Psychologie
Hochfunktionale Depression: Unter diesen Symptomen leiden Betroffene
Veröffentlicht am:10.11.2020
5 Minuten Lesedauer
Aktualisiert am: 15.05.2024
Depressive Symptome trotz Leistungsfähigkeit – bei einer hochfunktionalen Depression sind die Symptome für andere nicht immer sichtbar. Wie die Gefühlswelt der Betroffenen aussieht und warum sie sich oft spät Hilfe suchen.
Depression: Symptome sind individuell verschieden
Depressionen können jeden treffen. Auch Menschen mit einem erfüllenden Beruf und einer glücklichen Partnerschaft können erkranken, wenn eine entsprechende Veranlagung vorliegt. Diese kann genetisch bedingt oder erworben sein, zum Beispiel durch Traumatisierungen oder Missbrauchserfahrungen in der frühen Kindheit.
Menschen, die unter einer Depression leiden, zeigen unterschiedliche Symptome. Die einen ziehen sich mehr und mehr zurück und verlieren das Interesse an positiven Aktivitäten und Freundschaften. Andere wiederum sind ständig gereizt und bisweilen sogar aggressiv – so kann sich zum Beispiel eine Depression bei Männern zeigen. Bei der Diagnosestellung unterscheiden Mediziner und Medizinerinnen zwischen Haupt- und Nebensymptomen einer Depression.
Hauptsymptome einer Depression sind:
- Niedergeschlagenheit, gedrückte Stimmung
- Interessenverlust, Freudlosigkeit
- Antriebsmangel, schnelle Ermüdbarkeit
Nebensymptome einer Depression sind:
- Schlafprobleme
- Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen
- Schuldgefühle
- Hoffnungslosigkeit
- geringes Selbstwertgefühl und mangelndes Selbstvertrauen
- Appetitlosigkeit
Für die Diagnose einer Depression ist entscheidend, dass Betroffene seit mindestens zwei Wochen unter mehreren Haupt- und Nebensymptomen leiden. Je nach Schweregrad der Depression kann die Anzahl der Beschwerden schwanken. Bei einer leichten Episode zum Beispiel liegen mindestens zwei Haupt- und zwei Nebensymptome vor.
Depression ist jedoch nicht gleich Depression: Es gibt verschiedene Formen (Subtypen). Eine dieser Sonderformen ist die hochfunktionale Depression.
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Symptome hochfunktionaler Depression: Leistung trotz innerer Leere
Im Gegensatz zu einer klassischen Depression (Major Depression) wird die hochfunktionale Depression eher als eine leichte Form der Depression beschrieben, die jedoch über Jahre andauern kann.
Charakteristisch ist, dass Betroffene nach außen hin nicht depressiv wirken. Sie ziehen sich nicht vollkommen zurück, sondern sind in der Lage, ihren Alltag zu meistern und Verpflichtungen im Job und in der Familie nachzukommen – ein Umstand, der es schwer macht, die Erkrankung von außen zu erkennen. Die Depression ist somit „versteckt“, auch wenn der innere Leidensdruck bei den Betroffenen vorhanden ist.
Symptome einer hochfunktionalen Depression können sein:
- untypische Schlaf- und Essenszyklen
- häufig auch Schlaflosigkeit
- geringes Selbstwertgefühl
- Grübeln
- Reizbarkeit
- Konzentrations- und Entscheidungsprobleme
- Rückzug von sozialen Aktivitäten
- mangelnde Genuss- und Begeisterungsfähigkeit
- Gefühle innerer Leere
- Energiemangel
- Erschöpfung
Diagnoseschlüssel für hochfunktionale Depression gibt es nicht
Bisher gibt es keine eigenständige Diagnose für die hochfunktionale Depression. Am ehesten ist sie mit einer atypischen Depression oder Dysthymie vergleichbar. Für diese Formen gibt es einen Diagnoseschlüssel im Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen.
Bei der atypischen Depression können Betroffene zwar vorrübergehend Freude empfinden, zur Arbeit gehen und soziale Kontakte pflegen. Sie fühlen sich danach jedoch ausgelaugt. Als Dysthymie wird eine chronische Depression bezeichnet: Die Beschwerden sind eher leichter ausgeprägt, halten aber seit mindestens zwei Jahren an.
Hochfunktionale Depression: So fühlt sich die Erkrankung an
An einer hochfunktionalen Depression Erkrankte, oft Frauen, meistern trotz allem Beruf, Familie und Freizeitgestaltung erfolgreich – auch wenn sie das viel Kraft kostet. In ihrem Inneren aber nehmen Erschöpfung, Verzweiflung und Traurigkeit zu. Geraten sie in eine Lebenskrise, können sich die Symptome massiv verstärken.
