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Psychologie

Erfahrungsbericht Klaustrophobie

Veröffentlicht am:24.05.2023

6 Minuten Lesedauer

Menschen mit Klaustrophobie (Raumangst) haben in engen oder geschlossenen Räumen Angst davor, zu ersticken oder erdrückt zu werden. Im Gegensatz zu einer Platzangst fürchten sie sich jedoch nicht vor öffentlichen Situationen oder weiten Plätzen.

Viele Menschen sitzen und stehen eng an eng in einem Bus.

© iStock / Joel Carillet

Frauke-Sophie ist 22 Jahre alt und hat Klaustrophobie. Im Interview spricht sie darüber, wie stark die Raumangst ihren Alltag einschränkt. Außerdem erzählt Frauke-Sophie, welche Tipps ihr helfen, ihre Angst zu überwinden.

Wie und wann hat sich die Klaustrophobie bei dir gezeigt?

Schon als Kind machte sich die Raumangst bei mir bemerkbar – ich bin beispielsweise ungern in Fahrstühle gestiegen oder habe öffentliche Verkehrsmittel gemieden. Bewusst wurde mir die Klaustrophobie aber erst später. Mit dreizehn Jahren gab es ein Schlüsselerlebnis. Ich blieb gemeinsam mit anderen Menschen in einem Fahrstuhl stecken. Etwa eine Stunde harrten wir in dem Fahrstuhl aus – ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Damals führte ich die Ängste nicht auf eine Klaustrophobie zurück.

Ich merkte aber mit den Jahren, dass ich immer in denselben Situationen Angst empfand. Mein Körper und mein Geist waren dann im Alarmzustand. Das äußerte sich dadurch, dass ich einen Druck auf der Brust empfand und das Gefühl verspürte, nicht richtig atmen zu können. Wenn ich mich in engen Räumen befand, schwitzten meine Hände und ich zitterte. Wie komme ich hier weg? Ich muss hier raus! – diese Gedanken waren in den Angstsituationen sehr präsent. Mich belastete die Angst, denn sie bestimmte meinen Alltag. Zum Beispiel, ob und mit welchem Verkehrsmittel ich fuhr oder welche Treffen ich wahrnahm. Ich begann im Internet zu recherchieren und fand mich mit meinen Beschwerden in einem Artikel über Klaustrophobie wieder – es war wie eine Art Steckbrief über mich.

Enge Räume und keine Fluchtmöglichkeiten sind Probleme im Alltag

In welchen Situationen entsteht bei dir Angst?

Bei mir spielen zwei Faktoren eine Rolle. Zum einen ist es die Größe des Raumes – je kleiner der Raum, desto größer die Angst. Wenn viele Menschen dazukommen, verschlimmert sich die Situation meist. Die Klaustrophobie kann sich zum Beispiel zeigen, wenn ich in einem gut besuchten Museum oder einer Disco unterwegs bin. Neben der Größe des Raumes ist für mich auch entscheidend, wie einfach ich der Situation entfliehen kann. Aus einem Fahrstuhl in Bewegung komme ich nicht heraus – das verstärkt mein Angstgefühl. Auch wenn Menschen Räume abschließen, ist das für mich ein großes Problem. Das ist mir mal in der Schule passiert und ich entwickelte große Panik. Wenn ich in meiner Wohnung aber eine Tür abschließe, ist das in Ordnung – hier kann ich schließlich selbst entscheiden, ob und wann ich den Raum verlasse.

Wie stark beeinträchtigt die Raumangst deinen Alltag?

Ich habe verschiedene Strategien entwickelt, um die Klaustrophobie zu überwinden beziehungsweise die Angstgefühle zu reduzieren. Das klappt unter anderem mit Atemübungen recht gut. Trotzdem empfinde ich noch immer Raumangst – die Klaustrophobie beeinträchtigt meinen Alltag also schon. Wenn ich an der Haltestelle stehe und sehe, dass die Bahn sehr voll ist, warte ich auf die nächste. Fahrstühle meide ich mittlerweile fast vollständig und nutze lieber die Treppen. Lange Warte­schlangen im Restaurant umgehe ich und warte draußen auf das Essen zum Mitnehmen. Ich versuche mich aber trotz der Einschränkungen, mental nicht „runterziehen“ zu lassen.

Rückblickend ist es durch meine Strategien schon viel besser geworden. Wenn ich damals mit Freunden und Freundinnen ausging, zum Beispiel, um Indoor-Minigolf zu spielen, analysierte ich die Situation vorher genau: Wie groß ist der Raum? Wie voll ist es zu der Tageszeit? Mittlerweile kann ich mich einfacher auf unbekannte Situationen einlassen. Ich bin aber noch nicht fertig mit Üben, ich hoffe, ich komme noch weiter vorwärts.

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Hat auch dein Sozialleben unter deiner Klaustrophobie gelitten?

