenden Beschwerden durchgeführt wird.
Außerdem können Blut- und Urinuntersuchungen Hinweise liefern: Bei funktionellen Tumoren lassen sich Abbauprodukte der überschüssigen Hormone im Blut oder Urin feststellen. Bei Tumoren im Bauchraum können auch ein Ultraschall oder eine spezielle Ultraschalluntersuchung der Bauchspeicheldrüse mit einem Endoskop Aufschluss geben. Bei dieser sogenannten Endosonographie wird ein Schlauch mit einem Ultraschallkopf durch Mund und Speiseröhre in den Magen eingeführt. Durch die Magenwand hindurch kann ein genaues Bild der Bauchspeicheldrüse erzeugt werden.
Manchmal finden Ärzte und Ärztinnen einen Tumor nur durch Zufall, zum Beispiel nach der operativen Entfernung des Wurmfortsatzes bei einer Blinddarmentzündung.
Nach der Entdeckung eines Tumors klärt eine Biopsie, ob es sich um eine bösartige Geschwulst handelt. Dazu entnimmt der Arzt oder die Ärztin eine kleine Gewebeprobe des Tumors. Meist geschieht dies durch eine Endoskopie des Magen-Darm-Trakts oder der Lunge. Manchmal ist eine kleine Operation notwendig, um die Gewebeprobe zu entnehmen. Laboruntersuchungen der Probe geben dann Aufschluss über die genaue Art des Tumors.
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Behandlung von neuroendokrinen Tumoren und Heilungschancen
Je früher ein Tumor erkannt und behandelt wird, desto besser sind die Heilungschancen und desto geringer ist der Einfluss eines neuroendokrinen Tumors auf die Lebenserwartung. Problematisch ist, dass ein neuroendokriner Tumor im Anfangsstadium meist keine oder nur geringe Beschwerden verursacht und deshalb oft unbemerkt bleibt. Häufig suchen die Betroffenen deshalb erst medizinische Hilfe, wenn der Tumor bereits fortgeschritten ist. Nach der Diagnose eines neuroendokrinen Tumors wird in speziellen NET-Zentren individuell entschieden, welche Therapie für den jeweiligen Patienten oder die Patientin die beste ist.
Operationen bei neuroendokrinen Tumoren
Da neuroendokrine Tumoren oft relativ langsam wachsen und erst spät Metastasen, also Tochtergeschwulste in anderen Teilen des Körpers, bilden, können die Heilungschancen auch im fortgeschrittenen Stadium noch gut sein. Wenn ein neuroendokriner Tumor noch keine Metastasen gebildet hat, ist eine Operation, bei der der Tumor komplett entfernt wird, sehr erfolgversprechend. Nach vollständiger Entfernung des Tumors sind manchmal keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Auch bei einem fortgeschrittenen neuroendokrinen Tumor, der bereits sehr groß ist oder in andere Gewebe gestreut hat, kann eine Operation notwendig sein, um Symptome, die durch eine Hormonproduktion entstehen, zu mildern.
Medikamentöse Behandlung von neuroendokrinen Tumoren
Darüber hinaus gibt es für die verschiedenen Formen der neuroendokrinen Tumoren spezielle medikamentöse Therapien. Neben zielgerichteten Therapien kommen vor allem Somatostatin-Rezeptor-Antagonisten (Somatostatin-Analoga) zum Einsatz, die sowohl zur Symptom- als auch zur Tumorkontrolle dienen. Sie ähneln dem körpereigenen Hormon Somatostatin und können als hormonelle Gegenspieler (Antagonisten) die Wirkung der überschüssigen Hormone verringern und das Tumorwachstum verlangsamen. Auch spezielle nuklearmedizinische Verfahren sind möglich: Radioaktiv markierte Somatostatin-Analoga binden an Somatostatin-Rezeptoren der Tumorzellen und können diese so zerstören. Seltener werden andere Substanzen oder eine Chemotherapie verordnet. Alle Therapieoptionen haben zum Ziel, das Fortschreiten der Erkrankung um Jahre zu verzögern und die Lebensqualität zu erhalten.
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