Organe
Skrotalhernie: Was tun bei Hodenbruch
Veröffentlicht am:24.09.2021
8 Minuten Lesedauer
Bei einem Hodenbruch handelt es sich nicht um einen tatsächlichen Bruch – wie der Name vermuten ließe – sondern um eine Bindegewebsschwäche, durch die Teile der Eingeweide in den Hodensack abrutschen können. Was äußerst schmerzhaft klingt, muss nicht immer mit Beschwerden verbunden sein. Kleine Hodenbrüche bleiben oft sogar unbemerkt. Welche Ursachen einem Hodenbruch zugrunde liegen, welche Symptome auftreten und wie er vermieden werden kann, erklärt Dr. med. Ralph Oberneder.
Inhalte im Überblick
Dr. med. Ralph Oberneder ist Chefarzt und Klinikdirektor der Urologischen Klinik München Planegg – einer Spezialklinik für das gesamte Spektrum der modernen Urologie. Im Interview erzählt der Facharzt für Urologie, wie es zu einem Hodensackbruch kommt und welche Folgen es haben kann, wenn Betroffene nicht zum Arzt gehen.
Was genau versteht man unter einem Hodenbruch?
Für den Patienten ist ein Hodenbruch, auch Skrotalhernie genannt, zunächst einmal eine schmerzlose Schwellung im Bereich des Hodensacks. Das Wort „Bruch“ ist ein altes Wort, das im Volksmund und auch in der Medizin zwar durchaus weiterbesteht, aber insofern fehlerhaft ist, als dass nichts gebrochen ist.
Letztendlich handelt es sich um eine Bindegebewebschwäche – im Zusammenhang mit einer anatomischen Besonderheit: Zu Beginn der embryonalen und fetalen Entwicklung befinden sich die Hoden in der Höhe der Nieren. Um in den Hodensack zu gelangen, schaffen sie sich einen Kanal durch den hinteren Bauchraum und durch die Leiste hindurch. Alle Adern, die den Hoden versorgen, und auch der Samenleiter gehen diesen Weg, bei dem der Hoden auch das Bauchfell mitnimmt. Aus dieser Besonderheit ergibt sich eine natürliche Schwachstelle. Es hat also überhaupt nichts mit einem Bruch zu tun. Es weitet sich lediglich ein bereits vorhandener Kanal, den wir alle brauchen. Durch diese Weitung kann jedoch auch Bauchinhalt, wie Darmschlingen, in den Kanal eintreten.
Welche Ursachen begünstigen den Hodenbruch?
Häufig gibt es ein Kausalitätsbedürfnis. Das heißt, die Patienten meinen, dass sie sich verhoben haben. Zum Beispiel kann es durchaus sein, dass sie genau bei diesem Tragen einen Schmerz gespürt haben und deswegen diesen Zusammenhang sehen. Aber im Grunde genommen gibt es neben den erwähnten angeborenen Ursachen eine Bindegewebsschwäche, die bei erhöhtem Bauchdruck nachgibt.
Daher können auch körperliche Belastungen eine Rolle spielen. Wir sehen Brüche häufig bei Leistungssportlern, aber auch bei Patienten, die beispielsweise aufgrund von Lungenerkrankungen sehr viel husten müssen. Oder bei solchen, die wegen Stuhl- und Blasenproblemen sehr viel pressen.
In der Summe bedeutet das: Wenn man erkennen kann, dass der Bauchinnendruck häufig erhöht ist (Husten, Heben usw.), haben wir mit diesem Druck etwas, das auf den Leistenkanal presst und ihn weitet. Dadurch entsteht zunächst ein Leistenbruch und aus diesem Leistenbruch schließlich der Hodenbruch.
„Einem Hodenbruch geht immer ein Leistenbruch voraus.“
Dr. med. Ralph Oberneder
Chefarzt und Klinikdirektor der Urologie Planegg in München
Kommt es häufig vor, dass Patienten den Leistenbruch nicht als solchen erkennen und sich daraus schließlich ein Hodenbruch entwickelt?
Das ist genau das, was passiert. Die Patienten, die ihren Leistenbruch bemerken und frühzeitig behandeln lassen oder die Patienten, bei denen im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung ein Leistenbruch festgestellt wird, werden nie einen Hodensackbruch bekommen. Der Hodensackbruch braucht immer Zeit, um zu entstehen. Bei manchen Patienten läuft das unbemerkt ab. Andere wiederum sagen: „Ja, gut. Ich habe einen Bruch und der wird größer, aber es stört mich nicht.“
Ich hatte einen Patienten, der einen so großen Bruch hatte, dass sein Schneider ihm Hosen um den Bruch herum angefertigt hat. Zur Behandlung kam er nur deswegen, weil sein Schneider verstorben war. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein Hodensackbruch nicht unbedingt Schmerzen verursachen muss. Allerdings ist das natürlich ein sehr seltenes Extrembeispiel.
