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Psychologie

Bulimie: Alles Wissenswerte über Ursachen, Folgen und Therapie der Essstörung

Veröffentlicht am:19.04.2021

13 Minuten Lesedauer

Aktualisiert am: 15.11.2022

Bulimie ist eine psychische Erkrankung: Betroffene haben häufig Essanfälle, bei denen sie unkontrolliert große Mengen an Nahrungsmitteln zu sich nehmen. Aus Angst vor der Gewichtszunahme erbrechen sie sich dann, fasten zwischen den Essanfällen, nehmen zusätzlich Abführmittel ein oder treiben exzessiv Sport. Wie kommt es zu einer Bulimie, welche Anzeichen gibt es und welche Folgen können entstehen? Dr. med. Katrin Jakobi, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, klärt über die Gefährlichkeit der Erkrankung und über die Heilungschancen auf.

Frau mit Bulimie guckt in den Spiegel und zweifelt an ihrer Figur.

© iStock / Tero Vesalainen

Dr. med Katrin Jakobi ist Oberärztin an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums Harlaching in München und hat langjährige Erfahrung in der stationären Behandlung von Bulimie-Patienteninnen und Patienten. 

Was kennzeichnet die Essstörung Bulimie?

Die Betroffenen nehmen große Mengen Essen zu sich und erbrechen diese wieder, um einer Gewichtszunahme entgegenzuwirken, so Jakobi. Dabei ist das Gefühl des Kontrollverlusts entscheidend: Das Essen ist nicht lustvoll, es ist zur Sucht geworden. Bulimie-Patienten fiebern so auf den Moment des Essens hin, dass sie ihr Leben danach ausrichten. Dazu gehört auch, dass Verabredungen abgesagt werden, um sich den Essanfällen hingeben zu können. 

Das Erbrechen gehört fast immer zur Bulimie, da alle Patienten eine krankhafte Angst vor der Gewichtzunahme verbindet. Zusätzlich wenden sie aber unterschiedliche Methoden an: Einige fasten zwischen den Essensanfällen oder treiben exzessiv Sport, andere nehmen Abführmittel, Schilddrüsenhormone oder Diuretika (Entwässerungstabletten) ein.

Was macht die Bulimie zu einer psychischen Erkrankung?

Die für die Bulimie charakteristischen Essanfälle sind psychisch bedingt. Die Betroffenen greifen zum Essen, um negative Gefühle wie Einsamkeit, Traurigkeit, Angst oder Wut zu regulieren. 

Wer ist vor allem betroffen?

Junge Frauen. Es gibt aber auch Männer, die unter der Essstörung leiden. Das Verhältnis zwischen Frauen und Männern liegt bei zehn zu eins. Die Bulimie entwickelt sich meist in der späten Pubertät, sie kann aber auch bis ins höhere Alter auftreten. Die sogenannte 12-Monatsprävalenz liegt in Deutschland bei 1,5 Prozent. In zwölf Monaten leiden 15 von 1000 Menschen an Bulimie. 

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Wieso entwickeln die Betroffenen Bulimie?

Für die Entstehung einer Bulimie spielen in der Regel verschiedene Faktoren eine Rolle. Dazu gehören unter anderem:

  • belastende Lebensereignisse, 
  • eine erbliche Veranlagung, 
  • häufiges Diäthalten 
  • persönliche Faktoren, wie ein geringes Selbstwertgefühl oder Perfektionismus,ein schlankes Schönheitsideal,
  • ständige Verfügbarkeit kalorienreicher Nahrung .

Die Krankheit entwickelt sich schleichend. Auslöser sind letztlich oft Diäten, die in der Pubertät gemacht werden. Die Betroffenen essen viel zu wenig, um etwa ihren Babyspeck loszuwerden und bekommen im Anschluss Heißhungerattacken. Sie erhalten häufig positive Resonanz auf ihre Gewichtsabnahme, es wird ihnen extrem wichtig, eine gute Figur zu haben. 

