Organe
Wie Herz und Psyche zusammenhängen
Veröffentlicht am:20.11.2023
4 Minuten Lesedauer
Wenn wir verliebt sind, klopft unser Herz wie wild. Und wenn es mal „stolpert“, löst das oft Ängste aus. Warum Emotionen unser Herz aus dem Takt bringen und welche Rolle die Psyche für unsere Herzgesundheit spielt.
Prof. Dr. Christoph Herrmann-Lingen ist Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Göttingen. Im Gespräch erklärt er, wie Psyche und Herz zusammenhängen – und wie sie sich gegenseitig beeinflussen können.
Warum hat das Herz eine so große symbolische Bedeutung?
Zwar kann uns auch etwas an die Nieren gehen oder eine Laus über die Leber laufen. Doch das Herz hat eine deutlich größere symbolische Bedeutung. Das liegt daran, dass sein stetiges Schlagen im Gegensatz zu den Nieren oder der Leber direkt spürbar ist. Außerdem wirkt sich das emotionale Befinden unmittelbar auf den Herzschlag aus. Wer verliebt ist, bei dem klopft das Herz oft wild beim Anblick des Partners oder der Partnerin. Schon im alten Ägypten war bekannt, dass es eine enge Verbundenheit zwischen Herz und Psyche gibt, davon zeugen medizinische Schriftstücke aus der Zeit.
Steckt in Aussagen wie „Mir bleibt das Herz vor Schreck fast stehen“ auch eine medizinische Wahrheit?
Teilweise schon. Viele wissenschaftliche Untersuchungen belegen zum Beispiel, dass Stress zu Herzrhythmusstörungen führen kann. Gesunde Menschen müssen aber nicht befürchten, dass ihnen das Herz vor Schreck stehen bleibt. Das berühmte Wärmegefühl rund um das Herz können Personen übrigens tatsächlich erleben – womöglich ist dann in solchen Momenten das umliegende Gewebe besser durchblutet.
Aufgrund welcher Zusammenhänge kann Stress Herzerkrankungen begünstigen?
Zunächst einmal ist es wichtig, zu erwähnen, dass nicht alle gestressten Menschen Herzprobleme bekommen. Dennoch gibt es gute Gründe dafür, großem Stress besser aus dem Weg zu gehen. Zum einen beeinflusst negativer Stress – auch im Zuge von Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen – das Verhalten von Menschen. Einige von ihnen neigen dann zum übermäßigen Essen, andere greifen zu Zigaretten. Auch wichtige Vorsorgeuntersuchungen, gesunde Mahlzeiten und Bewegung bleiben durch psychische Belastungen oft auf der Strecke. Das alles kann die Herzgesundheit beeinträchtigen. Zum anderen werden bei Stress viele Reaktionen im Körper angestoßen. Bei negativem Stress ist das beispielsweise eine vorübergehende Engstellung der Blutgefäße, bei positivem Stress ein stärkerer Herzschlag. Beides lässt den Blutdruck ansteigen, was, wenn es häufig vorkommt, die Blutgefäße schädigen kann. Wer im Alltag öfter Pausen einlegt und Raum für Entspannung bereithält, ist also gut beraten.
„Dauerhafter und negativ empfundener Stress, zum Beispiel auf der Arbeit oder im Familienleben, setzt dem Herzen besonders zu.“
Prof. Dr. Christoph Herrmann-Lingen
Direktor Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universitätsmedizin Göttingen
Welche Art von Stress ist besonders belastend für das Herz?
Das kommt ganz auf den Menschen an. Eine herzkranke Person, die durch einen Streit heftigen Ärger empfindet, kann einen akuten Herzinfarkt erleiden. Für gesunde Menschen ist aber der langanhaltende Stress belastender – hierbei ist es möglich, dass es auf Dauer zu Schäden an den Herzkranzgefäßen oder anderen Blutgefäßen kommt. Dauerhafter und negativ empfundener Stress, zum Beispiel bei der Arbeit oder im Familienleben, setzt dem Herzen besonders zu.
Haben auch traumatische Erlebnisse Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System?
Ja, denn auch hier kommt wieder das Thema Stress ins Spiel. Wachsen Kinder in einer unsicheren Umgebung auf, erhöht sich das Risiko, dass sie empfindlicher auf Stress reagieren. Betroffene mit traumatischen Erlebnissen in der Kindheit neigen noch im Erwachsenenalter dazu, selbst auf vermeintlich harmlose Geschehnisse wie flüchtige Blicke von Fremden mit Stress zu reagieren. Auch nach traumatischen Erlebnissen im Erwachsenenalter können Folgesymptome wie Flashbacks mit erneutem Durchleben der Situation zu massivem Stress führen. Also steigern solche Ereignisse in der Folge das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Einige Menschen haben große Angst vor Herzproblemen. Woher kommt das?
Eine sogenannte Herzangststörung kann auftreten, wenn Menschen sich in einer sehr angespannten Situation befinden. Das Herz rast durch die Aufregung wie wild – das entgeht Betroffenen natürlich nicht. Ein schnelleres Schlagen oder ein völlig normaler Herzstolperer lösen dann Angst aus. Auch wenn im Umfeld jemand plötzlich einen Herzinfarkt erleidet, kann das die Gedanken auf das Thema Herzgesundheit lenken. Betroffenen mit Herzangststörung hilft die reine Gewissheit, dass das Herz gesund ist, nicht. Vielmehr benötigen sie Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Ängste – ich empfehle, auch schwierige Trennungssituationen oder Verluste gut aufzuarbeiten. Das geht zum Beispiel in Beratungsstellen oder – wenn es bereits zu Depressionen oder Angststörungen gekommen ist – in einer Psychotherapie.
Warum können Herzerkrankungen Panikattacken oder Depressionen verursachen?
Einen Herzinfarkt zu erleiden, ist sehr beängstigend. Einige Patienten und Patientinnen beobachten ihr Herz danach sehr genau. Bemerken sie einen Pulsanstieg oder Herzstolpern, deuten sie das als Vorbote für den nächsten Herzinfarkt. Aus Angst, das Herz zu überlasten, bewegen sie sich zum Beispiel weniger, was wiederum das Herz schwächt – ein Teufelskreis aus ungünstigen psychischen und körperlichen Faktoren entsteht. Ähnlich häufig wie die Angst ist die Depression bei herzkranken Menschen. Ein amerikanischer Psychosomatiker hat einmal gesagt, dass ein Herzinfarkt wie ein Ich-Infarkt sei. In dem Moment, in dem das Herz als zentraler Motor ausfällt, zweifeln Betroffene häufig an ihrem Selbstwert und ihrer Leistungsfähigkeit, nach dem Motto: Was bin ich noch wert, wenn mein Herz nicht mehr richtig funktioniert? Auch hier kann professionelle Hilfe in einer Herzgruppe oder in Form einer Psychotherapie hilfreich sein.
3 Tipps für Herz und Psyche von Prof. Dr. Herrmann-Lingen
- Reduzieren Sie Stress: Prüfen Sie, ob Sie Stressfaktoren ausschalten können, indem Sie beispielsweise konkrete Aufgaben abgeben oder den Tag anders strukturieren.
- Sorgen Sie für Balance: Stress lässt sich meist nicht ganz vermeiden. Auf Anspannung folgt im besten Fall aber immer Entspannung. Yoga oder Sport können zum Beispiel dabei helfen.
- Suchen Sie Gesellschaft: Soziale Interaktionen sind ein bedeutsamer Schutzfaktor. Deshalb: Pflegen Sie wertvolle Beziehungen zu Freunden, Freundinnen und Familie.
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