Psychologie
Seelisches Leid und Rückenschmerzen
Veröffentlicht am:08.10.2024
4 Minuten Lesedauer
Plötzlich fährt es in den Rücken und ein stechender Schmerz begleitet jede Bewegung, manchmal machen sich die Beschwerden eher schleichend bemerkbar – Rückenschmerzen gelten als Volkskrankheit. Die Ursachen sind vielfältig – doch welche Rolle spielt die Psyche?
Viele Rückenschmerzen sind unspezifisch
Rückenschmerzen gehören zu den größten Gesundheitsproblemen in Deutschland – das zeigt auch eine Erhebung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) Danach erkrankten im Jahr 2022 über alle Bundesländer hinweg rund 32 Prozent der Bevölkerung an Rückenschmerzen. Frauen waren dabei etwas häufiger betroffen als Männer. Die Beschwerden können sich im gesamten Rücken bis in den Bereich des Kreuzbeins, also bis knapp über den Po, aber auch am Nacken bemerkbar machen. Viele Patienten und Patientinnen beschreiben die Schmerzen als stechend oder drückend, manchmal strahlen sie sogar bis in die Beine aus, zum Beispiel bei einem Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäulenregion. So vielfältig wie die Beschwerden sind meist auch die Ursachen. Mediziner und Medizinerinnen können Rückenschmerzen auf eine Arthrose, gebrochene Wirbelkörper, verschlissene Bandscheiben und vieles mehr zurückführen. In den meisten Fällen handelt es sich aber um unspezifische Beschwerden – das heißt, eine eindeutige Ursache ist nicht auszumachen. Nicht zu wissen, was der eigentliche Grund für die Rückenschmerzen ist, kann für die Betroffenen belastend sein. Bei anhaltenden Beschwerden lohnt sich ein Blick auf die Psyche, die bekanntlich eng mit dem Körper verbunden ist.
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Psychische Belastungen können zu unspezifischen Rückenschmerzen beitragen
Sind die Rückenschmerzen nicht auf Verletzungen oder Erkrankungen zurückzuführen, kommen andere Faktoren in Betracht. Unspezifische Rückenschmerzen können beispielsweise die Folge von Bewegungsmangel, einer schwachen Rumpfmuskulatur oder einer Fehlbelastung, unter anderem durch langes Sitzen auf dem Bürostuhl, sein. Nicht zu unterschätzen sind auch psychische Belastungen durch Stress im Familienleben, finanzielle Sorgen, Selbstzweifel oder psychische Erkrankungen wie Depressionen. Forschende haben herausgefunden, dass es tatsächlich eine Verbindung zwischen Rückenschmerzen und der Psyche gibt. In einer Studie hatte ein bedeutender Anteil der Teilnehmenden neben Schmerzen im unteren Rücken Schlafprobleme, Angstzustände und Depressionen. In einer weiteren Untersuchung analysierten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Daten aus insgesamt 19 Ländern, um mehr über den Zusammenhang zwischen chronischen Rücken- und Nackenschmerzen und früheren psychischen Störungen herauszufinden. Das Ergebnis: Menschen, die eine Vorgeschichte mit psychischen Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen hatten, wiesen ein höheres Risiko auf, langanhaltende Beschwerden in Rücken und Nacken zu entwickeln.
Wie äußern sich psychisch bedingte Rückenschmerzen?
Folgendes deutet auf Rückenschmerzen durch Stress und Angst hin:
- Die Rückenschmerzen treten ohne erkennbare Ursache auf, eine ursächliche Verletzung oder körperliche Erkrankung besteht nicht.
- Während emotionaler Belastungen oder Stress nehmen die Rückenschmerzen zu, in entspannten Situationen eher ab.
- Die Rückenschmerzen werden von Gefühlen wie Angst oder Traurigkeit oder psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angsterkrankungen begleitet.
- Aus Angst vor Rückenschmerzen nehmen Betroffene eine Schonhaltung ein oder reduzieren ihre Aktivität, die Schmerzen nehmen dadurch spürbar zu.
Wie kann die Psyche Rückenschmerzen verursachen?