Bei der Entstehung einer Bulimie spielt in der Regel auch ein instabiles Selbstwertgefühl eine Rolle. Vor allem in der Pubertät ist man mit vielen Fragen konfrontiert, wie:

  • „Was bin ich wert?“
  • „Wie komme ich beruflich weiter?“
  • „Wie löse ich mich von den Eltern ab?“

Weil man in jungen Jahren solche Fragen oft noch nicht gut bewältigen kann, entsteht eine innere Anspannung, eine Angst, die die Betroffenen irgendwie loswerden müssen. Um ihre Gefühle zu regulieren, essen sie. 

Junge Männer sind unter anderem deswegen seltener betroffen, weil sie ihren Frust weniger mit dem Essverhalten regulieren. Bei ihnen ist häufiger der Wunsch nach perfekt aufgebautenMuskeln ein Problem: Sie trainieren sehr viel im Fitnessstudio und ernähren sich sehr strikt. 

„Die Krankheit entwickelt sich schleichend. Auslöser sind letztlich oft Diäten, die in der Pubertät gemacht werden.“

Dr. med Katrin Jakobi
Oberärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in der München Klinik Harlaching

Wie ist es bei Erwachsenen, die betroffen sind?

Erwachsene können mit ähnlichen Themen kämpfen. Entweder sie leiden ebenfalls unter einem geringen Selbstwertgefühl oder sie haben psychische Begleiterkrankungen wie Angst- oder Persönlichkeitsstörungen. Auch sie greifen auf das Essverhalten zurück, um ihre inneren Spannungen zu regulieren.

Prädestiniert für Bulimie sind außerdem Menschen, die schon als Kind unter Übergewicht litten oder in deren Familie es übergewichtige Menschen gibt. Sie haben gelernt, bei Frust zu essen. 

Worin Bulimie sich von anderen Essstörungen unterscheidet, erklärt Doc Felix.

Wie sieht die Bulimie-Therapie aus?

Ein Beispiel: Eine junge Frau wird am Arbeitsplatz ausgenutzt. Statt sich zu wehren, passt sie sich an und geht immer brav ihrem Job nach. Um das auszuhalten, braucht sie ein Ventil. Mit einem Essanfall am Abend kann sie ihre Wut loswerden. Das kann ebenfalls auf eine Beziehung zutreffen, in der eine junge Frau sich von ihrem Partner unterdrückt fühlt.

Es geht in der Therapie also darum herauszufinden: Was wird durch ihr Essverhalten kaschiert? Welche Ursachen hat die Erkrankung? Hinter einer Bulimie stecken immer unbewusste Konflikte und schwierige Gefühle. Die junge Frau muss verstehen, warum sie an einer Essstörung leidet.

Außerdem muss sie lernen, sich besser durchzusetzen und ihre Bedürfnisse zu artikulieren. Dabei hilft ihr ein Psychotherapeut, ihre Gefühle wahrzunehmen und einzuordnen. Er oder sie hält die Gefühle mit ihr zusammen aus, so dass sie sie nicht alleine mit sich herumtragen muss. 

Zusätzlich muss der betroffenen Person wieder ein Rahmen für ein normales Essverhalten vorgegeben werden. In der Therapie lernt sie, was eine normale Mahlzeit ist und wie sie ihre Mahlzeiten regelmäßig strukturieren kann. Außerdem lernt sie andere Bewältigungsstrategien zur Gefühlsregulation

In einer Klinik steht dafür ein multiprofessionelles Team zur Verfügung. Es besteht in der Regel aus: 