Viele Betroffene sind sich nicht bewusst, dass sie Hilfe brauchen und verschließen sich oft davor. Denn es passt nicht in ihr Erfolgsprofil, auf diese Weise krank zu sein.
Erfahrung einer Betroffenen
So ging es auch der 36-jährigen Emma (Name von der Redaktion geändert):
„Die Diagnose war für mich die größte Niederlage in meinem Leben, zeigt sie doch, dass ich den Anforderungen nicht gewachsen war. Manchmal hatte ich das Gefühl, als lebte ich zwei unterschiedliche Leben. Morgens sah die Welt meist noch in Ordnung aus. Ich hatte genügend Energie, um meine Kinder zu versorgen, sie zur Kita zu bringen und anschließend selbst pünktlich in meiner Schule zu erscheinen, wo ich als Klassenlehrerin und Oberstufenkoordinatorin einwandfrei funktionierte. Am Abend aber fühlte ich immer häufiger eine geradezu überwältigende innere Leere in mir. Gepaart mit einer Angst davor, dass die Traurigkeit nicht mehr aufhören würde.
Als es mir immer schwerer fiel, dieses für mich unerklärliche, auch peinliche Leiden zu verbergen, suchte ich einen Arzt auf. Der erzählte mir, dass die Depression viele Gesichter hätte und eine besondere Verlaufsform auf mich zuträfe. Die Reaktion meines Mannes auf diese Diagnose: ‚Aber du hast doch zwei tolle Kinder, einen super Job, lebst in einer schönen Wohnung – es läuft doch alles bestens in deinem Leben‘.“
„Morgens sah die Welt meist noch in Ordnung aus. Ich hatte genügend Energie […]. Am Abend aber fühlte ich immer häufiger eine geradezu überwältigende innere Leere in mir. Gepaart mit einer Angst davor, dass die Traurigkeit nicht mehr aufhören würde.“
Emma
36 Jahre
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Depressionen sind ein Zustand großer Not
„Die Erkrankung Depression unterscheidet sich von Mensch zu Mensch stark in der Form, der Schwere und dem Verlaufsmuster“, erklärt der Psychiater und Vorstandsvorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, Professor Ulrich Hegerl. „Dabei ist es immer wichtig zu erkennen, dass eine Depression auch eine Erkrankung des Gehirns ist und Betroffene nichts für ihre Erkrankung können. Es ist nicht ihre Schuld.“
Die Depression sucht sich, was es an Negativem, an Problemen und Sorgen im jeweiligen Leben gibt, vergrößert es und rückt es ins Zentrum des Erlebens. „Patienten berichten, dass Depression eine traumatisierende Erfahrung sei“, sagt der Psychiater.
„Der Zustand unterscheidet sich von allem, was sie bisher an Stimmungstiefs als Reaktionen auf die Bitternisse des Lebens erlebt haben. Diese Intensität des Erlebens erlaubt dem Fachmann, einen Erschöpfungszustand, verbunden mit einer vorübergehenden Niedergeschlagenheit, von einem behandlungsbedürftigen Leiden abzugrenzen.“
„Eine Depression ist auch eine Erkrankung des Gehirns und Betroffene können nichts für ihre Erkrankung. Es ist nicht ihre Schuld.“
Professor Ulrich Hegerl
Psychiater und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe
Wie Menschen mit Depression geholfen werden kann
Den meisten Menschen, die an einer Depression leiden, kann geholfen werden – auch den Betroffenen einer hochfunktionalen Depression. Mit der passenden Behandlung klingt die Depression wieder ab. Die Hauptbehandlungssäulen sind psychotherapeutische Verfahren, wie die kognitive Verhaltenstherapie und antidepressiv wirkende Medikamente. In der Therapie lernen Betroffene zum Beispiel, welche Strategien zur Selbsthilfe wichtig sind, um aktiv etwas gegen die Erkrankung zu tun.
An erster Stelle steht jedoch die Diagnose der Depression. Die Abgrenzung zu anderen Erkrankungen sollte so früh wie möglich vorgenommen werden, damit keine falschen Erholungswege eingeschlagen werden. So wie Emma es erfahren hat: „Ich fühlte mich am Abend so müde, dass ich mich immer schon mit den Kindern schlafen gelegt hatte. Durch meine Diagnose erfuhr ich, dass das keine gute Idee war.“
Studien an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in München zeigen nämlich, dass langer Schlaf eher depressionsfördernd und Schlafentzug ein wirkungsvolles Behandlungsverfahren ist. Auch ist davon abzuraten, mit einer depressiven Erkrankung in den Urlaub zu fahren, wozu bei reinen Erschöpfungszuständen durchaus geraten wird. „Die Erkrankung reist nämlich mit und wird in der fremden Umgebung als noch unerträglicher erlebt“, sagt Ulrich Hegerl.
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