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Gesundheitsmagazin

Organe

Organspende: Wir brauchen mehr Spender

Veröffentlicht am:06.07.2021

5 Minuten Lesedauer

In Deutschland warten deutlich mehr Menschen auf ein Spenderorgan, als verfügbar sind. Tendenz: steigend. Im Interview spricht der Urologe Prof. Dr. Hakenberg über Möglichkeiten, Menschen davon zu überzeugen, Organspender zu werden.

Verwandte sind froh, dass ein Familienmitglied ein Spenderorgan bekam und somit überleben konnte

© iStock / FG Trade

Prof. Dr. Hakenberg, Klinikdirektor der Universitätsmedizin Rostock und Professor für Urologische Onkologie

© privat

Interview mit Prof. Dr. Oliver Hakenberg, Klinikdirektor der Universitätsmedizin Rostock und Professor für Urologische Onkologie. Er führt das einzige Zentrum für Nierentransplantation in Mecklenburg-Vorpommern und engagiert sich auch ehrenamtlich für das Thema Organspende.

Bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation ist er Fachbeirat für die Region Nordost.

Gesetzliche Regelung der Organspende: Entscheidungslösung vs. Widerspruchslösung

Der Deutsche Bundestag debattierte vor eineinhalb Jahren kontrovers über das Thema Organspende. Heraus kam anschließend eine eher defensive Lösung: Statt einer Widerspruchslösung, bei der sich ein jeder hätte festlegen müssen, ob er oder sie einer Organspende widerspricht, setzt die aktuelle Lösung weiterhin auf Freiwilligkeit (Entscheidungslösung).

Gibt es seitdem mehr Organspenden?

Trotz einer intensiv geführten politischen Debatte, die auch in Teilen in der Gesellschaft stattfand, hat sich bei der reinen Anzahl der Spenderinnen und -spender nur wenig getan. Die Bereitschaft zur Organentnahme blieb 2020 im Vergleich zum Vorjahr lediglich konstant, während die Zahl der Menschen, die eine Organtransplantation benötigen, steigt: Mehr als 9.400 Menschen in Deutschland warten derzeit auf ein Organ.

Ich wünsche mir, dass eine erneute Debatte geführt wird, damit sich die schon einmal avisierte Widerspruchslösung durchsetzen kann. Nur dadurch wären alle gehalten, sich persönlich und aktiv mit der Frage der Organspende, auseinanderzusetzen. Einer Organspende zu widersprechen, steht ihnen dann immer noch frei.

Hinweis der AOK: Prof. Dr. Oliver Hakenberg spricht sich in diesem Interview für die sogenannte Widerspruchslösung aus, bei der jeder, der nicht Organspender sein möchte, aktiv Widerspruch einlegen müsste. Die AOK vertritt in diesem Punkt eine andere Haltung: Gemäß Umfragen der BzGA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) ist die Bereitschaft zur Organspende bei einem Großteil der Bevölkerung durchaus vorhanden, aber es braucht weiterhin gute Aufklärung und Transparenz, sowie ein Dahinwirken, dass die Entscheidung auch dokumentiert werden muss. Es sollte mehr Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass jeder nicht nur Organspender sein kann, sondern auch unverschuldet erkranken und dann eine Spende benötigen könnte.

Die Entscheidung zur Spende ist eine sehr persönliche, sie sollte freiwillig bleiben. Ermöglicht werden sollte dies auf Grundlage guter, ergebnisoffener Informationen. Wichtig ist, dass die Entscheidung, egal ob dafür oder dagegen, dokumentiert und mit den Angehörigen geteilt wird. Ist dies nicht geschehen, wird es für die Angehörigen sehr belastend, einer Organentnahme gemäß dem mutmaßlichen Willen des Hirntoten zu zustimmen. Um dies zu vermeiden, ist ein Eintrag in den Organspendeausweis sowie in die Patientenverfügung sehr wichtig.

Immerhin soll es ab 2022 ein neues, zentrales Organspende-Register geben – und die kommunalen Behörden arbeiten dann erstmalig mit.

Wer etwa volljährig wird und einen neuen Personalausweis benötigt, soll aktiv auf einen Organspendeausweis angesprochen werden und von da ab wieder alle zehn Jahre.

Ein Fortschritt?

Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Gerade junge Menschen denken zunächst nicht an die Notwendigkeit einer Organspende und meinen oft, das sei eher ein Thema für Ältere. Im Grunde genommen geht es darum, unsere Jugendlichen möglichst früh für eine Organspende zu sensibilisieren. Schließlich sind ja auch die Organempfänger in quasi jeder Altersschicht zu finden. Ein Organspendeausweis darf übrigens schon ab dem 16. Lebensjahr getragen werden.

Maßnahmen, um die Organspendebereitschaft zu erhöhen

Was könnte zum Umdenken führen?

Man muss sich nur einmal die Realität anschauen. Auch meine Patientinnen und Patienten, die oft dringend eine Spenderniere benötigen, wundern sich, wenn sie mehrere Jahre darauf warten müssen, ein passendes Organ zu erhalten. Dann sagen sie uns: ‚Schade, dass anscheinend nur wenige Menschen bereit sind, ein Organ zu spenden‘. Gelingt eine Transplantation, sind anschließend öffentliche Veranstaltungen, bei denen Empfänger über ihre lebensrettende Spende berichten, äußerst wichtig.