  • Ärzten, die die körperlichen Folgeschäden der Bulimie behandeln. Bei Komorbidität mit Depression (Bulimie und Depression treten oft zusammen auf), kommt auch eine Behandlung mit einem Antidepressivum in Frage.
  • Psychotherapeuten, die eine kognitive Verhaltenstherapie oder eine Kombination aus Verhaltenstherapie und einem anderen Psychotherapieverfahren, wie tiefenpsychologischer Therapie, anwenden.
  • Kreativtherapeuten, die den Patienten helfen, sich über Kunst und Gestalten auszudrücken.
  • Sporttherapeuten, die eine gesunde Bewegung fördern.
  • Pflegepersonal, das die Mahlzeiten strukturiert und begleitet und dabei hilft mit Essens- und Brechdruck umzugehen.
  • Sozialpädagogen, die zum Beispiel mit Rollenspielen in der Gruppe arbeiten.
Der Blick auf die Waage stellt Menschen mit Essstörungen nie zufrieden.

© iStock / laflor

Erfolgt die Behandlung immer stationär in einer Klinik?

Nein, Patienten mit Bulimie sollten vorwiegend ambulant behandelt werden. Wenn die Bulimie allerdings schwer ist und durch ein erheblich entgleistes Essverhalten gekennzeichnet ist, oder wenn bestimmte Begleiterkrankungen vorliegen, kann aber auch eine stationäre Therapie notwendig sein. Außerdem ist die Behandlungsform vom Body-Mass-Index (BMI) abhängig. Bei ausgeprägtem Untergewicht treten chronische Folgeerkrankungen auf, die irreversibel sind, etwa Osteoporose.

Soziale Faktoren können ebenfalls eine Rolle spielen: Ist jemand hoch verschuldet, weil er seine Essanfälle finanzieren muss? Dann kann eine stationäre Therapie ratsam sein. Die Therapie in der Klinik dauert mehrere Wochen. Wie schnell sich Erfolge zeigen, ist vor allem davon abhängig, wie sehr sich die Patienten einlassen und verstehen, warum sie die Erkrankung entwickelt haben. Wie stabil ihre Lebenssituation ist, ist ebenfalls ausschlaggebend für die Dauer der Therapie.

Treten Depressionen und Angststörungen häufig zusammen mit Bulimie auf?

Ja, das tun sie. Der Selbstwert, der zuvor schon beeinträchtigt war, kann durch die Essstörung gänzlich verloren gehen. Die Betroffenen sind zutiefst beschämt über ihr Verhalten und ziehen sich deswegen sozial zurück. Wegen der Essanfälle werden Verabredungen abgesagt und Hobbies zurückgestellt. Depressionen und Angststörungen können die Folge sein.

„Der Selbstwert, der vor Ausbruch der Krankheit schon beeinträchtigt war, kann durch die Essstörung gänzlich verloren gehen.“

Dr. med Katrin Jakobi
Oberärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in der München Klinik Harlaching

Woran merkt man selbst, dass man Hilfe in Anspruch nehmen sollte?

Der persönliche Leidensdruck ist ausschlaggebend. Es gibt Menschen, die erbrechen sehr selten und leiden nicht darunter – sie tun das kontrolliert. Wenn ein Kontrollverlust eingetreten ist, die Essanfälle häufig auftreten und immer mehr vom eigenen Leben geopfert wird, sollte man sich dringend Hilfe suchen. 

An wen können sich Betroffene wenden?

Es gibt in Deutschland flächendeckend Beratungsstellen. Dort kann eingeschätzt werden, wie schwer die Erkrankung bereits ist und wie und wo die Behandlung stattfinden sollte. Es gibt etwa ambulante Gruppen, in denen man Leidensgenossen trifft oder Einzeltherapien, die einmal wöchentlich stattfinden.

Die Beratungsstellen helfen aber auch dabei, eine Klinik zu finden. Es gibt zum Beispiel Tageskliniken, in denen der Patient tagsüber Therapie hat und abends alleine zu Hause zurechtkommen muss oder eben auch Kliniken, die Patienten stationär aufnehmen. Auch Angehörige von Betroffenen können sich an die Beratungsstellen wenden, wenn sie nicht wissen, was sie tun sollen. 

Der AOK Gesundheitsnavigator hilft Ihnen bei der Suche nach einer geeigneten Klinik zum Thema Essstörung.