Gibt es neben Schwellung und kurzzeitigen Schmerzen weitere Symptome für einen Hodenbruch?
Grundsätzlich ist eine Schwellung das Hauptsymptom. Bei manchen Patienten treten auch Veränderungen der Stuhlgewohnheiten auf – was ganz einfach zu erklären ist. Wenn nämlich Darmschlingen in den Bruchsack hineinfallen, kann der Darm verknicken oder verklemmen. Dadurch ist die Passage des Stuhls durch den Darm beeinträchtigt. Das stellt auch gleichzeitig die große Gefahr eines jeden Bruches dar. Der Darm kann sich in diesem Bruchsack so verklemmen, dass seine Durchblutung nicht mehr gewährleistet ist.
Das führt dann zu massiven Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, zu einer Darmlähmung – eine Notfallsituation, in der unverzüglich zu handeln ist. Wenn der Darm abstirbt und die Darmbakterien sowie die Inhalte des Darms nach außen gelangen können, bedeutet das eine lebensbedrohliche Situation.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie einen Hodenbruch diagnostizieren?
Wenn Sie einen Chirurgen oder Urologen fragen, was bei einem Leisten- oder Hodenbruch zu tun ist, werden Sie immer die Antwort bekommen: Das gehört operiert. Im Rahmen der Vorsorge in meiner Sprechstunde muss ich bei etwa 16 bis 18 Prozent damit rechnen, dass ich auf einen Leistenbruch stoße. Dann rate ich dem Patienten zunächst, ihn zu beobachten und regelmäßig einen Arzt zurate zu ziehen. Allerdings nur, wenn es sich um einen kleinen, asymptomatischen Bruch handelt. Hat er bereits Symptome oder ist der Bruch schon sehr groß, oder eben am Hodensack, dann überweise ich ihn an einen Chirurgen.
Aber es gibt natürlich sehr viele Patienten, die schon ein langes Leben mit einem bekannten Leistenbruch verbracht haben, nie Beschwerden hatten und der auch nie weitergewachsen ist. Dabei muss man bedenken, dass wir Urologen mit einem Durchschnittsalter von über 70 Jahren konfrontiert sind. Wir wissen also, dass viele von diesen Brüchen nicht fortschreiten – sie sind dann einfach da.
Sind auch Babys und Kleinkinder häufig von Hodenbrüchen betroffen?
Bei Babys kommen nicht Hodenbrüche am häufigsten vor, sondern Wasserbrüche und angeborene Leistenbrüche. Ein kindlicher Hodensackbruch ist ein sehr seltener Ausnahmefall.
Wo liegt der Unterschied zu einem Wasserbruch?
Der Wasserbruch, auch Hydrozele genannt, bildet sich in den gleichen Hüllen. Im Gegensatz zum Hodenbruch sind Wasserbrüche jedoch zum Bauch hin verschlossen. In den verklebten Hüllen der Hoden sammelt sich Gewebewasser, Eingeweide können nicht in den Hodensack rutschen.
Der Wasserbruch kann auf der ganzen Strecke, vom Samenstrang bis zum Hoden, auftreten und ebenfalls große Ausmaße annehmen. Die Behandlungskriterien sind jedoch weniger dramatisch, weil ein Wasserbruch eigentlich nichts anrichten kann. Patienten kommen hauptsächlich, weil sie es als kosmetisch störend empfinden oder beispielsweise beim Sport beeinträchtigt sind.
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Wie sieht die Behandlung eines Hodenbruchs aus?
Es ist eine operative Behandlung. Die nach wie vor häufigste Operation ist eine Schnittoperation im Bereich der Leiste, bei der ein Kunststoffnetz eingesetzt wird. Das deckelt den Bruch praktisch ab, wächst ein und stabilisiert die Leiste. In vielen Zentren wird mittlerweile auch eine minimalinvasive Bauchspiegelung durchgeführt, bei der dieses Netz von innen auf die Öffnung gelegt und das Bauchfell darüber vernäht wird. Das hat auch den Vorteil, dass man bei einem beidseitigen Leistenbruch beide Brüche in einer Sitzung beheben kann, ohne zwei Schnitte machen zu müssen.