Was kann außer den bereits genannten Beispielen helfen, die freiwillige Organspendebereitschaft zu erhöhen?

Ich sehe hier besonders in der Digitalisierung des Gesundheitswesens eine Chance. Die gesetzlichen Krankenkassen haben ja seit Anfang des Jahres bereits gemeinsam mit den Arztpraxen die elektronische Patientenakte gestartet. Ab 2022 kommendem Jahr soll es möglich sein, in der entsprechenden App oder der elektronischen Gesundheitskarte auch den Organspendeausweis digital zu hinterlegen. Wird dann der Träger eines digitalen Passes bei einem Notfall eingeliefert, hätten die Ärzte im Bedarfsfall auf einen Blick eine Patientenakte sowie auch die Bereitschaft zur Organspende. Das wäre eine wichtige Unterstützung.

Natürlich hilft alternativ auch weiterhin der klassische Organspendeausweis – man muss ihn halt nur bei sich führen, in der häuslichen Schublade hilft er nicht.

Der Organspendeausweis

Ein Organspendeausweis

© iStock / Martin-Lang

Eine persönliche Entscheidung treffen

Der Organspendeausweis ist ein rechtlich gültiges Dokument, mit dem Sie eine Entscheidung für oder gegen das Spenden von Organen oder Geweben nach Ihrem Tod festhalten.

Ohne einen solchen Ausweis treffen im Ernstfall Ihre Angehörigen die Entscheidung. Mit dem Festhalten Ihres Willens ersparen Sie Ihnen eine große Belastung.

Organspendeausweis zum Herunterladen

Gäbe es noch weitere mögliche Multiplikatoren?

In der Corona-Pandemie haben wir gesehen, dass Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte beispielsweise beim Thema Impfbereitschaft eine wichtige Hilfestellung gegen mögliche Skeptiker sein können. Ich halte es für absolut sinnvoll, dass sich Mitarbeitende im Gesundheitswesen, ja auch Angestellte bei Krankenkassen, in Kliniken und in Arztpraxen noch intensiver mit dem Thema Organspende auseinandersetzen und hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Je mehr von ihnen einen Organspendeausweis tragen, umso größer wird dann der mögliche Nachahmungscharakter für die Menschen in unserer Gesellschaft.

Passend zum Thema

Corona und Organspende: Zusammen möglich?

Hat die Pandemie dazu beigetragen, eine möglicherweise steigende Bereitschaft zur Organspende zu bremsen?

In der Tat hat Corona die Frage nach möglichen neuen Spendern überschattet. Wenn Intensivstationen mit Corona-Patienten belegt oder sogar überfüllt sind, werden potenzielle Spender und somit für hirntot erklärte Menschen aufgrund von Kapazitätsengpässen recht schnell von den Maschinen genommen. Insofern hat die Pandemie ein erhofftes Wachstum an Spendern, gerade auch im Nordosten, gebremst. Ich hoffe, dass sich die Situation jetzt wieder normalisiert.

Um das Thema Corona ranken einige Mythen und sogar Verschwörungstheorien. Nehmen wir ein Beispiel: Eignet sich eine an Corona genesene Person noch für eine Organspende?

Aus medizinischer Sicht hege ich da keinerlei Zweifel. Wer nach einer überstandenen Corona-Erkrankung vollständig genesen ist, kann weiterhin Organe spenden, übrigens nicht nur der Öffentlichkeit bekannte Organe wie Niere, Leber, Lunge oder Herz. Auch die Hornhaut des Auges kann eine wichtige Spende sein.

Und was ist mit Menschen, die mit oder an einer Corona-Infektion versterben?

Diese sind selbstverständlich nicht mehr für eine Organspende geeignet.

Was ist möglich?

Diese Organe können gespendet werden:

Lunge, Herz, Leber, Nieren, Darm, Bauchspeicheldrüse.

Diese Gewebe können gespendet werden:

Horn- und Lederhaut der Augen, Haut, Herzklappen, Blutgefäße, Knochen-, Knorpel- und Weichteilgewebe sowie Gewebe aus Bauchspeicheldrüse und Leber.

Fortschritt in der Medizin: Künstliche Organe statt Organspende?

Medizin bedeutet auch immer: Forschung. Zuletzt wurde aus Dresden bekannt, dass daran gearbeitet wird, eine Niere oder auch eine Leber künstlich nachzubilden.

Könnten künstliche Organe eine Alternative zur bisherigen Organspende werden?

Ich freue mich als Wissenschaftler natürlich, dass in diesem Bereich geforscht wird. Menschliche Organe sind sehr komplex und damit ja auch so wertvoll. Aktuell – und wohl auch nicht mehr in diesem Jahrzehnt – kann ich mir einen adäquaten Ersatz natürlicher Organe durch künstliche Organe nicht vorstellen.

Weiterführende Informationen zur Organspende und dem Organspendeausweis


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