Gibt es Anzeichen, an denen Angehörige erkennen können, dass jemand von Bulimie betroffen ist?

Bulimie-Betroffene sind sehr gut darin, ihre Erkrankung zu verheimlichen. Es gibt trotzdem einige Anzeichen auf die Eltern, Freunde oder Partner achten können: 

  • Die Essensmengen stimmen nicht mit dem Gewicht der Person überein.
  • Im Kühlschrank fehlen immer wieder große Mengen an Nahrungsmitteln.
  • Gemeinsames Essen wird vermieden.
  • Nach dem Essen finden lange Toilettengänge statt.
  • Die Betroffenen sind stark auf die Gewichtsabnahme fixiert. Nicht alle Bulimie-Kranken sind sehr dünn, aber alle streben danach.

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Wie sollten Angehörige mit der Erkrankung umgehen?

Sie sollten die Bulimie direkt ansprechen, denn es vermindert die Scham der Betroffenen nicht, wenn sie es nicht tun. Sie sollten betonen, dass sie sich Sorgen machen und jederzeit dabei unterstützen können, gemeinsam nach Hilfe zu suchen.

So signalisiert man: Ich bin weiter für dich da und weiterhin deine Freundin, Mutter, dein Partner etc. Die Erkrankung anzusprechen, ist sehr wichtig. Viele Betroffene reden sich die Bulimie sehr lange schön, weil sie um jeden Preis dünn sein wollen. 

Körperliche Folgen und Heilungschancen der Bulimie

Untergewicht führt zu Osteoporose. Der Grund: Die weiblichen Hormone sinken ab, der Knochen wird mit geringerer Dichte aufgebaut. Osteoporose ist irreversibel. Ebenfalls nicht wieder rückgängig zu machen, ist der Schaden, der am Zahnschmelz durch das Erbrechen entsteht. Das Erbrechen verursacht außerdem Störungen des Elektrolyt- und Wasserhaushalts des Körpers. Diese können zu Herz-Rhythmus-Störungen oder Störungen der Nierenfunktion führen.

Der Missbrauch von Entwässerungs- oder Abführmitteln kann zu Störungen der Nierenfunktion und Verdauungsstörungen, wie Durchfall, Verstopfungen oder einem Darmverschluss führen.

Frauen, die schwanger werden wollen, haben häufig Probleme. Wenn die Regel häufig ausbleibt und der Eisprung durch den Abfall der Hormone nur noch selten stattfindet, ist die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden, dementsprechend geringer. In einer bestehenden Schwangerschaft kann eine Bulimie ebenfalls zu Komplikationen führen. 

Zu den Folgen, die erst nach jahrelangem Essen und Erbrechen auftreten, gehört die Verkleinerung der Organe bei ausgeprägtem Untergewicht. Auch das Suizidrisiko und die Sterblichkeit sind bei Bulimie-Kranken höher als in der nichterkrankten Bevölkerung.

Ist Bulimie heilbar?

Meist sind mehrere Therapien über Jahre notwendig, Bulimie ist aber heilbar. Natürlich sind Rückfälle nicht auszuschließen, man hat in der Therapie aber hoffentlich andere Bewältigungsstrategien erlernt. Außerdem ist schon sehr viel gewonnen, wenn man nur noch selten Essanfälle hat. 

In Krisenzeiten, wie etwa in der Corona-Pandemie, sind Betroffene gefährdeter für Rückfälle. Vor allem Jugendlichen fehlt die Möglichkeit, Konfliktsituationen mit den Eltern zu entkommen und überhaupt rauszukommen und soziale Kontakte zu pflegen. Druck zu kompensieren, ist aktuell wesentlich schwieriger. Das heißt aber nicht, dass Betroffene, ob Erwachsene oder Jugendliche, direkt wieder in die Essstörung abrutschen müssen. Es ist entscheidend, sich schnell Hilfe zu holen.


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