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Psychologie

Depression bei Eltern: Wie geht es dem Kind?

Veröffentlicht am:05.02.2025

6 Minuten Lesedauer

Wie erleben Kinder die Depression von Mutter oder Vater, wie geht die Familie am besten mit der Situation um und woran erkennen Eltern, dass ein Kind überfordert ist? Das klären wir im Gespräch mit der Psychologin Elisabeth Schramm.

Eine Frau mit langen braunen Haaren sitzt im Schneidersitz in einer Küche auf dem Boden, an einen Schrank angelehnt. Sie wirkt erschöpft und hält sich eine Hand vor das Gesicht. Ein kleines Mädchen mit blondem Zopf sitzt auf ihrem Schoß, den Blick von den Betrachtern abgewandt.

© iStock / kieferpix

Ein Portrait der Psychologin Elisabeth Schramm.

© privat

Prof. Dr. Elisabeth Schramm ist Sektionsleiterin Psychotherapieforschung in der Psychiatrie an der Universitätsklinik Freiburg. In Zusammenarbeit mit der AOK hat sie den Familiencoach Depression entwickelt.

Prof. Dr. Schramm, wie erleben es Kinder, wenn ein Elternteil depressiv ist?

Depressionen sind individuell sehr unterschiedlich. In der Regel treten sie aber episodisch auf, sie kommen und gehen also in Phasen – und da gibt es klare Erkennungszeichen. Wenn Väter oder Mütter sich anders verhalten, wenn sie gedrückter Stimmung und antriebslos sind, zu nichts mehr Lust haben, nicht aus dem Bett kommen, sich nicht mehr für die Dinge interessieren, die sie sonst eigentlich begeistern. Oder wenn sie sich sozial zurückziehen und Geselligkeiten vermeiden. Zu den häufigsten Symptomen gehören außerdem Schlafstörungen.

Wie sollte die Mutter oder der Vater mit Kindern über die Depression sprechen?

Das kommt auf das Alter der Kinder an. Grundsätzlich ist es möglich, auch schon sehr kleinen Kindern etwa ab dem dritten Lebensjahr das Thema Depression altersgerecht zu erklären. Dazu eignen sich entsprechende Bücher oder auch Videos. Insbesondere kleine Kinder neigen dazu, sich ansonsten verantwortlich und schuldig zu fühlen: „Weil ich mein Zimmer nicht aufgeräumt habe, ist die Mama jetzt so traurig“, wäre so eine typische Reaktion. Deshalb muss man bei ihnen besonders vorsichtig vorgehen und erklären, dass die Mama oder der Papa vorübergehend krank sind und das nichts mit ihnen zu tun hat.

3 Tipps für ein altersgerechtes Gespräch

Alter 1–6:
Den Kindern sagen, wenn man krank ist, und ihnen gleichzeitig versichern, dass sie nicht schuld daran sind. Letzteres ist für Kinder jeden Alters wichtig und entlastend.

Alter 6–12:
Die Erkrankung in einfacher Sprache näher erklären und auf Fragen eingehen. Das Thema immer wieder aufgreifen, um das Darüber-Reden zu normalisieren.

Alter 13–18:
Erklären, welche Symptome mit der Depression einhergehen, wie sie behandelt wird und welchen Weg der Genesung man selbst geht. Sicherstellen, dass Teenager sich mit nahestehenden Menschen offen austauschen können.

Quelle: CHIMPSNET

Eltern versuchen oft, ihre Kinder abzuschirmen. Geht das überhaupt?

Tatsächlich hilft ein Verschweigen oder Herunterspielen nicht weiter. Die Eltern oder andere erwachsene Bezugspersonen wie die Großeltern können beispielsweise erklären, dass die Mama wegen einer Krankheit gerade oft traurig und schlapp ist, aber dass die Krankheit behandelt wird und auch wieder vorbeigeht. Einfacher wird es bei Kindern ab dem Grundschulalter, weil diese schon ein besseres Krankheitsverständnis entwickeln können und über ein gewisses Einfühlungsvermögen verfügen.

Sollen Familien trotz der Depression ihr normales Leben weiterführen?

Es lässt sich mit der Situation vergleichen, wenn jemand körperlich krank ist, also zum Beispiel eine Grippe hat. Da werden die Eltern ihre Kinder auch anhalten, nicht unbedingt mit der Trommel durch das Haus zu spazieren oder ein Bobbycar-Rennen um den Esstisch zu veranstalten. Aber Sie haben natürlich recht: Es ist wichtig, dass die Familie nicht in eine Art Schockstarre verfällt, sondern dass sie bewährte Rituale und Gewohnheiten möglichst beibehält und die Kinder ihr normales Leben weiterführen können.