Teilweise schon. Schließlich hat nicht jeder oder jede Verständnis für die Raumangst. Es gab Menschen, die mir unterstellten, die Angstgefühle als Vorwand für eine Absage zu nehmen. So nach dem Motto: Schieb das doch jetzt nicht vor. Sag doch, wenn du etwas anderes vorhast. Das ist für mich natürlich sehr verletzend. Es gibt aber auch viele Menschen, die sehr rücksichtsvoll mit meiner Angst umgehen. Mit der Zeit kristallisierte sich heraus, auf welche Menschen ich mich verlassen kann und auf welche nicht.

„Es gab Menschen, die mir unterstellten, die Angstgefühle als Vorwand für eine Absage zu nehmen.“

Frauke-Sophie
Klaustrophobie-Betroffene

Atemübungen und Meditation helfen mir dabei, Angstgefühle loszulassen

Was hast du versucht, um die Klaustrophobie zu überwinden?

Zunächst einmal ging ich offensiv mit dem Thema Klaustrophobie um, denn nur so können Menschen mich unterstützen und Rücksicht nehmen. Da ich ohnehin bei einem Therapeuten in Behandlung war, sprach ich dort das Thema Raumangst an. Mein Therapeut gab mir viele hilfreiche Tipps für meinen Alltag. Er führte mich zum Beispiel an Atemübungen und an die Meditation heran. Die Atemübungen helfen mir vor allem in akuten Situationen, also wenn ich beispielsweise in einer vollen Bahn bin und Angstgefühle entwickle. Ich zähle dann in meinem Kopf bis vier und atme währenddessen ein, dann halte ich den Atem vier Sekunden an und atme wieder über vier Sekunden hinweg aus. Das ruhige Atmen und das Zählen helfen mir praktisch sofort. Mit dem täglichen Meditieren bekomme ich das generelle Angstgefühl besser in den Griff. Eine klassische Klaustrophobie-Therapie habe ich nicht gemacht – ich wollte selbst einen Weg finden, um mit den Tipps meine Ängste zu überwinden.

Frau liegt mit geschlossenen Augen auf einer Yogamatte und ihre Hände liegen auf dem Bauch.

© iStock / MStudioImages

Angstpatienten und -patientinnen können Atem- und Entspannungstechniken üben, um sich während eines Angstanfalls zu beruhigen.

Wie schnell hast du mit Atemübungen und Meditieren erste Erfolge erzielt?

Wenn sich die Angst über so viele Jahre festsetzt, vergeht sie natürlich nicht in wenigen Wochen. Allerdings merkte ich nach einigen Monaten, wie die Anspannung und die Angstgefühle nachließen. Für mich ist eine regelmäßige Entspannung sehr wichtig. Jeden Tag nehme ich mir einige Minuten nur für mich. Dann meditiere ich, zum Beispiel mit geführten Meditationen, die es online gibt. Auch Musik oder das Anzünden von Räucherstäbchen helfen mir beim Entspannen.

Falls ich eine konkrete Angstsituation durchlebt habe, schreibe ich sie in mein Tagebuch. Indem ich die Situation und meine Gefühle noch einmal hervorhole, kann ich sie besser verarbeiten. Die Atemübungen sind ein Rettungsanker in sehr unangenehmen Situationen und helfen mir dabei, mich abzulenken. Das Erarbeiten von Strategien ist aber wahrscheinlich eine sehr individuelle Sache. Wie schnell jemand Erfolge hat, hängt bestimmt auch von den bisherigen Erfahrungen und der Ausprägung der Angst ab. Ich habe für mich festgestellt, dass es sich dabei um einen stetigen Prozess handelt – ich muss mich also immer wieder meinen Ängsten stellen und sie überwinden.

„Die Atemübungen sind ein Rettungsanker in sehr unangenehmen Situationen und helfen mir dabei, mich abzulenken.“

Frauke-Sophie
Klaustrophobie-Betroffene

Eine gewisse Angst bleibt oft, doch es wird mit Unterstützung besser

Fürchtest du dich heute gar nicht mehr vor engen Räumen?

Doch, ich habe immer noch Angst, beispielsweise in öffentlichen Verkehrsmitteln, nur nicht mehr so häufig. Ich kann heute wieder mehr über mein Leben bestimmen. Wenn ich zur Haustür herausgehe, stelle ich mir vor, dass ich mein Schutzschild anlege. Ich bereite mich gedanklich auf Situationen vor, die mich erwarten könnten, wie eine volle Bahn. Dann spreche ich mir selbst Mut zu – das hilft sehr. Allerdings ist mein Angstgefühl auch tagesformabhängig. An manchen Tagen verspüre ich mehr Angst als an anderen.

Was rätst du anderen Betroffenen und deren Angehörigen?

Im ersten Schritt finde ich es wichtig, sich selbst die Angst bewusst zu machen und die Fragen zu klären: Was geht gerade in mir vor, in welchen Situationen empfinde ich Angst? Ich kann allen Betroffenen außerdem nur dazu raten, sich mitzuteilen, das Problem mit Freunden, Freundinnen, Bekannten und der Familie zu besprechen. Auch ein Psychotherapeut oder eine Psychotherapeutin ist ein guter Ansprechpartner oder eine gute Ansprechpartnerin. Ich finde es auch wichtig, dass Mitmenschen Verständnis zeigen und die Ängste ernstnehmen.

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