Ein Ansatz bezieht sich auf das „Angst-Vermeidungsverhalten“. Wenn es im Nacken oder Kreuz schmerzt, neigen viele Menschen dazu, Bewegungen oder Aktivitäten zu vermeiden – zu groß ist die Angst, dass die Schmerzen zunehmen. Führen akute Verletzungen zu den Rückenschmerzen, ist das durchaus sinnvoll, denn so hat das Körpergewebe ausreichend Zeit, sich zu erholen. Bei chronischen Schmerzen ist der Schutzmechanismus aber nicht notwendig, die Vermeidung trägt dann zur Schmerzerhaltung bei. Das liegt daran, dass bei Betroffenen mit der Vermeidungsstrategie ein Bewegungsmangel und eine unnatürliche Schonhaltung bestehen können, die wiederum zu Verspannungen führen – diese sind häufig Grund für neue Schmerzen. Auch das Thema Selbstwirksamkeit könnte entscheidend sein: Personen, die trotz der Beschwerden zuversichtlich sind, Aktivitäten umzusetzen, leiden meist weniger unter Schmerzen und Beeinträchtigungen als Menschen, denen in Zeiten von Schmerzen das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten fehlt. Hinzu kommt, dass Gefühle von Traurigkeit und eine niedergeschlagene Stimmung, wie sie zum Beispiel bei Depressionen vorkommen, die Empfänglichkeit für Schmerzen erhöhen. Die Rückenschmerzen können dann die typischen Symptome einer Depression wie Antriebslosigkeit und eine unzureichende Selbstwirksamkeit verstärken – Bewegungsmangel, Anspannungen und eine schlechtere Schmerzbewältigung sind die Folge. Nicht immer stecken jedoch psychische Erkrankungen hinter den körperlichen Beschwerden – chronische Rückenschmerzen können auch durch Stress verursacht sein. Die Psyche reagiert auf Stress mit einer angespannten Muskulatur, die ständige Anspannung begünstigt dann die Rückenschmerzen.
Was können Betroffene selbst tun, um psychisch bedingte Rückenschmerzen zu lindern?
Handelt es sich um unspezifische Rückenschmerzen, können Ärzte und Ärztinnen also keine körperliche Ursache für die Beschwerden ausmachen, ist es wichtig, auch der Psyche Aufmerksamkeit zu schenken. Mehr Bewegung im Alltag und Stressbewältigungsstrategien wie die progressive Muskelentspannung können dazu beitragen, Ängste und Anspannungen abzubauen und psychisch bedingte Rückenschmerzen zu verhindern oder aufzulösen. Ein weiterer Ansatz ist ein Achtsamkeitstraining, zum Beispiel in Form von Mindfulness-Based Stress Reduction, kurz MBSR. Die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion kann Betroffenen dabei helfen, sich der Schmerzen zwar bewusst zu sein, sie aber zu akzeptieren und nicht über sie zu urteilen, sie also hinzunehmen. Studien legen nahe, dass Menschen mit einer Schulung der Achtsamkeit ihre Rückenschmerzen als weniger störend einstufen.
Weiterführende Links zum Thema
Achtsamkeit kann erlernt werden – das klappt mit einem Achtsamkeitstraining.
In speziellen Kursen lernen Menschen, im Hier und Jetzt zu bleiben. Das hilft dabei, Anspannungen und belastende Gefühle loszulassen. Die AOK bietet ihren Versicherten Achtsamkeitskurse in ihrer Nähe an, um mehr Entspannung in den Alltag zu bringen.
Wenn die Psyche Schmerzen verursachen kann, wie sieht dann eine geeignete Therapie aus?
Führt eine Anpassung der Lebensgewohnheiten mit mehr Bewegung und Achtsamkeit nicht zum gewünschten Ergebnis, ist eine professionelle Hilfe durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ratsam. Eine kognitive Verhaltenstherapie, die durch Körper-, Bewegungs-, Sozial- und Kunsttherapie ergänzt werden kann, bietet Menschen mit anhaltenden Rückenschmerzen Unterstützung. Meist finden die Therapien ambulant statt und manchmal werden sie durch Medikamente, beispielsweise bei Ängsten oder Depressionen, ergänzt. Therapeuten und Therapeutinnen vermitteln Erkrankten außerdem, wie die Rückenschmerzen mit der Psyche zusammenhängen, damit sie selbst darauf Einfluss nehmen können.