Tatsache ist, dass auch der gesunde Elternteil während dieser depressiven Episoden stark belastet ist – er muss für die kranke Partnerin oder den kranken Partner sorgen, und dann lastet noch die Betreuung der Kinder nur auf ihren oder seinen Schultern. Deshalb ist es wichtig, dass die kümmernde Person immer wieder Unterstützung zulässt und auch ausdrücklich darum bittet – von Verwandten, die man stärker einbezieht, bis zu Menschen aus dem Freundeskreis oder der Nachbarschaft, die vielleicht mal nach den Kindern schauen können.

Ein Schlafzimmer tagsüber. Eine Frau liegt zugedeckt im Bett. Ein ungefähr fünfjähriges Mädchen sitzt vor dem Bett und versucht die Frau aufzuheitern, indem es sich weiße Blüten als Augen vor das Gesicht hält.

© iStock / Westend61

Auch kleinere Kinder können verstehen, wenn es Mama oder Papa gerade nicht gut geht. Deswegen sollten Eltern mit ihnen über die Depression reden. (Anmerkung d. Redaktion: Symbolbild)

Wie können Kinder dem erkrankten Vater oder der erkrankten Mutter helfen?

Unterstützung und Rücksichtnahme sind immer hilfreich. Am besten wird innerhalb der Familie gemeinsam besprochen, in welchen Bereichen diese benötigt werden. Auch hier spielt das Alter der Kinder eine Rolle: Von einem fünfjährigen Kind kann man das nur bedingt verlangen – aber Teenager sollten in einer solchen Phase Rücksicht nehmen, indem sie beispielsweise mehr Aufgaben im Haushalt übernehmen oder statt der erkrankten Mutter auch mal andere Bezugspersonen um Hilfe bitten oder nicht zu viele Freundinnen und Freunde gleichzeitig einladen.

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Welche Anzeichen gibt es, dass Kinder und Jugendliche mit der Situation überfordert sein könnten?

Das betrifft besonders Teenager. Ich hatte zum Beispiel mal ein Mädchen bei mir im Gespräch, in dessen Familie es schon mehrfach Fälle von Depression gegeben hat. Es bekam mit, dass früher die Großmutter für ein paar Wochen „weggekommen“ ist, wie man früher sagte – also für eine Therapie in eine psychiatrische Einrichtung gegangen ist. Jetzt machte sich dieses Mädchen riesige Sorgen, dass auch die Mutter „wegkommt“. In diesem Fall ist es wichtig, der Jugendlichen die Situation zu erklären und ihr ein offenes Ohr anzubieten. Darüber hinaus ist ein sogenanntes watchful waiting empfehlenswert, wie wir das in der Fachwelt nennen – Eltern sollten sehr genau beobachten, ob ihre Kinder noch allein mit ihren Sorgen klarkommen.

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Überlastete Kinder: Bei welchen Zeichen sollte man handeln?

Wenn sich das Kind mit seinen Sorgen stark zurückzieht und nicht mehr über seine Gefühle sprechen kann, sind das Warnsignale. Die gelten übrigens nicht nur bei Teenagern, sondern auch bei jüngeren Kindern. Dann kann auch ein Gespräch mit nahestehenden Verwandten, Lehrpersonal oder den Eltern von Freundinnen und Freunden weiterhelfen. Ihnen fällt auch oft auf, wenn sich ein Kind plötzlich verändert, nicht mehr unbeschwert ist oder weniger isst, sich nicht mehr konzentrieren kann oder nicht mehr vor die Tür gehen will. Wenn diese Warnsignale auftreten, sollte man diese zuerst ganz offen mit dem Kind besprechen – und sich dann auch rechtzeitig professionelle Hilfe suchen. Erste Anlaufstellen sind dafür idealerweise die hausärztliche oder kinderärztliche Praxis.

Kinder depressiver Eltern leiden später häufig selbst an Depressionen. Wie lässt sich da gegensteuern?

Kinder in betroffenen Familien benötigen möglicherweise mehr Unterstützung dabei, zu lernen, mit Schwierigkeiten umzugehen und eine stabile Persönlichkeit zu entwickeln. Umso wichtiger ist es für sie, selbst zu entdecken, welche Tätigkeiten und Freundschaften ihnen guttun und welche sie belasten. Eltern können darauf achten, dass ihre Kinder sich nicht zu viel zumuten und der Stresspegel erträglich bleibt. Ein Einser-Abitur, um die Eltern zu beeindrucken, ist also nicht unbedingt das beste Ziel. Oft hilft es, aus Situationen aktiv den Druck herauszunehmen.

Die Übungen des Online-Programms „moodgym – aktiv aus der Depression“ unterstützen dabei, belastende Gedankenmuster zu erkennen und langfristig zu durchbrechen

Woraus kann eine Familie in solchen schweren Zeiten Kraft schöpfen?

Ich habe ja schon über Rituale gesprochen – die sind tatsächlich ein ganz wichtiges Element. Wenn die Familie sich zum Beispiel immer mittwochs zum Spieleabend versammelt, sollte sie das unbedingt beibehalten. Alle Rituale, alle Routinen sind stabile Anker, die Kindern und Erwachsenen in solchen Phasen sehr helfen.

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