Diese Eingriffe werden ab und zu von der Urologie gemacht, zum Beispiel im Zuge einer anderen Operation, wie einer Prostataentfernung oder Operationen im Beckenbereich. Dann ist der Bereich bereits freigelegt und man kann das Netz einlegen. Wenn jedoch ein Patient ausschließlich einen Bruch hat, egal ob in der Leiste oder im Hodensack, wird er in der Regel an einen Chirurgen überwiesen. Die gesamte Bruchchirurgie, wozu auch die Hodensackchirurgie gehört, ist eine im Grunde genommen harmlose Routine-Chirurgie. Einschränkend ist zu sagen: Je größer ein Hodensackbruch ist, desto größer ist die innere Wundfläche in einem gut durchbluteten Gewebe. Bei Brüchen, bei denen der Hodensack beispielsweise bereits Handballgröße angenommen hat, kommt es als Komplikation relativ häufig zu Blutergüssen in der Wundhöhle, die entstehen, nachdem man den Bruch verschlossen hat.
„Die ganze Bruchchirurgie, wozu auch die Hodensackchirurgie gehört, ist eine im Grunde genommen harmlose Routine-Chirurgie.“
Dr. med. Ralph Oberneder
Chefarzt und Klinikdirektor der Urologie Planegg in München
Bei sehr ausgeprägten Befunden kann es passieren, dass die Samenstränge sehr in die Länge gedehnt wurden, wodurch eine gewisse Gefahr für die Hodendurchblutung nach der Operation besteht.
Insgesamt handelt es sich aber um einen kleinen und harmlosen Eingriff, der etwa eine Stunde OP-Zeit erfordert.
Nur in Extremfällen befindet sich ein Teil des Bauchinhaltes, wie eben die Darmschlingen, in dem Hodensackbruch. Dadurch kann die Bauchdecke so schrumpfen, dass sie die Menge an Darm nach der OP gar nicht mehr aufnehmen kann. In diesem Fall muss zunächst ein Ballon als Platzhalter in den Bauchraum eingelegt und für einige Zeit belassen werden, um den Bauchraum zu erweitern. Das sind aber wirklich Ausnahmefälle – so etwas sieht selbst ein Chirurg, der sich auf das Gebiet spezialisiert hat, vielleicht alle paar Jahre einmal.
Einem Hodenbruch beugt man am besten vor, indem man es gar nicht erst so weit kommen lässt. Solange man rechtzeitig handelt, ist die operative Behandlung weder groß noch gefährlich.
Kann ein Hodenbruch von selber heilen?
Nein. Diese Möglichkeit gibt es deswegen nicht, weil der Bruchsack, der in die Leiste hineinragt, entstanden ist und es keinen Mechanismus gibt, mit dem er sich wieder selbst verkleinern würde.
Kann eine Skrotalhernie Auswirkungen auf Fruchtbarkeit oder Potenz haben?
Nein. Die Potenz wird über Nerven gesteuert, die entlang des Gliedes laufen, und kann durch einen Hodenbruch nicht beeinträchtigt werden. Genauso wenig wie die Fruchtbarkeit. Der Samenleiter verläuft zwar oft auf dem Bruchsack, wird aber durch diesen allenfalls in die Länge gezogen. Und das auch nur bei einem sehr großen Ausmaß des Hodensackbruches, das betrifft jedoch meistens Männer, die aus dem Alter der Reproduktion raus sind. Junge Männer würden es zu einem so ausgedehnten Hodensackbruch im Regelfall nicht kommen lassen.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass nach der Behandlung ein erneuter Hodenbruch auftritt?
In der Literatur wird die Häufigkeit zwischen drei und vier Prozent angegeben. Allerdings muss man der Ehrlichkeit halber sagen: Die ganz großen Hodenbrüche haben deutlich höhere Raten. Allgemein gilt, dass über 95 Prozent der Operationen im ersten Anlauf erfolgreich verlaufen. Im Normalfall kommt es auch nicht vor, dass bei einem Patienten auch auf der anderen Seite ein Hodensackbruch auftritt, da die meisten aus ihrer Erfahrung lernen, früher zum Arzt gehen und im Falle eines erneuten Leistenbruches diesen auch früher behandeln lassen.
Worauf sollte man nach einer Behandlung besonders achten?
Wenn ein Patient zum Beispiel stark ausgeprägten Husten hat, zum Beispiel durch Rauchen oder auch Asthma, sollte er das Husten so gut es geht behandeln und auch starkes Pressen beim Stuhlgang oder Harnlassen vermeiden. Alle Faktoren, die den Bauchinnendruck erhöhen, sollten vermieden werden, da diese durch den Druck auf die Leistenregion das Wiederkehren eines Bruches nach erfolgreicher OP begünstigen können.
„Einem Hodenbruch beugt man am besten vor, indem man es gar nicht erst so weit kommen lässt. Solange man rechtzeitig handelt, ist die operative Behandlung weder groß noch gefährlich.“
Dr. med. Ralph Oberneder
Chefarzt und Klinikdirektor der Urologie Planegg in München